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Die Wahrheit und die Wirklichkeit

Wissensmanagement » Diese Seite gehört zum Fachbuch Mediation in der Wiki-Abteilung Wissen. Sie befinden sich auf der Themenseite Wahrheit, die der Rubrik Verstehen des 5. Buchabschnitts Methodik der Mediation zugeordnet wird. Beachten Sie bitte auch:

Verstehen Wahrheit Wahrnehmung Lügen Denken Realitätsverlust Beweiserhebung

Worum es geht: Die Frage nach der Wahrheit ist ein hochkomplexes philosophisches Problem. Sie spielt aber auch in der Mediation eine wichtige Rolle, besonders, wenn die Parteien sich darauf berufen und genau wissen, was wahr und falsch ist. Der Mediator sollte die Unterschiede kennen und wissen, wie damit umzugehen ist.

Einführung und Inhalt: Die Begriffe Wahrheit, Wirklichkeit und Realität werden oft synonym verwendet und dennoch unterscheiden sie sich. In der Mediation gibt es noch den Begriff der Informiertheit, der eher darauf hindeutet, wie mit der Wahrheit umzugehen ist.

Abgrenzungsbedarf

Die Begriffe Wahrheit, Wirklichkeit und Realität lassen sich wie folgt gegeneinander abgrenzen:

Wirklichkeit
Die Wirklichkeit ist oder weist auf etwas, das wirksam ist, das sich verwirklichen kann. Ihr Gegenteil ist die Unwirklichkeit.
Wahrheit
Die Wahrheit ist das Erkennen der Wirklichkeit. Das Gegenteil davon ist das Unwahre oder die Illusion.
Realität
Der Begriff Realität wird mit Wirklichkeit übersetzt. Immerhin leitet sich das Wort vom Lateinischen Res, die Sache ab. Gemeint ist die Gesamtheit des Realen, womit angesprochen wird, was bereits verwirklicht ist. In diesem Fall ist ihr Gegenteil das Potenzial, welches noch nicht entfaltet ist.
Informiertheit
Die Informiertheit ist die Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen.

Hao Bu verwendet ein anschauliches Beispiel, um die Unterschiede zwischen Wahrheit, Wirklichkeit und Realität herauszustellen:1

Beispiel 15225 - Ein Apfelkern wächst zu einem Apfelbaum heran. In diesem Kern, also diesem Samen, schlummert schon zu Beginn ein potenzieller Baum. Mithilfe der Erde, des Wassers, des Sonnenscheins und der Luft wird dieser Samen im Jahreslauf zu einem echten Baum. Das ist die Wirklichkeit. Die im Samen schlummernde Kraft muss sich nach einer Gesetzmäßigkeit offenbaren, um ein Apfelbaum statt ein Birnbaum zu sein. Das ist die Wahrheit.


Die klassische Definition von Wahrheit findet sich schon bei Aristoteles. Sie ist demnach die Übereinstimmung von „Sache“ (Sachverhalt) und „Wort“ (Benennung). Es geht also um die Übereinstimmung von Aussagen oder Urteilen mit einem Sachverhalt, einer Tatsache oder der Wirklichkeit im Sinne einer korrekten Wiedergabe.2 Schon Peirce hatte auf die Perspektivenabhängigkeit der Wahrnehmung hingewiesen und bei der Frage nach der Übereinstimmung von Sache und Benennung den Interpretanten eingeführt, woraus das semiotische Dreieck entstanden war, das aus folgenden Eckpunkten besteht:3

  • Signifikat: die Sache oder etwas, das bezeichnet werden soll (das Bezeichnete)
  • Signifikant: das bezeichnende Wort (das Bezeichnende) und
  • Interpretant: die Position von der aus diese Übereinstimmung betrachtet wird.

Mithin belegt schon die Semiotik, dass die Wahrheit relativ ist. Und so verhält es sich auch mit der Beurteilung der Frage, was richtig oder wahr und falsch oder unwahr ist. Wenn die Wahrheit einen Realitätsbezug aufweist, kommt die Wirklichkeit ins Spiel. Und hier stellt sich die gleiche Frage.

Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Die Frage nach der Wirklichkeit beantwortet der radikale Konstruktivismus auf eine verblüffende Art und Weise. Er geht davon aus, dass wir Menschen die Welt nicht VORfinden, sondern dass wir sie ERfinden. Die völlige Subjektivität der Wahrnehmung ist das Radikale im Konstruktivismus. Watzlawick erläutert diesen Gedanken anhand von Beispielen. Er beschreibt die Relativität der Wahrnehmung, besonders im menschlichen Beziehungsgefüge. Die Bedeutung einer Handlung, eine der wichtigsten Fragen in der Mediation, bleibt unserer Wahrnehmung verschlossen.

Dieses Video zeigt einen Vortrag von Paul Watzlawick. Es handelt sich um die aufgezeichnete Sendung Nachstudio von Radio Kultur.

Die Aufzeichnung erfolgte in der ersten Hälfte der 90-er Jahre. Es geht um die Frage, wie wir uns die Welt erfinden. Möglicherweise geht es nur darum, die Wirklichkeit anders wahrzunehmen und zu bewerten.

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Video um ein bei Youtube (Google) hinterlegtes Video handelt. Was das bedeutet, erfahren Sie in der Datenschutzerklärung. Eintrag im Videoverzeichnis erfasst unter Wie wirklich ist die Wirklichkeit


Watzlawick weist in seinem Vortrag darauf hin, dass er sich als Therapeut letzten Endes immer mit der Art und Weise auseinanderzuetzen hat, wie Menschen mit der Wirklichkeit fertig werden oder fertig zu werden versuchen oder an ihr scheitern und wie verschiedenste Annahmen im Scheinbar für die wahre Wirklichkeit gehalten werden und dann bei ihrem Zusammenbrechen eben jene Zustände erzeugen für die sich die Psychotherapie zuständig hält, ohne es wirklisch zu sein. Grundlage ist die Annahme, dass die Vorstellung von Realität stets ein Produkt der persönlichen Wahrnehmung sei, die basierend auf Erfahrungen erfolgt und durch Einschätzungen geprägt wird. Der Konstruktivismus geht davon aus, dass die Wahrheit erfunden und nicht gefunden wird.

 Merke:
Leitsatz 4361 - Da uns eine Wahrnehmung über die Unvollständigkeit der Wahrnehmung fehlt, müssen wir uns auf andere Weise eine Klarheit darüber verschaffen, welche Wahrnehmung fehlt oder fehlerhaft ist.

Diese wichtige Erkenntnis wird zu einem entscheidenden Argument für das Verständnis anderer Menschen und die Erklärung menschlichen Handelns. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Mediationsarbeit. Sie mag erklären, wie es sein kann, dass zwei Parteien das dieametral Entgegengesetzte behaupten und jede Partei sich im Recht fühlt, weil sie die Wahrheit doch kennt. Die Selektion der Wahrnehmung spielt dabei eine wichjtige Rolle. Sie hat System.

 Merke:
Leitsatz 4362 - Das Bild, das sich die Menschen von der Wirklichkeit machen, ist immer durch deren Eindrücke, deren Persönlichkeit und deren Geisteszustand geprägt.

Die Wirklichkeit ist im wörtlichen Sinne unbegreiflich und deshalb immer nur ein individuell theoretisches Konstrukt. Alles was wir wahrnehmen wird auf dieses Konstrukt bezogen. Das Phänomen der unterschiedlichen Wirklichkeiten und ihrer Beziehung zu Kommunikationsvorgängen beschreibt die folgende Parabel:

Beispiel 11975 - Ein Mann kommt in den Himmel und trifft dort einen alten Freund, auf dessen Knien ein wunderhübsches junges Mädchen sitzt. 'Fantastisch', sagt der Neuankömmling, 'ist sie deine Belohnung?' 'Oh nein', sagt der alte Mann traurig, 'ich bin ihre Strafe.' (Watzlawick)


Es gibt keine absolute Wirklichkeit. Stattdessen gibt es nur subjektive, zum Teil völlig widersprüchliche Auffassungen von der Wirklichkeit. Die Annahme, dass die eigene subjektive Wirklichkeit der "wirklichen" Wirklichkeit entspricht, ist ebenso unergiebig wie riskant. Watzlawick hat die wahrnehmbare Wirklichkeit in 2 Ordnungen eingeteilt:

