Am Anfang war (nur) ein Eindruck
Wissensmanagement » Sie befinnden sich auf einer Unterseite zum Thema Verstehen im Abschnitt Methodik des Mediationshandbuchs.
Die Wahrnehmung ist ein wichtiger Bestandteil der Informationsverarbeitung, wo Fehler zu vermeiden sind. Beachten Sie bitte auch:
Verstehen Denken Gehirn Gedankengang Kognition Wahrnehmung Kreativität Lösungshindernisse
Am Ende steht die Einsicht. Dazwischen liegt die Erhellung.
Die Mediation ist ein Prozess, der nicht nur die Wahrnehmung fordert, sondern auch ermöglicht. Wie sonst soll es ohne einen Sichtwechsel möglich sein, dass Parteien, die sich ganz und gar nicht einig sind, selbst eine einvernehmliche Lösung finden?
Wahr+Nehmung=Bedeutung
Wahrnehmung hat nichts mit Wahrheit zu tun!
Inhaltsverzeichnis
Die Wahrnehmung beschreibt den Prozess der sinnlichen Informationsaufnahme und deren Zusammenführung zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck.1
Der britische Neurologe und Schriftsteller Oliver Sacks stellte klar:
„Wir sehen mit den Augen, aber auch mit dem Gehirn.
Und das wird oft als Fantasie bezeichnet.“
Auch wenn sich der Begriff Wahrnehmung aus den Worten WAHR und NEHMEN zusammensetzt, hat er nicht viel mit der Wahrheit zu tun. Der durch das Gehirn erzeugte subjektiv sinnvolle Gesamteindruck kann durchaus von der Reralität abweichen. Wir sollten uns darüber im Klaren sein.
Information(en)
Auch wenn der Begriff nicht viel mit Wahrheit zu tun hat, ist die Wahrnehmung trotzdem ein wichtiger Faktor in jedem Entscheidungsprozess. Der Entscheidungsprozess setzt sich aus der Informationsaufnahme, der Informationsverarbeitung und der Informationsweitergabe zusammen. Die Wahrnehmung betrifft die Informationsaufnahme. Es ist naheliegend, dass fehlerhafte oder falsche Informationen kaum dazu beitragen können, die gebotene Entscheidung zu treffen. Die Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung ist deshalb erforderlich, um Fehlerquellen zu erkennen und mögliche Fehler zu verhindern.
Die Informationsverarbeitung in der Mediation
Wirklichkeit und Realität
Die Informationsgewinnung der Wahrnehmung erfolgt in erster Linie durch die an die Sinnesorgane abgegebenen Reize. Es hängt also ganz maßgeblich von unserer Sinnesfähigkeit ab, was wir Menschen wahrnehmen und wie wir die so erlebte Wirklichkeit innerlich repräsentieren. Leider entspricht nicht alles was wir sehen oder hören der Realität. Wir sind Täuschungen erlegen. Und das geschieht aus gutem Grund. Wer der Wahrheit auf den Grund gehen will, ist gut beraten, wenn er weiß, was die Wahrheit überhaupt ist und warum sich das Gehirn wie täuschen lässt, um uns eine Wahrheit zu simulieren. Die menschlichen Sinne spielen dabei eine ganz ausschlaggebende Rolle.
Die Sinne des Menschen Die Bedeutung von Wahrheit und Wirklichkeit
Natürlich kann der Mensch steuern, was er wahrnehmen will. Neben der kognitiven Wahrnehmung, die das Erinnern, Lernen, Problemlösen oder Orientieren betrifft, überlässt er jedoch dem Unterbewusstsein die Entscheidung, was wahrgenommen, gespeichert und später wieder abgerufen wird. Sowohl das Verständnis von Wahrheit wie die Wahrnehmung werden dadurch beeinflusst. Ist das was Sie sehen und das was Sie hören wirklich richtig? Schauen Sie doch einmal genauer hin. Was werden Sie bemerken?
Je genauer Sie hinsehen.
desto weniger sehen Sie
Das Zitat des Zauberkünstlers Daniel Atlas im Film "Die Unfassbaren" beschreibt ein anderes Phänomen. Es deutet auf eine der vielen Parodoxien hin, die sich in der Mediation wiederfinden lassen. Wo wir genau hinschauen, nehmen wir zwar Details wahr. Der Blick auf das Ganze geht jedoch verloren. Möchten Sie sich überzeugen?
