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Machtgefälle in und außerhalb der Mediation

Wissensmanagement » Diese Seite ist der Kategorie Konfliktphänomenologie des Archivs in der Wiki-Abteilung Wissen zugeordnet. Eine logische Verknüpfung erfolgt mit der Rubrik Konflikt, also dem 6. Buchabschnitt des Fachbuchs Mediation. Bitte beachten Sie auch:

Konflikt Machtgefälle Aggression Konfrontation Gewalt Macht Eskalation Deeskalation

Die Ausbildungsverordnung (ZMediatAusbV) erwähnt dass Machtgefälle im Zusammenhang mit dem Umgang mit schwierigen Situationen in seinem Anhang. In manchen Beschreibungen zur Geeignetheit der Mediation wird das Machtgefälle sogar als Hinderungsgrund aufgeführt. Konflikte, in denen ein Machgefälle vorkommt, zählen zu den assymetrischen Konflikten, wo die Kräfteverhältnisse ungleichmäßig verteilt sind. Macht und Gewalt spielen in und außerhalb der Mediation eine große Rolle.

Was ist ein Machtgefälle?

Macht wird als die Möglichkeit oder Fähigkeit definiert, dass jemand etwas bewirken oder beeinflussen kann. Sie bezeichnet auch die Gewalt, die jemand aufgrund seiner Position oder seines Amtes innehat, so dass er über andere bestimmen kann. Ein Machtgefälle stellt sich her, wenn die eine Person in einer Beziehung Gewalt über eine andere Person bekommt.

Bewertung der Macht und des sich daraus ergebenden Gefälles

Irgendwie hat der Begriff Machtgefälle eine negative Bedeutung. Insbesondere dann, wenn er die Ohnmacht einer Partei unterstellt. Genau betrachtet gibt es überall Machtgefälle im sozialen Leben. Der Vorgesetzte hat Macht gegenüber dem Angestellten. Auch in Beziehungen ist die Macht nicht immer gleich verteilt. Bei symmetrischen Beziehungen versuchen beide Parteien den gleichen Machtanteil auszuüben. Bei komplementären Beziehungen ist das schon anders. Wenn wir auf die soziologische Struktur einer Gruppe schauen, stellen wir fest, dass sich dort auch stets eine Machtbeziehung herstellt. Es gibt eine Alpha, Beta, Gamma und Omegaposition, die sich in jeder Gruppendynamik herstellt. Auch sie stellen Machtgefälle her, die von den Menschen durchaus gewünscht sind. Manche Menschen sind sogar froh, wenn andere für sie Entscheidungen treffen. Es geht also nicht darum, ob ein Machgefälle vorliegt, sondern darum wie und wofür die Macht genutzt wird.

Machtausübung und Machtmissbrauch

Wenn auch ein Machtgefälle gewollt sein mag ist es der Machtmissbrauch sicherlich nicht. Vielleicht ist es auch für die Mediation besser statt von einem Machtgefälle von einem Machtissbrauch zu reden. Davon ist auszugehen wenn jemand seine Machtstellung unlauter ausnutzt und seine Befugnisse überschreitet. Aber auch in einem solchen Fall ist eine Mediation nicht von vornherein ausgeschlossen. Sie wäre darauf angewiesen, eine Missbrauchseinsicht zu erzielen.

Macht im Mediationssytem

In der Systemik der Mediation haben wir bereits das Konfliktsystem von Mediationssystem isoliert. Die Mediation bildet sozusagen eine Exklave, in der andere Regeln gelten als in der Umwelt oder im Konfliktsystem. Es ist die Aufgabe des Mediators das Mediationssystem so einzurichten, dass alle Beteiligten auf gleicher Augenhöhe verhandeln können. Innerhalb der Mediation ist zumindest im theoretischen Modell die Macht deshalb gleichmäßig verteilt. Sie wird durch den Grundsatz der Freiwilligkeit garantiert.

Machtungleichgewicht im Mediationssystem

In der Mediation darf es kein macht Ungleichgewicht geben. Auf der Parteiseite schützt das Prinzip der Freiwilligkeit davor auf der Mediatorenseite ist es die Allparteilichkeit und seine Verpflichtung darauf zu achten, dass sich die Parteien über ihre Freiwilligkeit bewusst sind und diese auch ausüben können. Ein Problem taucht erst auf, wenn das nicht mehr gewährleistet ist.

