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Die Konflikttheorie

Wissensmanagement » Diese Seite gehört zum Fachbuch Mediation in der Wiki-Abteilung Wissen. Sie befinden sich auf einer Unterseite des Titels Konfliktarbeit, der zur Rubrik Konflikt des 6. Buchabschnitts gehört. Dem Beitrag Konflikttheorie sind folgende Kapitel zugeordnet:

Konfliktarbeit Konflikttheorie Dimensionen Motivation Dynamik Evolution Mediationstheorien

Worum es geht: In der Mediation ist immer von DER Konflikttheorie die Rede, obwohl es mehrere Konflikttheorien gibt. Auch Karl Marx hat eine Konflikttheorie entwickelt. Wenn hier also von der Konflikttheorie die Rede ist, ist die allgemeine Konflikttheorie gemeint, die sich mit der Konfliktdynamik auseinandersetzt und einen Beitrag zur Definition und zum Verständnis der Konflikte liefert.

Einführung und Inhalt: Auch die Konflikttheorie ist keine Theorie der Mediation, wohl aber zum Phänomen Konflikt, die in einem Verfahren der Konfliktbewältigung natürlich eine ausschlaggebende Bedeutung spielt. Eine Auseinandersetzung mit der Konflikttheorie ist deshalb in der Mediation unerlässlich.

Die drei Stufen der Konfliktentwicklung

Für Konflikte ist charakteristisch, dass sie sich im Verlauf von Beziehungsverhältnissen herausbilden. Es gibt nicht den Konflikt aus dem Stand, der einfach da ist. Seine Herausbildung geschieht vielmehr in drei Stufen:

Stufe 1: Naming

In einer Situation erlebt einer der Beteiligten ein bestimmtes Ereignis als ihn verletzend

Warum kann die Anwaltsgehilfin die Bemerkung des jungen Assessors „Da haben Sie ja wieder mal tollen Mist gebaut!“ nicht als sachbezogenen Kommentar zu ihrer eigenen Arbeitsleistung wahrnehmen, der vielleicht etwas unglücklich formuliert, ansonsten aber nicht der Rede wert ist? Warum ärgert sie diese Bemerkung? Weil sie auf der Grundlage einer bestimmten Beziehung interpretiert. Weil sie sie auf der Grundlage ihrer Wahrnehmung des juristischen Berufsanfängers interpretiert, der ihre eigene Berufserfahrung zu missachten scheint. Somit also, weil sie die Bewertung auf der Grundlage ihrer bestimmten Wahrnehmung interpretiert, die sie von sich selbst hat, ihren Ansprüchen sich selbst gegenüber, ihrer Erwartung, wie sie von ihrer Mitwelt behandelt werden will und ihrem wunden Punkt, jener Schwachstelle ihres Selbstbewusstseins, bei der sie ganz besonders empfindlich reagiert.

 Merke:
Leitsatz 14357 - Jeder Konflikt ist höchst persönlich, weil er auf höchst persönlichen Wahrnehmungen beruht und auf höchst persönliche Erfahrungen und höchst persönliche Fähigkeiten des einzelnen Menschen zurückgreift.

Die menschlichen Schwachstellen sind sehr individuell. Der eine kann Kritik nicht ertragen, der an-dere keine Bemerkung über sein Aussehen, der dritte erlebt jede Ablehnung eigener Initiative als persönliche Zurückweisung und der vierte alles zusammen. Auf dieser Grundlage reagiert sie gleichsam automatisch auf die Bemerkung des jungen Anwaltes und empfindet sie als kränkend.

 Merke:
Leitsatz 14358 - Jeder emotionale Zustand hat seine eigene Logik.

Dass jeder emotionale Zustand seine eigene Logik hat, gilt auch für die Kränkung. Die Kränkung ist ein Angriff auf unser Selbstwertgefühl, auf unsere Definition dessen, wer wir sind oder sein wollen, und damit auf ein hohes Gut, für viele Menschen ihr höchstes Gut überhaupt. Eine Krän-kung stellt uns selbst in Frage und entsprechend ist es kein Wunder, dass wir unter Druck geraten und extrem aggressiv reagieren.

 Merke:
Leitsatz 14359 - Eine Kränkung stellt eine Bedrohung dar und löst entsprechende Angstgefühle aus.

Zu einem solchen Interpretationsprozess gehört charakteristischer Weise dazu, dass wir der Äuße-rung selbst diese kränkende Wirkung zuschreiben und die eigenen Interpretationsprozesse nicht mit berücksichtigen: der Kommentar des jungen Anwaltes - da gibt es nichts zu rütteln - war kränkend.