Selektive Wahrnehmung
Dieses Youtube-Video zeigt, wie sich die menschliche Wahrnehmung ablenken lässt. Es ist verblüffend, dass der Zuschauer das Offensichtliche nicht sieht. Er ist auf eine Aufgabe konzentriert und dementsprechend fokussiert er seine Wahrnehmung. Alles was außerhalb der Aufmerksamkeit liegt, wird übersehen.
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Video um ein bei Youtube (Google) hinterlegtes Video handelt. Was das bedeutet, erfahren Sie in der Datenschutzerklärung. Eintrag im Videoverzeichnis erfasst unter Selektive Wahrnehmung
Im Konflikt setzen die Parteien - bewusst oder nicht - ebenfalls einen Fokus. Immerhin will der Konflikt doch Aufmerksamkeit erregen. Er nimmt in Kauf, dass andere Dinge dann nicht mehr wahrgenommen werden. So ist es (unter Anderem) zu erklären, wenn sich den Parteien nicht mehr das ganze Bild der Wahrheit erschließt, so dass sie sich in ihren Vorwürfen bestätigt sieht und Zweifel ausblenden kann.
Das Fokussieren ist eine gewollt selektive Wahrnehmung, die der Mediator übrigens auch benutzt. Die Technik birgt allerdings auch Gefahren in sich. Zauberkünstler nutzen diese Phänomen, um den Zuschauer zu verblüffen.
Der Mediator ist kein Zauberer. Allerdings muss er einige Phänomene der Wahrnehmung kennen, um zu verstehen, warum den Parteien Erkenntnisse verborgen bleiben, die sie für die Suche nach einer Lösung benötigen. Er weiß, dass die Wahrnehmung eingeschränkt ist und er weiß zu sehen, was nicht sichtbar ist.
Eingeschränkte Wahrnehmung
Wir müssen nicht über Zahlen diskutieren, ob es 5 oder 10% sind, die bewusst wahrgenommen werden können. Entscheidend ist, dass ein großer Bereich der Wahrnehmung verschlossen bleibt. Die Frage ist nun, wer entscheidet welche 5% Sie wahrnehmen oder nicht? Das erledigt Ihr Unterbewusstsein für Sie.
Die Wahrnehmung ist im wahrsten Sinne des Wortes (emotional) gefärbt. An jemanden den man hasst, kann man kein gutes Haar lassen.
Der Mediator kennt die Relativität der Wahrnehmung. Ein geschulter Mediator kann deshalb auch dahin schauen was die Partei nicht sehen kann. So kann er der Partei helfen, ihre Wahrnehmung zu erweitern.
Wahrnehmungsfokus
Wie ein Fotoapparat besitzt auch die menschliche Wahrnehmung einen Fokus. Schauen Sie auf das was nah ist oder auf den entfernten Horizont. Im einen Fall verschwimmt das Naheliegende im anderen Fall der Kontext.
Um das Hindernis umfahren zu können (zu überwinden), müssen Sie auch das im Blick haben was daneben und dahinter ist. Ein Perspektivwechsel würde die Sicht erweitern. Genau das geschieht in der Mediation mit Hilfe des Mediators, der die Metaperspektive einnehmen kann, die alles im Blick hat.
Außenwahrnehmung
Die nachfolgende Grafik soll zeigen, wer für die Partei sichtbar ist, wenn sie über Probleme oder Problemverursacher nachdenkt. Es sind immer die Anderen oder es ist der Andere, je nachdem wo der Fokus liegt.
Der Blick auf die Anderen muss gar kein schlechter Wille sein. Er hat ganz einfach mit der Sinneswahrnehmung zu tun. Uns fällt nämlich auf, dass alle Sinne (Wahrnehmungsorgane) auf Außenwahrnehmung gerichtet sind. Es gibt kein Sinnesorgan für die Innenwahrnehmung.
Der Mediator korrigiert dieses Wahrnehmungsphänomen durch die Windowstechnik, indem er den Fokus vom Gegner zurück auf die Partei lenkt.
