Der Ehemann lehnt die Mediation mit dem Argument ab, dass er seiner Frau nicht gewachsen sei. Er übersieht den Resilienzeffekt der Mediation. Desweiteren verkennt er, dass er mit dieser Entscheidung sein persönliches Wachstum verhindert, wenn er sich hinter einem Anwalt versteckt. Der Nachbar lehnt die Mediation ab, weil er meint, dass der Grundstücksanlieger kein Entgegenkommen verdient habe. Abgesehen davon, dass er mit dieser Entscheidung die Bestrafung zur Verhandlungsbedingung macht,1 ist die Mediation kein Entgegenkommen. Ihr geht es im Gegenteil darum, die eigenen Interessen auszuschöpfen. Wer die Mediation als ein Entgegenkommen sieht, verkennt ihre Bedeutung und schneidet sich ins eigene Fleisch. Sollte die Bestrafung jedoch zur Interessenlage gehören, setzt sich die Mediation damit auseinander, sobald es der Verhandlungsfortschritt erlaubt. Es gibt viele vermeintliche Gründe, die Mediation abzulehnen. Sie werden im Beitrag über die Startprobleme zusammengestellt.2 Meistens werden die Begründungen vorgeschoben. Die Möglichkeiten der Mediation werden verkannt. Leider beschränkt sich die Fehleinschätzung zur Mediation nicht auf den Laienbereich. Sogar Fachleute unterschätzen die Mediation, wenn sie meinen, dass die Mediation wegen der hohen Eskalation, einem bestehenden Machgefälle oder bei Gewalt nicht durchführbar sei. So wie es scheint, hat die Mediation gerade in den Fällen, wo es darauf ankommt, schlechte Karten, obwohl sie ausgerechnet hier besonders hilfreich wäre. Die Einschätzung bedarf der Korrektur, denn die Mediation hat besseres verdient. Vielleicht lässt sich das Mediationsparadoxon lösen,3 indem nach der optimalen Konfliktstrategie gesucht wird. Welche Möglichkeiten bieten sich an?
Der hat doch angefangen
Die Ehe kriselt. Die Ehefrau ist dem Ehemann haushoch überlegen. Sie ist eloquent, wendig und sehr schlau. Sie hat immer das letzte Wort und unterdrückt ihren Mann auf ihre eigene, grausame Art und Weise. Eines Tages kommt es zum offenen Streit. Wie üblich fehlen dem Mann die Worte. Er fühlt sich unterdrückt und kann sich nicht zur Wehr setzen. In seiner Wut nimmt er einen Teller aus dem Schrank und wirft ihn nach seiner Frau. Zum Glück trifft er sie nur am Arm. Die Frau, clever wie ist, stellt die Scherben sicher und präsentiert das Hämatom einem Arzt, um die Tat nachzuweisen und um ihre Verletzung zu bescheinigen. Dann zeigt sie ihren Mann wegen Körperverletzung an. Der Mann wird eindeutig als der Aggressor identifiziert. Er selbst sieht sich als Opfer. Er behauptet, seine Frau habe den Krieg begonnen. Sofort bilden sich Lager. Die einen halten dem Mann zu, die anderen der Frau. Die Frage, wer angefangen hat, mag durchaus relevant sein, wenn es darum geht, die Verteidigung darzulegen und zu rechtfertigen. Auf der anderen Seite steht sie der Konfliktbewältigung im Wege, solange sich die Vorwerfbarkeit nicht klären lässt. Der Zustand lässt sich provozieren, indem die Interpunktion absichtlich angesprochen wird,4 um die wahren Motive für den eigenen Angriff zu verschleiern. Die Strategie geht besonders dann auf, wenn Helfer hinzukommen, die meinen, sich auf die eine oder andere Seite schlagen zu müssen. Einer muss doch gewinnen, wissen sie. Als gäbe es nur diese Möglichkeit, kommt die Frage auf, ob sie den wehrlosen Mann oder die verletzte Frau unterstützen.
