Wie bei allem gibt es auch beim Einsatz der künstlichen Intelligenz im Bereich der Konfliktbeilegung Vor- und Nachteile. Ihr Einsatz wird sogar empfohlen. Er ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Trotzdem wird sie wegen ihrer Bedeutung sogar als ein Werkzeug der Mediation aufgeführt.1 Auffällig ist, dass die Antworten im Beitrag über den Einsatz der KI im Bereich der Konfliktbeilegung von ChatGPT selbst verfasst wurden. Gibt es einen besseren Fachmann? Die Antworten klingen überzeugend. Aber funktioniert es auch so wie beschrieben?
In der Online-Ausbildung gibt es einen Trainingsbereich, wo Studenten Streitsituationen auswerten sollen. Um ChatGPT zu testen, habe ich die gleiche Aufgabe an die KI gestellt. Ausgangspunkt war eines der in der Onlineausbildung genutzten Videos über eine Streitsituation. Gezeigt wird eine Filmszene aus "Streit im Auto - Ladykracher" mit Anke Engelke, die in dem folgenden Youtube-Video öffentlich abrubar ist. Es lohnt sich, die Szene nicht nur zu Übungszwecken anzuschauen.
ChatGPT wurde beauftragt, sich genau wie die Studenten das Video anzuschauen, um daraus eine Konfliktanalyse abzuleiten. Die erste Reaktion von ChatGPT war:
Wenn ich eine Streitsituation beschreiben soll, ist das schon die Hürde. Denn die Beschreibung wäre schon gefärbt. Hier war es jedoch nicht nötig, die Situation zu beschreiben. Ich konnte ein Transkript der dargestellten Szene erstellen. Das Transkript habe ich in ChatGPT eingegeben mit dem gleichen Auftrag. Die Antwort von ChatGPT lautete wie folgt:
Konfliktanalyse des Dialogs aus dem Video:
Der Konflikt zwischen Sibylle und Lars wird im Rahmen einer alltäglichen Situation dargestellt, in der sie ein Auto testen. Es handelt sich um einen klassischen Beziehungskonflikt, der durch unterschiedliche Wahrnehmungen von Fahrverhalten und Kommunikation während der Autofahrt ausgelöst wird.
1. Art des Konflikts:
Es handelt sich um einen Beziehungskonflikt, der sich um Vertrauen, Kommunikation und Rollenverteilung dreht. Lars fühlt sich in seiner Fahrweise angegriffen, während Sibylle das Gefühl hat, nicht respektiert zu werden, insbesondere in Bezug auf das Fahren und die Rolle in der Beziehung.
2. Hauptursachen des Konflikts:
Unterschiedliche Wahrnehmung des Fahrstils: Sibylle sieht Lars' Fahrstil als gefährlich, während Lars sich als sicherer Fahrer wahrnimmt.
Kommunikationsprobleme: Beide sprechen in einem aggressiven Ton miteinander und eskalieren den Konflikt durch gegenseitige Vorwürfe.
Rollenverteilung: Sibylle fühlt sich in der Beziehung untergeordnet, vor allem, wenn es ums Fahren geht. Sie sieht sich nur dann am Steuer, wenn Lars trinkt, was sie als ungerecht empfindet.
3. Eskalationsstufe:
Der Konflikt hat bereits eine mittlere Eskalationsstufe erreicht. Beide Parteien werfen sich gegenseitig unangemessenes Verhalten vor und greifen sich persönlich an. Die Situation könnte durch gegenseitige Wertschätzung und respektvolle Kommunikation entschärft werden.
4. Lösungspotenziale:
Kommunikation verbessern: Beide könnten lernen, ihre Gefühle und Anliegen in einem ruhigeren Ton auszudrücken und auf "Ich-Botschaften" umzusteigen.
Verteilung der Rollen klären: Eine klare Absprache über das Fahren und respektvolle Wertschätzung beider Perspektiven könnten den Konflikt entschärfen.
Die Situation verdeutlicht, wie alltägliche Missverständnisse durch eine verbesserte Kommunikation und gegenseitige Rücksichtnahme gelöst werden könnten.
