Ab dem Ende des 20. Jahrhunderts entwickelt sich das Verfahren der Mediation, das zur Verbesserung zwischenmenschlicher Kommunikation und Beziehung in unterschiedlichsten Konfliktsituationen anwendbar ist. Es ermöglicht durch die Verstehensvermittlung eine Lösungsfindung durch die Konfliktparteien selbst. Die Mediation baut auf dem Harvard-Konzept (ab 1981) auf, integriert Ansätze der Konflikt- und der Verhandlungsforschung, des psychologischen Problemlösens. Eine weitere Quelle ist die Humanistische Psychologie von Carl Rogers (ab 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts).
Die Integrierte Mediation sieht drüber hinaus in der Mediation eine besondere Art des Denkens und erschließt die Mediation durch ein logisches Theoriegebäude und eine stringent methodische Sicht auf die Mediation. Mediieren ist hier die Verwirklichung eines mit der Mediation beschriebenen Kognitionsprozesses. Die Integrierte Mediation umfasst die verschiedenen Varianten und Erscheinungsformen der Mediation und setzt diese situationsgerecht ein.
Die Anthroposophie (als ‚Weisheit vom Menschen‘) entsteht Anfang des 20. Jahrhunderts und versteht sich als Geisteswissenschaft, als Ausbildungs- und Erkenntnisweg. Da hier ein Blick darauf geworfen werden soll, ob die Sicht der Anthroposophie auf das menschliche Wesen einen Beitrag zum Mediationsverständnis leisten kann, seien hierfür nötige Grundgedanken in extremer Kürze vorgestellt.
Exkurs: Anthroposophie
Der Begründer Rudolf Steiner beschreibt sie so: „Unter Anthroposophie verstehe ich eine wissenschaftliche Erforschung der geistigen Welt, welche die Einseitigkeiten einer bloßen Natur-Erkenntnis ebenso wie diejenigen der gewöhnlichen Mystik durchschaut und die, bevor sie den Versuch macht, in die übersinnliche Welt einzudringen, in der erkennenden Seele erst die im gewöhnlichen Bewusstsein und in der gewöhnlichen Wissenschaft noch nicht tätigen Kräfte entwickelt, welche ein solches Eindringen ermöglichen.“1
Die Anthroposophie beansprucht demnach, von den physisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ausgehend, auch in dem darüber hinaus gehenden Wissensgebiet methodisch gesichert, nachvollziehbar sowie wiederholbar zu gesichertem Wissen zu gelangen. Dies umfasst die Erkenntnis seelischer und geistiger Phänomene und Erscheinungen. Dabei wurzelt sie u.a. in einer differenzierten Betrachtungsweise des Menschen als dem einzigen Wesen auf der Erde, das über Leib, Seele und Geist verfügt (Dreigliederung). In der Anthroposophie wird dabei der Geist nicht als Teil der Seele betrachtet, sondern als eigenes Wesensglied neben dem physischen Leib und der Seele. Das individuelle Ich als geistiges Wesensglied des Menschen inkarniert sich nach und nach in den Leib und in die Seeleneigenschaften im Lauf der Kindheit, Jugend und Adoleszenz. Dabei wird von einer Polarität von Materie und Geist ausgegangen, zwischen der sich das Feld des Seelischen bildet und das beide Pole verbindet, weil es von beiden Polen beeinflusst werden, aber eben auch in beide hineinwirken kann.
Der Mensch kann auch als in drei Systembereiche gegliedert betrachtet werden: das ‚Nerven-Sinnes-System‘, das im Kopf des Menschen zentralisiert ist und u.a. die Grundlage des Den-kens darstellt. Polar dazu steht das ‚Stoffwechsel-Gliedmaßen-Systems‘, das im Wesentlichen im Unterbauch und den Gliedmaßen wirksam ist und die Grundlage der Handlungsfähigkeit darstellt. Drittens gibt es das ‚rhythmische System‘, das besonders durch die flexiblen, rhythmischen und intensiven Atmungs- und Blutzirkulationsvorgänge die Grundlage des ‚Fühlens‘ im ‚mittleren Menschen‘ bildet.
Die differenziertere Erkenntnis des dreigliedrigen menschlichen Wesens kommt aus jeweils anderen Betrachtungspositionen heraus zu weiteren Wesensgliederungen des Menschen.2
Davon soll nur das ‚viergliedrige Wesen‘ an der entsprechenden Stelle skizziert werden.
Betrachten wir also zuerst als Grundlagen der Mediation das Harvard-Konzept, die Konflikteskalation nach Glasl, Grundannahmen der humanistischen Psychologie und das Kommunikations-Modell nach Schulz von Thun im Zusammenhang mit der anthroposophischen Menschenkunde.
Grundlagen der Mediation
Harvard-Konzept
In der Verhandlungstechnik „Harvard-Konzept“ der Rechtswissenschaftler Roger Fisher und William Ury3 wird das Ziel der Konsens-Findung in einer Win-Win-Lösung angestrebt. Damit die Beteiligten aus mehreren Entscheidungsoptionen auf Grundlage objektiver Beurteilungskriterien eine Auswahlmöglichkeit erarbeiten können, bedarf es in den vorangehenden Verhandlungen einer gedanklichen Trennung der Personen von den Sachfragen, und der Fokussierung auf die jeweiligen Interessen der Beteiligten sowie dem Hintanstellen ihrer Positionen.
Neben den für einen aufgeklärten, modernen Menschen offensichtlich einsichtigen und vernünftigen, menschengemäßen Elementen (Konsens, möglichst Win-Win, objektive Entscheidungskriterien) sind als wesentliche, fortschrittliche Merkmale des Harvard-Konzeptes sicherlich zwei Dinge anzusehen: die Trennung von Person und ihrem jeweiligen Interesse (der Sachfrage), sowie die Priorisierung der Interessen vor den Positionen.
Solche Trennungen sind aus der Sicht der Anthroposophie angemessen: die Interessen eines Menschen sind eng verbunden mit seinem seelischen Erleben und sind seiner gegenwärtigen Situation entsprechend. (In diesem Verständnis umfasst die Seele nicht nur das Fühlen, sondern die drei Seeleneigenschaften des Denkens , des Fühlens und des Wollens). Dagegen ist die Person, also das Ich des Einzelnen, als geistiges Wesensglied überzeitlich, weil es die Gegenwart überdauert, und hält damit mehr Möglichkeiten als momentan sichtbar bereit. Bisher eingenommene Positionen stammen als verfestigte Standpunkte aus der Vergangenheit und können von daher kaum etwas zu einer zukünftigen Einigung beitragen.
