Wie lässt sich der Rhythmus der Mediation überhaupt veranschaulichen, sodass er nicht nur von einigen wahrgenommen wird?
Schon mit dem Wort Rhythmus kommt die Assoziation zur Musik auf. Noch deutlicher wird der Zusammenhang mit dem Hinweis auf eine Komposition. Immerhin ist die Musik auch die Grundlage des Tanzes. Die Analogie zur Musik verdichtet sich noch weiter, wenn der Blick auf ihre Bausteine gelenkt wird. Dann kommen neben der Dynamik und der Rhythmik auch die Melodik und die Harmonik in den Blick des Betrachters.1 Auch insoweit stellen sich Parallelen zur Mediation her. Sie mögen dazu beitragen, die Magie der Mediation2 besser zu verstehen und in ihrem Rhythmus zu denken.
Parallelen der Musik zur Mediation
In der Sprache der Musik beschreibt die Dynamik nach Hörmann nur den Unterschied zwischen laut und leise. Damit stellen sich in der Mediation Parallelen zur paraverbalen Kommunikation her.3 Die Parteien wechseln die Stimmlage und die Lautstärke, wenn sie in der Mediation agieren, recht häufig. Auch ihre Sprachmelodie wechselt mehrfach.4 Die sich daraus ergebenden Spannungen geben Hinweise auf die Konfliktdynamik, die der Mediator für die Mediation zu nutzen weiß.5
Der Rhythmus entspricht der Taktgabe. Er findet sich auch im Herzschlag wieder, wodurch eine untrennbare Verknüpfung mit dem Körper stattfindet. Trotz aller Grundsätzlichkeit hat jeder Mensch seinen eigenen Takt und sein eigenes Muster, in dem er sich bewegt. Bei dem Vergleich mit der Mediation könnte man sagen, dass die Parteien nicht im gleichen Takt spielen. Jetzt kommt es darauf an, die unterschiedlichen Rhythmen in eine gemeinsame, von der Mediation vorgegebene Taktgebung zu überführen.
Hörmann beschreibt die Melodik als ein aufeinanderfolgendes Erklingen von Einzeltönen. Die Töne werden mit dem Rhythmus als konzeptualer Baustein verknüpft. Die Töne könnten in der Mediation mit den Worten oder besser gesagt mit den Informationen verglichen werden. So wie im westlichen Tonsystem zwölf Töne in unterschiedlichen Oktaven eine Unzahl von Melodien ermöglichen, fixieren die Dimensionen in der Mediation eine unbestimmte Zahl von Kontrapunkten, die sich im Rhythmus der Mediation auf zwei getrennten Ebenen wiederfinden lassen.6 Man könnte die beiden voneinander zu unterscheidenden Ebenen mit zwei Oktaven (Tonlagen) gleichsetzen. Auf der 1. Oktave spielt der Streit. Es ist die hohe Tonlage, das "ewige Eis". Auf der zweiten spielt die Mediation. Es ist die wohl temperierte 2. Tonlage.
Die Harmonik wird als ein Konstrukt beschrieben, das entsteht, wenn mehrere Töne zum gleichen Zeitpunkt zusammen erklingen. Hörmann sieht darin einen Baustein, mit dem sich die musikalische Information transportieren lässt. Den Akkord nennt er als ein Beispiel. In der Mediation kommen die Töne der Parteien zumindest zunächst nicht unbedingt als Gleichklang rüber. Die Informationen passen nicht zusammen. Die Harmonie, in der die Informationen auf der ersten Oktave zusammenpassen, muss erst noch erzeugt werden. Nur wenn man genauer hinschaut, wird erkennbar, dass einige Informationen auf der zweiten Oktave schon zusammengeführt werden können. Es gibt von Anbeginn an viele (kleine) Vereinbarungen, die zunächst zwar nur das Verfahren betreffen, sodass wohlklingende Akkorde auf dieser Tonlage mit Dissonanzen auf der anderen Tonlage abwechseln.
Die Umsetzung der Mediation in der Musik
Die Idee war und ist, schon aus didaktischer und pädagogischer Sicht, den Ablauf der Mediation in seiner Dynamik, Rhythmik, Melodik und Harmonik spürbar zu machen. Das Ziel besteht darin, einen analog wahrnehmbaren, sinnlichen Eindruck zu vermitteln, wann die Mediation "rund" läuft. Das ist gar nicht so einfach, wenn sich die Mediation zunächst wie eine Komposition anfühlt, die vor Disharmonie und Atonalität nur so strotzt. Die Disharmonie ist jedoch ein Teil des Spiels, das in der Komposition der Mediation durchaus seinen Platz findet. Das heißt: Was sich unrund anfühlt, muß, auf die Komposition bezogen, gar nicht unrund sein, wenn es in der Gesamtkomposition seinen richtigen Standort findet.
