Der Rosenkrieg
Wissensmanagement » Diese Seite ist der Kategorie Konfliktphänomenologie des Archivs in der Wiki-Abteilung Wissen zugeordnet. Eine logische Verknüpfung erfolgt mit der Rubrik Konflikt, also dem 6. Buchabschnitt des Fachbuchs Mediation und den Konfliktphänomenen. Bitte beachten Sie auch:
Konflikt Familienmediation Rosenkrieg Scheidung Paarkonflikt Eintrag Suche
Worum es geht: Rosen haben Dornen. Sie können stechen, aber nicht streiten. Der Begriff Rosenkrieg enstand wohl aus dem Familienzwist, wo die englischen Adelshäuser York und Lancaster martialisch um den Königsthron kämpften. Weil beide Familien eine Rose im Wappen trugen, die eine eine weiße, die andere eine rote, hat sich die Rose zum Symbol für hoch eskalierte Familienkonflikte etabliert. Der Begriff wurde schließlich durch den Fillm "Der Rosenkrieg" bekannt. Worum geht es und wie ist mit derart hoch eskalierten Konflikten umzugehen? Das ist das Thema dieses Beitrags.
Über den Krieg der Gefühle.
Einführung und Inhalt: Die in dem nachfolgend vorgestellten Film gezeigten und absurd anmutenden Handlungen der Eheleute Rose sind gar nicht weit hergeholt. Es gibt durchaus einen Realitätsbezug. So ein Rosenkrieg ist eine ebenso reale wie ernste Angelegenheit. Er zeigt ein typisches Konfliktverhalten.
Dieses Youtube-Video zeigt den Trailer zum Film "Der Rosenkrieg" aus dem Jahre 1989 mit Michael Douglas, Kathleen Turner und Danny deVito. Es ist die Geschichte einer Liebe und der darauffolgenden Ehe, die das Versprechen, "bis dass der Tod uns scheidet" sehr ernst nimmt. Es geht um eine Scheidung. Der Streit entfacht an der Aufteilung des Hauses. Es kommt zu absurden Konflikthandlungen, wie dem Zerstören der Einrichtung oder einer Verfolgungsjagd im eigenen Haus. Gezeigt wird eine Scheidung, die bis zur wechelseitigen Vernichtung ausgeführt wird. Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Video um ein bei Youtube (Google) hinterlegtes Video handelt. Was das bedeutet, erfahren Sie in der Datenschutzerklärung. Eintrag im Videoverzeichnis erfasst unter Trailer Rosenkrieg
Mit einem Rosenkrieg wird ein Familienkonflikt bezeichnet, der die höchste Eskalationsstufe erreicht hat. Die höchste Eskalationsstufe ist nach Glasl die Eskalationsstufe neun. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Vernichtung des Gegners so wichtig ist, dass die eigene Vernichtung in Kauf genommen wird. Zum Glück kommen Rosenkriege recht selten vor. Weil sie so laut und zerstörerisch sind, erregen sie jedoch viel Aufmerksamkeit. Sie verursachen einen erheblichen Arbeits- und Zeitaufwand und geben den Anlass für nicht enden wollende und ständig neu angeschobene Rechtsstreitigkeiten, die an eine zirkuläre Kommunikation erinnern. Die verursachten Schäden beschränken sich meist nicht auf die Eheleute. Oft werden die Kinder in Mitleidenschaft gezogen, das soziale Umfeld und nicht zuletzt der Steuerzahler.
Aufkommen
In der Praxis kommt es nicht zwingend zum Tod, wie in dem vorgestellten Video, aber durchaus zur Selbstvernichtung. Sie wird als Preis für die Vernichtung des Gegners in Kauf genommen. Ein Rosenkrieg ist also nicht lediglich ein Streit aus Anlass der Trennung. Er ist vielmehr die Fortsetzung der Beziehung nur auf einer anderen Ebene.
Statistisch1
gesehen, sind die Rosenkriege recht selten. Sie werden auf 5% der Fälle taxiert, machen aber 50-60% der Arbeit, etwa des Richters, aus.2
Der soziale Schaden ist immens, weil mit der Vernichtung auch die Zerschlagung von Vermögen, Arbeitsplatz, Einkommen und Altersversorgung einhergeht, wofür letztlich auch der Steuerzahler aufkommt. Der psychologische Schaden ist ebenfalls immens und kann bis zur Zerstörung der persönlichen Psyche leider auch bei den gemeinsamen Kindern der Eheleute führen.
