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Mediation im Alltag - Fälle ohne Ende

Wissensmanagement » Diese Seite gehört zur Rubrik Mediationsfälle in der Wiki-Abteilung Praxis. Sie befinden sich auf der Seite Alltag. Es geht um die Frage, ob und wie die Mediation im Alltag zur Geltung kommen kann. Beachten Sie bitte auch:

Mediationsfälle Alltag Erfahrungen Problemlöser

Worum es geht: Im Beitrag über die Fallsuche wurde bereits empfohlen, in Konflikten statt in Fällen zu denken. Konflikte gibt es überall und jederzeit. Nicht immer bedarf es eines komplizierten Verfahrens und teurer Dienstleistungen, um den Konflikt beizulegen. Kann die Mediation bei den vielen alltäglichen Konflikten auch behilflich sein?

Einführung und Inhalt: Die Antwort lautet eindeutig ja, wenn auf die Kompetenz der Mediation abgestellt wird. Nicht jeder Fall erfordert die professionelle Unterstützung eines neutralen Dritten. Auch wenn das Mediationsgesetz den Grundsatz der fehlenden Entscheidungsbefugnis sogar im Gesetzeswortlaut herausstellt, gelingt die Mediation methodisch auch in alltäglichen Konstellationen. Ob sie das muss und welche Herausforderungen der Alltag an den Umgang mit Konflikten stellt, soll nachfolgend näher untersucht werden.

Alltag und Konflikte

Definitionsgemäß bezieht sich der Alltag auf die routinemäßigen, gewohnheitsmäßigen und wiederkehrenden Aktivitäten und Interaktionen, die das tägliche Leben eines Individuums oder einer Gemeinschaft prägen. Diese Aktivitäten umfassen Arbeiten, Haushaltsaufgaben, soziale Interaktionen, Freizeitbeschäftigungen und persönliche Pflege. Der Alltag ist durch eine gewisse Regelmäßigkeit und Vorhersehbarkeit gekennzeichnet, die Sicherheit und Struktur bietet. Trotzdem oder vielleicht sogar gerade deshalb sind Konflikte sein unvermeidlicher Bestandteil. Sie entstehen durch die Interaktion mit anderen Menschen, durch unterschiedliche Erwartungen, Bedürfnisse und Werte sowie durch die Herausforderungen, die der Alltag mit sich bringt. Typische Konflikte im Alltag umfassen:

Berufliche Konflikte
Meinungsverschiedenheiten über Aufgabenverteilung und Verantwortlichkeiten, Konflikte mit Vorgesetzten oder Kollegen über Arbeitsmethoden oder -ziele, Stress und Überlastung, die zu Reibungen führen können.
Beispiel 16531 - Julia und Mark arbeiten im selben Team und sind für ein wichtiges Projekt verantwortlich. Julia bevorzugt einen agilen Ansatz, während Mark traditionelle Methoden bevorzugt. Julia und Mark geraten in einem Meeting in eine hitzige Diskussion darüber, wie das Projekt weitergeführt werden soll. Julia fühlt sich von Mark übergangen, weil er ihren Vorschlägen keine Beachtung schenkt. Mark setzt eine Besprechung ohne Julia an und trifft Entscheidungen alleine. Julia fühlt sich ausgeschlossen und meldet dies ihrem Vorgesetzten. Der Konflikt eskaliert, und das Team wird in zwei Lager gespalten.

Familiäre Konflikte
Auseinandersetzungen über Haushaltsaufgaben, Erziehungsstile oder finanzielle Angelegenheiten, Generationenkonflikte zwischen Eltern und Kindern, Beziehungsprobleme zwischen Partnern, die durch Kommunikationsprobleme oder unterschiedliche Erwartungen entstehen.
Beispiel 16530 - Anna und Ben sind seit drei Jahren ein Paar. Anna fühlt sich oft missverstanden und nicht gehört, während Ben das Gefühl hat, dass Anna seine Bemühungen nicht wertschätzt. Anna erzählt Ben von ihrem stressigen Tag auf der Arbeit. Ben, der meint, hilfreich zu sein, unterbricht sie häufig mit Ratschlägen, was Anna frustriert, weil sie sich einfach nur aussprechen möchte. Anna beginnt zu weinen und sagt, dass sie sich von Ben nicht unterstützt fühlt. Ben wird defensiv und antwortet, dass er nur helfen wollte und versteht nicht, warum Anna so reagiert. Die Diskussion wird emotional, beide werfen sich alte Vorwürfe an den Kopf.

