Lade...
 
Skip to main content

Paradoxien und paradoxe Interventionen

Wissensmanagement » Diese Seite ist der Kategorie Konfliktphänomenologie des Archivs in der Wiki-Abteilung Wissen zugeordnet. Eine logische Verknüpfung erfolgt mit der Rubrik Konflikt, also dem 6. Buchabschnitt des Fachbuchs Mediation und den Konfliktphänomenen. Bitte beachten Sie auch:

Konflikt Paradoxie Dissonanz Interventionen Eintrag Suche

Die Paradoxie wird synonym zu dem Begriff Paradoxon verwendet. Paradoxien sind Aussagen, die neben (para) der allgemein akzeptierten Meinung (doxa) stehen und die deshalb widersinnig, sinnlos, absurd oder einfach nur kurios erscheinen1 .

Definition

Laut Wikipedia ist das Paradoxon (Plural Paradoxa; auch Paradox oder Paradoxie, Plural Paradoxe bzw. Paradoxien; vom altgriechischen Adjektiv παράδοξος parádoxos „wider Erwarten, wider die gewöhnliche Meinung, unerwartet, unglaublich“1) ist ein Befund, eine Aussage oder Erscheinung, die dem allgemein Erwarteten, der herrschenden Meinung oder Ähnlichem auf unerwartete Weise zuwiderläuft oder beim üblichen Verständnis der betroffenen Gegenstände bzw. Begriffe zu einem Widerspruch führt2 .

Beispiele für Paradoxien

Dreieck
Interessanter Weise ist das paradox anmutende Penrose Dreieck keine Paradoxie im klassischen Sinne, sondern eine optische Täuschung.3 Das Penrose-Dreieck ist ein unmögliches Objekt, das die Wahrnehmung täuscht. Es wird oft als "paradox" bezeichnet, weil es die visuelle Interpretation der Realität herausfordert. Trotzdem handelt es sich nicht um ein logisches oder philosophisches Paradoxon. Es ist vielmehr ein faszinierendes Beispiel dafür, wie unser Gehirn visuelle Informationen verarbeitet und manchmal in die Irre geführt wird. Das folgende Video soll zeigen, wie faszinierend und verwirrend Paradoxien sind.

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Video um ein bei Youtube (Google) hinterlegtes Video handelt. Was das bedeutet, erfahren Sie in der Datenschutzerklärung. Eintrag im Videoverzeichnis erfasst unter 9 verwirrende Paradoxa


Paradox ist auch:

  1. die Aufforderung sich doch 'mal langsam zu beeilen, oder
  2. die Aussage, dass der Vater seinen Sohn unverwandt anstarrt, oder
  3. die Frage, warum schlafen ein Tätigkeitswort ist.
  4. Dann ist natürlich die Behauptung paradox, dass diese Aussage falsch ist.

Rhetorische Paradoxien sind:

  1. Weniger ist mehr
  2. Wir sind zur Freiheit verurteilt
  3. Wir kämpfen für den Frieden
  4. Wenn nichts mehr geht, geht die Mediation

Die Paradoxie der Mediation

Interessanter Weise ist ausgerechnet die Mediation, die sich mit den Widersprüchen im Konflikt beschäftigt und sich bemüht, diese Widersprüche aufzulösen, in sich außerordentlich widersprüchlich. Das ist sie zumindest auf den ersten Blick. Ihre Widersprüchlichkeit erlaubt es, die Mediation als paradox zu beschreiben. Folgende Widersprüche fallen auf und regen zum Nachdenken an:

