Erst eine differenzierte Betrachtung zeigt den Weg, wie der Krieg mit Hilfe der Mediation zu beenden ist. Die Mediation ist zwar auch eine Art der Verhandlung. Sie sollte aber gerade vor einem Kriegshintergrund nicht mit allgemeinen Verhandlungen gleichgesetzt oder gar mit einer Schlichtung verwechselt werden. Eine lösungsbasierte Schlichtung ist etwas anderes als eine verstehensbasierte Mediation. Sowohl die Anforderungen als auch die Herangehensweisen unterscheiden sich dramatisch.1
Bei der Auseinandersetzung über die Frage, ob Verhandlungen möglich sind oder nicht, muss also unterschieden werden, welche Art der Verhandlung zwischen wem und zu welchem Zweck überhaupt gemeint ist und welche eingefordert werden kann. Die gut gemeinte Forderung, den Krieg durch Verhandlungen zu beenden, ist zu allgemein gefasst, um erfolgreich zu sein. Denn darunter kann man sich alles und nichts vorstellen. Sie geht sogar ins Leere, wenn sie in Appelle mündet, die entweder auf der russischen oder der ukrainischen Seite zu einer Niederlage führen. Auf der russischen Seite würde das eingeforderte Schuldeingeständnis und der darauf basierende Rückzug als eine Niederlage verbucht werden. Auf der ukrainischen Seite würde der Gebietsverlust und die Unterwerfung eine Niederlage bedeuten. Deshalb kann das zum Aufgeben führende Manifest für den Frieden von Wagenknecht und Schwarzer2 kein ernst zu nehmender Ansatz sein, um ergebnisoffene Verhandlungen zu ermöglichen. Es richtet sich nicht nur an den falschen Adressaten. Es klingt auch nicht authentisch und würde vor allem nicht nur das Zurückweichen der Ukraine bedeuten. Auch würde das Recht gebeugt, wenn mit der Forderung zur Verhandlung die militärische Überlegenheit Russlands festgeschrieben und ein als rechtswidrig bezeichneter Zustand mit Gewalt herbeigeführt werden kann.
Die Auffassung von Habermas, eine zweigleisige Strategie zu fahren, die einerseits die Kriegshandlungen fortsetzt und andererseits den Weg in Verhandlungen eröffnet, verlangt zumindest keine Kapitulation der Ukraine. Sie kommt deshalb einer realistischen Lösung schon etwas näher.3 Habermas begründet die Notwendigkeit zur Fortführung der Kriegshandlungen mit dem unterstellen Willensmangel Putins, sich auf Verhandlungen einlassen zu wollen. Tatsächlich ist keine der Kriegsparteien zu Verhandlungen bereit, weil sie in der aktuellen Situation stets mit dem Verzicht auf den noch für möglich gehaltenen Sieg verbunden ist.
Wann Verhandlungen nicht möglich sind
Verhandlungen stellen durchaus einen Weg dar, um ein Problem zu lösen. Es ist aber ein Weg unter vielen, der nur dann gegangen wird, wenn er aus der kontroversen Sicht der Parteien zum Ziel führt. Wir wissen seit der Konfliktevolutionstheorie von Schwarz,4 dass ein Strategiewechsel erst in Betracht kommt, wenn die verfolgte Strategie für untauglich gehalten wird. Ein konventionelles Verhandlungsangebot wäre demnach also erst in dem Moment denkbar, wenn der Sieg für zumindest eine der Parteien aussichtslos geworden ist, wenn er für beide Seiten nicht (mehr) in Betracht kommt oder wenn es den Sieg beider Parteien bestätigt oder darüber hinausgeht. Das ist im kontroversen Denken kaum möglich. Eine konventionelle Verhandlung kann deshalb nur im Kompromiss enden, bei dem alle Seiten nachgeben. Dazu ist aktuell niemand bereit. Das Gegenteil ist der Fall.
