Es wird immer deutlicher, dass die Spannungen in der Gesellschaft und zwischen Menschen und Nationen zunehmen. Der Ruf nach einem Diskurs wird überhört. Die Auseinandersetzung fordert die Bereitschaft ein, über Meinungen zu sprechen und Gegenmeinungen zuzulassen. Die Forderung ist sehr niederschwellig. Sie ist mehr als notwendig in einer Zeit, wo sich Bedeutungen ändern, wo die Wahrheit zu allem Überfluss noch mit Hilfe der Medien verdreht werden kann, wo Werte ignoriert oder geflissentlich übersehen werden und wo Verlustängste, Wut und Hass gezielt befeuert werden, nur um sie für eigene Vorteile zu instrumentalisieren. Wenn der Zweifel das Wissen des 21. Jahrhunderts ist, wäre die Mediation das geeignete Mittel, den Trend in die Gewalt umzukehren. Leider steht diese Einschätzung unter dem Eindruck, was unter der Mediation verstanden wird. Zumindest ist die Mediation eine Möglichkeit. Darüber dürfte ein Konsens herzustellen sein. Dann lautet die nächste Frage, warum die Möglichkeiten nicht gesehen und warum die Mediation nicht in Anspruch genommen wird.
- Der erste und nahe liegende Grund ist natürlich, dass die Mediation nicht verstanden wird. Zu dieser Thematik soll es einen eigenen Artikel geben. Dass die Mediation nicht verstanden wird, mag mit dem zweiten Grund zusammenhängen, der den Titel dieses Artikels bildet.
- Dass die Mediation nicht detoniert ist ein Fakt. Es erklärt einerseits, warum die Mediation erst gar nicht gesehen wird. Sie ist nicht laut genug. Es erklärt andererseits, warum sie als ungeeignet angesehen wird, wenn der armierte Angriff eine massive Gegenwehr erwarten lässt.
Das Titelbild dieses Artikels verdeutlicht das Problem. Es wirft die Frage auf, was ein unbewaffneter Engel gegen eine auf ihn gerichtete Pistole ausrichten kann. Möglicherweise werden Sie sagen, dass der Engel nichts zu befürchten hat. Niemand würde auf einen wehrlosen Engel schießen. Was aber, wenn der Engel das anders sieht. Was wenn er wehrhaft ist und was, wenn der Angreifer nicht den Engel, sondern den dahinter vermuteten Dämonen erkennt, den er vielleicht sogar selbst mit seiner Bedrohung hervorgerufen hat. Gibt es jetzt überhaupt noch einen Ansatz für die Mediation?
Die Mediation in einer gewaltvollen Welt
Gewalt und Mediation sind wie Feuer und Wasser. Zumindest auf den ersten Blick schließen sie einander aus. Kann es sein, dass sich die Mediation umgekehrt proportional zur Gewalt entwickelt? Dies würde eine Korrelation herstellen, bei der ein Anstieg von Gewalt zu einem Rückgang der Mediation führt. Das wäre ein tragischer Zusammenhang. Denn die Mediation ist die ultima Ratio, um der Gewalt zu begegnen. Leider verleitet die Gewalt dazu, ihre Fähigkeiten zu übersehen. Um zu prüfen, ob die Gewalt die Mediation tatsächlich verdrängt, darf die Komplexität der Themenstellung nicht übersehen werden. Die Gewalt hat viele Gesichter und kommt in unterschiedlichen Gestaltungen zum Tragen. Der Leser mag gewarnt sein, denn Gewalt ist nicht gleich Gewalt. Es kommt auf ihren Verwendungszweck und die Art ihrer Ausübung an, um die Verwerflichkeit der Gewalt einzuschätzen. Was als verwerflich anzusehen ist, hängt von den Umständen ab.
Pauschale Aussagen sind kaum möglich. Trotzdem sollen einige Berührungspunkte herausgearbeitet werden, um Zusammenhänge zwischen der Gewaltbereitschaft und der Mediationsnachfrage aufzudecken und die Möglichkeiten für den Einsatz von Mediation nachzuweisen.