In einer solchen Situation ist jede Unterstützung, die über die Herbeiführung einer Klärung hinausgeht, eine Beihilfe. Sie übersieht, dass die Frage, wer angefangen hat, lediglich für die Folgen und die Entscheidung über die Wiedergutmachung relevant ist, nicht jedoch für die Frage der Art und Weise, wie mit dem Konflikt umzugehen ist. Die Frage, wie mit dem Konflikt umzugehen ist, lässt sich lösen, ohne in der Sache zu entscheiden. Eine Anwendung von Gewalt wäre demzufolge lediglich möglich, um Verhandlungen zu erzwingen. Nicht jedoch, um Ergebnisse zu erzielen. Ergebnisse müssen durch Verhandlungen oder eine legitime Verurteilung herbeigeführt werden. Diesem Grundsatz folgend, darf sich die Gewaltanwendung nicht auf die Durchsetzung der ein oder anderen Lösung erstrecken. Wer die Lösung im Sinn hat, macht sich zur Kriegspartei. Er muss die Gewaltanwendung bis zum bitteren Ende aufrecht erhalten. Gewalt kann lediglich gerechtfertigt sein, um einen unmittelbaren Angriff abzuwehren und um einen Zustand herzustellen, der Verhandlungen oder Verurteilungen vorwegnimmt oder entscheidet. Gemäß der Theorie der Konfliktevolution würde sich die Umwandlung in eine Delegation oder eine kooperative Strategie anbieten.5
Das Dilemma erzwungener Lösungen
Mit der Möglichkeit, sich nicht zur Partei zu machen oder machen zu lassen, löst sich gegebenenfalls auch das Lösungsdilemma. Es ergibt sich aus der Frage, was zu tun ist, wenn der Aggressor seine Macht (physisch, strukturell oder psychologisch) ausnutzt, um rücksichtslos die eigenen Interessen durchzusetzen. Verhält sich der Angegriffene passiv, bekräftigt er nicht nur seine Unterwerfung. Er legitimiert auch den Übergriff. Reagiert er selbst aggressiv, treibt er den Konflikt in die Eskalation. Aus dem Angriff wird ein Krieg. So wie es aussieht, hat der Angegriffene gar keine andere Wahl, als sich zu wehren, wenn er nicht kapitulieren will. Der emotionale und strategische Reflex jedenfalls bietet diese Strategie als naheliegend an. Wenn die Gegenseite zu einem "scharfen" Anwalt geht, sucht man sich selbst einen, der noch "schärfer" ist und noch besser draufhauen kann. Anderenfalls ist zu befürchten, dass der Aggressor, wenn sich der Angegriffene nicht zur Wehr setzt, zu weiteren Übergriffen veranlasst sieht. Eine Kapitulation um des Friedens willen, sieht auch der Pazifismus nicht vor. Er umfasst allerdings nur aktive, gewaltfreie Widerstandsformen, die Aggression zurückweisen, ohne Gegengewalt einzusetzen.
Ein Dilemma lässt sich mit einem Tetralemma lösen, indem andere Ebenen hinzugenommen und Perspektiven gewechselt werden. Eine andere Perspektive ergibt sich aus der Metaebene. Die Metaebene soll ein Nachdenken ermöglichen, indem Handlungen und Erfolge in Frage gestellt werden. Ideal wäre es, wenn es auch gelingt, den Gegner ans Nachdenken zu bringen.
Die Hürde der emotionalen Gewalt
Es sind Zweifel, die zum Nachdenken anregen, nicht wilde Behauptungen und polemische Ansagen. "Wer argumentiert, verliert", heißt die Faustregel. Leider ist das Konfliktverhalten nur selten rational geprägt. Letztlich bestimmen die Emotionen was zu tun ist. Empörung, Wut und Hass verhindern jede Reflexion. Es wird oft übersehen, dass Emotionen nicht denken können. Deshalb werden sie mitunter gezielt hervorgerufen, um überhaupt einen Krieg führen zu können. Es wäre also hilfreich, die Emotionen zu hinterfragen und sich von dem emotionalen Druck zu befreien. Der erste Schritt in die Richtung ist das Ansprechen der Emotionen und Bedürfnisse. Dazu hilft jenseits der Mediation die gewaltfreie Kommunikation. Die NIMBY-Strategie beschreibt, wie es gelingt, Zweifel in einzelnen Köpfen der Personen im gegnerischen Lager zu wecken, bis die Fragen unausweichlich werden und sich die Akteure selbst in Frage stellen. Die Fragen sollten auf Widersprüche hinweisen.
Abgesehen davon, dass die Kontrolle der eigenen Emotionen den Weg in die Rationalität frei legt, zielt die nicht-reaktive Autonomie darauf ab, dem Gegner keine emotionale oder strategische „Angriffsfläche“ zu bieten. Sachliche Fakten sind griffiger als moralischer Appelle.
