Gerechtigkeit
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Auch wenn das Wort "Recht" darin vorkommt, mag dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gerechtigkeit emotional wahrgenommen wird. Im Englischen wird Gerechtigkeit mit dem auf das Lateinische zurückzuführende Wort justice übersetzt, was zugleich auch Justiz und Recht bedeutet. Die begriffliche Gegenüberstellung ist schon deshalb interessant, weil die EU-Direktive will mit der Mediation den "access to justice" sicherstellen will. Die Gleichsetzung von Mediation und Gerechtigkeit lenkt den Blick weg vom Recht auf die Interessen. Man könnte unterstellen, dass jemand Gerechtigkeit erfährt, wenn seine Interessen gewürdigt werden. Das Recht kann Gerechtigkeit nur herstellen, wenn es selbst - ebenso wie der Weg zur Rechtsfindung - als gerecht empfunden wird. Worum geht es genau?
Die Definition von Gerechtigkeit
Im Deutschen wird zwischen den Begriffen Recht, Gerechtigkeit und Gericht (Justiz) unterschieden. Es gibt also mehrere Begriffe, die nicht für dasselbe stehen, aber miteinander zusammenhängen. Der Ursprung des Wortes gerecht (Althochdeutsch: gireht, Mittelhochdeutsch: gereht) bedeutet: gerade, richtig, passend. Die Bedeutung dem Rechtsgefühl entsprechend entwickelt sich erst im Mittelhochdeutschen.1 Gerechtigkeit kann Rechtzuteilung und Tugend sein. In jedem Fall betrifft es die Regulierung der Beziehungen von Menschen zu anderen Menschen.
Montada beschreibt Gerechtigkeit als Bewertungsmaßstab für soziale Verhältnisse, z.B. Austausch, Verteilung, Verfahren und Vergeltung.2 In gewisser Weise ist der Maßstab die Normalität. So kann es sein, dass etwa in einer Gesellschaft, die von einer nicht emanzipierten Frauenrolle ausgeht, auch als gerecht empfunden wird, was in unserer Gesellschaft ein Ungleichgewicht bedeuten würde.
Platon sieht in der Gerechtigkeit ein Seelenvermögen. Gerechtigkeit ist wahrnehmbar. Sie besteht darin, dass „man das Seine tut und nicht vielerlei Dinge treibt“ (to ta hautou prattein kai mē polypragmonein dikaiosynē).3 Danach handelt ungerecht, wer sich in den Zuständigkeitsbereich eines anderen einmischt. Die Gerechtigkeit steuert das Grundvermögen Begehren (epithymētikon), Muthaftigkeit (thymoeides) und Vernunft (logistikon), denen die Tugenden Besonnenheit, Tapferkeit und Weisheit entsprechen.
Die Wirkung der Gerechtigkeit
Das das Recht eine Gerechtigkeit schafft, ist eine Unterstellung. Das zeigt sich am Begriff des Rdechtsfroedens, der nicht mehr besagt, als dass der Rechtsweg erschöpft wurde. Ob damit tatsächlich Friede oder Gerechtigkeit hergestellt wurde, steht auf einem anderen Blatt. Es kommt auch häufig genug zu der Kritik, dass ein Gerichtsurteil nicht gerecht sei. Die Übereinstimmung stellt sich erst her, wenn sich das Recht mit den sozialen Normen deckt, die das Zusammenleben basierend auf einem Konsens regeln.
Deshalb stellt sich die Vorstellung von Gerechtigkeit als das Ergebnis kultureller Entwicklungsprozesse und persönlicher Erfahrungen her. Das ist der Grund, warum Gerechtigkeit emotional erlebt wird. Die Gerechtigkeit fungiert in hohem Maße als Handlungsorientierung und Entscheidungshilfe. Wird das Gerechtigkeitsempfinden eines Menschen oder einer Gruppe, mit der er sich identifiziert, verletzt, so reagiert er mit Empörung. Untersuchungen dazu belegen, dass Empörung zu Feindseligkeit und zum Wunsch nach Vergeltung und Rache führt. Bei einem hohen Maß an Empörung können die Handlungsimpulse nicht mehr gesteuert werden.
Kriterien der Gerechtigkeit
Bei der Gerechtigkeit sozialer Verhältnisse beschreibt Montada drei Bereiche oder Domänen:
- die Verteilung z.B. von Gütern, Rechten und Bildung,
- die Austauschbeziehungen zwischen Personen und sozialen Systemen und
- die Vergeltung von Handlungen und Unterlassungen.