Wirklichkeit 1. Ordnung
Es handelt sich um Wirklichkeitsaspekte, die auf dem Konsens der Wahrnehmung der Beteiligten und auf experimentellen, wiederholbaren und daher verifizierbaren Nachweisen beruhen. Die Wirklichkeit 1. Ordnung ist mit naturwissenschaftlichen Methoden in physikalischchemischen Kategorien eindeutig beschreibbar.
Wirklichkeit 2. Ordnung
Welche Bedeutung und welchen Wert im weitesten Sinne Tatsachen, Fakten oder Gegenstände, der Wirklichkeit 1. Ordnung einzunehmen haben, ist von deren Wirklichkeit 1. Ordnung völlig verschieden und keineswegs eindeutig festgelegt. Die Bedeutung ist in hohem Maße subjektiv und arbiträr. Insofern gibt es von ein und derselben Sache sehr viele Wirklichkeiten 2. Ordnung, von denen jede subjektiv und für sich gesehen "wirklich" ist. Die subjektive Wirklichkeit dieser Ordnung ist so überzeugend wirklich, dass die Tatsache mehrerer verschiedener Wirklichkeiten schnell geleugnet wird.
Beispiel 11976 - Die Aussage „Die Truhe der Hubers besitzt ein Volumen von 1 Kubikmeter“ betrifft die Wirklichkeit 1. Ordnung.

Beispiel 11977 - Die Aussage „Die Truhe der Hubers ist sehr groß“ betrifft die Wirklichkeit 2. Ordnung. Jeder hat eigene Vorstellungen davon was groß ist und vor allem, was groß bedeutet. Für den Einen ist es viel, für den Anderen ist es schwer. Für den Einen ist es hoch, für den Anderen ist es breit.


Da die subjektive Wirklichkeit der 2. Ordnung ausschlaggebend für die Bedeutung der Wahrnehmungen ist, wird diese Wirklichkeit auch die Bedeutungswirklichkeit genannt. Das Herausarbeiten der hinter den Aussagen der Medianden verborgenen, unterschiedlichen Bedeutungswirklichkeiten ist eine der wichtigsten Aufgaben des Mediators.

Was ist wahr?

Viele Menschen, die in Verhandlung miteinander treten, gehen davon aus, dass nur die eigene Wirklichkeit, also die subjektive Sicht, der (wahren) Wirklichkeit entspricht und die Wirklichkeit der Verhandlungspartner unwahr ist. Ja es ist schwer, das nicht Sichtbare zu akzeptieren.

Ich weiß doch was ich sehe!


So lautet die ungläubige Reaktion der Parteien, wenn die ersten Zweifel bei der Auseinandersetzung mit anderen Sichten aufkommt. Die Aussage kennt wahrscheinlich jeder Mediator. Die eigene Wahrnehmung suggeriert immer die Vollständigkeit. Folgt man der Auffassung Foucaults, wonach wahr ist, was nicht verschleiert wird oder verborgen bleibt, dann ist die eigene Wahrnehmung immer wahr. Wahr ist aber auch, dass der Streit durch Informationslücken geschürt wird, die sowohl die Phantasie wie die Emotionen beflügeln. Sie gehen über das real Sichtbare hinaus, sodass es auf die Bedeutung ankommt, die der Wahrnehmung zugeschrieben wird. Wann ist eine Lüge eine Lüge und wer entscheidet überhaupt darüber, was wahr ist und was nicht? Fest steht lediglich, dass der Mediator dazu nicht berufen ist. Die Parteien haben keine andere Wahl, als sich selbst darüber zu verständigen. Der Mediator hilft ihnen dabei.

Der Umgang mit der Lüge

Die Bedeutungswirklichkeit

Um den Parteien eine Hilfestellung zu geben, muss der Mediator die feststehende reale Wirklichkeit der 1. Ordnung von der Bedeutungswirklichkeit unterscheiden. Es ist keinesfalls seine Aufgabe darüber zu entscheiden, was wahr ist oder nicht. Wohl mag er hinterfragen, wozu es wichtig ist, die Wahrheit zu kennen. Wenn er das Motiv kennt, kommt es auf die Wahrheit möglicherweise gar nicht mehr an. Dann besteht die Aufgabe des Mediators darin, die unterschiedlichen Sichtern herauszustellen, das Feststehende vom Nichtfeststehenden zu differenzieren, um dann, in einem weiteren Schritt, eine gemeinsame Sicht auf die Realität zu finden oder zu ermöglichen, aus der dann die Wahrheit entsteht. Konstruktivistisch gesprochen geht es darum, ein gemeinsames Konstrukt der Realität herzustellen.