- Direkte Gewalt
- Das Titelbild dieses Artikels geht von einer direkten Bedrohung aus. Der Angreifer steht seinem Opfer gegenüber. Die unmittelbare Bedrohung bildet den Ausgangsfall bei der Frage, ob die Mediation der Gewalt etwas entgegenzusetzen hat. Wir begegnen der physischen Gewalt bei hoch eskalierten Streitigkeiten, etwa bei häuslicher Gewalt, bei räuberischer Erpressung oder bei ähnlichen kriminellen Delikten. Ob eine Mediation in einem solchen Fall möglich ist, hängt von der Situation und dem Zeitpunkt ab, wann sie zur Anwendung kommt. Gute Chancen hat die Mediation, wenn sie schon vor der tat zur Konfliktvermeidung oder zur Gewaltvorbeugung eingesetzt wird. Nach der Tat macht die Mediation ohnehin nur noch Sinn, wenn es um Wiedergutmachung oder Neugestaltung der Zukunft geht. Während der Tat könnte die Mediation Sinn machen, wenn sie dementsprechend eingerichtet wird. In der Situation des Titelbildes gibt es keine neutrale dritte Person die einschreiten kann. Der Entscheidungsspielraum ist in einer akuten Bedrohungslage sehr eng. Wer akut mit einer Waffe bedroht wird, kommt kaum auf die Idee, eine Mediation vorzuschlagen. Eher ist davon auszugehen, dass es zu reflexartigen Reaktionen kommt. Sie werden hauptsächlich durch das autonome Nervensystem gesteuert. Die davon ausgelösten Reaktionen sind Teil der evolutionär verankerten Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreaktion ("fight, flight, or freeze"), die in bedrohlichen Situationen aktiviert wird. Der rationale Teil des Gehirns ist ausgeschaltet. Das Gehirn wird übrigens nicht nur bei einer akuten Bedrohung, sondern auch bei der sogenannten Kompetenzamnesie abgeschaltet, die durch Stress ausgelöst werden kann. Den Stress stellen wir u.a. durch die Vorstellungen her, die mit der Gefahrenlage verknüpft sind. Es dürfte unstreitig sein, dass der Vorschlag zur Durchführung eines Mediationsverfahrens in einer akuten Angriffslage kaum auf das Interesse des Angreifers stoßen würde. Spätestens wenn eaus der Gewaltandrohung eine Gewaltanwendung wird, hätte ein Karatekämpfer bessere Chancen, sich aus der Situation zu befreien. Bereits das Wissen des Angreifers, dass sich sein Opfer wehren kann, könnte die Gewaltausübung verhindern. Jede Gewaltausübung birgt ein hohes Verletzungs- und Verlustrisiko. Das könnte ein Mediator mit seinen Fähigkeiten vermeiden helfen. Der Idealfall stellt also beide Kompetenzen zur Verfügung. Die Fähigkeit zur Verteidigung und die Fähigkeit zur Deeskalation, wobei die Grenzen fließend sind.
- Andauernde Gewalt
- So verrückt es klingen mag. Die Erfolgschancen der Mediation steigen mit einer dauerhaften Gewalteinwirkung. Wieder kommt es darauf an, was unter Gewalt verstanden wird. Ein Kidnapping unterscheidet sich von einer Folter. Zur Beurteilung der Frage, ob und wie sich das Opfer der Gewalt entziehen kann, kommt es entscheidend darauf an, ob und inwieweit Täter und Opfer eine Beziehung aufbauen können. Beim Stockholm-Syndrom kann das Opfer von Geiselnahmen sogar ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen, das natürlich auch umgekehrt möglich ist. In der Dauerhaftigkeit der Beziehung erhöhen sich die Chancen einer mediativen Herangehensweise.
- Indirekte Gewalt
- Juristen unterscheiden die sichtbare vis absoluta und die unsichtbare vis compulsiva. Die Unterschiede sind mit der körperlichen und der psychischen Gewalt gut zu umschreiben. Die eine ist sichtbar. Die andere nicht. Das Gaslighting ist ein Beispiel für die psychische Gewalt. Es wird durch die Täter Opfer Beziehung gespeist. Wenn das Opfer die Mechanismen kennt, kann es sich besser zur Wehr setzen und selbst schützen. Die Kompetenz der Mediation hilft ihm dabei.