Die Wahl des besten Spiels
So wie es einen Ausweg aus dem Dilemma gibt, gibt es auch eine Wahl bei der richtigen Vorgehensweise. Die Parteien neigen dazu, den Konflikt als einen monokausalen Vorgang zu betrachten, der nur deshalb ausgelöst wurde, weil der Gegner etwas falsch gemacht hat. Sie planen einen linearen Ablauf, so dass sie denken, die Reaktion des Gegners vorhersehbar zu sein scheint. Die Realität sieht oft anders aus.
In der Realität laufen mehrere Prozesse ab. Sie greifen ineinander über. Neben dem Konflikt laufen psychologische, wirtschaftliche und soziale Prozesse ab. Wer bestimmt jetzt, welches Spiel die Steuerung übernimmt? Der Konflikt tendiert zu einem Nullsummenspiel. Bei diesem Spieltyp ist die Konfrontation die nahe liegende Strategie. Sie legt eine feindliche Reaktion nahe. Wenn man sich darauf einlässt, ist der Weg in die Eskalation vorgegeben. Gibt es einen Ausweg?
- Nicht mitspielen
- Für Krieg und Kampf braucht es zwei Seiten. Was würde geschehen, wenn der Angriff ignoriert wird? Würde eine ausbleibende Reaktion dafür sorgen, dass der Angriff ins Leere geht? Eine andere Form des Nicht-Mitspielens wäre die Meta-Kommunikation. Sie eröffnet eine andere Spielebene, indem sie den Konflikt über die Sachfrage hinaus thematisiert. Die öffentliche Auseinandersetzung könnte für eine Zurückhaltung und Vorsicht sorgen. Vielleicht kann der Angriff auch wie in einer paradoxen Intervention durch Übererfüllung ins Leere laufen.
- Ein anderes Spiel spielen
- Eine effiziente Möglichkeit, sich der Konfrontation zu entziehen, ist das Angebot eines neuen, anderen Spiels. Die Mediation wäre ein Paradebeispiel dafür. Manchmal muss der Weg in das andere Spiel eröffnet werden. Dabei hilft die Migrationsstrategie. Taktisch wird der Weg, der nicht gegangen werden soll erschwert und der Weg, der gegangen werden soll erleichtert. Wichtig ist, die Spielregeln selbst festzulegen.
Den Kampf überflüssig machen
Die Frage nach dem Kampf erübrigt sich, wenn das Spiel keinen Sinn mehr macht. Das ist der Fall, wenn das Nullsummenspiel endet, in ein anderes Spiel überführt werden kann oder wenn es gelingt, den Kampf überflüssig zu machen. Herkömmlich wird versucht, die Sinnlosigkeit des Kampfes militärisch herbeizuführen. Die Vorgehensweise entspricht der Lehre von der Konfliktevolution. Erst wenn der Gegner keine Chance mehr sieht, den Krieg zu gewinnen, wird er sich auf Verhandlungen einlassen. Bei der Überlegung, wie dieses Ziel auch anders zu erreichen ist, hilft ausgerechnet die Kampfkunst weiter. Das Aikido lehrt nicht, den Kampf zu gewinnen, sondern ihn überflüssig zu machen. Dieses Ziel steht über dem Krieg, weshalb es leichter fällt, sich dafür einzusetzen. Es wäre hilfreich für Friedensmissionen, wenn sich die Frage nach dem Krieg darauf konzentriert und nicht auf die Frage, wer den Krieg gewinnen darf und wer nicht.
Auch die Mediation weiß, dass es energieschonender ist, die Angriffsenergie umzulenken, statt sie zu blockieren. Sie nutzt die Dynamik des Konfliktes und den sich daraus ergebenden Energiezufuhr jedoch nicht zur Vernichtung, sondern zur Reflexion und Erneuerung. Sie tritt in den Angriff hinein ohne ihn zu verurteilen, um die Motive zu hinterfragen und die Chance zur Reflexion zu nutzen. Der Fokus wird auf den Nutzen gelenkt, wo ein Kampf keine Bedeutung mehr hat.