Konfliktursache
Die Konfliktursachen sind die gleichen wie in jeder Paarbeziehung. Sie können in dem Beitrag über die Paarkonflikte nachgelesen werden, falls es überhaupt interessiert. Bei einem Rosenkrieg geht es nicht so sehr darum, worüber gestritten wird. Der Gegenstand ist austauschbar. Entscheidend ist die Art und Weise, wie gestritten wird. Darin zeigt sich der Konflikt. Was nach außen sichtbar wird, ist der grenzenlose Hass, den die Eheleute aufeinander haben. Hierin unterscheidet sich der Rosenkrieg von anderen Ehestreitigkeiten. Der Hass ist ein starkes Gefühl. Meist löst er eine ebenso große Liebe ab. Liebe und Hass sind bindende Gefühle. Und vielleicht ist das der Grund für die Eskalation. Man kommt voneinander nicht weg. Man kann nicht loslassen. Das Problem wird ausschließlich am jeweils anderen Ehegatten (Partner) festgemacht. Die Fixierung blendet Informationen aus. Die Kompetenz-Amnesie trifft ein. Die Vernunft wird weitgehend ausgeschaltet. Es geht nur noch darum, zu siegen.
Konfliktbeilegung
Üblicherweise landen solche Fälle vor Gericht. Hier machen sie sich nicht nur durch endlos dauernde, zurmürbende Verfahren bemerkbar, wo wirklich alles vehement bestritten und behauptet wird, wo kein Gutachten und keine Entscheidung akzeptiert werden und wo der gesamte Rechtsweg ausgeschöpft wird, um sich dem Streit hinzugeben. Aber auch das genügt noch nicht. Es finden sich immer wieder Anlässe zur Klageerhebung, die ungeachtet der Kosten voll ausgeschöpft werden. Und da gibt es immer wieder einen Anlass, der die Gerichte zuständig macht. Sie besagen nicht viel mehr, als dass der Konflikt noch nicht beigelegt wurde. Trotzdem hat das Gericht wenigstens die Möglichkeit, die Parteien in eine Gerichtsverhandlung zu zwingen. So bleiben die Eheleute wenigstens im Kontakt. Der Psychologe Eberhard Kempf sagte einmal:
Das Gericht hat immerhin den Vorteil, dass man sich ihm (anders als der Mediation) nicht entziehen kann.3
Es hat auch den Vorteil, dass es eine verbindliche und vollstreckbare Entscheidung herbeiführen kann. Es hat den Nachteil, dass die Entscheidung nicht unbedingt nützlich ist und den Konflikt nicht zwingend beilegt. Weil die Verhandlungsbereitschaft mit einem gegenseitigen Nachgeben assoziiert wird, bedeutet sie in der Vorstellung der Parteien ein Nachgeben. Das steht dem Sieg im Wege und kommt, strategisch gesehen, erst in Betracht, wenn niemand mehr an einen Sieg glaubt.4
Übersehen wird auch, dass ein Gericht zwar auf die Faktenlage und die Rechtsfragen eingehen kann.5
Verletzte Gefühle sind kein Tatbestandsmerkmal. Sie werden im Gericht also kaum addressiert, obwohl es eigentlich nur darum geht.
Es geht um Gefühle
Das Verhalten der Parteien ist irrational. Von außen betrachtet ist es nicht mehr nachvollziehbar. Es ist gefühlsgesteuert. Letztlich mündet es in dem manchmal untauglichen Versuch, die Gefühle in den Griff zu bekommen und das zerstörte Weltbild wiederherzustellen. Was geschieht, wenn die Partei mit den widerstreitenden Gefühlen, sie gerne als eine emotionale Achterbahn beschrieben werden, nicht umgehen kann? Was macht sie, wenn sie sich verloren, hilflos und überfordert fühlt, wenn sie sich angegriffen fühlt und die andere Seite dafür verantwortlich macht? Was macht sie, wenn sie sich gegen unglaubliche Verletzungen zur Wehr setzen muss, wenn sie glaubt, sie müsse nicht nur sich, sondern auch andere von dem Übel befreien und wenn sie die Hoffnung verloren hat?
Dieses Youtube-Video gibt einen Eindruck von deremotionalen Betroffenheit im Familiensystem.