Innensicht
Systemisch betrachtet schränkt sich die Sicht weiter ein. Die Außenwahrnehmung lenkt den Blick auf den Gegner und vom Streitsystem weg.
Nur die Metasicht erlaubt es, das Streitsystem als solches wahrzunehmen und den Blick auf alle Parteien und sogar auf Außeneinflüsse zu richten.
Die systemische Sicht der Mediation
Selbstwahrnehmung
- Selbstsicht: Die Einschätzung, wie man sich selber sieht (einschätzt)
- Fremdsicht: Wie man von anderen gesehen wird
- Selbst-Fremdischt: Wie man glaubt, von anderen gesehen zu werden
Die Schnittmenge zwischen den unterschiedlichen Sichten ergibt die Übereinstimmung.
Der Mediator kann die unterschiedlichen Sichten auseinanderhalten und bei Bedarf gegenüberstellen oder zusammenführen.
Bedeutungswirklichkeit
Stellen Sie sich vor, der Mediationstrainer fragt die Studenten: "Wie geht es Euch heute?". Haben Sie verstanden, was er gesagt hat? Zweifellos. Haben Sie auch verstanden, was er gemeint hat? Sicherlich nicht. Wie können Sie wissen, was die Frage bedeutet?
Um die Frage nach der Bedeutung der Aussage beantworten zu können, müssen Sie die Motive des Senders (der Information) kennen. Das Motiv steuert das menschliche Verhalten. Vielleicht wollte der Mediator Zeit gewinnen. Dann ist die Frage bedeutungslos. Vielleicht hatte er auch ein redliches Interesse am Wohlbefinden der Studenten oder wollte ein Feedback. Ohne das Motiv herauszufinden, werden die Studenten kaum die richtige Antwort geben. Sie müssten fragen: "Was meinst Du damit?". Erst dann synchronisieren Sie Ihre Kommunikation.
Wahrnehmungsfehler
In der Psychologie werden Wahrnehmungsfehler von Wahrnehmungs- oder Sinnestäuschungen unterschieden. Illusionisten und Filmemacher nutzen die Wahrnehmungsphänomene und wissen, wie unser Gehirn damit umgeht.
Dieses Youtube-Video aus der Serie "Weisste wass" befasst sich mit der Wahrnehmung und speziell den Wahrnehmungsfehlern.
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Video um ein bei Youtube (Google) hinterlegtes Video handelt. Was das bedeutet, erfahren Sie in der Datenschutzerklärung. Eintrag im Videoverzeichnis erfasst unter Wahrnehmungsfehler 1
Dieses Youtube-Video aus der Serie "Weisste wass" ist die Fortsetzung des Beitrages zur Wahrnehmung und speziell zu den Wahrnehmungsfehlern.'
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Video um ein bei Youtube (Google) hinterlegtes Video handelt. Was das bedeutet, erfahren Sie in der Datenschutzerklärung. Eintrag im Videoverzeichnis erfasst unter Wahrnehmungsfehler 2
Die Wahrnehmungsfehler überscheiden sich mit den Denkfehlern. Beide führen zu einer unzutreffenden oder voreiligen Bedeutungszuschreibung. Denk- und Wahrnehmungsfehler erklären, wie es möglich ist, dass Parteien zu ganz unterschiedlichen Vorstellungen von der Wirklichkeit gelangen können. Es lohnt sich, die Liste mit den Denkfehlern und den Bias-Faktoren abzugleichen. Auf Denkfehler-Wahrnehmungsfehler finden Sie auch Videos zur Veranschaulichung der Wahrnehmungsbeeinträchtigungen.
3-er Schritt der Wahrnehmung
Wahrnehmungsfehler lassen sich reduzieren, wenn die Wahrnehmung bewusst in ihrem Ablauf wahrgenommen wird. Die Wahrnehmung wird als einschrittig erlebt. Tatsächlich erfolgt sie in einem 3-er Schritt. Dies mag an folgendem Beispiel verdeutlicht werden:
Was sehen Sie auf dem folgenden Bild?
Ein Paar, das Probleme miteinander hat? Eine hübsche, traurige Frau, die sich von Ihrem Partner abwendet? Ein Mann der sich nicht für die Frau interessiert und sich ebenfalls abwendet? ....