Soziale Konflikte
Nachbarschaftsstreitigkeiten über Lärm, Grundstücksgrenzen oder gemeinschaftliche Ressourcen, Konflikte in Freundschaften durch Missverständnisse oder unterschiedliche Lebensweisen, Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum, z.B. im Straßenverkehr oder bei Veranstaltungen.
Beispiel 16532 - Frau Müller wohnt in einem Mehrfamilienhaus. Ihr Nachbar, Herr Schmidt, spielt oft spät in der Nacht laute Musik, was Frau Müller den Schlaf raubt. Frau Müller beschwert sich mehrfach bei Herrn Schmidt, aber dieser reagiert genervt und hört nicht auf, laut Musik zu spielen. Frau Müller schreibt einen Beschwerdebrief an die Hausverwaltung. Herr Schmidt erfährt davon und ist verärgert, weil er findet, Frau Müller hätte direkt mit ihm sprechen sollen. Die Situation eskaliert und führt zu verbalen Auseinandersetzungen im Treppenhaus.


Menschen zeigen verschiedene Verhaltensweisen, um mit alltäglichen Konflikten umzugehen. Diese Verhaltensweisen können stark von individuellen Persönlichkeiten, Erfahrungen und kulturellen Hintergründen beeinflusst werden. Typische Formen des Konfliktverhaltens im Alltag sind:

  1. Konfliktvermeidung: Konfliktsituationen werden gemieden oder ignoriert, in der Hoffnung, dass sie von selbst verschwinden. Kurzfristig kann dies Stress reduzieren, langfristig kann es jedoch zu einer Eskalation führen, wenn Probleme nicht angesprochen werden.
  2. Konfrontation: Direkte Auseinandersetzung mit dem Konfliktpartner, oft durch verbale Konfrontation. Kann zu schnellen Lösungen führen, birgt jedoch das Risiko, die Situation zu verschärfen, wenn sie nicht konstruktiv gehandhabt wird.
  3. Kompromiss: Beide Seiten machen Zugeständnisse, um zu einer für beide akzeptablen Lösung zu gelangen Fördert Zusammenarbeit und Verständnis, kann jedoch auch dazu führen, dass keine Seite vollständig zufrieden ist.
  4. Kooperation: Gemeinsame Suche nach einer Lösung, die die Interessen beider Parteien berücksichtigt. Langfristig die effektivste Methode, erfordert jedoch Zeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit.
  5. Anpassung: Eine Partei gibt nach und akzeptiert die Bedingungen der anderen, um den Konflikt zu beenden. Kann kurzfristig Frieden schaffen, langfristig jedoch zu Unzufriedenheit und Ungerechtigkeitsgefühlen führen.
  6. Unterwerfung : Eine Partei macht kritiklos was ihr gesagt wird.

Viele der Verhaltensweisen finden Sie bei der Lehre der Konfliktevolution wieder. Es kann sich also um eine strategisch angemessene Reaktion handeln. Es kann sich auber auch um eine Reaktion handeln, die einem Konflikttyp entspricht oder um ein Verhalten, das auf einer Fehldeinschätzung beruht oder dem Gefühl von Unter- oder Überlegenheit. Welche Reaktion angemessen und konstruktiv ist, bedarf der Einschätzung im Einzelfall. Entscheidend ist, ob der Konflikt damit beigelegt werden kann. Das ist der Fall, wenn er die Konfliktparteien nicht mehr beschäftigt.

