Es wird immer deutlicher, dass die Spannungen in der Gesellschaft, zwischen Menschen und Nationen zunehmen. Rufe nach einem Diskurs gehen in der Polemik unter. Die mangelnde Bereitschaft, über Meinungen zu sprechen und sich mit Gegenmeinungen auseinanderzusetzen, ebnet den Weg in Emotionen wie Entrüstung, Wut und Herabsetzung. Die Forderung nach einem Diskurs ist niederschwellig. Sie wäre leicht umzusetzen. Sie ist auch mehr als notwendig in einer Zeit der Irritationen, wo sich Bedeutungen ändern, wo die Wahrheit verloren geht und zu allem Überfluss verdreht wird, wo Werte umgedeutet, ignoriert oder geflissentlich übersehen werden und wo Verlustängste und Hass gezielt befeuert werden, nur um sie für eigene Vorteile zu instrumentalisieren. Diese Entwicklung kann nicht mit Waffengewalt verhindert werden. Gewalt treibt den Keil eher tiefer.
Wenn es sich herumspricht, dass der Zweifel das Wissen des 21. Jahrhunderts ist, dann ist die Mediation das geeignete Mittel, den Trend umzukehren, die Wahrheit zu finden und die Spaltung zu überwinden.1 Leider steht diese optimistische Einschätzung unter dem Eindruck, was unter der Mediation verstanden wird. Die Meinungen gehen selbst bei dieser Frage auseinander. Trotzdem dürfte Einigkeit bestehen, dass die Mediation zumindest eine Möglichkeit anbietet, die Dinge in ein Gleichgewicht zu bringen.2 Wenn darüber ein Konsens hergestellt werden kann, lautet die nächste Frage, warum ihre Möglichkeiten nicht gesehen werden und warum die Mediation nicht in Anspruch genommen wird.
- Der erste und nahe liegende Grund ist natürlich, dass die Mediation nicht verstanden wird.3 Nur so lässt es sich erklären, dass sie nicht in Anspruch genommen wird, obwohl ihr Nutzen auf der Hand liegt. Das Phänomen ist als Mediationsparadox bekannt.4
- Ein anderer Grund, warum der Nutzen der Mediation nicht gesehen wird, mag mit der zunehmenden Gewaltbereitschaft begründet werden. Die Mediation ist keine Bombe. Sie kann nicht detonieren. Deshalb wird sie in einem kriegerischen Umfeld auch nicht wahrgenommen. Dort werden Waffen gesucht. Die Mediation fällt in keine Waffenkategorie. Sie ist nicht laut genug und besitzt auch keine Zerstörungskraft. Wie kann sie eine Verteidigung sichern, wenn der armierte Angriff eine noch größere Gegenwehr einfordert?
Ich möchte der Frage auf den Grund gehen, um zu einem besseren Verständnis der Mediation beizutragen. Es soll sich herausstellen, dass die Mediation wehrfähiger ist, als es den Anschein hat. Das Titelbild veranschaulicht das Problem. Es wirft die Frage auf, was eine unbewaffnete Person gegen eine auf sie gerichtete Waffe ausrichten kann. Möglicherweise werden Sie sagen, dass die Person nichts zu befürchten hat. Niemand würde auf eine wehrlose Frau schießen.5 Was aber, wenn die Frau dieses Vertrauen nicht besitzt und wenn sie nach Möglichkeiten sucht, sich zu wehren. Was, wenn sie durchaus wehrhaft wäre und was, wenn der Angreifer nicht die Frau, sondern den dahinter vermuteten Dämonen erkennt, den er vielleicht sogar selbst mit seiner Bedrohung hervorgerufen hat. Gibt es in einer derartigen Gefechtssituation überhaupt einen Ansatz für die friedliche Mediation?
Mediation in einer gewaltvollen Welt
Die Antwort lautet: „Ja“. Sie hängt aber davon ab, was unter Mediation verstanden wird und welche Kompetenzen ihr zugeschrieben werden. In ihrer höchsten Kompetenz ist sie durchaus in der Lage, den Widerspruch von Frieden und Gewalt aufzulösen. Auch die Beziehung von Gewalt und Mediation gestaltet sich wie Feuer und Wasser. Zumindest auf den ersten Blick schließen sie einander aus. Kann es sein, dass sich die Mediation umgekehrt proportional zur Gewalt entwickelt oder gibt es eine nachgewiesene Korrelation, bei der ein Anstieg von Gewalt zu einem Rückgang der Mediation führt? Die Schlussfolgerung wäre jedenfalls naheliegend, weil die Mediation nicht zu den automatischen Reaktionen in einer Bedrohungslage zählt. Andererseits wäre es kontraproduktiv, wenn der Weg in die Mediation verschlossen ist, denn die Mediation ist die Ultima Ratio, wenn es darum geht, die Gewalt zu besiegen.