Diese Herangehensweise ist ein wesentlicher Aspekt der Verstehensvermittlung. Er verhindert, dass die Partei den Konflikt aus nur einer als real empfundenen Sicht sieht, sodass sie die jeweils andere Partei von ihrem Standpunkt als dem einzig wahren zu überzeugen versucht. Ein solcher Versuch wird stets misslingen, solange die andere Partei ihre Sicht als die einzig wahre versteht.

 Merke:
Leitsatz 5245 - Was ich wahrnehme ist nicht das, was Du wahrnimmst. Auch was wir beide zusammen wahrnehmen hat wenig damit zu tun, was wirklich ist! Es ist nicht die Aufgabe des Mediators darüber zu entscheiden was wahr ist oder nicht. Seine Aufgabe besteht darin, die unterschiedlichen Sichten herauszustellen, um dann, in einem zweiten Schritt, eine gemeinsame Sicht auf das, was beide Parteien als die Realität anerkennen können, zu finden oder zu ermöglichen.

Ein Streit über die Fakten lohnt sich nicht, weil die Fakten nachweisbar sind. Ein Streit über die Bedeutungswirklichkeit lohnt sich aber genauso wenig, weil es sich letztlich um Einschätzungen, Interpretationen oder Bewertungen, also um Meinungen handelt.

Die Bedeutung von Fakten, Meinungen und Emotionen

Konflikte lassen sich nicht durch Argumente oder durch das Überzeugenwollen der anderen Person von der Wahrheit des eigenen Konstrukts lösen, sondern nur durch das Verstehenwollen des Konstrukts der anderen Person. Unterstellen Sie also Behauptungen einer Partei über die Bedeutungswirklichkeit einfach immer als wahr. Das spart Zeit und Kraft. Die Mediation unterstützt Sie in diesem Prozess. Ihr kommt es, anders als im juristischen Denken, nicht darauf an, die Richtigkeit eines Konstruktes zu begründen. Sie stellt die Konstrukte einfach nebeneinander, weil es sich nur so herausfinden lässt, wo es Übereinstimmungen gibt und zu Abweichungen kommt.

Beispiel 11978 - Zwei Schüler eines Rabbis streiten sich. Als der Rabbi fragte, was denn los sei, erzählte der eine Schüler den Hergang des Streitgesprächs aus seiner Sicht und klagte den anderen Schüler dabei an. Der Rabbi sagte zu ihm: “Du hast völlig recht!”. Der andere Schüler war darüber noch verärgerter und schilderte seine Sicht der Geschehnisse, welche die eigene Unschuld und die Schuld des anderen darlegte. Der Rabbi bestätigte auch ihn und sagte in ruhigem Ton: “Du hast völlig recht!”. Ein weiterer Schüler konnte das gesamte Gespräch mitverfolgen. Er schüttelte verständnislos den Kopf und sagte verärgert zum Rabbi: “Wie kannst du beiden sagen, sie hätten recht. Das ist doch gar nicht möglich. Das widerspricht sich doch total”. Und der Rabbi entgegnete auch ihm väterlich: “Da hast Du völlig recht!”

Die Bedeutungsklärung

Es ist (nicht nur in der Mediation) außerordentlich wichtig, den Bedeutungen auf den Grund zu gehen. Wir neigen dazu, Bedeutungen zu verschleiern. Beim Framing zum Beispiel werden andere Worte benutzt, um die wahre Bedeutung des Gesagten mit positiven oder negativen Assoziationen zu verknüpfen. Ein Mediator sollte auf derartige Manipulationen nicht hereinfallen. Schon die Semiotik beweist die Relativität einer Aussage, indem Sie die Übereinstimmung von der Sache (also das was bezeichnet werden soll, das Bezeichnete oder das „Signifikat“) mit dem bezeichnenden Wort (also das Bezeichnende oder das „Signifikant“) und die Position (von der aus diese Übereinstimmung betrachtet wird) hinterfragt.4

