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Der Grundsatz der Freiwilligkeit

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Grundsätze Freiwilligkeit Transparenzprinzip Offenheit Verschwiegenheit Verantwortung

Worum es geht: Die Freiwlligkeit assoziiert den freien Willen. Gehen Sie z.B. wirklich freiwlllig zum Zahnarzt? Gehen Sie unfreiwllig zum Gericht? Erscheinen Sie noch freiwillig in der Mediation, wenn Ihre Frau Ihnen sagt, dass Sie die Mediation schon wegen der Kinder machen müssen und dass sie sauer ist, wenn sie es nicht tun? Der Grundsatz der Freiwlligkeit hat einen ganz pragmatischen Hintergrund, was oft übersehen wird.

Einführung und Inhalt: Die Freiwilligkeit ist ein ganz wichtiger Grundsatz der Mediation, der sich auf ihre Fähigkeit zur Selbstregulierung auswirkt. Obwohl die Freiwilligkeit keine Frage ist, sondern eine Ansage, wird sie oft als eine Frage formuliert:

Sind Sie freiwillig hier?


Was soll die Partei auf diese Frage antworten und was antwortet sie im Falle einer verpflichtenden Mediation? Die Fragen legen es nahe, sich näher mit dem Grundsatz der Freiwilligkeit in der Mediation zu befassen. Ausgangspunkt ist die Frage, was Freiwlligkeit überhaupt ist.

  Das ist ein Grundsatz der Mediation
Mediationsgrundsätze sind grundsätzlich zu beachten. Dabei sind Regeln einzuhalten. Eine Verletzung der Grundsätze kann eine Pflichtverletzung begründen und zur Haftung führen.

Was ist Freiwilligkeit?

Möglicherweise impliziert das Gesetz die Frage nach der Freiwilligkeit, wenn es in §2 Mediationsgesetz verlangt, dass sich der Mediator vergewissern soll, dass die Parteien die Grundsätze und den Ablauf des Mediationsverfahrens verstanden haben und freiwillig an der Mediation teilnehmen. Auch wenn das Gesetz das Wort freiwlllig gleich zweimal erwähnt, sagt es nicht, was darunter genau zu verstehen ist und wie sich der Mediator über die Freiwilligkeit zu vergewissern hat. Die eingangs zitierte Frage "Sind Sie freiwillig hier?" leitet jedenfalls in die Irre. Ganz abgesehen davon, dass die Antwort eher das Motiv zurückgemeldet, genügt die Frage nicht, um das Prinzip der Freiwilligkeit in die Mediation einzuführen.1

Beispiel 15382 - Der Mediator führt die Parteien in der 1. Phase korrekt in die Mediation ein. Dann erkundigt er sich pflichtgemäß: "Sind Sie freiwillig hier?". Eine der Parteien antwortet: "Nein, meine Frau hat mich gezwungen. Sie hat gesagt, dass ich unbedingt hier herkommen soll, weil sie den Streit mit dem Nachbarn nicht mehr ertragen kann". Der Mediator sagt daraufhin: "Wenn Sie nicht freiwillig hier sind, kann ich die Mediation nicht durchführen. Die Partei sagt daraufhin: "Sagen Sie das bitte nicht meiner Frau. Die dreht mir den Hals um. Aber OK. Dann bin ich halt freiwillig hier. Wenn es denn sein muss?!?".


Nimmt die Partei in dem Beispiel jetzt freiwllig an der Mediation teil oder nicht? Kann der Mediator die Antwort so stehen lassen? Muss er die Mediation abbrechen oder auf die Partei einwirken? Vielleicht beantworten sich die Fragen, wenn Sie sich überlegen, ob Sie eigentlich freiwillig zum Zahnarzt gehen oder ob es der Zahnschmerz ist, der Sie zingt?

Der Begriff der Freiwilligkeit meint, dass eine Handlung oder Entscheidung aus freiem Willen und ohne Zwang erfolgt. Das bedeutet, dass die Person, die handelt oder entscheidet, die Freiheit hat, dies zu tun oder nicht zu tun, ohne dass sie durch äußere Faktoren gezwungen oder beeinflusst wird. Es wäre fatal, wenn bei der Frage nach der Freiwilligkeit ein philosophischer Maßstab zugrunde gelegt wird. In der Philosophie gibt es durchaus die Meinung, dass die Freiwilligkeit aufgrund von Determinismus oder anderen metaphysischen Einflüssen gar nicht existiert oder zumindest in Frage zu stellen ist. So würde ein Philosoph durchaus fragen, ob der Zahnschmerz noch einen freien Willen erlaubt.