Im Licht dieser Betrachtung, entsprechend der Dreigliedrigkeit des Menschen (Seele, Geist, Leib), erscheint die Trennung von Person, Interesse und Positionen als ausgesprochen sinnvoll, da seelische Welt, geistige Welt und physische Welt zwar Verbindungen aufweisen, aber unterschiedlichen Gesetzen unterworfen sind.
Humanistische Psychologie
Die gegen Ende der 1950er Jahre von Carl Rogers gegründete humanistische Psychologie geht von der sich selbst verwirklichenden und schöpferischen Persönlichkeit aus. Die hierauf beruhende Annahme der Autonomie und Eigenverantwortung des Menschen ist eine entscheidende Grundlage der Mediation. Diese Eigenschaften der Parteien sind Voraussetzung dafür, dass Mediation einerseits überhaupt zielführend durchgeführt werden kann und andererseits, dass der Mediator keine Entscheidungen in der Sache bzw. des Streitgegenstandes trifft. Dessen Menschenbild ist daher auch von Respekt gegen über den Menschen geprägt und zeichnet sich durch Wertfreiheit und Akzeptanz aus. Darauf fußt und daraus resultiert seine Allparteilichkeit und Wertschätzung jeder Partei. Anderseits sind Autonomie und Eigenverantwortung auf Seiten der Konfliktparteien die Voraussetzung ihres Handelns, Verhandelns und ihrer Entscheidungsfähigkeit, sowie aber auch der Freiwilligkeit, also der inneren und äußeren Willensfreiheit, den Konflikt zu bearbeiten. Die Annahme der sich selbst verwirklichenden und schöpferischen Persönlichkeit eines Menschen entspricht der Sicht der Anthroposophie auf das menschliche, geistige Ich (nicht das Alltags-Ich).
Auch die weiteren Grundannahmen der humanistischen Psychologie, dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner Teile, dass er in zwischenmenschlichen Beziehungen lebt, dass der Mensch bewusst lebt und seine Wahrnehmungen schärfen kann und dass er intentional ist, sind Ausgangspunkte, die in der Anthroposophie gleichermaßen gesehen werden. Von daher sind zu dieser Grundlage der Mediation keinerlei ‚anthroposophische Interpretation‘ angebracht oder notwendig.
Eskalationsstufen eines Konflikts
Die Konflikteskalation nach Friedrich Glasl (veröffentlicht 1980) ist ein Modell, das mindestens indirekt von dem anthroposophischen Menschenbild beeinflusst ist. Glasl arbeitete als junger Mann achtzehn Jahre lang mit Bernard Lievegoed am Institut für Organisationsentwicklung (NPI) in Niederlanden. Beide waren im Denken und Handeln von der Anthroposophie, aber auch von systemischen Deutungs- und Steuerungsmodellen beeinflusst. Glasls drei Ebenen und neun Stufen des Eskalations-Modells scheinen eine Verwandtschaft zu den drei Seeleneigenschaften Denken (D), Fühlen (F) und Wollen (W) zu haben, die jeweils in einem der drei Wesensglieder haupt-sächlich ihre Tätigkeit entfalten (mir ist aber keine diesbezügliche Darstellung von ihm bekannt).
In der anthroposophischen Menschenkunde werden drei Systeme des menschlichen Organismus unterschieden, die die leibliche Grundlage für die seelischen Fähigkeiten des Denkens (D), Fühlens (F) und Wollens (W) bilden. Das Denken finden hauptsächlich im Kopf zusammen mit dem Wahrnehmen und Vorstellen statt, in dem das ‚Nerven-Sinnes-System‘ des Menschen zentralisiert ist. Das Wollen kann auf Grundlage der Handlungsorgane des Stoffwechsel-Gliedmaßen-System‘ wirksam werden. Das Fühlen ist am intensivsten im mittleren Menschen, im rhythmischen System des oberen Brustbereichs erlebbar. In jedem der drei Bereiche können jedoch bei genauerer Betrachtung wiederum jeweils drei Anteile unterschieden werden, die innerhalb ihrer ‚Hauptaufgabe‘ eine gewisse Verwandtschaft zu einem der drei Bereiche D, F, W, haben, woraus sich eine Neungliederung ergibt.
Hiervon ausgehend könnte man die neun Eskalationsstufen als neungliedrige seelische Konfliktdynamik begreifen, deren Zutreffen auf Konflikte sich aus dem menschlichen Wesen erklärt. Jede Ebene trägt bevorzugt Wesenszüge einer Seelenfähigkeit. Die jeweiligen drei Stufen neigen wiederum mehr zur einen oder anderen Seelenfähigkeit. In der untenstehenden Darstellung weisen die Zuordnungen der 1. und 3. Ebene auf einen Umkehrungsprozess der D-,F-,W-Kräfte hin, der auf der 2. Ebene stattfindet. Diese Umkehrung wiederum könnte zusammenhängen mit den unterschiedlichen Wirkrichtungen ‚nach innen‘ und ‚nach außen‘ im seelischen Leben eines Menschen.
1. Ebene: D | 2. Ebene: F | 3. Ebene: W |
---|---|---|
1. D – Verhärtung | 4. D,W – Koalitionen, Images | 7. W – Begrenzte Vernichtung(sschläge) |
2. F – Debatte, Polemik | 5. F – Gesichtsverlust | 8. F – Zersplitterung |
3. W – Taten statt Worte | 6. W,D – Drohstrategien | 9. D – Gemeinsam in den Abgrund |
Die 1. Ebene ist mehr vom Verbalen geprägt. Hier findet noch eigenaktive Kommunikation der Parteien statt. Konflikte können auf diesen Stufen mit den Kräften des Denkens gelöst werden. Die Stufen der 3. Ebene dagegen deuten in ihrer Existenzialität auf eingeschränkte Wahrnehmung, Vorherrschen der Gefahrenabwehr-Versuche und Abtrennung und extrem eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit hin. Auf diesen hocheskalierten Stufen (7.8.) ist es schwer den innersten, zarten Willen zur Wandlung und Lösung noch anzusprechen. Gelingt es nicht, ist der Konflikt nicht lösbar und die 9. Stufe vorgezeichnet.