Bitte beachten Sie den Perspektivwechsel. Die Mediation soll die Gewalt besiegen, nicht den Gegner. Das ist ein kleiner aber wichtiger Unterschied und vielleicht sogar schon der Grund für viele, die Mediation abzulehnen. Ihr Fokus ist auf den Gegner gerichtet, nicht auf den Weg. Sie haben kein Interesse, den Gegner zu verschonen. Sie wissen nicht, dass sie das in der Mediation auch gar nicht müssen. Die Mediation führt Gerechtigkeit herbei. Sie ist ungefärbt und hinsichtlich der zu gewinnenden Erkenntnisse und Einsichten schonungslos. Allerdings verfolgt sie einen ungewohnten Weg. Die Mediation geht den Weg des Umdenkens. Genau das wird von der Gewalt verhindert. Wie das Rumpelstilzchen verleitet die Gewalt dazu, Fähigkeiten der Mediation zu verbergen.6 Um ihre Fähigkeiten aufzudecken, stellen wir uns einer Komplexität, die sowohl mit der Gewalt wie auch mit der Mediation einhergeht.
Ähnlich wie die Mediation hat auch die Gewalt viele Gesichter. Sie kommt in ganz unterschiedlichen Gestaltungen vor. Auch die verbale Gewalt gehört dazu. Der Leser mag vor seinen eigenen Assoziationen und Gewalterfahrungen gewarnt sein und bedenken, dass Gewalt nicht gleich Gewalt ist. Es kommt auf ihren Verwendungszweck und ihre Ausübung an, um ihre Verwerflichkeit einschätzen zu können. Was dann als verwerflich anzusehen ist, hängt von den Umständen ab.
Pauschale Aussagen über den Einsatz der Mediation bei einem Gewalthintergrund sind kaum möglich. Trotzdem sollen nachfolgend einige Berührungspunkte herausgearbeitet werden, um Zusammenhänge zwischen der Gewaltbereitschaft und der Mediationsnachfrage aufzudecken und Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation nachzuweisen.
- Direkte Gewalt
- Das Titelbild dieses Artikels geht von einer akuten Bedrohungslage aus. Der Angreifer steht seinem Opfer gegenüber. Die unmittelbare Bedrohung bildet den Ausgangsfall bei der Frage, ob die Mediation der Gewalt etwas entgegenzusetzen hat. Physische Gewalt kann bei hoch eskalierten Streitigkeiten, bei häuslicher Gewalt, bei räuberischer Erpressung oder bei ähnlichen kriminellen Delikten aufkommen. Ob eine Mediation in einem solchen Fall möglich ist, hängt von der Situation und dem Zeitpunkt ab, wann sie zur Anwendung kommt. Gute Chancen hat die Mediation, wenn sie schon vor der Tat zur Konfliktvermeidung oder zur Gewaltvorbeugung eingesetzt wird. Nach der Tat macht die Mediation ohnehin nur noch Sinn, wenn es um eine Wiedergutmachung oder um die Neugestaltung der Zukunft geht. Während der Tat könnte eine Mediation nur dann hilfreich sein, wenn sie in der Lage ist, die Bedrohung abzuwenden. In der Situation des Titelbildes gibt es keine neutrale dritte Person, die einschreiten könnte. Deshalb ist der Entscheidungsspielraum für die bedrohte Person außerordentlich eng. Wer akut mit einer Waffe bedroht wird, kommt kaum auf die Idee, dem Angreifer ein Mediationsverfahren vorzuschlagen. Er wird eher zu reflexartigen Reaktionen neigen, die hauptsächlich durch das autonome Nervensystem gesteuert werden. Die davon ausgelösten Reaktionen sind Teil der evolutionär verankerten Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreaktion ("fight, flight, or freeze"). Wenn der rationale Teil des Gehirns