Freiwilligkeit in der Mediation

Die Freiwilligkeit in der Mediation ist zum einen aus einer rechtlichen Perspektive zu beurteilen und zum anderen aus einer psychologischen. Die Mediation kommt durch einen Vertrag zustande. Damit wird der rechtliche Aspekt angesperochen. Unser Recht unterstellt, dass jeder Vertrag freiwillig geschlossen wird und ohne Willensmängel zustande kommt. Kommt es dennoch zu einem Vertragsabschluss, ist der Vertrag anfechtbar oder unwirksam. Was soll die Frage nach der Freiwlligkeit also, wenn die Parteien einen Mediationsvertrag abschließen oder abgeschlossen haben? Der Metzger fragt Sie auch nicht, ob Sie die Wurst wirklich freiwillig kaufen wollen, wenn Sie im Begriff sind sie zu zahlen. Die Motive, warum Sie die Wurst kaufen, interessieren ihn gar nicht. Zumindest nicht bei einem Vertragsabschluss. Sie interessieren nur, wenn es darum geht, das Angebot an die Nachfrage anzupassen oder den Käufer zum Vertragsabschluss zu motivieren. Genau das gleiche gilt in der Mediation.

Das Gesetz erwähnt die Freiwilligkeit in §1 Abs. 1: "Mediation ... Verfahren, bei dem Parteien ... freiwillig eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben" und in §2 Abs. 2: "Der Mediator vergewissert sich, dass die Parteien ... freiwillig an der Mediation teilnehmen". §2 Abs. 5 unterstreicht die Freiwilligkeit, indem den Parteien das Recht eingeräumt wird, die Mediation jederzeit zu beenden. Die Freiwilligkeit wird zu Recht betont, weil es sich um einen zentralen Grundsatz der Mediation handelt, der weit über die Frage der Mediationsbereitschaft hinausreicht.

Freiwilligkeit als Haltung

Das Prinzip der Freiwilligkeit wird oft als eine Haltungsanforderung formuliert, die an die Parteien gerichtet wird. Die Parteien sollen ohne Zwang an dem Verfahren teilnehmen. Es wird die Befürchtung geäußert, dass sie sich anderenfalls nicht offen einbringen werden. Die Abgrenzung, wann jemand unter Zwang oder unter Druck an der Mediation teilnimmt, ist mitunter schwierig zu beantworten. Die Mediation ist ein sogenanntes Low Interest Product, deren Nachfrage immer unter irgendeinem Sachzwang steht.

Beispiel 11820 - Steht die Partei unter Zwang, wenn sie von dem Richter eindringlich ermahnt und aufgefordert wurde, sich an einer Mediation zu beteiligen? Nimmt sie freiwillig teil, wenn der Druck so groß ist, dass sie keine Alternative mehr sieht, als sich der Mediation auszusetzen?


Wer sagt eigentlich, dass der Verhandlungsdruck dem Erfolg der Mediation im Wege steht? Wäre das so, gäbe es keine Päpste. Immerhin müssen sich die Kardinäle der Konklave stellen und dürfen den Verhandlungstisch erst verlassen, wenn sie ein Ergebnis gefunden haben. Die eingeforderte Offenheit muss durch den Zwang also nicht verhindert werden. Sie ergibt sich aus einem komplexeren Zusammenhang. Vertrauen und Erwartungen sind wohl die wichtigsten Aspekte. Sie werden im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Offenheit besprochen.