- Kulturelle Gewalt
- Eingangs wurde gesagt, dass die Beurteilung, ob die Gewaltanwendung verwerflich sei oder nicht, von den Umständen abhänge. Schauen wir auf einen Staat, der rechtswidriges Gewalt ausdrücklich begrüßt und von Strafen frei stellt. Woran orientieren sich die Menschen und wie stehen sie zur Gewalt, wenn sie von der Gesellschaft verherrlicht und in den Medien verharmlost wird. Wie stehen sie zur Gewalt, wenn sie bereits die Normalität in der Sprache geworden ist. Welche Wahl trifft der Mensch, wenn die Gewalt belohnt und der Gewaltverzicht bestraft wird? Bei der kulturellen Gewalt ist die ganze Gesellschaft angesprochen. Es ist nicht erforderlich, dass die Gewalt in täglichen Angriffen ausgeübt wird. Die kulturelle Gewalt beginnt mit der verbalen Gewalt, die im Ausruf zu sinnlosen, körperlichen Gewalt ihren Höhepunkt findet. Die Mediation ist zweifellos im Vorfeld ein geeignetes Mittel dieser Eskalation zu verhindern. Es kommt darauf an, dass sie auf die politisch Verantwortlichen einwirkt. Neben physischer Gewalt erschwert auch die kulturelle Gewalt die Nachfrage nach friedlichen Mechanismen wie Mediation.
- Organisierte Gewalt
- Die organisierte Gewalt könnte als ein Unterfall der kulturellen Gewalt angesehen werden. Der unterschied besteht darin, dass die organisierte Gewalt eine Subkultur darstellt. Damit wird die Gewalt von Banden, Verbrecherorganisationen oder gar von Staaten angesprochen. Jetzt hat steht das Opfer einer Gruppe oder Institution gegenüber, das sich in der Übermacht befindet. Eine tätliche Verteidigung würde in einen Krieg führen. Selbst eine verbale Kritik kann genügen, um tätliche Gewalt auszuüben. Die Mediation kennt auch Mechanismen, um mit derartigen Fällen umzugehen. Auch hier gibt es friedliche Auswege. Die Mediation nutzt die NIMBY Strategie und hat mit restaurative Circles nachweisbare Erfolge erzielt. Belege für den Erfolg der Mediation auch aus Afrika ... Zweifellos gibt es einen Zusammenhang, wenngleich die Kausalität zu hinterfragen ist. Forschungen belegen jedenfalls, dass Gewaltanwendungen bei einem gesteigerten Mediationsangebot zurückgehen.1
- Staatliche Gewalt
- In einem totalitären System, das durch zentralisierte Kontrolle, Unterdrückung von Opposition und Einschränkung individueller Freiheiten gekennzeichnet ist, erscheint die Idee der Mediation, die auf ein freies Denken setzt, zunächst unwahrscheinlich. Dennoch gibt es bestimmte Bedingungen und Strategien, unter denen Mediation aufkommen und wirksam sein könnte. Durch den Aufbau von Vertrauen, die Einbeziehung aller Stakeholder, die Nutzung von Technologie und die Schaffung sicherer Räume könnte Mediation auch in repressiven Systemen aufkommen und wirksam sein. Internationale Unterstützung und Bildungsprogramme könnten ebenfalls dazu beitragen, die Akzeptanz und den Erfolg von Mediation zu fördern. Es ist wichtig, die spezifischen Herausforderungen und Bedürfnisse des totalitären Systems zu berücksichtigen und flexible und anpassungsfähige Strategien zu entwickeln.
- Krieg
- Kein Ausweg, Mediation Exitstrategie
- Gewalt im Hintergrund
- In den vorangegangene Beispielen wurde stets von einer konfrontativen Situation zwischen Täter und Opfer ausgegangen. Natürlich kann es auch sein, dass die Gewalt ein Thema ist, das im Rahmen der Konfliktbewältigung auch innerhalb der Mediation aufkommt.
Einer reicht nicht
Die vorausgegangenen Ausführungen belegen, dass die Mediation trotz der Gewaltandrohung und -anwendung nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll ist. Manchmal ergänzend zu den aktiven Maßnahmen der Verteidigung. In allen Fällen erzielt zumindest die nutzenorientierte Mediation bessere Ergebnisse. Damit kommt die Frage auf, warum sie nicht genutzt wird und was gegebenenfalls zu tun ist, um die Mediation einzusetzen. Ein nahe liegender Grund ist sicherlich, dass die Mediation und vor allem die hinter ihr verborgene Kompetenz nicht oder nicht richtig verstanden wird. Ein anderer Grund ist, dass sie nicht in die Konfliktstrategie passt und ein dritter Grund ist, dass sie einfach nicht gewollt wird.