Die Betroffenheit des Unternehmens wird, systemisch betrachtet, am Besten verdeutlicht, wenn das Unternehmen bei Konflikten mit einem Unternehmensbezug wie eine am Prozess zu beteiligende, virtuelle Partei behandelt wird. Wäre das Unternehmen eine eigenständige Person, könnte es für sich selbst sprechen. Die Personifizierung des Unternehmens (und gegebenenfalls der Unternehmensteile) führt zu einer Extraktion, mit der sich unternehmensbezogene Spannungen und Interessenkonflikte herausarbeiten lassen.
Der Mediator weiß allerdings auch, dass sich die Spannungsverhältnisse bei betrieblichen Konfliktlagen nicht nur auf die Interessen des Unternehmens und der Gesamtheit aller Mitarbeiter beschränken. Hier spielen die Menschen, also die Mitarbeiter und die Belegschaft eine wichtige Rolle. Das Unternehmen kann die Ursache für einen Konflikt sein, aber nicht sein Träger. Konflikte treten überall dort in Erscheinung, wo Menschen mit sich oder miteinander interagieren. Jeder Mitarbeiter hat eigene, persönliche Interessen, die mitunter unerkannt mit den Aufgaben als Funktionsträger konkurrieren. Persönliche Interessen spielen im Miteinander der Unternehmensangehörigen eine ganz wesentliche Rolle. Wenn diese Interessen nicht auf einen gemeinsamen Nutzen ausgerichtet werden (können), der mit den Unternehmensinteressen kompatibel ist, ergeben sich weitere, unter Umständen ganz verzweigte Spannungsverhältnisse. Sie belasten das Miteinander und treten als Störungen in den Prozessabläufen in Erscheinung.
Konflikte und Konfliktursachen können ganz unterschiedlich sein. Wie bei jedem anderen Konflikt weisen die Symptome oft in die falsche Richtung. Sie lenken von der eigentlichen Konfliktursache ab. Erst eine systemisch angelegte Konfliktlandkarte, bei der die Interaktion zwischen Umwelt, Systemen und Elementen aufgedeckt werden, macht die Spannungen und mithin die Konfliktrisiken deutlich. Sie ist deshalb bei der Bearbeitung unternehmensbezogener Konflikte eine wesentliche Voraussetzung und Verständnishilfe.
Die Aufdeckung der (unternehmensbezogenen) Spannungsverhältnisse ist ein wesentlicher Bestandteil der professionellen Konfliktarbeit. Konsequent fließt sie bei der Mediation in die Konfliktanalyse ein. Eine ebenso effiziente wie einfache Umsetzung der Konfliktanalyse in die Mediation bietet die Lehre der Konfliktdimensionen. Was sich im personellen Bereich auf rationale, emotionale und wertebezogene Dimensionen reduzieren lässt, wird im unternehmerischen Bereich um Struktur- und Systemdimensionen ergänzt.
Einen Konflikt kann nur lösen, wer sich zu seinem Konflikt bekennt. Unternehmen tun sich schwer mit diesem Bekenntnis. Die am Erfolg ausgerichtete, lösungsorientierte Denkweise erschwert die Konflikteinsicht. Die zur Lösung führende Entscheidung steht im Vordergrund. Die Inanspruchnahme einer Mediation lässt das Ergebnis offen. Auch kommt sie einem Konflikteingeständnis gleich. Sie ist schon deshalb nicht die erste Wahl. Oft wird auch verkannt, welche Kompetenz in ihr wohnt.
