Das Prinzip der Nützlichkeit (Utilitarismus)
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Nutzen Utilitarismus Interessen Motive Bedürfnisse Phase 3 Erwartung Orientierung Analyse
Das Wort Utilitarismus stammt vom Lateinischen utilitas ab, das mit Nutzen oder Vorteil zu übersetzen ist. Der Utilitarismus beschreibt eine zweckorientierte, teleologische Ethik.1 Der Rechtsphilosoph Jeremy Bentham ist der Begründer des klassischen Utilitarismus. Er sieht die Basis für das Wirken der Menschen in dem Widerspruch zwischen Leid und Freude.2 Bentham definiert das Prinzip der Nützlichkeit als den Maßstab, der schlechthin jede Handlung in einem Maß billigt oder missbilligt, wie ihr die Tendenz innezuwohnen scheint, das Glück der Gruppe (der davon Betroffenen), deren Interesse in Frage steht, zu vermehren oder zu vermindern.3 Problematisch ist das Konzept, wenn sich die Entscheidung, was vertretbar ist, nur auf eine Mehrheit bezieht sodass sich das Wohlbefinden nur für die größte Zahl der beteiligten Personen herstellt. Unterschieden wird der quantitative Utilitarismus, wo es auf die Verteilungsmehrheit ankommt, vom qualitativen Utilitarismus, wo es auf die graduelle Bedürfnislage ankommt.4
Varianten und Formen des Utilitarismus
Höffe stellt heraus, dass sich der Utilitarismus heute weniger als eine homogene, ethische Theorie darstellt. Es handelt sich vielmehr um eine weit verzweigte Theoriefamilie. Gemeinsam ist den verschiedenen utilitaristischen Ansätzen, dass sie auf eine Verpflichtung für das Wohlergehen aller Bezug nehmen.5 Dabei unterscheidet eine Ausprägung nach dem Handlungsgegenstand. Der Handlungsutilitarismus bewertet einzelne Handlungen direkt an ihren Konsequenzen. Der Regelutilitarismus (Richard Brandt) hingegen bewertet Handlungen indirekt über moralische Regeln, deren allgemeine Befolgung den Nutzen maximiert. Nach der Nutzendefinition lassen sich folgende Varianten ausmachen:
Variante | Nutzenkonzept | Vertreter | Kritik |
---|---|---|---|
Hedonistisch | Lustmaximierung/Leidminimierung | Bentham, Mill | Vernachlässigt nicht-hedonistische Werte (z.B. Wissen). |
Präferenzorientiert | Erfüllung von Interessen/Präferenzen | Singer, Hare | Präferenzen können irrational oder unmoralisch sein. |
Ideal | Objektive Güter (z.B. Wissen, Freiheit) | G.E. Moore | Setzt Werte ohne empirische Basis voraus. |
Negativ | Vermeidung von Leid (nicht Maximierung von Lust) | Popper, Benatar | Vernachlässigt positive Wohlfahrtsquellen. |
Der Nutzen in der Mediation
Der Utilitarismus versucht, eine moralische Instanz abzubilden, was der Mediation fremd ist. Trotzdem mag es Überschneidungen mit dem Nutzenbegriff der Mediation geben. Die größte Übereinstimmung scheint bei dem präferenzorientierten Utilitarismus aufzukommen. Anders als dort stellt sich der Nutzen in der Mediation aber gerade nicht als die Lösung dar, sondern aus der daraus zu erlangenden Befriedigung.
Das Nutzenverständnis der Mediation lässt sich zunächst auf die psychologische Konnotation ein, indem der emotionale Zustand der Zufriedenheit hinterfragt wird. Er ergibt sich aus der Verwirklichung der Motive. Das geht weit über die (lediglich) auf eine Handlung oder Unterlassung gerichteten Interessen hinaus.
In der Sprache des Utilitarismus könnte man sagen, das sich das Glück der Schwestern, die beide Orangensaft trinken wollen, nicht aus der Verteilung der Orange ergibt, sondern aus der Bedeutung, die ihr zugeschrieben wird und der Rückkopplung zu den Bedürfnissen, die den Konflikt ausgelöst haben. Indem die Bedeutung des Streites hinterfragt wird, stellen sich weitere Ebenen her, auf denen die Lösung zu finden ist.6
Jetzt zeigen sich die Grenzen der Befriedigung. Denn nicht jede Befriedigung bedeutet einen Nutzen.
Bedenken bestehen insoweit, als die Rache zwar eine unmittelbare Befriedigung herbeiführt. Sie genügt jedoch weder, um eine nachhaltige Zufriedenheit herbeizuführen, noch um dem Gegner einen Nutzen zu vermitteln. Der Nutzen führt erst dann zu einer nachhaltigen Lösung, wenn er auch für die Gegenseite einen Nutzen einbringt. Das könnte die Schuldbegleichung sein. Für die Beschreibung des Nutzens in der Mediation kommt es anders als beim Utilitarismus nicht auf das Gemeinwohl an, wohl aber auf die Partizipierbarkeit des Nutzens.
Weil es in der Mediation zumindest vordergründig nicht um ethische Auseinandersetzungen geht, wird der Nutzen in der Phase drei ganz individuell ermittelt, indem zunächst der erwartete Nutzen (nicht die Lösung!) aus der Sicht jeder einzelnen Partei herausgearbeitet wird, um dann Gemeinsamkeiten und Schnittstellen zu finden, die zu einem gemeinsamen Nutzen führen. Die aus den Motiven abzulesenden Kriterien des Nutzens ergeben sich somit aus der zu erwartenden, positiven Auswirkung. Die nachfolgende Skizze erläutert den prozessualen Zusammenhang.
Der Nutzen ist letztlich die grüne Linie in der Skizze. Sie stellt eine Verbindung her zwischen dem Motiv, der Nutzenerwartung und der tatsächlich zu erzielenden, positiven Wirkung. Die Kritik, die dem Utilitarismus entgegengebracht wird, trifft auf die Mediation nicht zu. Beim Utilitarismus kommt die Frage auf, wer die Qualität entscheidet, wer die Mehrheit ist, für die entschieden wird und was mit den Interessen der Minderheit geschieht. In der Mediation ist sichergestellt, dass alle Teilnehmer, also alle Betroffenen entscheiden und ihre Bedürfnisse einbringen. Der Minderheitenschutz erfolgt über den Grundsatz der Freiwilligkeit. Die zu ermittelnde Wirkung wird aus allen Perspektiven beleuchtet, sodass das Ergebnis aus der Sicht von beiden (allen) Parteien gewollt ist. Der Grundsatz der Freiwilligkeit erlaubt es einer Partei, das Ergebnis solange abzulehnen, bis sie sich darin wiederfinden kann.
Bedeutung für die Mediation
Die Ausrichtung am Nutzen ist von zentraler Bedeutung der Mediation, wenn sie dem Konzept der kognitiven Mediationstheorie folgt. Der Mediator fragt stets nach dem Wozu, was auf den Nutzen hindeutet, nicht nach dem Wie, was auf die Lösung hindeutet. Das Wie ergibt sich aus dem Wozu. Um diesen Fokus zu unterstreichen, wird die Nutzenorientierung als einer der Grundsätze der Mediation festgeschrieben. Um den Nutzen korrekt zu ermitteln, ist die Abgrenzung zur Dimension der Lösungen außerordentlich wichtig. Der Nutzen erschließt sich niemals aus einer Antwort auf eine Wie-Frage. Aber immer aus einer Frage nach dem Wozu oder nach dem, was man davon hat, wenn die gewünschte Lösung eingetreten ist.
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