Sicherlich ist das Ziel von Verhandlungen die Herstellung des Friedens. In dem Punkt sind sich sogar alle Parteien einig. Der Streit besteht also nicht über die Frage, dass der Krieg beendet werden soll. Er kommt mit der Frage auf, wie er zu beenden ist. In die Sprache der Mediation übersetzt bedeutet das: Es besteht Konsens über den (noch unbestimmten) Nutzen, dass es zum Frieden kommen soll, aber nicht über die Lösung, wie der Frieden aussehen wird. Auch ist noch unklar, was Frieden überhaupt bedeutet. Der Ukraine-Krieg hat längst eine symbolische Bedeutung bekommen. Er ist so angelegt, dass eine Beendigung des territorialen Krieges nicht zwingend den dahinter verborgenen Konflikt beilegt und zum Frieden führt. Baechler weist deshalb zu Recht darauf hin, dass Friedensverhandlungen nur in einem europäisch-globalen Rahmen möglich seien.5 Tatsächlich geht aber auch dieser Ansatz nicht weit genug.
Somit ist das erste und naheliegende Hindernis, das den Verhandlungen im Wege steht, der Fokus auf den Krieg. Selbst wenn das Denken auf eine Beendigung des Krieges gelenkt wird, steht der Krieg im gedanklichen Mittelpunkt. Wie schon Watzlawick und Einstein eindrucksvoll belegt haben,6 führt das problemzentrierte Denken immer dazu, dass das Problem ein Teil der Lösung bleibt und nicht aus dem Problem hinausführt. Hinzu kommt, dass der Fokus auf den Krieg das Denken in einem hermeneutischen Zirkel der Konfrontation verhaftet.7 Er manifestiert die Gegnerschaft und verhärtet die Vorwürfe. Strategisch betrachtet ist der Krieg ein Nullsummenspiel, das nur drei mögliche Ergebnisse kennt: siegen, verlieren oder unentschieden. Diese Optionen setzen sich in konventionellen Verhandlungen fort. Wenn über die Beendigung des Krieges verhandelt wird, münden die Verhandlungen zwangsläufig in einen auf diese Ergebnisse beschränkten Verteilungskonflikt. Es ist deshalb nachvollziehbar, wenn sich die Verhandlungschancen an der militärischen Über- oder Unterlegenheit ausrichten.
Weil wir uns in einem auf Konfrontation ausgerichteten Kontext bewegen, wird alles was in diesem gedanklichen Kontext geschieht, im Sinne der Konfrontation ausgelegt werden. Dann können sogar Verhandlungsangebote und einseitige Friedensdemonstrationen dazu führen, dass sie als ein Zeichen der Schwäche oder der Wehrunwilligkeit ausgelegt werden und genau das Gegenteil erreichen. Sie könnten den Gegner zur Fortsetzung des Krieges ermutigen, weil er seinen Sieg für wahrscheinlicher hält. Wenn Friedensdemonstrationen erfolgreich sein sollen, müssen Sie auf allen Seiten der Konfrontation stattfinden oder so veranstaltet sein, dass sie nicht als ein Signal der Schwäche, sondern der Stärke wahrgenommen werden. Sie müssen einen Impuls setzen, der auch vom Gegner aufgegriffen werden kann und zum Umdenken führt. Das ist herausfordernd, wenn die Gesellschaft derart getäuscht wird, dass sie jede Friedensinitiative in ihr Gegenteil verkehren kann. Friedensappelle erreichen deshalb nur dann ihr Ziel, wenn sie die Konfrontation überwinden und nicht zu ihrem Teil werden. Warum wird beispielsweise nicht dafür demonstriert, dass sich die unterdrückten Völker auch für Friedensverhandlungen stark machen können und dass zu einer Freundschaft zwei gehören.