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Video um ein bei Youtube (Google) hinterlegtes Video handelt. Was das bedeutet, erfahren Sie in der Datenschutzerklärung. Eintrag im Videoverzeichnis erfasst unter 37 Grad Scheiden tut weh- Rosenkrieg
Meistens ist der gefühlte Hass eine Folge von einer vorausgegangenen großen Liebe. Oft kommt die Beendigung der Beziehung für eine der Parteien völlig unerwartet und überraschend. Sie fühlt sich hintergangen, verraten, betrogen und missbraucht. Gestern noch glaubte sie an die Liebe, heute geht dieses Gefühl ins Leere. Sie empfindet die Art und Weise, wie sie damit konfrontiert wird, als extreme Missachtung. Den Verlust empfindet sie als völlig ungerecht und nicht hinnehmbar. Wie lassen sich derart intensive Gefühle kompensieren oder gar bewältigen?
Kompensation
Oft wollen die Eheleute mit dem Hass zum Ausdruck bringen, dass die Beziehung (jetzt auch für sie) zu Ende ist. Ganz abgesehen davon, dass eine einmal aufgenommene Beziehung niemals zu Ende gehen kann,6 ist der Hass das definitv falsche Gefühl, um das Ende der Beziehung auszudrücken.
Ich bin fertig mit Dir!
Du bist ein Nichts für mich. Ich will, dass Du aus meinem Leben verschwindest.
So lautet die nicht nur non-verbal vermittelte Botschaft. Dann kommt die Frage auf, warum die Eheleute genau das Gegenteil tun? Für ein Nichts nimmt der Gegner viel Raum ein im Leben und im Gehirn des Verletzten. Jede Gelegenheit aus dem Leben zu verschwinden, wird zunichte gemacht. Zwar ist der Hass, landläufig betrachtet, das Gegenteil von Liebe. Genauer betrachtet ist er aber ebenso wie die Liebe ein bindendes Gefühl. Man könnte sogar sagen, der Hass ist eine andere Form der Liebe. Emotional betrachtet erreicht er alles. Er kann nur nicht loslassen.
Die tatsächliche Auflösung der Liebe mündet in eine Unbetroffenheit oder in eine Gleichgültigkeit. Sie führt in eine emotionale Unabhängigkeit oder gar in eine emotionale Befreiung. Sie beendet den psychologischen Trennungsprozess und verwirklicht sich in der Autonomisierung. Der Hass steht diesem Prozess im Wege. Trauer wäre das Gefühl, das loslassen kann. Vergebung ist die Befreiung vom Hass. Mit der Vergebung tut man also sich, nicht dem Gegner einen Gefallen.
Es wäre falsch, den Hass als negativ zu bewerten. Hass hat auch eine positive Seite, denn er gibt einer Partei die Kraft, sich von der Liebe zu befreien. Er bringt Handlungsenergie und ist - so gesehen - besser als eine Depression. Der Hass hat positive Aspekte, solange er eine Übergangsphase in ein anderes Gefühl ermöglicht. Er wirkt sich negativ und energiezehrend aus, wenn er sich chronisch entwickelt. Die emotionale Bendigung einer Beziehung wird übrigens durch die Trauer verarbeitet. Trauer akzeptiert den Verlust. Sie kann loslassen. Der Hass akzeptiert den Verlust nicht. Er hält fest.
Problematisch wird der Hass, wenn er die Interaktionen beeinflusst. Hass treibt in die Eskalation und macht es der Gegenseite emotional noch leichter, kein Mitgefühl zu entwickeln und die Verantwortung abzulehnen. Schon Spinoza7 hat gesagt:
Das ist leicht gesagt, aber eine echte Herausforderung, wenn die Liebe für den anderen schmerzhaft ins Leere geht und von diesem sogar zurückgewiesen wird. Der Mediator weiß, dass Emotionen nicht verhandelbare Tatsachen sind und dass das Zurückweisen der Emotionen den ganzen Mensch zurückweist.
Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass der Hass nicht nur aus dem ungewollten Ende der Beziehung resultiert. Der Hass findet einen fruchtbaren Boden, wenn die Trennung mit (einseitig empfundenen, schwer ins Gewicht fallenden) Verlusten verbunden wird, die der betrogene Ehegatte für nicht gerechtfertigt hält. Er macht den anderen Ehegatten für sein Schicksal (den emotionalen wie wirtschaftlichen Verlust) verantwortlich und versucht irgendwie einen Ausgleich für die erlittenen Verletzungen herbeizuführen. Unglücklicherweise wird eine Heilung und eine Kompensation der Verluste dadurch oft vereitelt.