Freiwilligkeit als Motiv

Was verstehen die Parteien unter der floskelhaften Frage: "Sind Sie freiwillig hier?". Und was versteht der Mediator, wenn sie "Ja" sagen? Erst wenn die Antwort beispielsweise lautet: "Nein, der Richter hat mich gezwungen!", erfährt der Mediator wenigstens das Motiv zur Teilnahme an der Mediation. Es beruht auf einer empfundenen Anordnung, nicht auf einer Einsicht der Partei. Hier müsste der Mediator nachbessern. Sein Fokus sollte nicht das Prinzip der Freiwilligkeit sein, sondern die Frage nach der Mediationsbereitschaft. Diese Frage erlaubt eine bessere Abgrenzung der unterschiedlichen Ebenen2 . Sie erlaubt auch die Unterscheidung, dass eine Partei zwar ohne eine innere Bereitschaft aber trotzdem freiwiilig teilnimmt und bewirkt gegebenenfalls, dassa die freiwillige Teilnahme zum Verfahrensmotiv, also zum Motiv an der Mediation teilzunehmen, wird.

Mediationsbereitschaft (Verfahrensmotiv)

Die Frage nach der Freiwiiligkeit erübrigt sich mit einer korrekt durchgeführten Zielvereinbarung. Dann bringt es etwa die Frage: "Was erwarten Sie von der Mediation?", besser auf den Punkt. Eindeutiger wäre es auch, wenn der Mediator fragt: "Wie sehr sind Sie motiviert, an der Mediation teilzunehmen?". Jetzt ergeben sich wenigstens Anhaltspunkte für das Interesse an dem Verfahrten und das Verfahrensmotiv. Selbst wenn die Partei noch nicht 100%ig motiviert ist, steht die Einschränkung der Mediation nicht im Wege. Der Mediator noch eine Fülle an Möglichkeiten, die Motivation herbeizuführen. Sie erschöpfen sich nicht in einer singulären Frage. Die Mediation trägt selbst motiviert die Medianden Schritt für Schritt, nach der optimalen Lösung zu suchen. Erst wenn sich die gelebte Bereitschaft zur Suche nicht bis zum Anfang der 3.Phase hergestellt hat, sollte die Mediation abgebrochen werden.

 Merke:
Leitsatz 9899 - Die Freiwilligkeit ist keinesfalls das Motiv für die Mediation. Sie ist ihre Bedingung und ihre Konsequenz!

Die Motive des Streitens, also das Lösungsmotiv und damit auch das Verfahrensmotiv werden ohnehin in der für die Konfliktanalyse und die Interessenfindung vorgesehenenen der 3.Phase evaluiert.

Freiwilligkeit als Recht

Es gibt viele, teilweise philosophische Abhandlungen zur Frage der Freiwilligkeit in der Mediation. Ist die Freiwilligkeit noch gewahrt, wenn der Richter die Parteien in eine Mediation schickt? Ist sie gegeben, obwohl Druck auf die Parteien ausgeübt wird, eine Mediation durchzuführen?

Freiwillig bedeutet: Aus eigenem freien Willen. Äußerlich drückt sich die Freiwilligkeit zur Teilnahme an einer Mediation bereits dadurch aus, dass die Partei körperlich anwesend ist. Auch der Abschluss eines Mediationsvertrages ist ein hinreichender Beweis für die Freiwilligkeit. Denn die Willensfreiheit ist ein nicht hinwegzudenkender Aspekt einer jeden Willenserklärung. Erfolgt eine Willenserklärung unter einer Willensbeeinträchtigung, kann die Partei von ihr entbunden werden. In diesem Verständnis wäre die Freiwilligkeit nur dann zu verneinen, wenn die Einwilligung in den Mediationsvertrag unter einer Zwangslage oder einer Täuschung erfolgt.

Die Freiwilligkeit wird auch noch bejaht, wenn die zuvor erteilte Einwilligung folgenlos widerrufen werden kann. Es kommt darauf an, dass die Medianden in der Lage sind, ihren freien Willen zu äußern. Das bezieht sich nicht nur auf die Entscxheidung zur Durchführung einer Mediation.Es bezieht sich auf alle Entscheidungen, die in der Mediation zu treffen sind. Insbesondere auch die Abschlussvereinbarung.

Beispiel 15383 - Der Mediator führt die Parteien in die Mediation ein. Hinsichtlich der Freiwilligkeit führt folgendes aus: "Mir ist es wichtig, dass sie Nein sagen wenn sie Nein meinen. Sie sollen sich nicht veranlasst fühlen, einer Entscheidung oder Vorgehensweise zuzustimmen, die sie nicht verstehen oder ablehnen möchten. Die Freiwilligkeit ist ein Recht, das in der Mediation so stark ausgeprägt ist, dass Sie die Mediation sogar abbrechen können, wenn sie das Gefühl haben, dass Sie nicht hinreichend zur Geltung kommen. Bitte weisen Sie mich darauf hin, wenn Sie irgendwelche Bedenken oder Wünsche haben. Wir werden dann sehen, wie sie zu verwirklichen sind. Haben Sie das verstanden? Stimmen Sie dieser Vorgehensweise zu?".