Die Mediation kann in jedem Entscheidungsprozess zur Anwendung kommen. Im Verständnis der Integrierten Mediation ist sie als ein genau zu definierender Erkenntnisprozess ausgelegt, der die komplexe Konfliktlage in jeden Entscheidungsprozess einbeziehen kann, der alle lösungsrelevanten Aspekte beachtet. Sie führt die unterschiedlichen Interessen zusammen und bildet daraus eine am Nutzen orientierte Lösung. Obwohl diese Kompetenz nicht exklusiv der Mediation vorbehalten ist, ist sie doch das Verfahren, das von Haus aus (im Idealfall) alle Dimensionen des Streitkontinuums in der Auseinandersetzung berücksichtigt und nicht - wie im juristischen Denken - das Problem auf einen Sachverhalt und seine Rechtsfolgen reduziert oder - wie im ökonomischen Denken - auf die Bilanz. Der Mensch steht im Mittelpunkt des Denkens. Das Unternehmen ist sein Partner.
Die Unternehmen haben längst erkannt, dass die Motivation der Mitarbeiter ebenso wie die Konfliktkosten einen nicht bilanzierbaren Leistungsfaktor darstellen. Die Vermeidung von Konflikten ist deshalb eine valide Ressource, die nicht nur Streitkosten einspart, sondern auch Gewinne ermöglicht1 und die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens indiziert. Interessanterweise gibt es eine Menge an Konfliktbeilegungsverfahren. Ein explizites Verfahren zur Konfliktvermeidung gibt es indes nicht. Das ist umso bemerkenswerter, weil der Ertrag eines solchen Verfahrens auf der Hand liegt. Wenn die Arbeitsprozesse reibungsfrei ablaufen und Spannungen abgebaut werden, ist die Arbeit effizienter.
Auch wenn die Mediation für die Fälle der Konfliktvermeidung und der Konfliktprophylaxe nicht explizit vorgesehen ist, kann sie dennoch für solche Fälle hervorragend gut eingesetzt werden. Partiell wird diese Kompetenz erkannt. Immerhin belegt die Forschung, dass die Mediation ein auch von den Unternehmen erkannter, wichtiger Aspekt der unternehmerischen Konfliktbeilegung ist1 . Von einem Konfliktkosteneisberg ist die Rede. Der Eisberg symbolisiert verdeckte Kosten, die inzwischen als "immens und nicht beziffertbar" beschrieben werden. Gemessen an der Häufigkeit steht die Verwendung der Mediation im Unternehmen aber noch weit hinter den konventionellen Planungsprozessen und dem Verhandeln als grundlegendes Format einer Konfliktbeilegung zurück.
Es gibt institutionelle Ansätze im Unternehmen zur Beilegung innerbetrieblicher Konflikte, die eine Brücke zwischen Interner und externer Konflikthilfe zu schlagen versuchen. Sie finden sich vornehmlich in der Bereitstellung von Anlaufstellen, indem ein Mitarbeiter beispielsweise zum Konfliktlotsen ernannt wird. Konfliktlotsen bekommen eine Sonderstellung, um das Prinzip der unabhängigen dritten Person mit fehlender Entscheidungsbefugnis so weit wie möglich zu beachten. Ein externer Konflikthelfer wird erst hinzugezogen, wenn der Konfliktlotse seine Grenzen erreicht hat. Ungeachtet dessen gibt es weitere, auch traditionelle Anlaufstellen für die Konfliktbearbeitung im Unternehmen. Im Idealfall zählen dazu - je nach ihrem Selbstverständnis - auch der Betriebsrat oder die HR-Abteilung. Selbst der Patriarch kann eine solche Anlaufstelle sein, wenn er das Vertrauen der Mitarbeiter genießt. Eine Mediation i.S.d. Mediationsgesetzes können diese Anlaufstellen kaum abbilden. Es gäbe formale Kollisionen mit dem Prinzip der Neutralität, der Unabhängigkeit und der fehlenden Entscheidungsbefugnis.