ausgeschaltet ist, fällt die Entscheidung für eine Mediation ohnehin sehr schwer. Auch bei dem Angreifer ist nicht damit zu rechnen, dass er sich auf den, für ihn zunächst gar nicht so vernünftig klingenden Vorschlag zur Durchführung eines Mediationsverfahrens einlassen würde. Der biologische Hintergrund legt eine Strategie nahe. Sie zielt darauf ab, eine Lage herzustellen, wo der Verstand wieder funktioniert. Die Mediation kennt die dahin führenden Mechanismen. Erst wenn aus der Gewaltandrohung eine unmittelbare Gewaltanwendung wird, hat ein Aikidōka bessere Chancen, sich aus der Situation zu befreien. Bereits das Wissen des Angreifers, dass sich sein Opfer wehren kann, könnte die Gewaltausübung verhindern. Jede Gewaltausübung birgt ein hohes Verletzungs- und Verlustrisiko. Wer sich auskennt weiß, dass die Mediation dieses Risiko vermeiden könnte. Auch wenn sie nicht als ein formales Verfahren zur Verfügung steht, könnten die Beteiligten auf ihre Kompetenz zurückgreifen. Das wäre beispielsweise die Idee der integrierten Mediation.7 Es handelt sich um ein Mediationskonzept, das viele Parallelen zum Aikido aufweist.8 Der Mediator nutzt seine Fähigkeit zur Deeskalation. Der Aikidōka nutzt sie zur Verteidigung. Ansatzweise verfolgen beide die gleiche Strategie, wenn es ihnen nicht darum geht zu siegen, sondern den Kampf überflüssig zu machen. Wer genau hinschaut, wird bei dieser Herangehensweise viele Parallelen zwischen der Kampfkunst und der Mediation erkennen, woraus sich die Wehrfähigkeit der Mediation ableiten lässt.
- Andauernde Gewalt
- So verrückt es klingen mag. Die Erfolgschancen mediativer Interventionen steigen mit der Dauerhaftigkeit der Gewalteinwirkung. Wieder kommt es darauf an, was unter Gewalt verstanden wird. Ein Kidnapping unterscheidet sich von einer Folter. Zur Beurteilung der Frage, ob und wie sich das Opfer der Gewalt entziehen kann, kommt es entscheidend darauf an, wie sich die Beziehung zwischen Täter und Opfer gestaltet. Das wiederum hängt vom Verhalten und der Kommunikationslogik ab, worauf das Opfer einen Einfluss hat. Wie einfühlsam die Beziehung zwischen Täter und Opfer werden kann, zeigt sich bei dem Stockholm-Syndrom.9 Hier gelingt es dem Opfer von Geiselnahmen sogar, ein positives, emotionales Verhältnis zu den Entführern aufbauen. Wer die Verstehensvermittlung der Mediation beherrscht, kann diesen Effekt noch verstärken.
- Indirekte Gewalt
- Juristen unterscheiden die sichtbare vis absoluta von der unsichtbaren vis compulsiva. Die Unterschiede sind mit der körperlichen und der psychischen Gewalt zu umschreiben. Das Gaslighting ist ein Beispiel für die nicht sichtbare, psychische Gewalt. Andere Beispiele sind das Ghosting, die emotionale Erpressung, der verbale Missbrauch, emotionale Vernachlässigung, usw.10 Die Gewalt wird in diesen Fällen durch die Täter-Opfer-Beziehung gespeist. Wenn das Opfer die Mechanismen kennt, kann es sich besser zur Wehr setzen und selbst schützen. Die Kompetenz der Mediation steigert nicht nur die eigene Resilienz. Sie verbessert auch die Erkennbarkeit von Fehlinformationen. Sie zeigt Wege, sich mit dem Täter zu verständigen und Gründe dies zu tun. Die Lösungschancen vergrößern sich, wenn dessen Motive offenbart werden.