Eine solche Betrachtungsweise erscheint möglich, jedoch weder zwingend noch notwendig zum Verständnis der Konfliktdynamik. Bestenfalls bestätigt sie den engen Zusammenhang eines Konfliktes mit seinen menschlichen Erzeugern und Trägern und die Anerkennung, die dieses Modell der Konflikteskalation in der Fachwelt erhalten hat. Andererseits deutet diese Betrachtung klar auf das bevorzugte Arbeitsfeld der transformativen Mediation hin, die bei Konflikten auf den Stufen 4.-6. unbestritten angesagt und wirksam ist. Die Integrierte Mediation geht sogar noch bis in die dritte Ebene hinein.
Glasl bezeichnet diese transformative Mediation auch als kathartische oder metanoische Mediation (2009), um die innere Wandlung, die dabei stattfinden muss, hervorzuheben. Die Wandlung geht aus seiner Sicht von der seelischen Funktion des (1.) Wahrnehmens und (2.) des Denkens und Vorstellens aus. Diese werden dann letztlich im (3.) Fühlen umgewandelt und ermöglichen damit letztlich das (4.) Wollen und damit das konstruktive (5.) Handeln in der Lösung. So kommt er zu den fünf Etappen dieses seelischen Prozesses, die er als einen „U- Prozess“ beschreibt. Wie in der Kurve des „U“ dringt der Prozess schrittweise in tiefere seelische Schichten (‚3.‘) ein, um sich danach wieder nach außen zu wenden hin zur Gestaltung der Gegebenheiten in der Wirklichkeit. Zu diesem Bild einer U-Kurve wurde er möglicherweise durch die Anthroposophie an-geregt, in der es z.B. gerne verwendet wird. Es soll dann den Inkarnationsprozess des menschlichen Ich in seinen Leib (von der Geburt bis zur Pubertät) veranschaulichen als Herabsteigen des Geistes in das Materielle des Leibes und seine Seeleneigenschaften, diese allmählich umwandelnd und individualisierend. Das Materielle soll letztlich dann über sich hinaus erhoben wer-den. Dieses Ergreifen des eigenen Wesens ist gekoppelt mit dem zunehmenden Bewusstwerden seiner selbst. Tief in der Leiblichkeit (unten im ‚U‘) angekommen ist der Mensch dann in der Pubertät um das 14. Lebensjahr. Ab diesem Alter muss demnach der Mensch allmählich lernen, aus dieser Schwere des Leiblichen sich wieder in eine neue ‚Leichte‘ (dem zweiten U-Schenkel) emporzuarbeiten, um mit dem zuvor im gesamten Prozess Aufgenommenen dann in die Welt hinaus zu wirken. Dieser Entwicklungsprozess soll im Folgenden erläutert werden, da damit wei-tere Bezüge zur Mediation hergestellt werden können. Bei allem Bemühen um Kürze muss dazu etwas ausgeholt werden, obwohl auch dann noch vieles ungeklärt und undifferenziert bleibt.
Exkurs: Viergliedrigkeit des Menschen
Die Sichtweise des Ich-Inkarnationsprozesses führt die bloße Polarität von Geist und Materie über in die dreigliedrige Betrachtung des Menschen nach Leib, Geist und der Seele, die als drit-tes Glied im mittleren Begegnungsfeld der beiden möglich wird. In den ersten Jahren des Lebens steht das Wachstum, die(Um-)Formung und das Ergreifen des Leibes, der leiblichen Grund-lagen im Vordergrund. Ab dem Schulalter treten dies Vorgänge in den Hintergrund und die Bildung der Seelenkräfte (D,F,W) werden vorrangig. Erst auf dieser Grundlage erreicht der Mensch die geistige Freiheit, die gegen Ende der Schulzeit zunehmend aufleuchtet und sich bis ins hohe Alter weiterentwickeln kann. Eine genauere Betrachtung des Ich-Inkarnationsprozesses ermöglicht aber erst die Betrachtung nach der Viergliedrigkeit des Menschen: Sie hat mit den Verwandtschaften des Menschen mit den Natureichen zu tun. Materiell ist er mit der mineralischen und sonstigen materiellen Welt verwandt, denn er ist aus derselben Stofflichkeit zusammenge-fügt. Daraus ist sein physischer Leib gebildet. Über diese unbelebte Natur hinaus gibt es die Welt des Lebendigen, die aus den physischen Stoffe etwas Höheres macht, sie mit den Stoffwechselvorgängen ständig umbildet, umformt und Wachstum generiert. Mit dieser Welt der Pflanzen und Tiere teilt der Mensch die gleichen hierin wirkenden Kräfte. Zusammenfassend kann man die Kräfte als dessen Lebenskräfte- und Formbildungskräfteleib bezeichnen. In ihm finden z.B. auch seine Denkfähigkeit und sein Gedächtnis die leibliche Grundlage. Darüber hin-aus hat der Mensch die Erlebnisse seiner seelischen Innenwelt, die ihn innerlich bewegen, seine Begeisterung ausdrücken können und zu nach außen wirkenden Taten führen. Die Tatsache der Erlebnisse teilt der Mensch mit allen Menschen, aber auch mit der Tierwelt (vor allem mit den höheren Arten). Die hier wirkenden, emotionalen Kräfte kann man auch als Seelen- oder Empfindungsleib zusammenfassen. Wiederum darüber hinaus hat der Mensch nach anthroposophischer Ansicht die Kräfte, die nur noch mit der Welt des Geistigen verwandt sind und sich in dem einzelnen Menschen als individuell ausprägen. Sie werden zusammenfassend als Ich be-zeichnet. Das Ich ist eine in sich selbst bestehende Entität geistigen Ursprungs und das vierte und oberste Wesensglied des Menschen. Es ist letztlich der Wirkpol, der dasjenige, was der Mensch durch die Vererbungskräfte als lebendigem Leib und als seelisches Rüstzeug zur Verfügung gestellt bekommen hat, im Laufe seiner Entwicklung (mehr oder weniger) umformt und nach und nach individualisiert. Dieser Prozess findet bis zur Pubertät mehr im Verborgenen statt und wird anfangs intensiver geführt von der Erziehung durch die Erwachsenen. Von dieser Führung emanzipiert sich das Individuum zunehmend und nach dem Überstehen der Pubertät kann und sollte eine Selbsterziehung die Führung zunehmend übernehmen. Sie braucht aber noch lange, behutsame Hilfe der Erwachsenenwelt.