Wenn schon von einer Komposition die Rede ist, wird ein größeres musikalisches Werk angesprochen. Jetzt bietet sich der Vergleich der Mediation mit einer Oper an. Eine Oper ist die Vertonung einer dramatischen Dichtung.7
Ein Drama wiederum beschreibt eine Handlung, bei der ein tragischer Konflikt dargestellt wird. Genau darum geht es letztlich auch in der Mediation. Nur dass der Konflikt, das Drama nicht dargestellt wird. Es ist real. Somit ergeben sich, wenn wir das Drama und die Oper zusammenführen und auf die Mediation beziehen, zwei getrennte Handlungsebenen;FOOTNOTE()}Siehe Systemik{FOOTNOTE}die Oper und das real existierende Drama. Die beiden Handlungsebenen lassen sich musikalisch mit den beiden, bereits angesprochenen Oktaven (unterschiedlichen Tonlagen) vergleichen. Man könnte sagen, die Oper ist die Mediation. Das ist die eine Handlungsebene, die auf der wohltemperierten 2. Oktave spielt. Der Konflikt, der auf der ersten Oktave spielt, erscheint in dieser Komposition wie ein Zwischenspiel, auch wenn die Oktaven darüber hinausgehend öfter wechseln, als wollten sie herausfinden, welches die dominante Tonlage sein soll. Man könnte sagen, das sich das Zwischenspiel nicht genau abgrenzen lässt und dass es ständig versucht, den Verlauf der Oper zu stören, am Anfang mehr und am Ende weniger und im Idealfall gar nicht mehr. Das macht die Spannung aus, die den Handlungsverlauf der Oper so interessant macht. Es zeigt auch, wie wichtig es ist, die zweite Tonlage dominant werden zu lassen.
Eine Oper wird in Akte gegliedert. Die Akte lassen sich wie die Kapitel eines Handlungsstranges abgrenzen. Die Mediation wäre deshalb mit einer Oper zu vergleichen, die aus fünf Akten besteht. Die Akte werden in der Mediation in den Phasen abgebildet.
Bevor es losgeht
Wie in der Oper geht der Veranstaltung das Stimmen der Instrumente im Orchestergraben voraus. Das hört sich oft ganz schaurig an. Es gibt keine Harmonie, keinen Rhythmus, keine Melodie. So in etwa ist die Stimmung der Parteien, wenn sie zur Mediation kommen. Sie erwarten das Schlimmste. Gleich müssen sie mit dem verhassten Gegner auch noch in ein Gespräch treten. Sie sind unruhig und wissen nicht, was auf sie zukommt. Sie erleben das Chaos und haben noch keine Idee, ob und wie sie da jemals herauskommen.
1. Akt: Phase eins
Der Vorhang öffnet sich. Wie in der Oper ist der erste Akt die Ouvertüre. In der Mediation wird sie als Initialisierung bezeichnet. Es ist eine Einführung in das, was kommen mag. Der Mediator stimmt die Parteien mit der auf den Nutzen gerichteten Zielvereinbarung auf ein happy End ein. Das Gespräch bezieht sich auf das Verfahren. Es ist also ganz ungefährlich. Die Parteien beruhigen sich etwas und fahren herunter. Sie reden nicht miteinander. Sie sind aber auf der Lauer, was der andere sagt. Die Dynamik wird zurückgefahren. Die ersten leisen Akkorde werden hörbar, wenn man sich über die Mediationsregeln verständigt. Der dominierende Akkord schließt die 1. Phase ab. Er endet in der Vereinbarung über die Mediation.
2. Akt: Phase zwei
Jetzt beginnt das Zwischenspiel, das die ganze Tragik des Konfliktes aufdeckt. Auf der ersten Oktave entstehen zwei parallel verlaufende Harmonien, die im Zusammenspiel jedoch eine grauenhafte Disharmonie ausdrücken. Die Parteien erregen sich. Die Aggression nimmt zu. Es droht ein Kontrollverlust. Der Konflikt macht sich mit kreischenden und lauten Hochtönen bemerkbar. In unserer Oper spielt der Konflikt eine eigene Rolle. In einer Oper wäre diese Rolle die Repräsentation des Bösen. Der Konflikt ist, wenn man so will, ein weiterer Akteur, der auf die Bühne gerufen wird. Die Opernrolle der Diva passt dafür am besten ins Bild.8 Die Parteien lassen sich von ihr instrumentalisieren und aufmischen. Sie sind sehr aufeinander bezogen und müssen sich stets ins Wort fallen. Der Mediator überlagert die Disharmonie, indem er die Diva als neu hinzugekommenen Akteur identifiziert. Er hält den von der Diva verursachten Widerspruch auf der zweiten Oktave fest und schränkt das Argumentieren ein. Die Kontrapunkte werden nicht aufgelöst. Der 2. Akt endet wieder in einem Akkord, aber immer noch auf der 2. Oktave, wo sich die Parteien auf die Themen verständigen.