Die Allparteilichkeit erlaubt es dem Mediator, ein Ungleichgewicht auszugleichen. Er wird die eloquente Partei etwas ausbremsen, und die wenig redegewandt Partei unterstützen, indem er das Gesagte so übersetzt, dass beide Parteien es verstehen können. Wenn die Allparteilichkeit dafür nicht ausreicht, das der Mediator darauf drängen, dass die schwächere Partei einem Beistand bekommt. Es ist nicht unwahrscheinlich dass die stärkere Partei damit sogar sehr einverstanden ist, weil nur so Verhandlungsbedingungen geschaffen werden. Im Zweifel muss der Mediator des Ungleichgewicht ansprechen und mit den Parteien überlegen, wie er es ausgleichen kann.

Machtungleichgewicht im Konfliktsystem

Wenn außerhalb der Mediation ein Machtungleichgewicht besteht, kommt die Frage auf was mit einer im Gleichgewicht geschaffenen Regelung geschieht, wenn die Parteien wieder auf sich selbst gestellt sind. Auch diese Frage wird in der Mediation spätestens bei der Kontrolle der Nachhaltigkeit einer Abschlussvereinbarung zu thematisieren sein. Wenn die unterlegene Partei das Problem nicht selbst anspricht, ist es die Pflicht des Mediators darauf hinzuweisen. Gemeinsam kann man dann überlegen, ob und wie ein späterer Machtmissbrauch verhindert werden kann.

Die Macht des Mediators

Juristisch gesehen hat der Mediator überhaupt keine Macht. Meditativ gesehen braucht er auch keine. Die Macht der Mediation ist seine Macht. Sie basiert auf Einsicht und Erkenntnis.
Der Gesetzgeber hat die Verschwiegenheitspflicht des Mediators übrigens zum Schutz der unterlegenen Partei aufgeweicht. Wörtlich wird ausgeführt:

Die Verschwiegenheitspflicht gilt sie nicht, soweit die Offenlegung aus vorrangigen Gründen der öffentlichen Ordnung (ordre public) geboten ist, insbesondere um eine Gefährdung des Wohles eines Kindes oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Integrität einer Person abzuwenden,


Theoretisch kann sich der Mediator also an die Behörden wenden. Zumindest kann er, wenn die unterlegene Partei dies wpnscht als Zeuge auftreten. Ob der Schritt an die Behörden oder mit seiner Rolle zu vereinbaren ist, muss jeder selbst entscheiden. Wenigstens wäre der Mediator verpflichtet, auf diese Möglichkeit hinzuweisen, wenn die Vertraulichkeit vereinbart wird. Er riskiert anderenfalls, dass er eine Fairness und Transparenz, die von den Parteien erwartet wird, selbst nicht einhält.

Er hat stets die Möglichkeit, das Verfahren auf die Situation anzupassen. Die Empfehlung zur Hinzuziehung eines Beistandes (mit dem wieder alle einverstanden sein müssen) wurde bereits erwähnt. Wenn er die Sorge hat, dass die ohnmächtige Partei sich in Gegenwart der mächtigen Partei nicht frei äußern kann, sind getrennte Gespräche anzuraten. Der Mediator mag sich dafür interessieren, warum es zum Machtmissbrauch kommt. Wenn es gelingt, die Situation zu ändern, ändert sich der Mensch. Es gibt also einige Optionen, das Problem in den Griff zu bekommen. Entscheidend ist das der Mediator sich selbst nicht in ein Machtgefälle begibt. Das Gesetz schützt insofern, als es seine Unabhängigkeit ausdrücklich erwähnt hat. Der Mediator ist somit eventuellen Weisungen der Parteien nicht unterworfen. Die Unabhängigkeit erlaubt es ihm, und die Rolle erwartetes von ihm, dass er stets außerhalb des Konflikts oder Streitsystems positioniert ist. Nur so hat er die Möglichkeit, den Parteien einen Spiegel vorzuhalten und dafür zu sorgen, dass die Parteien die Situation erkennen und nach Möglichkeiten suchen, wie sie im Einvernehmen zu regeln ist.

Bedeutung für die Mediation

Der Mediator hat die Aufgabe, dafür sorgen, dass die Parteien auf gleicher Auigehhöhe verhandeln können.1 Das Machgefälle kann eine Hürde darstellen, die es den Parteien erschwert, sich dem Konflikt zu stellen.2 Wenn sich das Machgefälle nicht auflösen lässt kann daraus ein Mediationshindernis werden.3 Wenn sich das Machtverhältnis in der Mediation auflösen lässt, sodass die Parteien auf gleicher Augenhöhe verhandeln und in der Lage sind, die Machtverhältnisse zu klären, ist es eine Frage der Nachhaltigkeit und der Vollziehbarkeit der Einigung, wie sich das Machtverhältnis in Zukunft gestaltet und welche Auswirkungen es auf den Konflikt nimmt. Diese Fragen sind zusammen mit der Abschlussvereinbarung zu klären.