Das Handeln der Partei(en) ist emotionsgesteuert. Die Gefühle sind so stark, dass sie das Handeln in die Irrationalität treiben. Der gedankliche Fokus kennt nur noch einen Punkt: Genugtuung. Dieses Bedürfnis zieht sich in alle Scheidungsfragen hinein. Es kommt zu einem Endloskampf, bei dem Richter, Jugendamt, Gutachter, Anwälte, Freunde, Arbeitgeber, bis hin zu den Kindern einbezogen und gegebenenfalls auch instrumentalisiert werden. Jedes Mittel ist recht, um den anderen zu vernichten. Im Verständnis der Partei ist eine andere Form der Rehabilitation nicht mehr vorstellbar. Der Fokus wird so stark etabliert, dass die eigenen Verluste nicht mehr wahrgenommen oder in Kauf genommen werden. Die Vernunft bleibt auf der Strecke.
Die Gegenpartei beurteilt die Schuldfrage oft anders. Für sie ist die Trennung das Ergebnis einer langen internen Auseinandersetzung, die sich allerdings in der Kommunikation der Eheleute nicht vermittelt hat. Mithin entwickeln sich ganz unterschiedliche Vorstellungen von Schuld, Ausgleich, Genugtuung. Der Hass macht es der Gegenseite leicht sich abzuwenden. Er macht es ihr aber auch schwer, sich zu lösen. Die gefühlte Ausweglosigkeit ist eine willkommene Grundlage, den Hass mit Hass zu beantworten.
Problemstellungen
Die Praxis tut sich schwer mit derart hoch eskalierten Familienkonflikten. Sie steht ihr oft hilflos gegenüber. Hinzu kommt, dass sich das Helfersystem oft aus dem Mitgefühl heraus korrumpieren lässt. Die Parteien finden also immer wieder jemanden, der den Krieg befeuert oder gar stellvertreend führt.
Das Beispiel zeigt, dass es bei hoch eskalierten Konflikten nicht genügt, nur auf die Partei einzuwirken. Insbesondere die Mediation wird herausfordernd, weil die Parteien wegen des Grundsatzes der Freiwiilligkeit jederzeit aus der Kooperation ausbrechen wollen, wenn es überhaupt gelungen war sie dazu zu bewegen. Ein Zugang zur Problemlösung findet sich, wenn sich alle Beteiligten einschließlich des Helfersystems über die typischen Problemstellungen bei der Bewältigung von Rosenkriegen bewusst werden.
Komplexität
Eine der wichtigsten Probleme und Gründe für die Konfliktentwicklung ist die Komplexität und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten für Selektionen. Auf die unterschiedlichen, nicht aufeinander abgestimmten Prozesse wurde im Zusammenhang mit der Scheidung bereits hingewiesen.
Die Komplexität erstreckt sich nicht nur auf die Prozesse und das aus den Eheleuten als Streitparteien gebildete Streitsystem. Sie bezieht alle Akteure ein und erweitert das Streitsystem auf außerhalb der Prozesse liegende Einflüsse der involvierten Personen.
Es wäre eine verkürzte Sicht, nur die streitenden Eheleute im Blick zu haben. Besonders bei Familiensachen spielen die Anwälte, die Therapeuten, das Jugendamt, aber auch die neuen Partner, die jeweiligen Familien usw. eine einflussreiche Rolle.
Um die Komplexität des Streitsystems zu verdeutlichen, mag die nebenstehende Skizze beitragen. Sie erfasst auch die zum Helfersystem zählenden Verwandten, Freunde und insbesondere die neuen Lebenspartner und deren Verhalten.
Um den unterschiedlichen Fragestellungen nachzugehen, bietet Wiki to Yes deshalb auf den Startseiten für unterschiedliche Zielgruppen auch diesen Personengruppen eine Hilfestellung an.
Sobald auch diese Personen einbezogen werden, wird deutlich, wie komplex die Streitigkeit angelegt wird und wer direkt oder indirekt an dem Streit beteiligt oder hineingezogen wird. Wenn dieses Beziehungsgefüge mit Interaktionslinien versehen wird, wird das Bild noch unübersichtlicher. Die Konfliktlandkarte versucht die Konfliktsituation zu visualisieren.