Meine nächste Frage lautete, woran ChatGPT erkennt, dass und welche Konflikte vorliegen. Ich erhielt folgende Antwort:
ChatGPT erkennt Konflikte im Transkript durch folgende Merkmale:
Verbale Eskalation: Beide Charaktere, Sibylle und Lars, sprechen in einem gereizten Ton, der von Vorwürfen und aggressiven Reaktionen geprägt ist, was auf Spannungen in der Beziehung hindeutet.
Themen des Streits: Es gibt klare Differenzen in Bezug auf das Fahrverhalten (Sicherheit vs. Kontrolle) und Rollenverteilung (Wer fährt, wann und warum). Dies zeigt unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen der Beteiligten.
Unterschiedliche Wahrnehmungen: Beide Parteien nehmen das Verhalten des anderen unterschiedlich wahr und fühlen sich missverstanden.
Diese Konfliktpunkte werden durch nonverbale Zeichen wie „genervtes Stöhnen“ verstärkt, was die emotionale Ebene der Auseinandersetzung verdeutlicht.
Wohl bemerkt, ChatGPT hatte nur den Text. Ich habe die KI daraufhin gebeten, den Dialog so umgestalten, dass daraus eine gute Kommunikation wird, was immer die KI darunter verstehen will. Ich wollte sehen, ob ChatGPT auch Paraphrasen kennt. Die Antwort lautete:
Hier ist eine umgestaltete Version des Dialogs mit einer verbesserten Kommunikation:
Sibylle: „Lars, ich fühle mich etwas unsicher, wenn wir so dicht auffahren. Könntest du vielleicht etwas mehr Abstand halten? Das würde mich entspannen.“
Lars: „Okay, ich verstehe, dass du dich unwohl fühlst. Ich dachte, der Abstand wäre in Ordnung, aber ich passe mich gerne an.“
Lars: „Willst du vielleicht überholen? Es sieht ziemlich frei aus.“
Sibylle: „Ich sehe das gerade nicht so gut, und fühle mich unsicher. Vielleicht könntest du mir helfen, zu entscheiden?“
Lars: „Klar, ich kann kurz nachschauen. Es sieht gut aus, aber fahr ruhig, wie du dich wohl fühlst.“
Sibylle: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nur fahre, wenn du trinkst. Ich würde es schätzen, öfter das Steuer zu übernehmen.“
Lars: „Danke, dass du das ansprichst. Ich wusste nicht, dass du so fühlst. Wir können uns das Fahren in Zukunft gerne besser aufteilen.“
ChatGPT meint, dass die beide Streitparteien in dieser Version ihre Bedürfnisse und Unsicherheiten in einem ruhigen und respektvollen Ton ausdrücken. Sie vermeiden Schuldzuweisungen und zeigen Verständnis füreinander. Bei dem Versuch, die Grenzen der KI auszuloten, habe ich gefragt, ob ChatGPT auch die Ich-Botschaften der Streitparteien erkennen kann und welche das sind. Jetzt erhielt ich folgende Antwort:
Im Transkript sind keine Ich-Botschaften im klassischen Sinn zu erkennen. Stattdessen dominieren Du-Botschaften, die oft Vorwürfe beinhalten, wie etwa:
„Du klebst dem doch schon fast an der Stoßstange.“
„Du fährst jedes Mal wie ein Henker.“
Ich-Botschaften würden eher die eigenen Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken, ohne den anderen anzugreifen. Zum Beispiel könnte Sibylle sagen: „Ich fühle mich unsicher, wenn wir so dicht auffahren.“ Dies würde den Konflikt deeskalieren und auf persönlicher Ebene kommunizieren.