3. Akt: Phase drei
Die Oper der Mediation führt die Parteien in eine Phantasiewelt. Diese Welt bildet den Hauptteil der Oper ab. Die Diva tritt in den Hintergrund. Die Disharmonien werden aufgelöst. Die erste und die zweite Oktave gehen ineinander über. Hoffnung kommt auf, auch Neugier und Interesse. Es gibt mehr und mehr oktavenübergreifende Harmonien. Anders gesagt, versucht der Mediator in den Disharmonien die Harmonie zu entdecken. Die Spannungen lösen sich langsam auf. Die Parteien fangen an, sich auf die Rollen, die ihnen in der Oper zugeschrieben wurden, einzulassen und hören immer weniger auf die kreischende Diva. Aus den Solovorträgen wird ein Duett. Es ist noch holprig. Aber der Versuch eines Zusammenspiels wird erkennbar. Der 2. Akt endet wieder in mehreren Akkorden, wo die Parteien nachvollziehen können, was der Gegner denkt und fühlt. Es ist ein Gegenspiel von Akkord und Gegenakkord, aus dem sich ein neuer Akkord ableitet.
4. Akt: Phase vier
Jetzt wird die Phantasie in die Realität zurückgeführt. Die Diva versucht wieder ins Rampenlicht zu kommen. Die Erregung der Parteien ist wie in Lauerstellung. Sie sehen die Diva zwar nicht, haben sich von ihrem Einfluss aber auch noch nicht vollständig gelöst. Jeder wartet nur auf den Einsatz, um wieder in den eigenen Rhythmus und die Disharmonie der ersten Oktave zurückzufallen. Der Mediator verhindert den Rückfall. Er hält die Parteien in einer Balance zwischen der ersten und der zweiten Oktave. Er schickt die Diva von der Bühne und gibt jetzt den Takt vor. Langsam nehmen die Parteien das Heft in die Hand. Musikalisch formuliert, lassen sie sich auf den Takt ein und entdecken eine neue, eigene Harmonie. Das könnte eine neue, dritte aber ebenso wohltemperierte Oktave sein. Sie sehen, dass eine Befriedigung möglich ist. Die Spannung baut ab. Das Zusammenspiel klingt harmonisch, auch wenn es eine unbekannte Harmonie ist, an die man sich erst gewöhnen muss.
5. Akt: Phase fünf
Der letzte Akt ist das große Finale. In gewisser Weise wird die Bühnen-Öffentlichkeit hergestellt. Das Zwischenspiel wird beendet oder zu einer neuen Oper ausgebaut, die aber nach vorgegeben Regeln und ohne Streit abläuft. Es ist ein Finale, das Perspektiven für Künftiges eröffnet. Der Mediator ist übrigens nicht Teil des Finales. Auch die Diva ist jetzt nicht mehr zu sehen. Der Mediator hat sich bereits zuvor ganz unauffällig in die Zuschauerränge verabschiedet. Das Publikum applaudiert.
Die sinnliche Wahrnehmung
Versuche, die Mediation sinnlich wahrnehmbar zu machen und als Komposition zu verstehen, war ein Anliegen des Autors, um den Auszubildenden und den Medianden ein Gefühl für die Mediation zu vermitteln. Ein erster Ansatz findet sich in einem Musikstück wieder, das Andreas Wegener komponierte, weil ihm die Idee gefallen hat. Das Musikstück wurde als Hymne für den Verband integrierte Mediation hinterlegt.9 Es war nicht ganz das Gewollte, weil sich die Phasen dort nicht wiederfinden lassen. Ein weiterer Versuch wurde in einem Training unternommen, an dem zufälligerweise eine Musiktherapeutin anwesend war. Der Autor erzählte ihr von dem Vorhaben. Die Musiktherapeutin war begeistert von der Idee und half, sie wie folgt umzusetzen:
In einem Training brachte sie eine Menge an Instrumenten mit. Meist waren es zum Teil völlig unbekannte Percussion-Instrumente, die die unmöglichsten Töne erzeugen konnten. Jetzt wurden vier Rollenspieler ausgewählt. Ein Spieler sollte der Mediator sein, ein anderer der Konflikt, wieder ein anderer die eine und schließlich die andere Partei. Die Rollenspieler durften Instrumente wählen nach ihrem Geschmack. Es gab keine Vorgaben. Sie durften mit ihren Instrumenten nur Töne erzeugen und nichts sprechen. Die Therapeutin wollte allerdings, dass der Mediator ein von ihr ausgewähltes Instrument spielte. Sie gab ihm eine Conga. Interessanter Weise hatten die anderen Rollenspieler, besonders der, der den Konflikt spielen sollte, ganz hochtönige Instrumente gewählt. Die Vorführung begann mit einem großen Chaos. Besonders die hochtönigen Kreischgeräusche waren hörbar. Der Mediator schlug nur die Conga, wie ein Galeerentrommler. Es war bemerkenswert zu sehen, wie sich alle auf seinen Takt einstellten. Die hohen Töne wurden leiser. Der Konflikt verstummte sogar. Es war ein beeindruckendes Erlebnis. Aber kein Musikstück und erst recht keine Oper, sodass die Vielschichtigkeit der Mediation in dem Experiment auch noch nicht zum Ausdruck gekommen war. Es war aber ganz sicher nicht der letzte Versuch.
Arthur Trossen
Bild von fsHH auf Pixabay