In der Mediation kommt es zu dem Phänomen, dass eine Partei während der (verstandesorientierten) Sitzung durchaus einen Zugang zu der Bedeutung des Konfliktes erlangt. Nach einer Vertagung jedoch wirken die "guten Ratschläge" des Helfersystems auf das Verhalten ein. Die Hilfe mag gut gemeint sein. Nicht immer trägt sie jedoch dazu bei, den Konflikt beizulegen. Die Aufstachelung: "Das darfst Du Dir nicht gefallen lassen", lenkt den Fokus wieder in die Positionen. Die Gedanken werden also in eine Richtung gelenkt, wovon der Mediator die Parteien gerade wegbringen will. Es kommt zu einem Rückschritt, den der Mediator wieder aufarbeiten muss.
Bitte seien Sie sich bewusst, dass diese Skizze nur symbolhaften Charakter haben kann und um weitere Linien zu ergänzen wäre, die unterschiedlich stark ausgeprägt sind.
Für die Parteien gibt es genug Möglichkeiten, andere Personen zu instrumentalisieren, so wie diese auch Gelegenheiten haben, Einfluss auf die Parteien zu nehmen. Es bilden sich Lager bis in die Verwandtschaft hinein, wo die Kinder oft als die vermittelnde Schnittstelle zerrissen werden.
Verantwortlichkeit
Trotz der Komplexität der Einflüsse neigen die Parteien dazu, das sichtbare Verhalten stets der Gegenseite zuzurechnen. Der anwaltliche Schriftsatz wird so behandelt, als hätte ihn die Gegenseite höchstpersönlich geschrieben. Die Aussage des neuen Partners wird dem Ehegatten selbst zugerechnet usw. Der fundamentale Attributionsfehler begünstigt diese Sicht. Immer wird alles dem Gegner zugerechnet, so dass er verantwortlich wird. Natürlich erwidert der Gegner die Verantwortungszuschreibung in umgekehrter Richtung. Es entsteht ein Vakuum, das die Abhängigkeit vom Gegner verstärkt.
Interessen
In dem komplexen Streitsystem kommen die unterschiedlichsten Interessen zusammen, die nicht unbedingt harmonisiert sind und die über die eigentlichen Interessen der Streitparteien hinausgehen. Die Berater möchten verdienen, die Entscheider möchten den Fall erledigen, manche möchten die Kinder beschützen, die Parteien möchten einander vernichten und Rache üben, die Angehörigen und Freunde möchten zeigen, dass sie hinter der Partei stehen, und, und, und. Längst ist das Ziel nicht mehr die Konfliktlösung. Es geht, auch wenn das nicht zugestanden wird, um etwas anderes.
Ziele
Die unkoordinierten Interessen und das zuvor dargestellte erweiterte Streitsystem verleiten zu konträren Sichten, Bewertungen, Ab- und Ausgrenzungen. Das Streitsystem ist konfrontativ angelegt. Es werden unterschiedliche Ziele (Lösungen) verfolgt. Sie verhindern ein paralleles Denken und führen in die Konfrontation. Faktisch laufen verschiedene Prozesse ab, die nicht aufeinander bezogen werden.8 Dass die Parteien im Streit ein gemeinsames Ziel haben könnten, erscheint ganz unwahrscheinlich. Und dennoch ist es so.
Mithin ist nicht das Ziel konträr (wenn auf den Nutzen abgestellt wird), sondern die Vorstellung von der dahinführenden Lösung. Das gemeinsame Ziel ist die Autonomie und die Wiederherstellung der Individualität der jeweiligen Ehegatten.
Fokus
Der Fokus ist auf die Vernichtung des Gegners gerichtet, was Verteidigung und Angriff bedeutet. Die einzig mögliche Strategie scheint die Konfrontation zu sein. Die Eskalation ist ihr Ausdruck. Die Wahrnehmung wird von der Konfrontation geprägt, sodass selbst Friedensangebote als Hinterhalt oder Täuschungsmanöver verstanden werden. Der Fokus führt zu einer Selektion, die den Kontext aus dem Blick verliert.
Sicherlich erleichtert der selektierende Fokus die Bewertung. Er führt aber auch zu falschen, einseitigen Bewertungen und deshalb in das Problem hinein statt hinaus9
.
