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page id: 539 Die Konflikttheorie in der Mediation: Eine von vielen Abteilung »  Wissen Inhaltliche Zuordnung »  Konflikte

Die Konflikttheorie

In der Mediation ist immer von DER Konflikttheorie die Rede, obwohl es mehrere Konflikttheorien gibt. Auch Karl Marx hat eine Konflikttheorie entwickelt. Wenn hier also von der Konflikttheorie die Rede ist, ist die allgemeine Konflikttheorie gemeint, die sich mit der Konfliktdynamik auseinandersetzt und einen Beitrag zur Definition und zum Verständnis der Konflikte liefert.




Theorie über den Zusammenstoß


Auch die Konflikttheorie ist keine Theorie der Mediation, wohl aber zum Phänomen Konflikt, die in einem Verfahren der Konfliktbewältigung natürlich eine ausschlaggebende Bedeutung spielt. Eine Auseinandersetzung mit der Konflikttheorie ist deshalb in der Mediation unerlässlich.

Die drei Stufen der Konfliktentwicklung

Für Konflikte ist charakteristisch, dass sie sich im Verlauf von Beziehungsverhältnissen herausbilden. Es gibt nicht den Konflikt aus dem Stand, der einfach da ist. Seine Herausbildung geschieht vielmehr in drei Stufen:

Stufe 1: Naming

In einer Situation erlebt einer der Beteiligten ein bestimmtes Ereignis als ihn verletzend
Warum kann die Anwaltsgehilfin die Bemerkung des jungen Assessors „Da haben Sie ja wieder mal tollen Mist gebaut!“ nicht als sachbezogenen Kommentar zu ihrer eigenen Arbeitsleistung wahrnehmen, der vielleicht etwas unglücklich formuliert, ansonsten aber nicht der Rede wert ist? Warum ärgert sie diese Bemerkung? Weil sie auf der Grundlage einer bestimmten Beziehung interpretiert. Weil sie sie auf der Grundlage ihrer Wahrnehmung des juristischen Berufsanfängers interpretiert, der ihre eigene Berufserfahrung zu missachten scheint. Somit also, weil sie die Bewertung auf der Grundlage ihrer bestimmten Wahrnehmung interpretiert, die sie von sich selbst hat, ihren Ansprüchen sich selbst gegenüber, ihrer Erwartung, wie sie von ihrer Mitwelt behandelt werden will und ihrem wunden Punkt, jener Schwachstelle ihres Selbstbewusstseins, bei der sie ganz besonders empfindlich reagiert.

 Merke:
Leitsatz 14357 - Jeder Konflikt ist höchst persönlich, weil er auf höchst persönlichen Wahrnehmungen beruht und auf höchst persönliche Erfahrungen und höchst persönliche Fähigkeiten des einzelnen Menschen zurückgreift.

Die menschlichen Schwachstellen sind sehr individuell. Der eine kann Kritik nicht ertragen, der an-dere keine Bemerkung über sein Aussehen, der dritte erlebt jede Ablehnung eigener Initiative als persönliche Zurückweisung und der vierte alles zusammen. Auf dieser Grundlage reagiert sie gleichsam automatisch auf die Bemerkung des jungen Anwaltes und empfindet sie als kränkend.

 Merke:
Leitsatz 14358 - Jeder emotionale Zustand hat seine eigene Logik.

Dass jeder emotionale Zustand seine eigene Logik hat, gilt auch für die Kränkung. Die Kränkung ist ein Angriff auf unser Selbstwertgefühl, auf unsere Definition dessen, wer wir sind oder sein wollen, und damit auf ein hohes Gut, für viele Menschen ihr höchstes Gut überhaupt. Eine Krän-kung stellt uns selbst in Frage und entsprechend ist es kein Wunder, dass wir unter Druck geraten und extrem aggressiv reagieren.

 Merke:
Leitsatz 14359 - Eine Kränkung stellt eine Bedrohung dar und löst entsprechende Angstgefühle aus.

Zu einem solchen Interpretationsprozess gehört charakteristischer Weise dazu, dass wir der Äuße-rung selbst diese kränkende Wirkung zuschreiben und die eigenen Interpretationsprozesse nicht mit berücksichtigen: der Kommentar des jungen Anwaltes - da gibt es nichts zu rütteln - war kränkend.