In der Mediation findet die Klärung der Bedeutungen schwerpunktmäßig in der dritten Mediationsphase statt. Um der Bedeutung einer Aussage, einer Nichtaussage oder einer nonverbalen Äußerung auf den Grund zu gehen, kann die Technik der Bedeutungserhellung angewendet werden. Sie deckt sich mit der Motiverhellung, weil sich die Bedeutungen letztlich aus den Motiven ableiten. Die herausgearbeiteten Bedeutungen geben Hinweise auf die Vorstellungswelt der Parteien und deren Sicht auf die Wirklichkeit. Zusammen mit der Technik des Dimensionierens, genauer gesagt mit der Unterscheidung von Fakten, Meinungen und Emotionen, lassen sich die valiierbaren Fakten herausstellen, die gegebenenfalls für die Wahrheitsfindung eine Rolle spielen. In der Kommunikation wird die Synchronisation über das Loopen hergestellt, das die Bedeutungserhellung und das Dimensionieren zusammenführt..

Bedeutungserhellung Dimensionieren Loopen

Der Realitätsverlust

Wie verhält sich der Konstruktivismus bei einem Realitätsverlust, gibt es das dann überhaupt noch? Von einem Realitätsverlust ist die Rede, wenn der Mensch aufgrund seines geistigen Zustandes nicht mehr in der Lage ist, die Situation, in der er sich befindet, zu begreifen. Die Sicht auf die Wirklichkeit und unsere Vorstellung davon, sind also abhängig von der Fähigkeit, die Situation, in der wir uns befinden, korrekt einzuschätzen. Es kommt darauf an, das eigene Handeln mit der Objektivität der realen Welt und der Denkweise seines Umfeldes in Einklang zu bringen. Ist diese Fähigkeit nicht mehr gegeben, ist eine psychiosche Erkrankung indiziert. Die Mediation kommt an ihre Grenzen.

Realitätsverlust

Der Umgang mit der Wahrheit

Wahrheit ist sicher nicht die auf sogenannten alternativen Fakten basierende, verbogene Selbstdarstellung oder die politische Propaganda, die eine Welt aus hochwirksamen Lügen beschreibt. Wie aber ist die Wahrheit einzuschätzen, wenn alle, die diese Unwahrheiten verbreiten, selbst daran glauben und alle, die ihr erlegen sind, vielleicht nur deshalb darauf hereinfallen, weil sie daran glauben möchten? Dieser Gedanke führt zur Informiertheit und der Frage, wie die Mediation mit Informationen umgeht und wer die Deutungshoheit besitzt. Wenn die Wahrheit mit der Deutungshoheit gleichgesetzt wird, wird sie zu einem Mittel der Macht. Denn wer die Deutungshoheit besitzt, kann bestimmen was wahr ist. Die Mediation wirkt einer einseitigen Deutungshoheit entgegen, indem sie darauf besteht, dass die Parteien auf gleicher Augenhöhe verhandeln.

Dieses Youtube-Video ist die Aufzeichnung einer 3Sat-Sendung von und mit dem Autor und Philosophen Gert Scobel, über das Thema Wahrheit aus philosophischer Sicht. Die Ausführungen basieren auf Gedanken des französischen Philosophen Paul-Michel Foucault, der sich u.a. mit dem Verhältnis von Macht und Wissen auseinandersetzte. Der Autor setzt sich mit der Bedeutung der Wahrheit auseinander und wie sie herzustellen ist.

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Video um ein bei Youtube (Google) hinterlegtes Video handelt. Was das bedeutet, erfahren Sie in der Datenschutzerklärung. Eintrag im Videoverzeichnis erfasst unter Mut zur Wahrheit


Scobel beschreibt die Wahrheit als ein Mittel, die Unwahrheit plausibel zu machen und ins Gegenteil verkehren zu können. Die Wahrheit erfordere nicht nur eine Auseinandersetzung mit der Frage was wahr ist, sondern auch damit, was es bedeutet, sie zu leben. Diese Frage wendet sich dem Menschen zu, der die behauptete Wahrheit für sich in Anspruch nimmt. Wer nicht die Wahrheit selbst, sondern den Umgang mit ihr hinterfragt, stellt einen Bezug zur Haltung des Menschen her, sodass moralische Attributionen möglich werden. Die Wahrheit zu sagen, bekommt eine charakterliche und moralische Dimension, weil sie eine Einschätzung über die Fähigkeit und die Bereitschaft erlaubt, mit ihren Konsequenzen umzugehen und umgehen zu können. Diese Fähigkeit konkurriert mit der Macht der Deutungshoheit. Wahrheit kennt keine Heimlichkeit. Zu viel Verschleierung lenkt den Blick von der Wahrheit ab. Wahrheit erfordert, den Mut zur Vereinfachung und Gradlinigkeit und den Mut, erkennbar zu machen, dass ein vorgegebenes Wissen nicht dem tatsächlichen Wissen entspricht. Ironie und Zynismus sind mögliche aber ebenso gefährliche Herangehensweisen, um die Wahrheit zu verdeutlichen. Sie sind gefährlich, weil sie beim Gegenüber statt einer Erkenntnis, Emotionen wie Wut und Ärger hervorrufen können. Nach Foucault kommt es deshalb entscheidend darauf an, die Wahrheit der Prinzipien nicht nur zu theoretisieren und zu reflektieren, sondern sie auch zu leben.