Dieser ganze Entwicklungsprozess lässt vier Sieben-Jahres-Perioden erkennen, die jeweils in sich wieder dreigeteilt sind. In jedem Jahrsiebt emanzipiert sich der nächsthöhere ‚Leib‘ von der Umwelt, so wie sich der physische Leib, mit der Geburt leiblich von dem Mutterleib emanzipiert.
In der ersten sieben Jahren ergreift das Kind erst seinen Physischen Leib: 1. Gehen-Sprechen-Denken 2. Kindergartenzeit: das Soziale 3. Kindergartenzeit: Vorbereitung auf die Schule. In diesem Alter wirken die Erwachsenen durch vorbildliche Tätigkeit. Das Kind nimmt in engster, vertrauensvoller Beziehung durch Nachahmung noch weitgehend unverstanden wichtige und elementare Dinge des menschlichen Lebens auf, sowie auch gewisse Grundwerte und Einstellungen seiner jeweiligen Kultur. Es lebt in der Grundhaltung: die Welt ist gut. Die Tätigkeiten und die Lebenswelt um es herum wirken in dessen Leibbildung hinein.
Im zweiten Lebensjahrsiebt (Grundschulzeit bis zur Pubertät) wird zuerst das ‚Schulkind-Sein‘ gelernt: Stillsitzen (und Willens-Schulung), Verhalten und Lernen in der Gemeinschaft (emotio-nale Schulung), und ab ca. dem 12. Jahre mit der Ausbildung der Denkkräfte (Transferleistungs-Fähigkeit als Lösung der Gedanken von dem Momentum). Das Schulkind emanzipiert sich in seinen Lebensbeziehungen zunehmend von dem engsten familiären Umfeld, bleibt aber (nach und nach abnehmend) von der es schützenden, guten seelischen Atmosphäre der Erwachsenenwelt abhängig. Es lebt in der Grundhaltung: Die Welt ist schön. Es nimmt in dieser Zeit Kulturtechniken, Denkarten, Gefühle aus der Umwelt auf, die es sich zu eigen macht und in seine sich in dieser Zeit ausbildenden Lebensvorgänge und Gewohnheiten hineinformt.
Im dritten Lebensjahrsiebt, um das 14. Lebensjahr bricht eine neue Erlebniswelt mit großer Umwälzungskraft über die Schüler herein: sie kommt von innen und muss in den nächsten Jahren in die richtigen Bahnen finden. In der ersten Phase herrschen Egoismus und Abhängigkeit von der gefühlten Befindlichkeit vor. Das Empfinden und die Gefühle werden individueller, anfangs aber mit großer Vehemenz und mit Stimmungsschwankungen. Die Jugendlichen emanzi-pieren sich ab nun von der Empfindungswelt der Erwachsenen. Ab ca. dem 16. Lebensjahr erst kann dann zunehmend die wachsende Vernunft das eigene Handeln führen. Die gedankliche Orientierung für das eigene spätere Leben beginnt dann zumeist ab ca. dem 18. Jahr bis die dritte Phase mit dem 21. Geburtstag abgeschlossen ist. In diesem Jahrsiebt wird anfangs das bisher erübte Denken ganz in den Dienst der momentanen Gefühle gestellt und baut bisweilen eine große Distanz zu anderen Menschen auf. Aus dieser Distanz wird scharf geurteilt und es wächst der innere Drang nach Wahrheit in der Welt. Ideale prägen die Ziele – auch unabhängig von den Realisierungsmöglichkeiten. Die Hilfe durch Erwachsene und Führung im Gefühlstrubel wird in diesen Jahren nur akzeptiert, wenn sie wahrhaftig, authentisch, verständnisvoll und einsehbar daherkommt. Sie muss also Ich-Qualitäten aufweisen.
Im vierten Jahrsiebt, ab dem 21. Lebensjahr emanzipiert sich dann der Mensch von den Ich-Kräften der Umgebung und findet im Ich (in der Regel) zu sich selbst und zu seiner Aufgabe für die Zukunft.
Aus dieser extrem kurzen Skizze kann man bereits ableiten, dass im Erziehungsprozess jeweils die Eigenschaften des nächst höheren Wesensgliedes auf das nächst niedere wirken. Während des ganzen Prozesses ist aber das individuelle Ich des Heranwachsenden die im Hintergrund wirkende Kraft, die die jeweiligen Umwandlungsprozesse umsetzt, indem es dasjenige, was mit dem Kind, Schüler, Jugendlichen gemacht wird, mitmacht und willentlich ausführt.
Die Zahl vier (der vier Phasen) verleitet nun dazu, das Vier-Ohren Modell der Kommunikations-theorie mit der viergliedrigen Wesenheit in Beziehung zu setzen.
Kommunikationsmodell (Vier-Ohren-Modell)
Betrachten wir das in der Mediation verwendete Kommunikations-Modell, das anschließt an dasjenige von Schulz von Thun vor nunmehr 20 Jahren im deutschsprachigen Raum bekannt machte. Demnach haben Nachrichten in der Kommunikation in der Regel vier Aspekte oder Seiten (Vier-Seiten-Modell oder Vier-Ohren-Modell), die darin jeweils ein unterschiedlich starkes Gewicht haben:
Demnach gibt es neben dem (1.) Sachinhalt (Worüber jemand informiert) gleichzeitig immer auch (2.) eine emotionale Ebene bzw. Beziehungsebene (Wie das Verhältnis zwischen Sprecher und Hörer ist). Außerdem enthält die Information des Sprechenden immer auch Informationen über (3.) ihn selbst (Was derjenige damit von sich selbst kundgibt; Ich-Botschaft) und (4.) einen Appellanteil (Wozu der andere veranlasst werden soll; Du-Botschaft).