Themen
Die Komplexität macht sich auch bei der Themenvielfalt bemerkbar. Es ist nicht nur eine einzelne Frage, die im Zusamenhang mit der Trennung zu regeln ist. Es sind viele Fragen, die juristisch voneinander getrennt werden, psychologisch aber nicht zu trennen sind. Die Fragen betreffen verschiedene Streitdimensionen und werden zu Schlachten in einem großen Krieg. Anzusprechen sind meist die gleichen Themen wie in jeder Scheidung:
Konflikte
Die zu lösenden Probleme sind die Sachkonflikte. Der Konfliktmotor ist meist ein ungeklärter Beziehungskonflikt auf der Paarebene. Meist wird er dadurch ausgelöst, dass die Berechtigung und die Notwendigkeit der Trennung und damit der Zustand der Beziehung nicht gleich gesehen wird. Der Beziehungskonflikt diffundiert in viele andere Konflikte, was die Unübersichtlichkeit verstärkt.
Emotionen
Das Handeln der Parteien (und nicht nur der Parteien) ist emotionsgesteuert. Man könnte sagen:
Diese Erkenntnis beweist die Aussichtslosigkeit des Krieges, denn Emotionen sind nicht verhandelbare Tatsachen! Sie können nicht wiederlegt, überzeugt, gerechtfertigt oder negiert werden. Das einzige was sie möchten, ist gesehen und korrekt verstanden zu werden. Ein schwieriges Unterfangen, wenn die eigenen Emotionen im Wege stehen, die des anderen zu akzeptieren. Wenn der Rosenkrieg ein Krieg der Gefühle ist, warum lässt man dann nicht die Gefühle gegeneinander antreten, sondern Lösungen, Argumente und Peinlichkeiten?
Oft wird die Erkenntnisfähigkeit des Emotionenkrieges durch das Helfersystem erschwert. Es kommt zu strukturellen Kopplungen, die die Gefühle der Parteien rechtfertigen, verstärken und aufrechterhalten, anstatt sie zu verstehen um sie beizulegen. Der Rosenkrieg wird zu einem Kampf, dessen Sieg nur in der Befriedigung gefunden werden kann. Aber in welcher?
Die Emotionen werden missbraucht und fehlgedeutet, anstatt sie zu (be)achten. Man sieht den Feind, nicht den Menschen, in dem die Gefühle entstanden sind. Es geht also nicht um die Frage, warum ein Gefühl aufgekommen ist und wer dafür verantwortlich ist. Es geht um die Frage, was nötig ist, um es zu überwinden. Der Kontrast zu dem Gefühl, das es zu überwinden gilt, zeigt den Weg wie es zu überwinden ist.
Traumata
Ausgangspunkt aller Überlegungen sind psychische Verletzungen. Sie werden Traumata genannt. Interessanterweise sieht die Partei ihre Heilung nicht darin, der anderen Partei zu vermitteln, wie stark diese Verletzungen sind. Sie wird darin gesehen, der Gegenpartei eine gleichwertige Verletzung zuzufügen, wohl um ihr zu zeigen, wie stark die Verletzung ist. Der Wunsch wird umso größer, je mehr die Gegenpartei die Verletzung nicht wahrnehmen will.
Gefühle, die als Vorwürfe vermittelt werden, erwirken statt des Verständnisses einen Gegenangriff. Dieser wiederum wird als ein weiterer Stich in die Wunde verstanden, sodass er die Verletzungen verstärkt.
Ganz im Sinne des Dramadreiecks wechseln die Rollen von Täter, Opfer und Helfer. Die Wunden werden ständig wieder aufgerissen, eine Heilung wird verhindert.
Trennungsphasen
Die Parteien befinden sich in einem voneinander abweichenden Stadium der Trennung. Die eine Partei hatte Gelegenheit sich mit der Frage der Trennung auseinanderzusetzen, die andere Partei nicht. Es kommt zu einer Verschiebung der Trennungsphasen, die für sich gesehen schon ein erhebliches Reibungspotenzial in sich birgt.
Balance
Das System ist völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Man versucht das Gleichgewicht wieder herzustellen, wobei die Momentaufnahme entscheidet. Zukunftsoptionen werden nicht gesehen. Es gibt wenig Raum für Hoffnung. Im Vordergrund steht das Gefühl, dass es dem Gegner nicht besser gehen soll als einem selbst. Aus diesem Gefühl entstehen Abhängigkeiten. Sie halten Beziehung aufrecht und verhindern eine Neugestaltung. Die Neugestaltung wird den durch den Konflikt geschaffenen Fakten überlassen. Kontrolle geht verloren. Umso mehr als man versucht Kontrolle zu bekommen.