Es kommt darauf an, die Rechte der Parteien zu stärken. Deshalb ist es wichtig, dass die Parteien über den den Grundsatz der Freiwilligkeit korrekt informiert werden und ihnen die Kündigungsmöglichkeit i.S.d. § 2 Abs. 5 als Ultima Ratio bewusst ist. Dieser rechtliche Hinweis offenbart sich nicht zwingend in der eingangs erwähnten, floskelhaften Frage nach der Freiwilligkeit. Die Freiwilligkeit ist also keine Frage, sondern eine Ansage.

 Merke:
Leitsatz 9900 - Anders als in jedem anderen Verfahren hat jede Partei jederzeit das Recht, die Mediation aufzukündigen. Sie kann das Recht ausüben, ohne dass sie einem Grund anführen muss und ohne Einhaltung einer Frist.

Die Freiwilligkeit stellt sicher, dass die Partei Nein sagt, wenn sie Nein meint und dass sie Ja sagt, wenn sie Ja meint. Die Freiwilligkeit überlässt den Parteien die Macht, das Verfahren zu kontrollieren. So gesehen führt sie tatsächlich in eine Haltungserwartung. Die Erwartung ist, dass die Parteien sich ihrer Macht bewusst sind und ermächtigt fühlen, auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln.

Freiwilligkeit als Eigenschaft

Die Freiwilligkeit ist nicht nur ein Grundsatz, sondern auch eine wichtige Eigenschaft der Mediation. Ihretwegen wird die Mediation zu einem sich selbst regulierenden System. Die Parteien erhalten die Kontrolle über das Verfahren. Mit dieser Macht kontrolliert die Mediation sich selbst. Sie führt dazu, dass sich jeder so zu benehmen hat, dass niemand die Mediation verlassen muss. Das ist einzigartig und unterscheidet die Mediation von anderen Verfahren, wo Verfahrenshandlungen oder Ergebnisse erzwungen werden können. Die Freiwliiligkeit führt zu dem Verhaltensgrundsatz:

 Merke:
Leitsatz 9901 - Jede Partei muss sich so benehmen, dass die gegnerische Partei die Mediation nicht abzubrechen hat

Freiwilligkeit als Bedingung

Die Freiwilligkeit ist nicht nur eine Eigenschaft der Mediation, sondern auch eine Bedingung, dass die Mediation erfolgreich durchgeführt werden kann. Sie wird deshalb auch als ein wichtiges Prinzip aufgeführt. Die Beachtung der Freiwilligkeit ist eine Bedingung für die Eigenverantwortlichkeit. Sie steht mit ihr in einer Wechselwirkung. Um dies den Parteien zu verdeutlichen, könnte die Einführung der Freiwilligkeit durch den Mediator mit folgendem Wortlaut erfolgen:

Die Mediation ist ein freiwilliges Verfahren. Sie sind also nicht zur Teilnahme verpflichtet und können die Mediation jederzeit ohne Einhaltung einer Frist und ohne Begründung verlassen. Somit behalten Sie die Kontrolle über das ganze Verfahren. Sie sollen Nein sagen wenn sie Nein meinen und es wird erwartet, dass sie nicht zu etwas zustimmen, was ihnen zuwider ist. Haben Sie das verstanden? Stimmen Sie zu? Sind sie dazu in der Lage?