- Kulturelle Gewalt
- Eingangs wurde darauf hingewiesen, dass die Beurteilung, ob die Gewaltanwendung verwerflich sei oder nicht, von den Umständen abhinge. Mitglieder einer Gesellschaft, die in ihren allseits präsenten Medien Gewalt verharmlost, normalisiert oder gar verherrlicht, verlieren schnell die Sensibilität für persönliche Grenzen. Sie erfahren eine Desensibilisierung, die in der Respektlosigkeit mündet und bis zu einer moralischen Entkopplung führen kann. Es kommt zu einer Verrohung, die sich von jeder Form des Anstands entfernt. Politiker werden zum Vorbild für die Feindseligkeiten. Sie lassen sich zu öffentlichen Beleidigungen hinreißen, deren Unterhaltungswert für Horrorliebhaber überzeugender ist als jeder Diskurs, der zum Nachdenken anregt. Unstimmigkeiten werden Emotionen geopfert. Argumente verlieren sich in Herabwürdigungen. Die Verrohung ist so weit fortgeschritten, dass sich Politiker nicht einmal mehr für ihre Korrumpierbarkeit schämen. Vor einem unreflektierten Publikum können sie sich mit der Fähigkeit brüsten, dass es eine Stärke sei, Werte zu missachten und Regeln zu brechen. Die Mediation hat ein schweres Spiel, wenn Gewalt Dummheit rechtfertigt und weder das eine noch das andere die Kompetenz der Mediation zu schätzen weiß. Die Mediation braucht eine Bewegung und vielleicht ein neues Image, um Gamechanger zu werden. Wie wäre es mit einer Detonation?
- Organisierte Gewalt
- Der Schritt zur organisierten Gewalt ist von hier aus nicht mehr weit. Gemeint ist die Gewalt von Banden, Verbrecherorganisationen oder gar von Staaten. Jetzt steht das Opfer nicht nur einer Person, sondern einer Institution gegenüber, die sich in der Übermacht befindet, die sie kontrolliert, indem sie Gewalt missbraucht. Zumindest auf den ersten Blick wird es immer schwieriger, die Mediation anzuwenden. Dass sie trotzdem möglich ist, zeigt die Analyse von Baumann und Clayton. Sie besagt, dass der Einsatz von Mediationen mit dem Anstieg der innerstaatlichen, gewaltsamen Auseinandersetzungen ansteige.11 Leider ergibt die Analyse nicht, wie viel Unterstützung seitens des Staates oder internationaler NGO's von außen erforderlich war, um diesen Erfolg zu erzielen. Unterstützt wird die Beobachtung jedoch durch einen Bericht von Wolfe, der besagt, dass die Gewaltanwendung in Nigeria durch die Schulung lokaler Führungskräfte in Mediation reduziert worden sei.12 Während die Schulung einen Beitrag leistet, die Mediation besser einzuschätzen, stellt die Mediation selbst durchaus effektive Techniken und Methoden zur Verfügung, die eine Handhabe für den Umgang mit kriminellen Subkulturen ermöglichen. Beispiele sind die NIMBY-Strategien, die Migrationsstrategien, die restaurative Circles und einige Mechanismen der Mediation, die zur Verteidigung geeignet sind. Im politischen Bereich würde die Mediation auch die Interpunktion der Gewalt hinterfragen.
- Staatliche Gewalt
- Damit kommt die staatliche Gewalt ins Spiel. Sie ist gewollt, solange sie auf der Grundlage des Rechts erfolgt und das Recht schützen soll und kann. Wenn das Gefühl für Recht verloren geht, wird diese Form der Gewalt prekär. Die Mediation hat eine besondere Beziehung zum Recht. Weil sie in der Lage ist, das Recht in Frage zu stellen und neu zu gestalten, wäre sie bei derartigen Auseinandersetzungen durchaus ein geeignetes, friedliches Mittel der Umgestaltung. Obwohl das Recht bei der Lösungssuche innerhalb der Mediation nicht im Vordergrund steht, muss es die Mediation von außen schützen, indem es die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes, das freie Denken, die persönliche Sicherheit der Medianden und die Verlässlichkeit der Vereinbarung garantiert. In einem totalitären System, das durch zentralisierte Kontrolle, Unterdrückung von Kritik, Meinung und Opposition, sowie von der Einschränkung individueller Freiheiten gekennzeichnet ist, wirkt die Mediation, die auf ein freies Denken setzt, konspirativ. Sie wird entweder stark eingeschränkt, staatlich kontrolliert oder in einer Weise praktiziert, die den Prinzipien der Unabhängigkeit und Neutralität widerspricht. Die Mediation verliert ihre Unschuld, wenn sie ihrerseits instrumentalisiert und zur Propaganda missbraucht wird. Dann lernt sie zwar zu detonieren. Sie zerstört sich jedoch selbst. Die Mediation ist ein Instrument, das zum Aufbau von Vertrauen und zur Wiederherstellung der Balance beitragen kann. Ein solches Instrument ist unauffällig und leise. Das kommt der Mediation andererseits entgegen. Die Einbeziehung aller Stakeholder, die Nutzung von Technologie und die Schaffung sicherer Räume könnte die Mediation deshalb durchaus auch in repressiven Systemen im Stillen wirksam werden lassen. Internationale Unterstützung und Bildungsprogramme könnten dazu beitragen, die Akzeptanz und den Erfolg von Mediation zu fördern. Es ist wichtig, die spezifischen Herausforderungen und Bedürfnisse des totalitären Systems zu berücksichtigen und flexible und anpassungsfähige Strategien zu entwickeln.