Lösungsoptionen
Es gibt unabänderliche Fakten (Axiome), denen sich das Streitsystem (die Partei) zu stellen hat. Die daraus resultierenden Arbeitsbedingungen sind:
- Die Vergangenheit lässt sich nicht reparieren
- Eine Beziehung lässt sich nicht beenden. Eine Ex-Beziehung ist auch eine Beziehung. Die Beziehung wandelt allenfalls ihr Gesicht und ihre Bedeutung.
- Besonders in einer Beziehung aus der Kinder entstanden sind, ist es nicht möglich, den anderen Ehegatten / Elternteil aus dem Leben zu werfen. Auch eine völlige Unabhängigkeit ist nicht möglich.
- Hass bedeutet Abhängigkeit und ist deshalb eine intensiv gelebte Beziehung.
- Emotionen lassen sich nicht auf der Sachebene bereinigen. Man muss sich Ihnen stellen.
- Wer nicht das gleiche Ziel verfolgt kann nicht den gleichen Weg gehen.
- Gefühle werden sich verändern. Sie können nur einen begrenzten Zeitraum aufrechterhalten werden.
- Die Trennung ist keine rein private Entscheidung. Sie wirkt sich gegebenenfalls auf die Kinder, das soziale Umfeld und den Arbeitsplatz aus.
Zielvereinbarung
Ein erster Schritt in eine konstruktive Konfliktlösung ist die Vereinbarung eines gemeinsamen Ziels. Je weiter das Ziel in der Zukunft liegt, umso eher lässt sich eine Gemeinsamkeit finden. Frieden wollen im Zweifel alle. Also muss das Ziel sein, den Frieden zu finden.
Zielausrichtung
Wenn das Ziel zwischen den Parteien (gegebenenfalls mithilfe der Berater und Institutionen) vereinbart ist, müssen die anderen am Streit beteiligten Personen ebenfalls auf dieses Ziel eingestimmt werden.
Emotionen
Gefühle wollen etwas zum Ausdruck bringen. Sie bedürfen keiner Rechtfertigung und können auch nicht hinzu- oder hinwegargumentiert werden. Gefühle sind beachtlich. Werden sie ignoriert machen Sie sich nur umso deutlicher. In juristischen Prozessen drücken Sie sich an vermeintlichen Sachargumenten aus. Die Gerechtigkeit, die selbst ein Gefühl ist, wird als Sachargument missbraucht. Es kommt darauf an die Ebenen zu trennen und das Beziehungsgefüge zwischen den Parteien zunächst zu klären. Wenn die Parteien über ihre Beziehung die gleiche Sicht haben, kann sich der Streit auf der Sachebene auf diese Ebene beschränken.
Konfliktanalyse
Es ist wichtig die Konflikte voneinander zu trennen und herauszufinden, welcher der Konflikte der Konfliktmotor ist. Auf diesen Konflikt muss man sich konzentrieren. Was sich wie ein Kindschaft Konflikt anfühlt ist oft ein Paarkonflikt. Was sich wie ein Vermögensteilungskonflikt anfühlt ist auch meist aus dem Paarkonflikt heraus zu erklären.
Beziehungsklärung
Die Tatsache dass die Parteien auf die Trennung eine unterschiedliche Sicht haben, indiziert dass sie auch auf ihre Beziehung an unterschiedlichen Sicht haben. man kann auch vermuten, dass die Trennungsbeziehung unterschiedlich gewertet wird. Hilfreich ist es die Trennungsphasen gegeneinander abzugleichen und ein Verständnis für den Trennungsprozes herbeizuführen. Dazu kommt eine Beziehungsklärung. Eine Trenungsbieziehung ist auch eine Beziehung. Besonders wenn die Parteien Kinder haben, bleibt eine Elternbeziehung aufrechterhalten. Die Trennung verbindet sich mit einer Vision für ein autonomes Leben. Es gehört deshalb zur Beziehungsklärung, eine gemeinsame Vision für das zukünftige mit- oder nebeneinander zu bilden.