Der irreführende Lösungsfokus
Es wird behauptet, die Mediation sei lösungsorientiert. Zutreffend ist, dass die Lösung umso besser gefunden wird, je weniger sich die Parteien (und der Mediator) darauf konzentrieren. Diese widersprüchliche Aussage begründet die Paradoxie. Die Lösung wird wie bei jeder Suche umso besser gefunden, je weniger man an das denkt, was gesucht werden soll.4
Der freiwillige Druck
Die Freiwilligkeit suggeriert, dass die Partei jederzeit abbrechen kann. Es gibt für sie scheinbar kein Risiko. Außer dem, dass die Gegenseite abbricht. Somit ist die Freiwilligkeit auf der einen Seite ein recht und auf der anderen Seite eine Pflicht. Sie ist zumindest ein Druckmittel an die Gegenseite, sich so zu verhalten, dass niemand abrechen muss.5
Freiwilligkeit vs. Struktur
Mediation ist ein freiwilliger Prozess, bei dem die Parteien selbst die Kontrolle über das Ergebnis haben. Gleichzeitig folgt sie einer strukturierten Vorgehensweise, die vom Mediator geleitet wird. Diese Kombination aus Freiheit und Struktur kann paradox erscheinen.
Neutralität des Mediators vs. Einflussnahme
Der Mediator ist neutral und unparteiisch, soll aber gleichzeitig die Kommunikation zwischen den Parteien fördern und sie dazu bringen, Lösungen zu finden. Diese Balance zwischen Neutralität und aktiver Einflussnahme kann als paradox empfunden werden.
Kooperation trotz Konfrontation
Es ist aus strategischer Sicht mehr als widersprüchlich, dass doe Mediation als ein kooperatives Verfahren innerhalb der Konfrontation anzuwenden ist. Und nicht nur das. Sie kann die Konfrontation sogar überwinden.6
Erfolg und Aussichtslosigkeit
Besonders paradox ist die Aussage, dass die Mediation umso erfolgversprechender ist, je aussichtsloser der Fall zu sein scheint. Der Grund lisgt darin, dass die Mediation ein anderes Denken anstrebt und die Motivation zur Lösungssuche umso größer ist, je verweifelter die Parteien auf die Lösung angewiesen sind.7
Konfliktlösung ohne Schuldzuweisung
Mediation zielt darauf ab, Konflikte zu lösen, ohne Schuld zuzuweisen oder zu bestimmen, wer im Recht ist. Dies steht im Gegensatz zu traditionellen Konfliktlösungsmethoden wie Gerichtsverfahren, bei denen oft ein "Gewinner" und ein "Verlierer" bestimmt werden. Die Idee, einen Konflikt ohne Schuldzuweisung zu lösen, kann paradox erscheinen, da Konflikte oft auf Schuld und Verantwortung basieren.
Emotionen und Rationalität
Mediation berücksichtigt sowohl emotionale als auch rationale Aspekte eines Konflikts. Die Parteien werden ermutigt, ihre Gefühle auszudrücken, während gleichzeitig rationale Lösungen gesucht werden. Diese Verbindung von Emotion und Rationalität kann paradox erscheinen, da sie oft als gegensätzlich betrachtet werden.
Kurzfristige Intervention vs. langfristige Wirkung
Mediation ist oft ein kurzfristiger Prozess, der jedoch langfristige Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Parteien haben soll. Die Idee, dass eine kurzfristige Intervention langfristige Veränderungen bewirken kann, kann als paradox empfunden werden.

Verwendung von Paradoxien

Es würde der Paradoxie nicht gerecht, wenn sie lediglich als eine witzige, weil merkwürdige Aussage betrachtet wird. Das Beispiel "Wir kämpfen für den Frieden" zeigt, dass erst bei einem vertiefenden Nachdenken die ganze Tragweite der Aussage und ihr Widerspruch sichtbar wird. Das gleiche gilt für die Behauptung: "Diese Aussage ist falsch". Es ist deshalb gut nachvollziehbar, wenn Kannetzky die Paradoxie als einen Indikator für Probleme beschreibt, die durch Widersprüchlichkeit oder Zirkularität von Aussagen oder Anforderungen auf sich aufmerksam machen. Betont man die Aussage auf sich selbst aufmerksam machen, dann erschließt sich eine Ahnung, wie nützlich Paradoxien in der Mediation sein können.