Stufe 2: Blaming

Er schreibt die Verantwortung für dieses Ereignis einem der Situationsbeteiligten zu und macht seine Verletzung zur Grundlage eines Vorwurfs
Auch die zweite Stufe beruht wesentlich auf Prozessen der sozialen Wahrnehmung und Beurtei-lung. Warum können wir die Bemerkung des Anwaltes nicht als „einfach so dahin gesagt“ abtun? Weil wir sie absichtlich so formuliert interpretieren, weil wir dahinter den Neid des Kollegen oder des Vorgesetzten auf unsere Arbeitsleistung vermuten, oder ein anderes, finsteres Motiv; weil sich die Bemerkung einreiht in eine Reihe anderer, hinter der wir langsam die strategische Absicht er-kennen, uns fertig machen zu wollen, kurz: weil wir die Bemerkung interpretieren auf der Grundla-ge unserer Beziehungsdefinition zum Anderen. Wir interpretieren eine Äußerung stets auf der Grundlage eines komplexen Vorstellungszusammenhangs, der geprägt ist von allgemeinem Erfah-rungswissen, momentanen Interessen, geheimen Wünschen, Gefühlen, naiven Verursa-chungstheorien, Verdächtigungen und Mutmaßungen, die in jeweils unterschiedlichem Maß relevant und in abgestufter Deutlichkeit bewusst sind. Solchen Vorstellungszusammenhängen liegt eine Logik der Verfestigung zugrunde, d.h. sie neigen dazu, sich selbst zu bestätigen und zu stabili-sieren. Man konstruiert ein Bild des Anderen und des Geschehens, das „aufgeht“ und in das sich jedes kommende Ereignis in der Auseinandersetzung bruchlos einfügen lässt.

 Merke:
Leitsatz 14361 - Es ist eine der wichtigsten Aufgaben im Konflikt, die jeweiligen Wirklichkeitskonstrukte der Konfliktparteien zu erkennen, zu offenbaren und miteinander zu synchronisieren.

Stufe 3: Claiming

Er erhebt Kompensationsforderungen für die erlittene Verletzung
Sind dem Anderen erst einmal feindliche Motive unterstellt, verfügt man über eine Interpretations-folie, die auch sein weiteres Verhalten als aggressiv, durchtrieben oder feindlich gesinnt erscheinen lässt. Die Wahrnehmung wird eingeschränkt. Ist die Beziehung erst einmal als feindlich definiert, finden sich laufend neue Belege dafür, dass die Definition in der Tat zutrifft. Wir sitzen im Käfig unserer Phantasie.

 Merke:
Leitsatz 14360 - Kein Streit ohne Wiedergutmachungsforderung.

Konflikt

Alle drei Stufen müssen vollzogen sein, wenn wir sinnvoller Weise vom Vorliegen eines Konflikts sprechen; jeder Schritt ist notwendig, keiner ist alleine hinreichend. In allen drei Stufen spielt die Selbstwahrnehmung, die Wahrnehmung des Gegenübers und die Wahrnehmung der Sozialbeziehung die entscheidende Rolle dafür, ob sich ein Streit entwickelt und herausbildet, oder nicht. All dies wird Sie im Rahmen der Mediation oder der Streitvermittlung beschäftigen.

Der Konflikt und seine Behandlung in der Mediation

Bedeutung für die Mediation

Die Konflikttheorie ist keine Forschung, die den Ablauf der Mediation begründen kann. Dennoch fließt sie in die Arbeit des Mediators mindestens wie die Eskalationstheorie ein. Der Mediator muss herausarbeiten, auf welcher Stufe sich der Konflikt befindet. Er muss weiterhin die persönliche Betroffenheit herausarbeiten, weil sie die Konfliktmotivation ergibt ebenso wie Anhaltspunkte für die zur lösungsführenden Interessen (Motive).

Was tun wenn ...

Hinweise und Fußnoten

Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen. Zitiervorgabe im ©-Hinweis.

Bearbeitungsstand:
Bearbeitungsstand: 2022-05-01 06:18 / Version 22.

Alias: naming, blaming, claiming
Siehe auch: Konfliktmotivation
Literaturhinweise: Hofmann (Grundzüge)
Prüfvermerk:


Based on work by anonymous contributor . Last edited by Arthur Trossen
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