Die "Der hat doch angefangen" Strategie
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Die "Der hat doch angefangen"-Strategie ist eine Konfliktbewältigungsstrategie, bei der eine Person oder Gruppe versucht, Verantwortung für eigenes Fehlverhalten zu vermeiden, indem sie den Auslöser des Konflikts auf die andere Seite schiebt. Der Kern der Strategie besteht darin, die eigene Handlung als bloße Reaktion auf ein vermeintliches oder tatsächliches Fehlverhalten des Gegenübers zu rechtfertigen.
Motive und Merkmale
- Schuldumkehr
- Die Strategie zielt darauf ab, die Schuld für den Konflikt auf den anderen zu übertragen ("Er/Sie hat angefangen!").
- Rechtfertigung eigener Handlungen
- Eigenes aggressives, defensives oder unangemessenes Verhalten wird als "notwendige Antwort" auf die angebliche Provokation dargestellt.
- Vermeidung von Verantwortung
- Indem man den anderen zum Auslöser erklärt, wird die eigene Rolle im Konflikt heruntergespielt.
Anwendungskontexte
Das Verhalten ist bei zwischenmenschlichen Konflikten zu beobachten. Insbesondere bei Streitigkeiten (z. B. unter Kindern, in Partnerschaften) wird die Strategie genutzt, um Kritik abzuwehren ("Du warst doch zuerst unfreundlich!"). In öffentlichen Debatten schieben sich Gegner oft gegenseitig die Verantwortung für Eskalationen zu (z. B. "Die andere Partei hat die Hetze begonnen"). Und vor Gericht wird manchmal argumentiert, das eigene Handeln sei eine Reaktion auf vorheriges Unrecht der Gegenseite. In der Politik könnte ein Staat Sanktionen mit dem Argument rechtfertigen: "Unser Handeln ist nur eine Antwort auf die Provokationen des Nachbarlandes."
Begründungsversuche
Neben den juristischen Gründen, die eine Notwehrsituation als gerechtfertigt ansehen, spielen auch strategische und psychologische Gründe eine Rolle, wenn es darum geht, das Verhalten zu erklären.
- Juristische Gründe
- Tatsächlich kann eine Reaktion gerechtfertigt sein, wenn sie als eine Maßnahme der Verteidigung eingestuft wird, die das Maß der Notwendigkeit nicht übersteigt, also keinen Notwehrexzess darstellt.
- Strategische Gründe
- Solange die Frage, wer angefangen hat oder nicht nicht geklärt ist, bleibt die Schuldfrage offen. Solange sie nicht geklärt werden kann, kann der Konflikt nicht entscheiden werden. Sich hinter der Behauptung zu verstecken, dass der andere angefangen hat, kann also die Konfliktentscheidung hinauszögern und den Kampf weiter aufrecht erhalten. Die Strategie ist letztlich ein Ausweichmanöver, das kurzfristig entlasten mag, aber langfristig Vertrauen und Kooperation untergräbt.
- Psychologische Gründe
- Im Vordergrund steht der Selbstschutz. Menschen vermeiden es, Fehler zuzugeben, um ihr Selbstbild oder ihren Ruf zu schützen. In Gruppen stärkt das "Wir gegen die anderen"-Narrativ den Zusammenhalt, indem die Gegenseite als Aggressor dargestellt wird.
Bedeutung für die Mediation
Die "Der hat doch angefangen"-Strategie wurde erstmals mit dem Aufsatz über die optimale Konfliktstrategie1 als solche erwähnt. Natürlich wird das Argument auch in der Mediation häufig als Vorwurf angeführt. Der Mediator sollte nicht darauf hereinfallen und gegebenenfalls klären, was sich hinter der Bemerkung verbirgt. Wenn es sich um einen Schuldvorwurf handelt, ist er wie jede Schuldfrage in der Mediation zu behandeln und als Lösungskriterium anzusehen.2 Ansonsten ist darauf zu achten, welchen Einfluss der Vorwurf für die Verhandlungen nimmt. Wenn beide Seiten auf ihrer Opferrolle beharren, wird der Konflikt vertieft statt gelöst. Jetzt ist es eine Frage der Risilenz, wie der Mediator damit umgeht. Die Rolle und ihre Bedeutung werden also in der dritten Phase erörtert. Der Mediator achtet darauf, dass die Parteien ihre Energie nicht in Schuldzuweisungen investieren und den Vorwurf nicht als Ausrede benutzten. Im Grunde kommt es nur darauf an, den Vorwurf korrekt in die Mediation einzubringen.
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