Je nach Situation werden verschiedene Prinzipien angewendet. Konflikte treten auf, wenn entweder unterschiedliche Gerechtigkeitsprinzipien angewendet werden oder gleiche Gerechtigkeitsprinzipien gelten sollen, das Maß jedoch unterschiedlich bewertet wird. Folgende Kriterien (Orientierungspunkte) können zur Überprüfung oder Herstellung der Gerechtigkeit herangezogen werden:
- Bedürftigkeit: Aufteilung nach Status oder nach Bedürftigkeit. Schutzbedarf.
- Bedürfnis: Bedürfnisse werden jedem zugestanden und beachtet
- Vereinbarung: Kriterien werden selbst entwickelt. Der Maßstab für gerechte Kriterien wird zuvor festgelegt.
- Leistung: Honorierungsgrundsätze werden erarbeitet
- Gleichheit: Gleiches wird definiert
- Zufall: jeder bekommt gleiche Chancen, wobei dann das Los entscheidet
- Gleichberechtigung: Angleichung von Rechten und Chancen
- Verteilung: Verteilungskriterien werden festgelegt und dadurch eingehalten, dass die Verteilungsmasse (der Kuchen) vergrößert wird.
Festlegung was Gerechtigkeit ist
Wer entscheidet darüber, was gerecht ist?
Im Grunde kann das nur jede Partei für sich selbst entscheiden. Nicht immer ist die Divergenz zur Frage der Gerechtigkeit eine Frage von Werten. Kommt es auf die Werte an, sind die Grundsätze für eine interkulturelle Mediation heranzuziehen.
Meist ist die Divergenz der Frage, was gerecht ist oder nicht, auf eine unterschiedliche Bewertung von Sachverhalten zurückzuführen. Im Beispiel klingt das "Wie du mir so ich dir"- Prinzip an oder das "Selber Schuld"-Prinzip. Im ersten Fall geht es um einen Schuldausgleich, im zweiten Fall geht es um Verantwortung. Woran das was die Parteien als Gerechtigkeitsempfinden im einzelnen festzumachen ist müsste, wenn es auf diese Frage ankommt, im Detail herausgearbeitet werden.
Das allgemeine Gerechtigkeitsgefühl, das sich im Idealfall im Gesetz widerspiegelt, könnte als Maßstab für die Entscheidung, was gerecht ist oder nicht, gewählt werden. Natürlich steht es den Parteien frei, andere Maßstäbe zu finden wie man mit Gerechtigkeit umgehen kann.
Bedeutung für die Mediation
In der Mediation begegnet uns Gerechtigkeitsfrage auf der Verfahrensebene (das Vorgehen im Verfahren betreffend) und auf der Fallebene (die Abschlussvereinbarung betreffend).
Hiinsichtlich des Verfahrens stellt sich Gerechtigkeit in der Regel selbst her. Die Mediation ist als ein selbstregulierendes System zu verstehen, das in gewisser Weise ein Garant für Gerechtigkeit ist, solange die Partei in der Lage ist, ihre Interessen eigenverantwortlich wahrzunehmen. Sie wird das, was ihr ungerecht erscheint, nicht erlauben. Ungerechtigkeiten können spätestens durch das Prinzip der Freiwilligkeit abgewendet werden.
Hinsichtlich der Falllösung achtet der Mediator darauf, dass die Partei mit dem Ergebnis zufrieden sein wird. Er achtet auch darauf, dass die Partei im Prozess der Lösungssuche die Aspekte vorträgt, aus denen sich Gerechtigkeit ableiten lässt.
Wenn die Kriterien für die Lösung in Phase drei erarbeitet werden, könnte der Mediator also durchaus fragen: Was wären die Kriterien für eine gerechte Teilung?" oder: "Was muss passieren damit Sie beide das Gefühl haben das Ergebnis ist gerecht?".
Es macht Sinn, dass die WATNA-BATNA Instanz erst nach Erarbeitung der Lösungskriterien in Phase drei angewendet wird. So macht sich der Unterschied zwischen subjektiv erlebter und objektiv vorgegebener Gerechtigkeit am besten bemerkbar.
Was tun wenn ...
- Die Partei wirft der Gegenseite ein ungerechtes Verhalten vor
- Die Parteien streiten darüber, was gerecht ist
- WATNA-BATNA wurde ausgelassen
- Falsche oder fehlende Belehrung über Freiwilligkeit
- Weitere Empfehlungen im Fehlerverzeichnis oder im Interventionenfinder
Alias: Rechtsgefühl, Gerechtigkeitsgefühl
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