Eine Parallelisierung aufgrund der Vierzahl von Kommunikationsmodell und den vier Wesens-gliedern wäre aber nur sehr bemüht möglich, erschiene mir sehr ausgedacht, ja sogar unsinnig. Die vier Wesensglieder werden wir erst später brauchen. Eher sollte man wohl die Differenzierung eines Kommunikationsaktes nach den drei Seelenfähigkeiten des Menschen betrachten. Beispielsweise wenn Person 1 spricht (handelt, W), sendet sie etwas, das einen gedanklich fass-baren Inhalt (D) hat und transportiert. Die Aktivität, Ausführungsart (W) dessen ist höchst individuell (Selbstkundgabe, aber auch Appellseite), ggfs. auch Teile des Inhalts (D). Diese Person macht dies mehr oder auch mal weniger begeistert oder emotionslos (F), womit sie gleichzeitig etwas über ihre Beziehung zur Sache (Selbstkundgabe) und zur angesprochenen Person aus-drückt (und damit auch die Appellseite). Die Sachebene scheint oben sichtbar zu liegen. Die Ebenen ‚unter‘ der Sachebene erscheinen untereinander meist stärker vermischt als diese mit der Sachebene.
Die zumeist hervortretende Sachebene hat im Gegensatz zur mehr verborgenen Beziehungs-ebene in gewisser Weise mehr ‚physisch-real-greifbare‘ und andrerseits denkerisch zugängliche Anteile und wird daher leichter bewusst erfasst. Die größere Wirksamkeit hat aber oft die Be-ziehungsebene und die Ausführungsart. Diese sind (vorerst) verborgen und wirken aber den-noch, nur unbewusst.
Elemente der Mediation
Nach diesen Grundlagen sollen nun einige Elemente der Mediation aus Sicht der anthroposophi-schen Menschenerkenntnis betrachtet werden.
Sieben Prinzipen der Mediation
Schauen wir auf die sieben Prinzipien der Mediation, so können sie ja in drei Gruppen eingeteilt werden, und jeweils den Parteien, dem Verfahren und dem Mediator zugeordnet werden. Diese Gruppen könnten auch vom Standpunkt der Seeleneigenschaften Denken, Fühlen, Wollen (D,F,W) beleuchtet werden. Wenn man diese Betrachtungsweise wählt, gehört auch das Ver-hältnis des Individuums zu seiner Umwelt, also eine Betrachtung des Innen und Außen (-Verhältnisses) dazu:
Auf der einen Seite der sieben Prinzipien stehen die Anforderungen an die Parteien: Die Partei-en verfügen über 1. Selbstverantwortlichkeit und 2. Freiwilligkeit. Die Parteien kommen aber in einer Situation stockender, ausgebremster Handlungsfähigkeit (W - Ebene) zur Mediation, wollen diese auflösen und eine Handlungsoption für die Zukunft finden (W - Ebene). Die eine Eigen-schaft bezieht sich dabei mehr auf das Verhältnis der Umwelt gegenüber, die andere mehr auf die eigene Person.
Am anderen Ende der Prinzipien-Liste stehen die Anforderungen an den Mediator: Er muss über 6. Neutralität/Allparteilichkeit verfügen und besitzt anderseits keine 7. Entscheidungsbefugnis. Er nimmt die wahrnehmende, denkend-ordnende Metaebene (D – Ebene) ein und hilft den Par-teien zur Einigung, indem er das gegenseitige Verständnis der Parteien fördert und ermöglicht. Die erste Eigenschaft muss er gegenüber den Parteien ausüben, die zweite wird ihm ‚von außen‘ auferlegt und muss er in sich tragen.
In der Mitte stehen in dieser Betrachtungsweise die Anforderungen an das Verfahren als dem mittleren Glied: 3. Offenheit, 4. Vertraulichkeit, 5. Informiertheit (Transparenz),
Diese zentrale Dreiheit hat einerseits Aspekte einer „Nach-Außen“-Beziehung (3. Offenheit) und einer „Nach-Innen“-Bedingung (5. Informiertheit), die mit dem geschützten Rahmen (4. Vertrau-lichkeit) zusammenwirken. Es sind alle drei Prinzipien Bedingungen, die andererseits eine enge Beziehung haben zum Erleben (F – Ebene) und damit zum Wirkfeld und zum Gelingen in der Mediation. Damit soll jedoch nicht behauptet werden, dass 1.,2. und 6.,7. nicht auch Fühlantei-le, oder 3.-6. nicht auch Denk- oder Willensanteile haben!
Nun, diese Betrachtungsweise ist möglich; wirklich notwendig zum Verständnis der Mediation erscheint sie eher nicht. Aus anthroposophischer Sicht sind die Prinzipien damit aber sinnvoll und vollständig.
Konfliktebenen
Bei den Konfliktebenen gibt es die Betrachtungsweise A. Leyendeckers (nach Fr. Glasl) mit sieben Ebenen und die der Integrierten Mediation4 (A. Trossen) mit drei Ebenen, die sich nur scheinbar stark unterscheiden. Beide sehen die Polaritäten in der Sachebene und der Wertebene, wobei Glasl die Glaubensebene noch darunter ansetzt, während Trossen Werte und Glauben zusammenschaut.
Konfliktebenen nach Leyendecker:
Dass bei Leyendecker noch Struktur und Ansprüche hinzutreten und damit bei ihm die Sachebe-ne von den Interessen getrennt auftaucht und anscheinend eine andere Stellung einnimmt, könnte damit zusammenhängen, dass womöglich hier ein Innen-/Außenbezug mit hineinwirkt. Dies müsste näher untersucht werden, was hier aus Platzgründen unterbleibt. Er unterscheidet:
Konfliktebenen nach Trossen
In der Integrierten Mediation sind die drei Konfliktebenen den drei Intelligenzzentren (Kopf, Herz, Bauch) zugeordnet. Diese meinen im Wesentlichen das gleiche wie die oben geschilderte Dreigliederung aus anthroposophischer Sicht (wobei ‚Denken‘ und ‚Intelligenz‘ nicht identisch oder synonym zu setzen sind: „die Seeleneigenschaft des Denkens findet im Nerven-Sinnes-System statt, das im Kopf zentralisiert ist“ …; Es ist dort aber eben nur zentralisiert, was bedeutet, dass auch in den anderen Systemen Denken stattfindet.)
Er unterscheidet:
1. Sachebene (z.B. Interessenkonflikte)
2. Sozio-emotionale Dimension (z.B. Beziehungskonflikte)
3. Wertmäßig-kulturelle Dimension (Wertekonflikte)
Die Sachebene liegt mehr „an der Oberfläche“, ist am leichtesten erreichbar und lösbar, weil der Zugang über das Denken ausreichen kann. Die Emotionen und die Werte müssen dabei nur herausgehalten werden.