Der Bedarf nach Mediationen im Alltag

Es ist leicht vorstellbar, dass die parteiseitige Suche nach einer Lösung zur Konfliktbeilegung in den vorgenannten Fällen der Alltagskonflilte durchaus einschlägig ist. Mithin wäre die Mediation grundsätzlich eine geeignete Vorgehensweise.1 Es ist demnach auch nicht der Konflikt, sondern der Alltag, der die Nachfrage verhindert. Dabei spielt die Konflikteskalation eine wichtige Rolle. Die nachfolgende Skizze zeigt die Einschlägigkeit der Mediation entlang der Konflikteskalation. Ihr regulär unterstellter Einsatzbereich liegt zwischen den beiden Angebotsmarkierungen, die die Eskalationsstufen 4 bis 6 markieren. Die Markierungen sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mediation häufig auch dann zur Anwendung kommt, wenn die Moderation ausreicht. Bei den hoch eskalierten Konflikten wird die Mediation erst gar nicht für m,öglich gehalten.

Nachfrage

Wenn ein Mediationsverständnis zugrunde gelegt wird, das der kognitiven Mediationstheorie entspricht, verschieben sich sosohl die Verfügbarkeit wie auch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Mediation. Sie ist über das Mediationsverfahren hinaus auch im Rahmen der Konfliktbeilegung und bei hoch eskalierten Konflikten als Dienstleistung und als Kompetenz einsetzbar.

Das Problem

Bevor wir auf die spannenden Anwendungen für die Alltagsverwendung kommen, soll herausgestellt werden, welchen Problemen die Nachfrage nach dem Mediationsverafhren im Alltagsbereich begegnen. Wer die Mediation als ein Verfahren im formellen Sinne versteht, wird davon ausgehen, dass eine Mediation nur mit einem Mediator gelingt, wenn alle Parteien dem Verfahren zustimmen. Fehlt eine der genannten Voraussetzungen, folgt der konsequente Einwand:

"Das geht doch nicht", "Das ist keine Mediation!",
"Du bist ein Entscheider, kein Mediator" oder "Die Parreien sind nicht freiwllig da", usw.


Die Einwände sind richtig und falsch zugleich. Sie werden deshalb unter den falschen Mythen aufgeführt. Sie sind gegebenenfalls richtig, wenn sie sich auf das Verfahren i.S.d. §1 Mediationsgesetz beziehen. Aber selbst dann gibt es noch Möglichkeiten, eine erfolgreiche Mediation durchzuführen. Die Einwendungen sind ein formales Argument. Substanziell betrachtet, ignorieren sie die Mediationskompetenz und die Handlungsoptionen des Mediators. Die substanzielle Sicht auf die Mediation macht sich besonders im Alltag bemerkbar.

Und es geht doch!

Die Mediation funktioniert durchaus auch dann, wenn sie in einem anderen Container (Vorgang) zur Anwendung kommt, man muss nur wissen wie. Der Unterschied ergibt sich zunächst aus der Unterscheidung zwischen Verfahren und Methode und dann aus der Herleitung der Mediationsgrundsätze. Versteht man die Mediation als einen Kognitionsprozess, eröffnen sich Möglichkeiten ihrer Anwendung in einem größeren Radius bis in den Alltag und mediationsfremden Dienstleistungen hinein, wie etwa die anwaltliche Beratung oder die Therapie. Die zu dieser Anwendung führende Erkenntnis lautet:

 Merke:
Leitsatz 6137 - Verstehen ist immer möglich. Wenn die Mediation als eine Vermittlung verstanden wird, entfaltet sie ihre Wirkung auch außerhalb der Mediation im Verständnis eines formellen Verfahrens.

Wenn Verstehen immer möglich ist, dann ist auch das Vermitteln von Verstehen immer möglich. Das ist jedenfalls der Ausgangsgedanke der integrierten Mediation. Mit diesem Ansastz wird die Mediation als Kompetenz verstanden, die methodisch und völlig legal auch in anderen Kontexten anwendbar ist. Also auch dort, wo die Mediation zwar sinnvoll wäre, aber entweder abgelehnt wird oder aus anderen, finanziellen oder technischen Gründen nicht realisierbar ist. 