Das sehen Sie alles NICHT. Es sind alles Interpretationen. Der Mensch neigt beim Beobachten dazu, das was er beobachtet sofort zu bewerten. Er reduziert den 3-er Schritt der Wahrnehmung auf nur einen einzigen. das Problem dabei ist, dass er mit den Bewertungen, die sich hinter der Interpretation verbergen eine Bedeutung Wirklichkeit herstellt, die mit der von den Parteien vorgestellten Wirklichkeit in keiner Weise übereinstimmen muss.
Genau betrachtet erfolgt jede Wahrnehmung in drei Schritten:
- das was objektiv sichtbar ist
- das was wir daraus schlussfolgern oder interpretieren
- und die Emotionen die wahrnehmbar sind oder angesprochen werden
Es ist die Unterscheidung zwischen Fakten, Meinungen und Emotionen die dazu beitragen, die Wahrnehmung zu präzisieren oder Eindrücke zu korrigieren. Ein guter Mediator ist darauf trainiert, diese Dimensionen der Wahrnehmung zu unterscheiden. Anwendungstechniken sind das präzise Zuhören und die Differenzierung zwischen Fakten Meinungen und Emotionen:
präzises Zuhören Fakten Meinungen Emotionen
Bedeutung für die Mediation
Warum es so wichtig ist, die Informationen nach diesen Dimensionen zu qualifizieren, liegt daran, dass Fakten anders zu behandeln sind als Meinungen und diese wiederum anders zu behandeln sind als Emotionen.
Ein Problem in der streitigen Debatte ergibt sich oft daraus, dass Meinungen als Fakten vorgetragen werden. Das kann so nicht stehen bleiben. Eine andere Meinung könnte durchaus akzeptiert werden. Hier bedarf es der Klarstellung. Es ist die Aufgabe des Mediators die Information korrekt zu qualifizieren.
Stellt sich heraus, dass über Meinungen gestritten wird, ergeben sich Hinweise auf die Motive und Bedeutungen. Wer will, dass die andere Partei die eigene Meinung teilt, hat ein dahinter liegendes Interesse. Das muss der Mediator herausfinden.
Die Wahrnehmung ist mit Emotionen verknüpft. Sie führt entweder zu Emotionen oder folgt ihnen. Ein Sichtwechsel kann dazu beitragen, die Emotionen zu korrigieren und für andere Lösungen empfänglicher zu machen. Das Hinterfragen und korrigieren von Wahrnehmung ist ein wichtiger Schritt in der Mediation, der hauptsächlich in der 3.Phase stattfindet.
Das eingangs erwähnte Zitat "Je genauer Sie hinsehen, desto weniger sehen Sie", verwirklicht sich in der Mediation durch konfliktbedingte Selektionen und die mangelnde Bereitschaft, diese verändern zu wollen. Die Wahrnehmung zu verändern oder in Frage zu stellen, heisst für die Partei auch, ihre Erklärungsansätze und letztlich sich selbst in Frage zu stellen. Der Mensch neigt dazu, derartige Irritationen zu vermeiden.
Das Gedankenspiel, das die Selektion aufheben soll, beginnt von neuem. Der Mediator muss den Weg finden, wie sich die Metasicht den Parteien erschließt.
Was tun wenn ...
- Die Partei lügt
- Die Partei hat eine einseitige, gefärbte Wahrnehmung
- Die Partei widerspricht den Behauptungen der Gegenseite
- Der Mediator ist befangen
- Der Mediator unterscheidet nicht die Fakten, Meinungen und Emotionen
- Der Mediator geht den Denk- und Wahrnehmungsfehlern nicht nach
- Weitere Empfehlungen im Fehlerverzeichnis oder im Ratgeber
Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen. Zitiervorgabe im ©-Hinweis.
Aliase: Selbstwahrnehmung, Außenwahrnehmung, Sichten, selektive Wahrnehmung, Selbstsicht, Fremdsicht, Selbst-Fremdsicht, Innensicht, Außensicht, Wahrnehmungsphänomene
Siehe auch: Denkfehler-Wahrnehmungsfehler, Denken, Bias-Faktoren