Bedeutung für die Mediation

Die etwas philosophisch angehauchte Auseinandersetzung mit der Wahrheit hat durchaus eine Bedeutung und Auswirkungen auf die Mediation. Ein Zusammenhang betrifft den Mediator selbst und die Frage, ob er die Prinzipien der mediativen Wahrheit auch tatsächlich selbst lebt. Diese Frage wirkt sich nicht zuletzt auf die Bedeutung der Resonanz in der Mediation aus, wo die Gradlinigkeit des Mediators zum Gleichklang der Parteien beiträgt. Der andere Zusammenhang betrifft die Frage, wie die Wahrheit ans Tageslicht kommt. Ironie und Zynismus stellen sich als untaugliche Mittel heraus, wenn sie den Willen des Gegenübers brechen sollen. Wird die Mediation jedoch als ein geduldiger Gedankengang begriffen, der mit vielen Impulsen dazu beiträgt, dass Erkenntnisse in den Köpfen der Parteien ermöglicht werden, bildet sich Schritt für Schritt auch eine zumindest zwischen den Parteien verstandene Wahrheit heraus.

Die Mediation sollte den Parteien verdeutlichen, dass sie als zwei Wirklichkeiten wahrgenommen werden, die sich im Widerspruch erleben. Der Mediator kann leichter als die Parteien nachvollziehen, dass jede Partei in ihrer Wirklichkeit "recht hat", ohne dass sich die Parteien widersprechen. Bezieht sich der Widerspruch auf Fakten, lässt sich erheben, was wirklich ist. Sie betreffen die Wirklichkeit 1. Grades, weil Fakten messbar und evaluierbar sind. Lediglich die Bedeutungswirklichkeiten können dann noch verbleibende Konstrukte sein, die voneinander abweichen. Der Mediator kann dies den Parteien vermitteln, indem er die Bedeutungen hinterfragt und als Meinung identifiziert. Das präzise Zuhören ist sein Werkzeug. Die unterschiedlichen Konstrukte müssen verstanden werden, um die Parteien zu verstehen. Die Bedeutungszuschreibung erlaubt einen Rückschluss auf die Person und letztlich ihre Persönlichkeit und Bedürfnisse. Hier findet der Mediator wichtige Anhaltspunkte in Phase 3, mit denen sich die Kriterien für eine Lösung ermitteln lassen. Zunächst werden die Konstrukte nur nachvollziehbar gegenübergestellt. Ob sie geklärt werden müssen, um die Wahrheit zu ergründen, ist eine andere Frage. Die Mediation kann diese Frage übergehen, indem sie das Bild von der anzustrebenden heilen Welt erzeugt,5 wo es auf die (zu überwindende) Wirklichkeit gegebenenfalls nicht mehr ankommt. Streitige Fakten, die dann noch entscheidungserheblich sind, werden erst in der 4.Phase geklärt.

Die Mediation stellt zwar nur die Informiertheit als Entscheidungsgrundlage heraus. Wenn die Informiertheit jedoch auch die Motive der Parteien umfasst, ist sie zugleich ein Instrument, um die Wahrheit zu erkennen.

Was tun wenn ...

Hinweise und Fußnoten
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Bearbeitungsstand: 2024-03-17 19:31 / Version 73.

Aliase: Bedeutungswirklichkeit, Wirklichkeit, Bedeutung
Siehe auch: Konstruktivismus, Lügen
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Based on work by Arthur Trossen und Bernard Sfez und anonymous contributor . Last edited by Arthur Trossen
Seite zuletzt geändert am Dienstag November 5, 2024 14:19:19 CET.

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