Wieder sei darauf hingewiesen, dass ChatGPT nur den Text zur Hand hatte und das Video nicht "sehen" konnte. Es macht neugierig zu verstehen, ob ChatGPT die Ich-Botschaften herausarbeiten könnte, wenn es über eine analoge Wahrnehmung verfügt und das Video auswerten kann. Ich muss ehrlich zugeben, dass mich die Auswertungen von ChatGPT durchaus beeindruckt haben, auch wenn ein Mediator mehr herausholen könnte. Ich wurde aber übermütig und wollte es genau wissen, was die KI leisten kann. Ich habe ChatGPT deshalb gefragt, wie seine Konfliktanalyse für den Ukraine-Krieg lautet? Dir Antwort fiel wie folgt aus:
Eine Konfliktanalyse des Ukraine-Kriegs kann auf mehreren Ebenen durchgeführt werden:
1. Parteien und Interessen:
Ukraine: Bewahrung der territorialen Integrität, nationale Souveränität und Schutz der Bevölkerung.
Russland: Einfluss im post-sowjetischen Raum, Sicherheitsbedenken in Bezug auf die NATO-Osterweiterung, Kontrolle über bestimmte Territorien.
Internationale Akteure (NATO, EU, USA): Unterstützung der Ukraine, Eindämmung Russlands, Wahrung der internationalen Rechtsordnung.
2. Konfliktursachen:
Geopolitik: Rivalität zwischen Russland und dem Westen.
Historische Spannungen: Russlands Einfluss auf ehemalige sowjetische Republiken.
Territorialkonflikt: Annexion der Krim, Separatistenbewegungen im Donbass.
3. Eskalationsdynamik:
Militärische Gewalt, Sanktionen, diplomatische Spannungen, hybride Kriegsführung (Propaganda, Cyberangriffe).
4. Lösungsansätze:
Verhandlungen über Sicherheitsgarantien, Autonomieregelungen für umstrittene Gebiete.
Internationale Vermittlung durch Organisationen wie die UNO oder OSZE.
Langfristiger Wiederaufbau und Integration der Ukraine in europäische Strukturen bei Wahrung eines Modells der Neutralität.
5. Hindernisse:
Gegenseitiges Misstrauen, unvereinbare Sicherheitsinteressen, geopolitische Spannungen.
Auch hier sei darauf hingewiesen, dass ich keinerlei Vorgaben gemacht habe. Ich war neugierig ob und inwieweit ChatGPT politisch denkt. Deshalb lautete meine nächste Frage, ob ChatGPT einschätzen kann, wie der Ukraine-Krieg ausgehen wird. Hier die Antwort:
Es ist schwierig, den Ausgang des Ukraine-Kriegs präzise vorherzusagen, da er von vielen dynamischen Faktoren abhängt. Hier sind einige mögliche Szenarien:
Diplomatische Lösung: Ein Waffenstillstand und Friedensverhandlungen könnten zu einer territorialen Kompromisslösung führen, möglicherweise mit Zugeständnissen auf beiden Seiten (z. B. Autonomieregelungen oder Sicherheitsgarantien).
Eingefrorener Konflikt: Der Krieg könnte in eine längere Pattsituation übergehen, ähnlich wie frühere Konflikte in der Region (z. B. Georgien oder Transnistrien).
Fortgesetzter militärischer Konflikt: Der Krieg könnte noch lange andauern, mit anhaltender Gewalt und wechselnden Frontverläufen, was sowohl Russland als auch die Ukraine und ihre Unterstützer langfristig schwächen könnte.
Faktoren wie internationale Unterstützung für die Ukraine, Sanktionen gegen Russland, die Kriegswirtschaft und die öffentliche Meinung in beiden Ländern werden entscheidend sein. Internationale Vermittlungen könnten eine Deeskalation begünstigen, aber jede Lösung erfordert beidseitige Kompromisse und Sicherheitsgarantien.
Meine nächste Frage sollte konkreter werden. Sie erkundigte sich danach, ob nicht die Mediation eine zu empfehlende Herangehensweise sei, um den Ukraine-Krieg zu beenden und falls ja, warum sie nicht genutzt wird. Die Antwort lautete wie folgt:
Mediation könnte theoretisch eine empfehlenswerte Herangehensweise sein, um den Ukraine-Krieg zu beenden, da sie darauf abzielt, eine friedliche Lösung durch Dialog und Verhandlungen zu finden, bei der die Bedürfnisse und Interessen beider Seiten berücksichtigt werden. Eine neutrale dritte Partei könnte helfen, das Vertrauen zwischen den Konfliktparteien wiederherzustellen und kreative Lösungen zu erarbeiten.