Konflikte auf der Beziehungsebene haben eine Sachdimension an der Oberfläche, liegen aber in einer Schicht darunter. Sie können nicht auf der Sachebene gelöst werden. Man muss sich auf die tiefer gehende Beziehungsebene einlassen. Die Gefühle werden in die Aufarbeitung mitein-bezogen.
In noch tieferen Schichten sind Wertekonflikte angesiedelt. Neben ihrer offensichtlichen Sachebene, sind sie emotionalisiert und haben eine sozio-emotionale Dimension.
Werte sitzen tiefer im menschlichen Wesen verankert. Das hat damit zu tun, dass sie, wie oben geschildert, zu großen Teilen in den frühen Entwicklungsjahren mit der Erziehung veranlagt werden und bis ins Leibliche und in die Gewohnheiten hineinverwoben sind.
Die Differenzierung und Ausbildung der Beziehungserlebnisse und –fähigkeit findet nach der Phase eines hingebungsvollen Urvertrauens der ersten sieben Jahre vornehmlich im zweiten Lebensjahrsiebt statt. Hier steht die Seele mit ihren Eigenschaften des Denkens, Fühlen und des Willens im Mittelpunkt. Ab der Pubertät individualisiert sich dies dann. Daher liegt diese Schicht etwas tiefer als die bloße, nüchterne Sachebene.
Zur Konfliktlösung auf der Sachebene reicht die Denk- und Vernunftsphäre aus, solange keine Störungen ‚aus dem Untergrund‘ hineinwirken. Die hierzu benötigten Fähigkeiten wie z.B. Trans-ferleistung und Vernunft bildet der Mensch erst ab der Pubertät aus. Sie liegen also ‚weiter oben‘.
Lösungsansätze zu Konflikten müssen von daher je nach Konfliktebene immer auf die Ebene her-absteigen, auf der sich der Konflikt befindet, um dort Gemeinsamkeiten der Parteien zu finden und um ihn von dort aus lösen zu können (vgl. unten: Phase III).
Phasen der Mediation:
Die Phasenanzahl der Mediation wird nicht einheitlich differenziert und beschrieben. Die im Folgenden beschriebenen fünf Phasen sind Bestandteil in allen Modellen. Eine Beschreibung in sieben Phasen jedoch, wie z.B. von R. Ballreich, erscheint mir keine weitere Erkenntnis zu er-möglichen. Der Grund dafür, sieben Phasen zu sehen, könnte für den anthroposophisch orien-tierten Mitarbeiter von Glasl möglicherweise in dem Gedanken liegen, den Phasenverlauf als Zeitgeschehen (Zeitverlauf) zu betrachten. Dann böte sich (aus anthroposophischer Sicht) die Siebenzahl als Stufung an. Mir erscheint aber eine Betrachtung nach fünf Phasen einleuchten-der: Ein Konflikt hat seinen Ort als Spannungsereignis im seelischen Raum. Die Lösung des Kon-fliktes in der Mediation durchläuft jeweils alle drei Seelenbereiche. Im Seelischen ist aber das Verhältnis des Einzelnen zur Außenwelt (als das ‚Innen‘ und ‚Außen‘) miteinzubeziehen. Damit erscheint die Phasenfolge der drei mittleren Stufen mit einem Hinein-Weg und einem Hinaus-Weg bereits vollständig.
Der Gedanke sei an einigen Elementen der Phasen erläutert.
Phase 1: Initialisierung (Arbeitsbündnis, Abschluss des Mediationsvertrages)
In Phase 1 wird mit dem Arbeitsbündnis noch ‚außerhalb‘ des eigentlichen Konfliktes der weite-re, gemeinsame Weg vereinbart. Auch wenn hier schon Wichtiges für die spätere Konfliktarbeit geschieht und vorbereitet wird, liegt diese Phase dennoch außerhalb der eigentlichen Konflikt-bearbeitung.
Mit der Zielvereinbarung in dieser Phase wird in der Empfindungs-Welt Fokus der Parteien weit hinter das Problem gerichtet. Damit kann zusätzliche (Willens-)Kraft mobilisiert werden, zur Kon-fliktarbeit und das Ziel erreichen zu wollen. Auch das Denken und Wollen im jeweiligen Erleben wird zum Ziel hin parallelisiert. Damit wird bereits das abschließende Herausfinden und das Wieder-nach-Außentreten aus der Konfliktarbeit angelegt.
Phase 2: Themensammlung, Bestandsaufnahme
Mit dem Eintritt in die 2. Phase beginnt aus dieser Sichtweise die eigentliche Konfliktarbeit durch die Bestandsaufnahme, die Sammlung der Themen und die Einigung auf das Problem, über das geredet werden soll. Hier treffen die Positionen, die gedanklichen Standpunkte der Streit-parteien eher hart und unvereinbar aufeinander. Selbst wenn sich dabei die gefühlte Anspan-nung der Streitparteien emotional Luft verschafft, befindet sich das Verfahren an sich hier auf einer eher gedanklichen Stufe. Auf dieser müssen die Fakten und Positionen getrennt werden von den Meinungen, den begleitenden Gefühlen, sowie von den Interessen und Lösungen. Die-se werden erst später wieder angesprochen. Die widersprüchlichen Positionen müssen hier klar hervortreten, auch wenn die Parteien dazu neigen, sie mit Argumenten zu untermauern, die hier aber nicht wirklich weiterhelfen. Das Thema gibt dann die Richtung vor, in die der gedankliche Fokus zu orientieren ist. Er erlaubt es, in der nächsten Phase tiefer liegende Gebiete, die mit dem Fühlen zusammenhängen, zu ergründen.
Mit Blick auf diese Elemente von Phase 2 (Thema, Positionen, Argumente) kann man also diese Phase dem menschlichen Denken als dem vorherrschenden Merkmal zuordnen, wohl wissend, dass auch Willens- und Fühlensanteile aufzufinden sind. Wobei anzumerken ist, dass in der Drei-heit von Position, Thema und Argument auch wieder D,F,W unterschiedlich stark gewichtet sind: Während die Position als Standpunkt einen Bezug zum Gliedmaßen-Willenspol des Menschen hat, ist die Nähe des Argumentes zur Logik und damit zum Nerven-Sinnes- und Denkenspol des Menschen offensichtlich. Das Thema wiederum wirkt in den Standpunkt und die Argumentation hinein, verbindet sie miteinander und führt das eine in das andere über. Das Thema hat in dieser Trias eine Stellung, die dem menschlichen Fühlen zwischen dem Denken und dem Willen vergleichbar ist.