- Kriegerische Gewalt
- Das ist die nächste Stufe einer flächendeckenden Gewalt. Es gibt verschiedene Arten von Kriegen. Das gemeinsame Merkmal bei allen Kriegen ist die gewaltsame Durchsetzung eines Willens gegenüber einem anderen Willen, der alle Differenzen außer Acht lässt. In allen Fällen kommt es zu einer interaktiven, kollektiven Gewaltanwendung, die einen rational nicht immer ganz nachvollziehbaren Zweck verfolgen soll. Obwohl die Mediation auch im Kriegsfall zu jedem Zeitpunkt eine sinnvolle Alternative zur Konfliktlösung anbietet, wird die Auffassung vertreten, dass sie nicht in der Lage sei, den Krieg zu beenden. Diese Auffassung mag auf Schlichtungen und Verhandlungen zutreffen. Zumindest die auf der kognitiven Mediationstheorie basierende Mediation stellt durchaus einen Ausweg dar und kann als Exit-Strategie verwendet werden. Die Exit-Strategie ergibt sich aus strategischen Überlegungen und einem Umdenken, das in einen anderen gedanklichen Kontext führt und den Weg in die Mediation begleitet.13
Erhöhter Schutzbedarf
Es gibt Meinungen, die eine Mediation weder bei hoch eskalierten Konflikten noch bei Konflikten mit Gewalt oder in einem Machgefälle für möglich halten. Träfe diese Auffassung zu, hätte die Mediation in einer gewaltvollen Welt kaum eine Chance. Auch den Opfern wäre nicht geholfen. Die Mediation funktioniert, wenn sie alle Protagonisten, also Täter und Opfer schützt und selbst beschützt wird. Der umfassende Schutz mag verwirren. Der Täter verdient keinen Schutz, wird eingewendet. Abgesehen davon, dass sogar in einem Strafverfahren eine Unschuldsvermutung greift, passt diese Auffassung auch nicht zur wertefreien Metasicht der Mediation. Sie würde die Lösung vorwegnehmen. Die Zugeständnisse an die Sicherheit betreffen nur die Mediation. Dass die Mediation trotz hoch eskalierter Konflikte, Machgefällen und Gewalthintergründen möglich ist, hängt entscheidend davon ab, wie sie installiert wird und wie sie die Verhandlungssicherheit darstellen kann. Die größte Schwierigkeit wird darin bestehen, die Entscheider an einen Tisch zu bekommen. Das könnte mit der Vorstellung gelingen, dass sich die Mediation wie eine Arena verhält und dass es eine Ehre sei, in dieser Arena die Interessen der Parteien zu vertreten. Wenn die Einladung gelingt, hängt alles davon ab, dass die Mediation als eine geschützte Sphäre eingerichtet werden kann, in der alle Protagonisten auf gleicher Augenhöhe und bei 100%iger Vertraulichkeit miteinander sprechen können. Wieder mag der Gedanke einer Arena helfen, die dann allerdings als eine isolierte Sphäre ausgeprägt wird. Die Sphäre bildet die Metaebene ab. Sie erlaubt es, die Gewalt, das Machtgefälle, den Krieg oder welches Inferno auch immer aus dieser Perspektive heraus zu beobachten und zu reflektieren. Die Metaebene sieht alles. Die Mediation wird nach der kognitiven Mediationstheorie angewendet, wo die Beteiligten nicht in den Kontext der Gewalt, sondern darüber hinweg in den Kontext des Nutzens geführt werden. Der Nutzen steht über der Lösung. Auf dieser Ebene sind die meisten Gemeinsamkeiten denkbar. Es ist wichtig, dass die Sphäre hermetisch und strategisch von der Außenwelt abgeriegelt wird.