Allerdings wird Mediation nicht eingesetzt, weil die Konfliktparteien oft fundamentale Gegensätze haben: Russland sieht es als geopolitischen Kampf, während die Ukraine um ihre nationale Souveränität und territoriale Integrität kämpft. Zudem fehlt es an gegenseitigem Vertrauen, und die Eskalationsdynamik sowie internationale Interessen erschweren diplomatische Bemühungen. Der Krieg ist stark von geopolitischen, militärischen und machtpolitischen Faktoren geprägt, die oft nicht durch Mediationsprozesse gelöst werden können, ohne dass vorher ein gewisser Wille zur Deeskalation besteht.
ChatGPT legt die Gründe offen, warum eine Mediation nicht zustande kommt. Da drängt sich doch die Frage auf, warum die Hinderungsgründe nicht mediiert werden. Meine nächste Frage lautete deshalb, ob es möglich sei über die geopolitischen, militärischen und machtpolitischen Faktoren durch Mediationsprozesse zu lösen. Die Antwort kam prompt:
Eine Mediation könnte prinzipiell in geopolitischen Konflikten wie dem Ukraine-Krieg durchgeführt werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Dazu gehört ein Mindestmaß an Dialogbereitschaft und der Wille zur Deeskalation auf beiden Seiten. Mediation zielt darauf ab, die Interessen der Konfliktparteien zu identifizieren und gemeinsam tragbare Lösungen zu finden.
Das Problem im Ukraine-Krieg liegt jedoch darin, dass beide Seiten grundlegend unterschiedliche Ziele verfolgen. Russland strebt geopolitischen Einfluss und Sicherheitsgarantien an, während die Ukraine ihre territoriale Integrität und Unabhängigkeit verteidigt. Hinzu kommen internationale Interessen, die den Konflikt weiter verkomplizieren.
Eine Mediation könnte sinnvoll sein, wenn:
Beide Seiten zu Zugeständnissen bereit wären.
Internationale Akteure als neutrale Vermittler agieren könnten, ohne ihre eigenen geopolitischen Interessen zu verfolgen.
Es einen Minimalkonsens für die Verhandlungen gibt, wie z. B. den Wunsch nach einer Waffenruhe oder einem langfristigen Frieden.
Warum wird Mediation nicht genutzt?
Gegenseitiges Misstrauen: Beide Seiten misstrauen einander stark. Russland traut westlichen Vermittlern nicht, und die Ukraine sieht Russland als Aggressor.
Maximalforderungen: Russland fordert umfassende Sicherheitsgarantien und die Anerkennung annektierter Gebiete, während die Ukraine auf der vollständigen Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität besteht.
Machtpolitische Interessen: Internationale Akteure wie die NATO, die EU und die USA unterstützen die Ukraine militärisch und wirtschaftlich, was die Mediation erschwert, da dies Russland als direkte Bedrohung wahrnimmt.
Fazit
Eine Mediation ist theoretisch möglich, aber sie benötigt die Bereitschaft beider Seiten, aufeinander zuzugehen. Derzeit fehlen jedoch die Voraussetzungen wie gegenseitiges Vertrauen und der Wille zu einem tragfähigen Kompromiss.
Ich denke, die Ergebnisse sprechen für sich. Sie sind ebenso lückenhaft wie inspirierend. Ich habe ChatGPT gefragt, ob es so etwas wie Morbus Google2
gibt, weil Menschen den Auskünften von ChatGPT ähnlich vertrauen wie den vermeintlichen Diagnosen von Google. ChatGPT hatte dazu keine Daten. Die KI bestätigte jedoch die Gefahr und war sogar damit einverstanden, von einer Morbus ChatGPT zu sprechen. Kennt ChatGPT etwa so etwas wie Selbstironie? Im Zweifel war die Auskunft ernst gemeint. Das alles hat mich trotzdem sehr neugierig gemacht. Ich werde weiter recherchieren.
Arthur Trossen