Damit die Mediation gelingen kann, müssen die Themen eine die Gegenwart oder die Zukunft zu klärende Frage betreffen. Sie dürfen nicht der Vergangenheitsbewältigung dienen, zumindest nicht primär oder explizit. Das menschliche Denken ist aus anthroposophischer Sicht ein Akt des Re-flektierens (Wider-spiegelns). Es bezieht sich also auf Dinge und Sachverhalte, die aus der Vergangenheit in das erlebte Jetzt hineinragen, und nun im Denken gespiegelt und geordnet werden. Der menschliche Wille dagegen richtet sich immer auf etwas Zukünftiges, auf etwas, was noch entstehen will, was im Entstehen ist bzw. verändert werden soll.
Insofern ist es sehr passend, dass in Phase 3 nun die Interessenerhellung und in Phase 4 dann die Lösungsfindung für die Zukunft stattfinden.
Phase 3: Interessenerhellung, Konfliktarbeit
Die dritte Phase darf als die zentrale Phase der Mediation angesehen werden. Hier geht es um das Verstehen der Motive, der Interessen und ggfs. der Bedürfnisse der Parteien, sowie um deren Vermittlung an die Gegenseite. Die Motive stehen hier zuerst im Vordergrund, denn sie sind der Handlungsantrieb bzw. der Beweggrund (Richtung zum Willen oder zum Denken). Aus anthroposophischer Sicht sind die Motive in der seelischen Wesenheit (im Ich-Erleben des Fühlens) beheimatet. Dort prägt sich der Wille des Menschen als Motiv aus. Kennt man die Motive eines Menschen, erkenne man ihn weitgehend, jedoch noch nicht ganz (Steiner GA 293, S. 76). Der Wille ist mit dem Fühlen, dem Gefühl sehr verwandt. „Wille ist, ich möchte sagen, nur das aus-geführte Gefühl, und das Gefühl ist der zurückgehaltene Wille.“ (Steiner GA 293, S. 70). Die Interessen eines Menschen dagegen sind etwas schwächer und sind mehr dem Intellekt, dem Denken verwandt.
Die Bedürfnisse allerdings leben in tieferen Schichten. Abraham Maslow (1973) teilt die Bedürfnisse in drei Gruppen (zu je zwei Stufen) ein, die jeweils mehr dem wollenden, dem fühlenden und dem denkenden Menschen (bzw. leiblichen, seelischen, geistigen Bedürfnissen) zugeordnet werden können und jeweils dessen Innen- oder Außenverhältnis betreffen:
- 1. u. 2.: Grundbedürfnisse (Trinken, Essen, Schlafen, Sexualität) als Selbst-Bezug; dagegen im Außenverhältnis: Sicherheit (materielle und berufliche Sicherheit, Lebenssicherheit, ein Dach überm Kopf, Versicherungen, Kündigungsschutz, usw.).
- 3. u. 4.: Soziale Bedürfnisse (Kommunikation, Partnerschaft, Liebe, Freundschaft, Gruppenzugehörigkeit) nach außen gerichtet; dagegen im Innenverhältnis: Soziale Anerkennung ("Ich-Bedürfnisse", wie Anerkennung, Geltung (Macht und Einfluss), Selbstachtung)
- 5. u. 6.: Kognitivität (Was sehen, begreifen, die Welt erfahren) im Außenverhältnis und dagegen im Innenverhältnis: Selbstverwirklichung (Individualität, Güte, Selbstlosigkeit (anderen etwas geben), Freiheit)
Das später von ihm als 7. Stufe hinzugefügte Ästhetik-Bedürfnis kann als ein Bedürfnis des geisti-gen Ichs verstanden werden, welches den Menschen über sein Alltags-Selbst hinausführen will. Das Ich ist selbstbestimmt und kann einem ‚niederem‘ Bedürfnis den Vorzug vor einem ‚höhe-ren‘ geben. Daher wird die Maslow’sche Erkenntnis heute nicht mehr ungeteilt als gültig ange-sehen.
Finden die Parteien in dieser Phase durch die Verstehensvermittlung der Motive, Interessen und ggfs. Bedürfnisse „den Namen des ‚Rumpelstilzchen‘ ihres Problems“, dann können sich ihre inneren Haltungen wandeln. Die Nutzenerwartungen können jeweils erwachsen, womit sich die Türen in die Zukunft und zur Einigung öffnen.
Phase 4: Lösungs-Findung, Optionen
Das Verhandeln über Lösungen hat drei Abschnitte: 1.): möglichst viele Ideen entwickeln; 2.) erst dann das Bewerten der Ideen, und 3.) die Prüfung des Ergebnisses.
Die Mediation als Verfahren befindet sich mit der vierten Phase in einer Dynamik, die mit viel Phantasiekräften starten muss, um viele Ideen für Angebote und Lösungsvorschläge zu entwi-ckeln und zu sammeln. Am Ende der Phase werden diese mit klarem Verstand auf die Tauglich-keit überprüft. Dazwischen werden die Lösungsvorschläge unter starker Beteiligung des inneren fühlenden Abtastens bewertet und beurteilt.
Phantasie ist aus anthroposophischer Sicht engstens mit den Willenskräften verwandt, die sich bekanntlich auf Zukünftiges richten. Wille ist ausgeführtes Gefühl.
Dass sich also auch hier wiederum drei Abschnitte identifizieren lassen, die jeweils besonders eine der drei Seelenfähigkeiten (W,F,D) am stärksten beansprucht, überrascht mittlerweile wohl kaum noch.
Phase 5: Ergebnis, Einigung
Mit der schlussendlichen Fixierung des Ergebnisses in einem Vertrag wird eigentlich wieder der Boden der äußeren Welt betreten, in der die Einigung anschließend Wirklichkeit werden soll und will. Damit wird der Bereich der eigentlichen, der inneren Mediationsdynamik verlassen. Von daher sei zu der bisherigen Diskussion um die Anzahl der Phasenzahl einer Mediation die leicht provokante Frage erlaubt, ob sie eigentlich nicht als dreigliedrig anzusehen ist? Allerdings kommen diese drei mittleren Phasen ohne die beiden äußeren (1. und 5.) nicht aus. Ihre me-tamorphosierende Kraft und Dynamik käme nicht in Gang und nicht zur Wirksamkeit.