 Merke:
Leitsatz 4876 - Paradoxien sind ein wichtiges Medium der Reflexion. Sie helfen, den Gordischen Knoten zu lösen.
  1. Paradoxien gibt es nur, wo es gerechtfertigte Erwartungen gibt.
  2. Paradoxien sind ihrer logischen Form nach Widersprüche bzw. lassen sich als solche darstellen.
  3. Paradoxien helfen, Konflikte zu lösen, indem sie die Parteien in ein Verhältnis zu den Darstellungs-, Erkenntnis- und Handlungsformen setzen und zur Klärung von Konfliktfragen beitragen. Paradoxien können zufällig und unbedacht entstehen oder gezielt eingesetzt werden, um etwas zu bewirken. In dem Fall ist von einer paradoxen Intervention die Rede.

Paradoxe Intervention

Die in der Philosophie zum Verständnis von Verstand und Vernunft beitragenden Erkenntnisse macht sich auch die Psychologie zu eigen, indem sie Paradoxien gezielt als Intervention einsetzt. Paradoxien wirken wie Denkfallen. Sie führen die Grenzen des Verstandes und der Logik vor Augen und regen zugleich zum Nachdenken an.8 Der psychologische Effekt einer Paradoxie lässt sich mit der Starttaste bei Windows vergleichen. Wenn die Taste gedrückt wird, wird das System heruntergefahren, der Cache-Speicher wird gelöscht, die Programme werden neu eingeladen. Auf den Menschen bezogen bewirken paradoxe Interventionen die Durchbrechung von Mustern. Die Programme (Muster) laufen nicht mehr ab, wie gewohnt. Etwas ist anders. Man muss sich neu orientieren. Das gelernte Muster funktioniert nicht mehr. Paradoxe Interventionen in der Mediation sind z.B.

Beispiel 11812 - Die Parteien streiten. Der Mediator verlässt wortlos den Raum. Nach einer Zeit bemerken die Parteien erst seine Abwesenheit. Statt ihren Streit fortzusetzen, denken sie über das nach, was hier geschieht. Jetzt ist die Zeit für den Mediator gekommen, dabei zu helfen, seine Intervention korrekt zu verstehen.

Beispiel 11810 - Der Mediator zeigt sich immun gegen die Argumentationslinien: "Ich verstehe nicht, was Sie mir sasgen wollen". Die Bitte neu zu formulieren, damit der Mediator versteht was gesagt werden soll wird solange wiederholt, bis die Prteien die Langspielplatte beenden, weil sie merken, dass die Argumente keine Wirkung haben. Die Umformulierung bringt Ihnen Erkenntnisse ein.

Beispiel 11811 - Den Parteien fällt keine konstruktive Lösung ein in der 4.Phase. Der Mediator fragt: "Was muss geschehen, damit es noch schlimmer wird?". Der Kontrast zu den Antworten zeigt den Weg in die konstruktive Lösung.

Bedeutung für die Mediation

Paradoxien helfen einerseits, die Mediation in ihrer Widersprüchlichkeit wahrzunehmen. In dieser Funktion tragen sie dazu bei, dass der Mediator die Mediation besser verstehen kann. Andererseits sind sie ein Werkzeug, mit dem sich der Konflikt besser begreiflich macht. In dieser Funktion tragen sie dazu bei, dass die Parteien den Konflikt besser verstehen.

Hinweise und Fußnoten
Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen
Bearbeitungsstand: 2025-03-14 10:52 / Version 45.

Alias: paradoxe Intervention, Paradoxien
Literaturhinweis: Kannetzky (Paradoxien)
Siehe auch: Entscheidungsprozesse
Included: paradoxe-Mediation
Prüfvermerk: -

3 Siehe Dissonanz
4 Argument: gedankliche Abtrennung der Phase 4. Siehe Kognitionsprozess
5 Argument: Die Freiwilligkeit des einen zwingt den anderen zur Rücksichtnahme. Siehe Selbstregulierung
6 Argument: Die Kooperationen haben unterschiedliche Formate. Siehe Konfliktevolution
7 Argument: Die Suchbereitschaft ist dann größer. Siehe Zweck
8 Siehe Karrierebibel, https://karrierebibel.de/paradoxien/ dl. 26.8.2018 mit weiteren Beispielen für Paradoxien