Einer reicht nicht
Das größte Problem wird darin bestehen, alle Protagonisten an den Tisch zu bekommen. Zunächst werden die Opfer von Gewalttaten kein besonders großes Interesse haben, ihrem Schädiger zu begegnen. Auch die Täter werden kein besonders großes Interesse daran haben, sich den Dissonanzen zu stellen, die eine Auseinandersetzung mit der Tat mit sich bringt. Ohne Einfluss zu nehmen, kann abgewartet werden, bis der Druck von außen zur Veränderung so groß wird, dass Verhandlungen den einzigen Ausweg anbieten. Diese Logik entspricht der Konfliktevolution von Schwarz, die einen Strategiewechsel nicht aus einem einsichtigen Verständnis und Mitgefühl, sondern erst für den Fall vorsieht, dass sich das Nullsummenspiel als erfolglos erweist. Frieden braucht einen langen Atem, ein langfristiges Engagement, Beziehungsaufbau und Konsistenz.14 Wenn die Umstände nicht den nötigen Verhandlungsdruck aufbauen, kann die Mediation auch durch unmittelbaren Zwang ermöglicht werden. Das Konklaveprinzip wäre ein Vorbild.15 Der Zwang darf sich nicht auf die Lösung, erstrecken, sondern nur darauf, lösungsoffen und auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln. Wer der Mediation vertraut, der weiß, dass daraus kein Gesichtsverlust entsteht, weil das Ergebnis am Ende den Nutzen für alle ergibt. Es bedarf eines großen Wissens und eines tiefen Vertrauens in die Mediation, um daran zu glauben, dass dies möglich ist. Entscheidend ist der Weg. Wenn der Weg der Mediation eingeschlagen wird, erfüllt sich das Lösungsparadoxon. Die Zielerreichung ist garantiert.16
Fazit
Die Mediation kann immer noch nicht detonieren. Könnte sie es, würde sie zwar als eine wirksame Gegenwehr wahrgenommen werden. Sie wäre aber keine Mediation mehr. Das ist ihr Dilemma. Trotzdem belegen die vorausgegangenen Ausführungen, dass die Mediation trotz der Gewaltandrohung und sogar bei der Gewaltanwendung nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll ist. Manchmal mag sie nur als eine wirkungsvolle, zur Deeskalation führende Ergänzung zu anderen Verteidigungsmaßnahmen in Betracht kommen. In allen Fällen erzielt zumindest die nutzenorientierte Mediation jedoch bessere Ergebnisse. Damit kommt die Frage auf, warum sie nicht genutzt wird und was gegebenenfalls zu tun ist, um sie einzusetzen. Ein naheliegender Grund ist sicherlich, dass die Mediation und vor allem die hinter ihr verborgene Kompetenz nicht oder nicht richtig verstanden wird. Ein anderer Grund ist, dass sie nicht in die Konfliktstrategie passt und ein dritter Grund ist, dass sie einfach nicht gewollt wird.
Ich habe versucht, die bis hierhin führenden Gedanken mit Daten aus der Forschung zu belegen. Es war mir allerdings nicht gelungen, einen Nachweis für den kausalen Zusammenhang des Verhältnisses von Gewalt und Mediation zu finden. Es gibt lediglich Nachweise, dass die Inanspruchnahme der Mediation paradoxerweise nicht den Erwartungen entspricht.17 Vielleicht ändert sich das, wenn wir alle lernen umzudenken.18 Wenn ich auch nicht mit einem Nachweis dienen kann, ist es naheliegend, dass es einen umgekehrt proportionalen Zusammenhang zur Gewaltbereitschaft gibt. Die Beobachtung deckt sich zumindest mit eigenen Erfahrungen, die ich zuletzt bei der Arbeit an einem Friedensprojekt in Afrika gewinnen konnte. Zusammenfassend mag festgehalten werden, dass die Mediation zumindest als eine Kompetenz durchaus auch bei Gewalt eingesetzt werden kann und sollte. Sie allein mag jedoch unzureichend sein, um die Gewaltbereitschaft des Angreifers zu unterdrücken.
Arthur Trossen
Bild KI-generiert