Die Integrationskompetenz der Mediation 

Kaum zu glauben, aber wahr

Der Fokus wird auf die Kompetenz gerichtet, nicht auf das Verfahren. Verstehen wird als Erkenntnisvorgang verstanden wobei die Vermittlung des Verstehens (der gewonnenen Erkenntnisse) seine Verwirklichung darstellt. Die Kognitionstheorie erlaubt das herausfiltern der funktionalen Einheiten, welche die Mediation zum Erfolg führt. Gelingt es diese funktionalen Einheiten (Elemente der Mediation) zu extrahieren und in anderen Prozessen zusammenzusetzen stellt sich der gleiche Erfolg her.

Legale Einschränkungen

Wenn man die Verfahren als Container betrachtet, sind die Inhalte (Methoden) austauschbar, solange sie in den Container passen. Bei einer Beratung bildet das Recht der Beratung den Container. Bei einer Alltagsanwendung oder einer Verhandlung, ist die Verhandlung der Container. Eine Berater wäre es verwehrt, die Mediation anzuwenden. Er würde gegen das Verbot der Vor- oder Nachbefassung verstoßen. Die Mediation stünde ihm nicht als Container zur Verfügung. Wohl aber kann er die Erkenntnisse verwenden, die den Verstehensprozess beschreiben. Verstehen ist stets die Grundlage und sie ist in jeder Anwendungsform hilfreich. Wer in der Lage ist, verstehen zu vermitteln, kann besser verhandeln und seine Alltagsprobleme besser klären.

 Merke:
Leitsatz 6138 - Die Mediation darf nicht als formelles Verfahren (also als ein Container) angeboten werden. Ihre Methodik und Kompetenz ist aber in anderen Verfahren und Vorgängen (Containern) verwertbar!

Rentabilität

Die wirtschaftliche und soziale Verwertbarkeit folgt der erweiterten Kompetenz. Die Kunden werden es zu schätzen wissen, wenn etwa der Berater näher auf sie eingehen kann, ihre Interessen präzise herausfiltert neue Lösungen mit den Klienten entwickelt und diese noch dem Kontrahenten vermitteln kann.

Erlernbarkeit

Es hat sich herausgestellt, dass sie Anwendung der integrierten Mediation höhere Anforderungen gesetzt als eine Standardanwendung. Die Verwendung der meditativen Elemente ist in einem Umfeld, das nicht auf die Durchführung einer Mediation eingestelt ist schwieriger zu realisieren. Dafür gibt es aber auch Möglichkeiten, die dem Mediator nicht zur Verfügung stehen. Der Sachbearbeiter beispielsweise hat Kontrolle über den Vorgang und kann schon im Vorfeld einer reinen Mediation entsprechende Weichen stellen.

Anwendung

Jede Form von Verhandlung.Die Mediatiion kann aus der Situation entwickelt werden2 . Auch ist es möglich, die Verhandlung oder das Personalgespräch in einen kooperativen, nutzenorientierten Vorgang zu konvertieren3 .

Bedeutung für die Mediation

Die Ungenauigkeit des Begriffs Mediation wurde bereits in vielen Beiträgen angesprochen. Einmal wird der Begriff synonym mit der Streitvermitlung verwendet, ein andres Mal wird er mit der Schlichtung verwechselt. Das Mediationsgesetz führt den Begriff des Mediationsverfahren ein, obwohl es die Mediation als ein Verfahren definiert hat, usw.

Je nach dem Mediationsverständnis führt ihre Verwendung in einen erweiterten Mediationsradius, bei dem nicht auf formale Eckdaten zur Definition eines Verfahrens im juristischen Verständnis abgestellt wird, sondern in ein psychologisches Verfahrensverständnis, sodass aus dem Verfahren ein Vorgang wird.

Sobald Sie in der Mediation die konzentrierte Kompetenz zur Verstehensvermittlung erkennen, werden Sie versuchen, diese Kompetenz zu nutzen, wo immer sie hilfreich ist. Danmit erschließen sich Anwendungsmöglichkeiten bis in jeden Entscheidungsprozess hinein. Es wäre dumm, diese Kompetenz nicht zu nutzen.

Was tun wenn ...

Hinweise und Fußnoten
Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen
Bearbeitungsstand: 2024-07-21 09:35 / Version 87.

Aliase: Alltagsanwendung
Siehe auch: Dienstleistung


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Seite zuletzt geändert am Montag Juli 22, 2024 03:22:47 CEST.

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