 Merke:
Leitsatz 9902 - Der Mediator muss sicherstellen, dass die Parteien Ihr Recht auf die jederzeitige, fristlose und unbegründete Kündigung (Abbruch) des Verfahrens selbständig wahrnehmen können

Freiwilligkeit als Garantie

Die Freiwilligkeit versorgt vier wichtige Funktionen in der Mediation, über die sich der Mediator bewusst sein muss:

Machtausgleichsfunktion
Die Freiwilligkeit hat in der Mediation deshalb eine so große Bedeutung, weil sie das Korrektiv der Parteien und zugleich das Druckmittel an die Gegenpartei ist, sich so zu verhalten, dass die andere Partei bereit ist, weiterhin an der Mediation teilzunehmen. Das Prinzip der Freiwilligkeit wird durch die Möglichkeit der sofortigen und jederzeit möglichen Kündigung garantiert. Die Freiwilligkeit unterstreicht letztlich die Macht der Medianden, ihre Autonomie einzufordern. Die Voraussetzung, Möglichkeit und Gestaltung der Kündigung ergibt sich aus dem Vertragsrecht und ist dort näher beschrieben. Auch der Mediator kann sich dieser Macht bedienen, indem er die Parteien auf die Balance ver-weist, die wegen der jederzeitigen Abbruchsmög-lichkeit der Mediation durch die jeweils andere Seite unausweichlich ist.
Schutzfunktion
Die Freiwilligkeit erlaubt es der Mediation, auf Vorschriften zu verzichten, wie sie beispielsweise im Zivilgerichtsverfahren erforderlich sind. Durch das Prinzip der Freiwilligkeit (jederzeitige Kündigung) sind die Medianden jederzeit hinreichend vor Missbrauch ge-schützt.
Bereitschaftsfunktion
Die Freiwilligkeit ist eine immanente Bedingung für jede Vereinbarung. Mithin ist die Freiwilligkeit bereits für den Abschluss des MV und der MDV vorauszusetzen und mit dem jeweiligen Vertragsabschluss implizit er-klärt. Das Gleiche gilt für die Abschlussvereinbarung. Es gibt keinen unfreiwillig geschlossenen Vertrag und falls doch, dann ist er willensmängelbehaftet und deshalb (schwebend) unwirksam oder anfechtbar. Die in der Mediation zu erzielende Vereinbarung soll ohne Willensmängel sein. Diese Anforderung leitet sich aus dem zu erzielenden Konsens her.
Verhaltensfunktion
Ein weiteres Phänomen, das der Mediator bedenken sollte, ist die Authentizität des Verfahrens und seiner selbst. Die Mediation ist in ihrem Wesen ein freiwilliges und wertfreies Verfahren. Sie erlaubt Widersprüche und andere Meinungen. Sie ist ergebnisoffen. Die Parteien müssen deshalb die Freiheit haben, sich dafür zu ent-scheiden, ihre Positionen nicht in Frage zu stellen und die Suche nach anderen Lösungen zu verweigern, ohne dass sie dies zu rechtfertigen haben. Fragen nach den Gründen sind erlaubt. Vorhaltungen und Belehrungen indes passen nicht zur Mediation. Sie werfen die Frage auf, ob der Mediator die Mediation korrekt und stimmig repräsentiert.

Freiwilligkeit als Strategie

Das Recht des einen wird zur Pflicht des anderen. Durch den Grundsatz der Freiwilligkeit wird die Mediation, spieltheoretisch betrachtet, zu einem sogenannten Ultimatumspiel. Das Ultimatumspiel ist dadurch gekennzeichnet, dass ein unlauteres Angebot (oder ein Angebot das nicht akzeptiert werden kann) zu einem Verlust aller führt. Der Grundsatz der Freiwilligkeit, also das Recht zur Ablehnung und zum Abbruch, sichert den ultimativen Mechanismus. Er erhöht den Spieldruck (also die Mitwirkung in der Mediation) wenn es keine Alternative zur Mediation gibt.