Unabhängig davon zeigt die Erfahrung, dass die Errichtung betrieblicher Anlaufstellen nicht genügt, um eine effiziente Konflikthilfe zu etablieren. Ganz abgesehen davon, dass 95% der Unternehmen weniger als 5 Mitarbeiter haben und eine solche Stelle kaum einrichten können, fragt es sich, welcher Mitarbeiter sich traut, Freitags mittags um 14 Uhr an der Türe im Erdgeschoß anzuklopfen, an der geschrieben steht: "Konfliktsprechstunde jeden Freitag von 14 bis 16 Uhr"?. "Typisch" werden die Kollegen sagen, wenn sie den Mitarbeiter dort antreffen. Schilder und Annoncen mögen helfen, ein Unternehmensimage zu transportieren. Viele Unternehmen nutzen die Botschaft auch, weil sie erkannt haben, dass Mitarbeiter heutzutage nicht nur durch das Einkommen, sondern auch durch die Arbeitsbedingungen und vor allem durch das Betriebsklima angelockt und gehalten werden. Deshalb geben sie sich ein schönes Profil, das sie sich im Zweifel von einem außenstehenden Unternehmensberater aufsetzten lassen. Es steht auf dem Papier und wird nicht wirklich gelebt.
Eine Unternehmenskultur zeigt sich nicht in schönen Worten. Erst recht nicht in Worten, die zwar der Außenwelt aber nicht den Mitarbeitern bekannt sind oder, wenn sie bekannt sind, nicht gelebt werden. Eine Wirkung entfaltet sich erst, wo diese Floskeln auch verinnerlicht und zum Teil der Unternehmenskultur werden. Schöne Worte schaffen keine Realität. In der Mediation werden solche Diskrepanzen oft und schnell aufgedeckt. Und nicht nur das. Wenn die Mediation zu einem kollektiven Prozess ausgestaltet wird, kann sie Profile und Strukturen konsensual entwickeln und sogar bei der Ausarbeitung des USP behilflich sein. Das ist ein völlig unbekannter Ansatz, wie die Mediation zur Unternehmensentwicklung beitragen kann.
Leider wird die Mediation im landläufigen Verständnis und entsprechend der Definition im Mediationsgesetz als ein isoliertes Verfahren verstanden, das einen Konflikt voraussetzt. Zwar kommt die Mediation in diesem Verständnis näher an den Konflikt heran, als beispielsweise das Gerichtsverfahren. Für das Gerichtsverfahren genügt ein juristischer Anlass zum Tätigwerden. Dann wird beispielsweise über die Wirksamkeit einer Kündigung gesprochen. Der Konflikt, der dazu geführt hat, wird als ein, die Parteien beschränktes Ereignis in der Vergangenheit bewertet. Es kommt zur Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung. Die strukturellen und systemischen Ursachen, die durch den eigentlichen Konflikt nur aufgezeigt werden sollten2 , bleiben im Verborgenen. Wenigstens schaut die Mediation in die Zukunft und fragt, welcher Nutzen wie zu erreichen ist. Die Kündigung ist im Zweifel und besonders vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels in den meisten Fällen für keine der Parteien nützlich. Sie genügt nicht, wenn sie nicht die Bedingungen für Folgekonflikte beseitigt. Das formale Verständnis der Mediation führt auch dazu, dass die Mediation als Instrument der Konfliktbeilegung neben die Planungsprozesse im Unternehmen tritt und diese in der Regel weder berücksichtigt noch beeinflusst.
Würde die Mediation weniger als ein eigenständiges Konfliktlösungsverfahren, sondern eher als ein Erkenntnisprozess verstanden, der dazu geeignet ist, Spannungen aufzudecken und Widersprüche aufzulösen, ergibt sich ein völlig anderes Bild und ein wesentlich erweiterter Anwendungsbereich dieser Kompetenz im Unternehmen. Auch kommt die Mediation aus dem Weichei-Image heraus. Erkenntnisprozesse sind im Unternehmen an der Tagesordnung und alles andere als Weicheigetue. Würden die Erkenntnisprozesse mit der dazu passenden Mediationskompetenz versetzt, ergäbe sich eine dramatisch bessere Entscheidungslage, die sich nicht nur auf die Verhandlungskompetenz auswirkt, sondern auch (zwingend und indirekt) eine als wertschätzend empfundene Kommunikation zur Folge hat. Die Wertschätzung ist dann nicht nur eine Voraussetzung, sondern die Konsequenz des Vorgehens und kann von einer autokratischen, direktiven Unternehmensführung leichter akzeptiert werden.