Abschluss
Es wurde in dieser Arbeit versucht, einige Grundannahmen, einige Elemente sowie die Phasenlogik der Mediation anfänglich aus anthroposophischer Sicht zu betrachten. Vieles verblieb dabei zu knapp, zu undifferenziert und vieles musste auch ungesagt bleiben, um den vorgegebenen Rahmen nicht allzu sehr zu sprengen. Man könnte von dem hier eingenommenen Standpunkt z.B. auch noch anschauen: die drei Gruppen der Werkzeuge, die drei Schritte des Mediators (Verstehen, Verstehen vermitteln, Verhandeln), die drei Rechtsebenen der Mediation, die fünf Konfliktdimensionen (kognitive D., emotionale D., Prägung einerseits, sowie diese umgebend: Struktur und System; Die Polarität der Individuum-Dreiheit zur systemischen Sozialgemeinschaft provoziert eine Mitte und damit auch eine Dreiheit.) und sicher noch einiges mehr. Vermutlich wird man auch bei diesen Themen einen eher harmonischen Zusammenklang erleben können zwischen der gedanklichen Grundlage der Mediation und der anthroposophischen Menschenkunde. Letztere führt in konsequenter Gedankenfolge sogar über das Jetzt-Erleben und das einzelne Leben des Menschen hinaus, was dann der Ansicht in der Mediation: „Eine Beziehung endet nie“ eine weitere Dimension verleihen würde.
Es könnte auch noch dargestellt werden, wie anthroposophisch orientierte Menschen in und mit der Mediation arbeiten oder gearbeitet haben. Angefangen bei Bernard Lievegoed, Lex Boos und Friedrich Glasl (im NPI in Holland bzw. auch Trigon in Wien), Rudi Ballreich bis hin zum Concadora-Verlag, dem Mediatorenpool Nord e. V. oder der Akademie Vaihingen (z.B. Eva Marion Kleber).
Die wichtigste Erkenntnis, die beide ‚Gedanken-Systeme‘ gleichermaßen herausstellen und die beide eint, ist sicherlich in der zentralen Stellung des Herz-Intelligenzzentrums bzw. rhythmischen (Atmungs- und Blutzirkulations-) Systems des Menschen zu sehen. Hier ist der einzig angemessene Zugang zu den Individuen zu suchen und hier ist die Tür zum Ausgang aus dem Konflikt zu öffnen. Der Zugang gelingt nur über das Sich-Verstanden-Fühlen der jeweiligen Partei. Der Mediator arbeitet und kommuniziert auf der Beziehungsebene, akzeptiert die Gefühle ohne Wertung, ist aber die personifizierte Metaebene und spiegelt die Gefühle, Gedanken und Handlungen, sowie - anthroposophisch gesehen - das Gehirn dem Menschen auch als ‚Spiegel‘ für die Reflexion als Fähigkeit dient. Der Mediator ändert auf diese Weise das Denken und die Gefühle der Parteien, die dies aber autonom und aus eigener inneren (Mit-)Bewegung heraus, selbstverantwortlich vollziehen.
Damit wird die Mediation zu einem „Tanz mit dem Moment“, denn diese Wandlungen und Metamorphosen der Gedanken und Gefühle geschehen selten voraussehbar und planbar. Mir als Musiker erscheint es berechtigt, eine so verstandene Mediation als Kunst zu verstehen und zu bezeichnen. Wahre Künstler haben viel Vorbereitungs-, Übe- und Lernzeit vollzogen, um dann in wenigen günstigen Momenten aus der Wahrnehmung der Situation und der Eigenschaften des Materials, mit dem sie gerade arbeiten, daraus das zu gestalten, was positiv wirkt, was etwas Neues ist und im Anschluss bewundert werden kann. Ich erlaube mir daher die Behauptung, dass richtig verstandene und gute Mediation eine Kunst ist, in gleichem Sinne wie die Anthroposophie die Waldorfpädagogik als Erziehungskunst versteht oder eben auch andere Soziale Kunst kennt.
Prof. Dr. Holger Kern, Nov. 2021
Bild von Вера Мошегова auf Pixabay
Siehe auch: Konfliktdimensionen
IV. LITERATUR
Ballreich, Rudi; Glasl, Friedrich (2010), Mediation in Bewegung: Ein Lehr- und Übungsbuch mit Filmbeispielen zum streamen, Stuttgart 2010: Concadora Verlag
Glasl, Friedrich (2009), Metanoische Mediation; Artikelnummer: GWGM09-V02 Kategorien: 9. GwG-Fortbildungstage 20/.21.06.2009, Mainz,
Glasl, Friedrich (2007), Metanoische Mediation – nachhaltiges Konfliktmanagement – Teil 1: in: Zeitschrift für Konflikt-management, https://doi.org/10.9785/ovs-zkm-2007-103, Online erschienen: 2013-04-03 ,Erschienen im Druck: 2007-07
Glasl, Friedrich (2007). Metanoische Mediation - nachhaltiges Konfliktmanagement - Teil 2; in: Zeitschrift für Konfliktma-nagement, 2007/5, 154ff.
Stangl, W. (2021), Die Mediation - psychologisch betrachtet; https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOMMUNIKATION/mediation-psychologisch.shtml
Steiner, Rudolf (GA 9), Theosophie; Dornach, 2015: Rudolf Steiner Verlag.
Steiner, Rudolf (GA 35), Philosophie und Anthroposophie; Dornach, 1984: Rudolf Steiner Verlag.
Steiner, Rudolf (GA 293), Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik; Dornach, 2019: Rudolf Steiner Ver-lag.
Trossen, Arthur (2014), Mediation visionär; Altenkirchen 2014: Win-Management.
Trossen, Arthur & u.a., (2021), Mediation und integrierte Mediation; Altenkirchen 2021: Win-Management.
Wikipedia-Artikel: abgerufen alle: 9.10.2021
https://de.wikipedia.org/wiki/Bernard_Lievegoed
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Glasl
https://de.wikipedia.org/wiki/Harvard-Konzept
https://de.wikipedia.org/wiki/Humanistische_Psychologie
https://de.wikipedia.org/wiki/Integrierte_Mediation
https://de.wikipedia.org/wiki/Konflikteskalation_nach_Friedrich_Glasl
https://de.wikipedia.org/wiki/Mediation
Internet-Ressourcen:
www.akademie-vaihingen.de