Strategie Spieltheorie Ultimatumspiel

Zwischen Recht und Pflicht

Freiwilligkeit hört sich zunächst einmal gut an. Sie ist ein wichtiges und unabdingbares Recht, das die Parteien in der Mediation auch ausüben sollten. Ihr Preis ist die Eigenverantwortlichkeit. Sie fordert nicht nur die Parteien heraus. Die Eigenverantwortlichkeit der Parteien führt auch zu einer Verhaltensanforderung an der Mediator, die sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit ergibt. das bedeutet, der Mediator muss darauf achten und hinwirken, dass die Partei von der Freiwilligkeit Gebrauch machen kann und gegebenenfalls sogar die Mediation abbricht. Es ist allerdings nicht seine Entscheidung, solange er davon ausgehen kann, dass die Mediation mit den Parteien möglich ist. Es ist die Entscheidung der Partei, die sie eigenverantwortlich treffen muss. Der Mediator nimmt ihr die Entscheidung nicht ab, ob die Partei die Mediation abbricht oder welchen Angeboten sie zustimmt oder nicht. Er sorgt lediglich dafür, dass die Partei in der Lage ist, diese Entscheidungen zu treffen. Dieses Beispiel macht deutlich, dass die oft zu hörende Frage, ob die Parteien freiwllig anwesend seien, kontraproduktiv ist, wenn sie den Parteien nicht deutlich macht, dass die Freiwilligkeit ein Recht ist, das sie jederzeit ausüben können. Das Beispiel belegt auch die Selbstregulierungsfähigkeit der Mediation. Es zeigt, dass es zu jedem Grundsatz ein Korrektiv gibt.

Bedeutung für die Mediation

Es mutet seltsam an, wenn Sie eine Vertragspartei, die soeben einen Vertrag unterzeichnet hat, befragen, ob sie den Vertrag auch wirklich freiwillig abgeschlossen habe. Die Freiwilligkeit ist eine immanente Voraussetzung für jeden Vertragsabschluss. Verträge mit Willensmängeln sind anfechtbar. Wenn Sie diese Situation auf die Mediation übertragen, wird der Hintergrund für den Grundsatz der Freiwilligkeit deutlich. Es macht keinen Sinn die Partei nach der Freiwilligkeit zu befragen, nachdem sie den Mediationsvertrag oder die Mediationsdurchführungsvereinbarung unterzeichnet hat.

Die Bedeutung der Freiwilligkeit ergibt sich aus der Garantie, dass jede einzelne Partei die Kontrolle über das Verfahren behält. Sie ist auch der Garant dafür, dass die Parteien so verhandeln, dass niemand die Mediation verlassen muss. Die Parteien müssen also verstanden haben, dass sie die Mediation jederzeit und ohne Angabe von Gründen verlassen können. Die Freiwilligkeit ist also mehr eine Ansage als eine Frage. Sie sollte auch von der Verhandlungsbereitschaft unterschieden werden, weil sich diese meistens erst in der Mediation herstellt.

Zugegebenermaßen sind die Freiwilligkeit und die Verhandlungsbereitschaft eng miteinander verknüpft. Auf die Verhandlungsbereitschaft, also das Motiv zur Durchführung einer Mediation, sollte der Mediator eingehen, wenn er das Gefühl hat dass die Partei nicht wirklich bereit ist nach einer zufriedenstellenden Lösung zu suchen.

Beispiel 11821 - Die Partei bejaht die Frage des Mediators, ob sie freiwillig an der Mediation teilnehme. Ihr Motiv ist aber nicht, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, sondern nur, den Eindruck zu vermeiden, dass sie eigentlich nur nach Wegen sucht, den Gegner zu Übervorteilen.

Es ist nicht davon auszugehen, dass eine Partei ein derartiges Motiv von vornherein offenbart. Es ist Teil der Konfrontationsstrategie. Der Mediator wird im Lauf des Verfahrens aber Anhaltspunkte dafür finden, dass sich die Partei innerlich nicht auf die Mediation einlassen kann. In dem Fall muss er gegebenenfalls zurück in die 1.Phase und das Verfahren neu initialisieren und die Partei zur Teilnahme motivieren. Gelingt ihm das nicht, sollte er die Mediation abbrechen.3

Was tun wenn ...

Hinweise und Fußnoten
Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen
Bearbeitungsstand: 2024-11-30 01:35 / Version 51.

Alias: Freiwilligkeit, Kontrollierbarkeit, Prinzip-Freiwiiligkeit
Siehe auch: Trossen (un-geregelt)
Diskussion (Foren): Freiwiliigkeit und Zwang
Prüfvermerk:

1 Trossen (un-geregelt), Rdnr. 783, 673 ff.
2 Die Unterscheidung betrifft die Verfahrensebene mit dem Verfahrensmotiv und Fallebene mit dem Lösungsmotiv
3 Siehe Kündigung


Based on work by Arthur Trossen und Bernard Sfez . Last edited by Arthur Trossen
Seite zuletzt geändert am Mittwoch Dezember 25, 2024 17:49:36 CET.

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