Waffenstillstand
Wenn der Konflikt isoliert ist, kommt es darauf an über diesen zu verhandeln, bis er beigelegt werden kann. Einflüsse von außen sollten abgeschottet oder zielharmonisiert werden. Die Parteien müssen daran gehindert werden, die Streitebenen und damit zusammenhängend die Verfahren zu wechseln, bis ein Thema abgearbeitet ist. Eine Waffenstillstandsvereinbarung wäre dafür eine Option. Das Umfeld sollte mit darauf achten, dass die Parteien aus dem Verfahren nicht ausbrechen können, damit aus dem Streit kein Hase und Igel Spiel wird. Hier sind gegebenenfalls autoritäre Grenzsetzungen erforderlich.
Empowerment
Sowohl juristisch wie auch psychologisch bedeutet die Trennung die Wiederherstellung der Individualität und Autonomie. Hass bewirkt das Gegenteil. Parteien, die dem Hass erlegen sind, brauchen eine Stärkung und vertrauen in sich selbst. Ihr Blick muss vom Gegner gelöst werden und sie müssen in die Lage versetzt werden, ihr Schicksal unabhängig vom Gegner zu beurteilen und zu gestaltenDabei muss Ihnen bewusst sein, dass eine völlige Unabhängigkeit und Autonomie nur bedingt möglich sind durch die Verpflichtung zu Unterhaltszahlungen, wegen der gemeinsamen Kinder und gegebenenfalls der Finanzierungsleistungen um Ausgleichszahlungen zu erbringen, werden die Parteien sich nachhaltig im Gedächtnis behalten - ob sie es wollen oder nicht. Die maximal mögliche Befreiung entsteht aus dem Sieg über sich selbst, nicht aus dem Sieg über den Gegner. Sie wird möglich, wenn man sich wieder wie normale Menschen begegnen kann..
Bedeutung für die Mediation
Im Grunde stellt die Mediation alle Methoden und Techniken zur Verfügung, um mit solchen Konflikten umgehen zu können. Insbesondere ist die (transformative) Mediation in der Lage, alle Dimensionen der Komplexität einzubeziehen und die Sichten auf sich und das Problem zu korrigieren. Was der Mediation gegebenenfalls fehlt, ist das autoritäre Element, das die Parteien in der Kooperation hält. Die Parteien werden versuchen, aus dem Einigungsprozess auszubrechen. Der Grundsatz der Freiwilligkeit macht es ihnen leicht. Glasl meint deshalb, dass eine Mediation bei hoch eskalierten Konflikten gar nicht möglich sei.
Die auf der kognitiven Mediationstheorie beruhende integrierte Mediation relativiert diese Einschätzung. Sie hält die Kompetenz der Mediation gerade in solchen Fällen für eine optimale Herangehensweise. Allerdings wird die Mediation in derart hoch eskalierten Fällen erst bei einer systemischen Betrachtung möglich, wenn es dem Mediator (Sachbearbeiter oder Richter) gelingt, das gesamte Streitsystem auf eine gemeinsame Zielsetzung einzustimmen. Er könnte zu dem Zweck mit dem Gericht, dem Jugendamt, den Anwälten und gegebenenfalls dem Gutachter zusammenarbeiten. Ziel der Zusammenarbeit muss es sein, die Parteien zur Kooperation (nicht zu einer Lösung oder Sichtweise!!!) zu zwingen und in dem kooperativen Prozess zu halten.
Ein Beispiel für diese Zusammenarbeit ist das sogenannte Altenkirchener Modell. Ein anderes Beispiel ist die CochemerPraxis. Wenn man sich diese Form der Zusammenarbeit nicht unidirektional (also ausschließlich vom Gericht ausgehend), sondern bidirektional (also auch vom Mediator initiierbar) vorstellt, kann das Modell auch auf die Mediation übertragen werden, so wie sich das Mediieren so oder so auch im Gerichtsverfahren wiederfindet10
Was tun wenn ...
- Die Eheleute versprühen Hass gegeneinander
- Der gegnerische Anwalt macht sich zum Gladiator der Gefühle und treibt in die Eskalation
- Die Parteien wechseln ständig die Kommunikationsebenen und Denkmodelle
- Weitere Empfehlungen im Fehlerverzeichnis oder im Ratgeber
Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen
Alias: Scheidungskrieg, Rosenkriege
Included: Familienmediation
Siehe auch: Familienmediation, Beziehungsarbeit, Paarkonflikt Scheidung, Kindschaftssachen
Prüfvermerk: -