Stufe 2: Blaming

Der Beteiligte schreibt die Verantwortung für dieses Ereignis einem anderen Beteiligten zu und macht seine Verletzung zur Grundlage eines Vorwurfs

Auch die zweite Stufe beruht wesentlich auf Prozessen der sozialen Wahrnehmung und Beurtei-lung. Warum können wir die Bemerkung des Anwaltes nicht als „einfach so dahin gesagt“ abtun? Weil wir sie absichtlich so formuliert interpretieren, weil wir dahinter den Neid des Kollegen oder des Vorgesetzten auf unsere Arbeitsleistung vermuten, oder ein anderes, finsteres Motiv; weil sich die Bemerkung einreiht in eine Reihe anderer, hinter der wir langsam die strategische Absicht er-kennen, uns fertig machen zu wollen, kurz: weil wir die Bemerkung interpretieren auf der Grundla-ge unserer Beziehungsdefinition zum Anderen. Wir interpretieren eine Äußerung stets auf der Grundlage eines komplexen Vorstellungszusammenhangs, der geprägt ist von allgemeinem Erfah-rungswissen, momentanen Interessen, geheimen Wünschen, Gefühlen, naiven Verursa-chungstheorien, Verdächtigungen und Mutmaßungen, die in jeweils unterschiedlichem Maß relevant und in abgestufter Deutlichkeit bewusst sind. Solchen Vorstellungszusammenhängen liegt eine Logik der Verfestigung zugrunde, d.h. sie neigen dazu, sich selbst zu bestätigen und zu stabili-sieren. Man konstruiert ein Bild des Anderen und des Geschehens, das „aufgeht“ und in das sich jedes kommende Ereignis in der Auseinandersetzung bruchlos einfügen lässt.

 Merke:
Leitsatz 14361 - Es ist eine der wichtigsten Aufgaben im Konflikt, die jeweiligen Wirklichkeitskonstrukte der Konfliktparteien zu erkennen, zu offenbaren und miteinander zu synchronisieren.

Stufe 3: Claiming

Der Beteiligte erhebt Kompensationsforderungen für die erlittene Verletzung

Sind dem Anderen erst einmal feindliche Motive unterstellt, verfügt man über eine Interpretations-folie, die auch sein weiteres Verhalten als aggressiv, durchtrieben oder feindlich gesinnt erscheinen lässt. Die Wahrnehmung wird eingeschränkt. Ist die Beziehung erst einmal als feindlich definiert, finden sich laufend neue Belege dafür, dass die Definition in der Tat zutrifft. Wir sitzen im Käfig unserer Phantasie.

 Merke:
Leitsatz 14360 - Kein Streit ohne Wiedergutmachungsforderung.

Der Konflikt als Potenzial

Wie die Konflikttheorie belegt ist der Konflikt kein statisches Ereignis. Der in ihm verborgene Widerspruch beinhaltet ein unglaubliches Potenzial, das stets mit einer so oder so ausgerichteten Entwicklung einhergeht. Alle drei Stufen der Konflikttheorie müssen vollzogen sein, wenn wir sinnvoller Weise vom Vorliegen eines Konflikts sprechen. Jeder Schritt ist notwendig, keiner ist alleine hinreichend. In allen drei Stufen spielt die Selbstwahrnehmung, die Wahrnehmung des Gegenübers und die Wahrnehmung der Sozialbeziehung die entscheidende Rolle dafür, ob sich ein Streit entwickelt und herausbildet, oder nicht. Somit ist fast jeder Konflikt mit einem Beziehungskonflikt verknüpft oder mündet darin. Ein Konflikt mommt deshalb selten allein. Er zieht weitere Konflikte nach sich. Je besser Sie die Konflikte identifizieren können, umso bessere Chancen hat die Mediation zur Konfliktbeilegung. Die Mediation stellt ein komplexes Behandlungssytem zur Verfügung, das Sie im Rahmen der Mediation oder der Streitvermittlung einsetzen können.

Der Konflikt und seine Behandlung in der Mediation

Bedeutung für die Mediation

Die Konflikttheorie ist keine Forschung, die den Ablauf der Mediation begründen kann. Dennoch fließt sie in die Arbeit des Mediators mindestens wie die Eskalationstheorie ein. Der Mediator muss herausarbeiten, auf welcher Stufe sich der Konflikt befindet. Er muss weiterhin die persönliche Betroffenheit herausarbeiten, weil sie die Konfliktmotivation ergibt ebenso wie Anhaltspunkte für die zur lösungsführenden Interessen (Motive). Die Konflikttheorie belegt, dass und warum die Selbstwahrnehmung, die Wahrnehmung des Gegenübers und die Wahrnehmung der Sozialbeziehung in allen Stufen der Konfliktentwicklung eine Rolle spielen. Somit wird klar, worauf der Mediator zu achten hat, wenn er den Parteien helfen will, den Konflikt beizulegen.

Was tun wenn ...

Hinweise und Fußnoten
Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen
Bearbeitungsstand: 2024-03-04 12:27 / Version 26.

Alias: naming, blaming, claiming
Siehe auch: Konfliktmotivation
Literaturhinweise: Hofmann (Grundzüge)
Prüfvermerk:


Based on work by Arthur Trossen und anonymous contributor . Last edited by Arthur Trossen
Seite zuletzt geändert am Dienstag November 5, 2024 10:00:22 CET.

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