Einen leichtgängigen Weg schaffen
Die eingangs erwähnten Beispiele deuten bereits an, dass der Weg in die Kooperation auf einen größeren Widerstand stößt, als der Weg in die Konfrontation. Den Betroffenen fallen viele Gründe ein, die mit der Mediation zum Ausdruck kommende Kooperation abzulehnen aber nur wenige, den Kampf abzulehnen. Für dieses Verhalten gibt es viele Gründe. Ein Grund ist die Aufdringlichkeit der gebotenen Entscheidung. Menschen neigen dazu, den Weg des geringsten Widerstands zu wählen. Das ist offensichtlich nicht der Weg in die Kooperation. Wenn wir vergleichen, welcher Weg uns leicht gemacht wird und welcher Weg erschwert wird, werden wir feststellen, dass der Weg in den Krieg als naheliegender und leichter zu erreichen angeboten wird, als der Weg in den Frieden. Die größte Hürde des friedlichen Weges ist die mangelnde Zustimmung des Gegners. Eine schlaue Konfliktstrategie besteht deshalb darin, den Weg in die Konfrontation zu erschweren. "Wir können streiten. Dann haben Sie aber viel Arbeit und einen hohen Kostenaufwand". Ziviler Ungehorsam wäre auch eine Erschwernis. Wichtig ist, das wird oft übersehen, den einfachen Weg zu bereiten. "Es gibt einen einfacheren Weg, der sogar einen höheren Nutzen einbringt". Die Erfahrung zeigt, dass es besser ist, die Alternative mit dem Nutzenhinweis anzubieten statt mit dem Wort Mediation. Viele verbinden mit dem Wort Mediation die Aufforderung zu einem Einlenken und Nachgeben. Das wäre eine Schlichtung.
Hindernisse aus dem Weg räumen
Es bedarf der ungeübten Phantasie, um friedliche Wege der Konfliktbeilegung zu finden. Oft steht das Denken im Weg. Eine Konfliktpartei lehnte die Mediation mit folgender Begründung ab: "Es geht um ein zerstörtes Vertrauen und das lässt sich nicht reparieren!". Bei diesem Denken wird es auch so sein. Würde die Partei der Mediation vertrauen, ließe sie die Möglichkeit zu, dass ein Vertrauen wieder gebildet werden kann. Es lässt sich zwar nicht anordnen. Dennoch besteht die reale Möglichkeit, die Bereitschaft zu wecken, Vertrauen zu bilden und den Weg dorthin zu gestalten. Es sind nicht nur die eigenen Vorstellungen, die uns daran hindern, konstruktive Lösungen zu finden. Die kognitive Mediationstheorie stellt die gedanklichen Hindernissen zusammen, denen wir auf dem Weg in die Konfliktlösung begegnen und zeigt, wie sie zu überwinden sind. Ausschlaggebend ist die Verschiebung des Fokus von der Lösung weg in den Nutzen hinein.
Die richtige Beziehung pflegen
Gewollt oder nicht. Die Konfliktparteien gehen eine soziale Beziehung ein. Die Beziehung definiert sich aus der Benennung und der Frage, wie der Gegner adressiert wird. Mit Freunden geht man anders um, als mit Feinden. Die Frage ist, wer die Beziehung definiert und wer ihr die Bedeutung zuschreibt, die ihr zukommt oder zukommen sollte. Mit der Herstellung oder Aufdeckung von Verbindungen, lässt sich der Gegner in einem neuen Beziehungsmuster einfangen, das andere Reaktionen hervorruft.
Es kann auch helfen, Beziehungen zu anderen aufzubauen, die Einfluss auf den Aggressor haben. Allianzen mit Dritten könnten die Interessenlage verschieben. Auch die Teilhabe der Öffentlichkeit kann zu Veränderungen führen.
Den richtigen Moment abwarten
Es ist wichtig, besonnen zu reagieren und den richtigen Moment abzupassen, in dem die Reaktion eine Wirkung zeigt. Wenn der Gegner nachdenken soll, ist Druck nicht immer die zielführende Strategie. Reflexion und Kreativität erfordern einen Zustand der inneren Empfänglichkeit. Im Streit sollte man sich also den Moment und das Setting suchen, in dem eine Auseinandersetzung möglich ist.
Wege in die Mediation
Es ist schwierig, Empfehlungen zu geben ohne die konkrete Situation zu kennen. Besonders bei einer Machtassymetrie ist Klugheit und Besonnenheit anzuraten. Wichtig ist ein anderes Denken. Damit werden Sie zum Spielführer. Die beste Strategie gegen erzwungene Lösungen ist weder Kampf noch Kapitulation, sondern kreative Nicht-Anpassung. Die Mediation wäre der ideale Ausweg, weil sie eine Sphäre schafft, die eine Auseinandersetzung über den Konflikt und die dahinter verborgenen Motive erlaubt. Die optimale Konfliktstrategie besteht also darin, Wege in die Mediation zu finden. Und das gelingt am besten, wenn man die Kompetenzen der Mediation nutzt, ohne darüber zu sprechen.
Arthur Trossen
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