Der Mediator oder die Mediatorin sollten sich im Klaren sein, dass die dem anderen zugeschriebene Macht mit der selbst wahrgenommenen Ohnmacht einher geht. Im Vordergrund steht also die Frage, ob überhaupt ein Machtungleichgewicht besteht und wie die Parteien damit umgehen. Gegebenenfalls muss der Mediator überlegen, wie er die sachwächere Partei unterstützt.4

Beispiel 12038 - Schon bei der Frage in der 2.Phase, wer damit anfangen soll das Problem zu schildern, kommt zwischen den Eheleuten ein gehöriger Streit auf. Der Mediator fühlt sich inspiriert zu fragen: „Wer von Ihnen ist eigentlich der dominante Teil?". Plötzlich zeigt jeder Partei auf die Gegenseite. Der Mediator meldet zurück: „Aha, Sie halten den jeweils anderen Ehegatten für den dominanten Teil". Die Parteien sind überrascht. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass dies möglich ist. Die Dominanzfrage (und der Dominanzbedarf) werden sodann sachlich une einfühlsam erörtert.


Es gibt aber auch Fälle, wo die Partei ihre Macht missbraucht, indem sie die Gegenseite unter Druck setzt. Dabei kommt es mitunter zu subtilen Fällen. Schon der Filibusterer übt eine Macht aus, die ihm der Mediator nicht zugestehen sollte. Auch die ultimative Einflussnahme von verhandlungsstarken Parteien sollte der Mediator unterbinden. Sie passt nicht zur Mediation.

Beispiel 12039 - Die Mediation verhandelt einen Leistungsaustausch. Der reiche Geschäftsmann ist dazu aber nur bereit, wenn er eine genau spezifizierte Gegenleistung erhält. Die Gegenpartei ist dazu nicht bereit, hat aber kaum eine andere Wahl, weil der reiche Geschäftsmann sein Angebot davon abhängig macht. Für die Gegenpartei geht es um alles oder nichts. Der Mediator versuicht die Lösungsoffenheit einzufordern. Verbal ist der Geschäftsmann dazu bereit. Hinter dem Rücken lässt er seien Anwalt aber immer neue Vertragsentwürfe vorbereiten, sodass die Bemühungen des Mediators, die Lösung aus der 3.Phase zu entwickeln ständig torpediert werden. Der Geschäftsmann sieht in seinem verhalten keinen Machtmissbrauch, sondern lediglich ein Angebot das die Gegenseite annehmen kann oder nicht. Dann muss sie halt mit den Konsequenzen rechnen.


Entscheidend ist stets, ob es dem Mediator gelingt eine lösungsoffene Verhandlung auf gleicher Augenhöhe herzustellen. Wenn eine Partei ihre Macht nachhaltig missbraucht, ensteht ein Mediationshindernis.5 Der Mediator muss die Mediation gegebenenfalls abbrechen. Das Kündigungsrecht gem. §2 Abs. 5 Mediationsgesetz ermächtigt ihn dazu. Seine in §1 Abs. 2 Mediationsgesetz verbriefte Unabhängigkeit befreit ihn von jeder Weisungsgebundenheit, auch wenn die mächtige Partei die Auftraggeberin ist..

Was tun wenn ...

Hinweise und Fußnoten
Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen
Bearbeitungsstand: 2024-03-09 13:39 / Version .

Alias: Machtmissbrauch, Machtungleichgewicht, Machtgleichgewicht
Siehe auch: Herausforderung
Prüfvermerk:

1 Die Aufgabe wird im Aufgabenverzeichnis erfasst als: gleiche Augenhöhe herstellen
2 Die Herausforderung wird erfasst als: trackeritem:12037
3 Das Verfahrenshindernis wird erfasst als: trackeritem:12037
4 Die Aufgabe wird im Aufgabenverzeichnis erfasst als: Unterstützung der Parteien
5 Das Verfahrenshindernis wird erfasst als: trackeritem:12040


Based on work by Bernard Sfez und Arthur Trossen und anonymous contributor . Last edited by Arthur Trossen
Seite zuletzt geändert am Donnerstag März 28, 2024 23:11:08 CET.

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