Zu Recht wird die in die Führungskompetenz einfließende Haltung als ein wesentlicher Aspekt beschrieben, wenn es um Fragen des betrieblichen Miteinanders und der Akzeptanz von Entscheidungen geht. Wenn sich diese Haltung jedoch in der erfolgsorientierten Überzeugungsfähigkeit erschöpft, bleibt die Einbeziehung der Mitarbeiter nur ein Aspekt und kein realer Anknüpfungspunkt. Die Tragik der Entscheidungsprozesse liegt in ihrer Entscheidungslogik. Der übliche Entscheidungsprozess verläuft in fünf Phasen3 : Problemformulierung, Präzisierung des Zielsystems, Erforschung von Alternativen, Auswahl einer Alternative, Entscheidungen in der Realisationsphase.
Ein meditativer Entscheidungsprozess würde den Nutzen nach vorne stellen. Er leitet sich nicht aus dem Problem, sondern aus den Motiven all derer ab, die mit der Entscheidung zu leben haben. Die auf die Motive abstellende, individuell zu erarbeitete Nutzenerwartung bildet die Kriterien aus, an denen sich die nachfolgende Entscheidung zu messen hat. Mediatoren wissen, dass es nicht einfach für die Parteien ist, ihre Motive zu offenbaren. Sie sind deshalb in ihrer Gesprächsführung darauf trainiert, diese Fragen herauszuarbeiten. Der Nutzen wird auf alle Rollen und Protagonisten bezogen, sodass sich die unterschiedlichen Nutzenaspekte auch für das (als virtuelle Partei anwesende) Unternehmen herausarbeiten lassen. Erst wenn es gelingt, eine Lösung zu finden, mit der sich der Nutzen eines jeden Beteiligten realisieren lässt, entsteht die Entscheidungsreife.
Nach den Grundsätzen der Integrierten Mediation ist der Mediationsradius auf formelle Mediationen i.S.d. Mediationsgesetzes, sowie auf formelle und materielle Mediationen erweitert, auf die das Gesetz nicht anwendbar ist. Nasch diesen Grundsätzen bedarf es einer Metaebene, ohne die das Herausarbeiten der Motive kaum gelingt. Die Metaebene ist auch notwendig, um den Entscheidungsprozess an und für sich und die Problemfragen reflektieren zu können. Das Prinzip der fehlenden Entscheidungsbefugnis erzwingt geradezu eine dritte Person bei der Bewältigung dieser Aufgabe. Das Prinzip der Indetermination kann die Darstellung dieser Ebene allerdings weitestgehend von den Personen entkoppeln, ohne die Mediation (oder besser gesagt das Mediieren) dabei zu gefährden. So werden für Betriebe realistische Bedingungen geschaffen, die den meditativen Entscheidungsprozess auch losgelöst vom Verfahren in andere Verhandlungen einbeziehen kann. Genauer gesagt werden die Verhandlungen für jeden Entscheidungsprozess am Maßstab der Mediation gemessen.
Man mag sich vorstellen, dass die Erneuerung der Entscheidungsprozesse als mediative Entscheidungsprozesse nicht nur eine Nutzengarantie darstellt, sondern die gesamte Entscheidungs- und Kommunikationskultur eines Unternehmens positiv beeinflusst. Die Mediation wird zu einer Realität, was nicht nur den Erträgen des Unternehmens und dem Betriebsklima, sondern auch ihrer Implementierung entgegenkommt.