Ein weiteres Hindernis, das aus dem feindlichen Denken entsteht und gleichzeitig dazu führt, die Feindschaft zu verstärken, sind die vielen Unterstellungen im Kriegsgeheul. Stark vereinfacht wird behauptet, der Osten wolle den Westen vernichten und umgekehrt. Jede Unterstellung wird bestritten. Was nicht ins Bild passt, wird als Lüge dargestellt. Die Wahrheit wird bewusst oder unbewusst auf den Kopf gestellt. Jeder denkt im Kopf des Feindes und rechnet dessen Verhalten hoch, indem eine lineare Kausalität unterstellt wird. Der Westen wirft dem Osten vor, dass erst die Ukraine erobert wird und dann die ganze Welt. Der Osten wirft dem Westen vor, dass erst die Ukraine vereinnahmt wird, um damit Russland und den Osten zu vernichten. In beiden Fällen ist die Ukraine nur ein Mittel zum Zweck. Jeder und alles wird instrumentalisiert. Die dahinter liegenden Interessen lassen sich erahnen. Aber niemand kennt die Wahrheit. Sie ist kein Schwarzweißbild. Trotzdem wird sie darauf reduziert, sodass jede Seite behaupten kann, sie müsse sich vor dem designierten Feind schützen. Nicht der Verstand nährt diese Befürchtung, sondern die Emotion und die dadurch befeuerten Angstphantasien. Das einzig zuverlässige Fakt, das aus dem Verhalten der Kriegsparteien zu folgern ist, ist der Tod von unschuldigen Menschen. Man mag sich fragen, wo die feindlich gestimmten Emotionen herkommen. Die Begründung, dass die jeweils anderen daran schuld seien, ist jedenfalls zu einfach. Sie dient nur dazu, vom eigenen Versagen abzulenken, das auf beiden Seiten erkennbar ist. Jede Seite trägt eine Verantwortung am Zustandekommen dieses Krieges, der Teil einer größeren Auseinandersetzung ist, wo noch ganz andere, unterschiedliche Interessen eine Rolle spielen.8
Es wird deutlich, dass die geopolitischen Interessen weit über den regional begrenzten Ukraine-Krieg hinausgehen. Jeder Seite werden imperialistische Motive und Weltbeherrschungsphantasien unterstellt. Die Interessenlage deutet darauf hin, dass die Konfliktparteien nicht auf die Ukraine und Russland beschränkt sind. Es ist kaum anzunehmen, dass die Ukraine die Weltherrschaft anstrebt. Andere Nationen, die an dem Krieg direkt oder indirekt beteiligt sind, haben das Interesse aber durchaus. Deshalb ist es nicht abwegig, den Ukraine-Krieg als einen Stellvertreterkrieg zu bezeichnen. Es geht längst nicht mehr nur um die Unterwerfung oder die Befreiung der Ukraine. Der Krieg hat eine weit darüber hinausgehende symbolische und strategische Bedeutung bekommen.
Das Narrativ des Westens, dass es sich um einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine handelt, wo der Westen lediglich den angegriffenen Schwächeren unterstützt, deckt sich zumindest mit Artikel 51 der UN-Charta. Diese Vorschrift besagt, dass im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen, wozu die Ukraine zählt,9 das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung ausgelöst wird.10 Die altruistisch anmutende Absicht zur bloßen Verteidigungshilfe des Westens kann in Frage gestellt werden, wenn die darüber hinausgehenden geopolitischen Interessen ins Spiel kommen. Das zeigt sich an der militärischen Unterstützung Taiwans, das kein UN-Mitgliedsstaat ist und nicht von Art. 51 der UN-Charta gedeckt ist. Die Inkonsequenzen machen es schwer, ein eindeutiges Kriegsziel zu definieren. Es ist vom Sieg über Russland die Rede und vom Sieg gegen die Vorherrschaft des Westens. Warum wird eigentlich nicht vom Sieg der Vernunft oder des Rechts gesprochen? Wenn die Antwort lautet, weil es beides nicht gibt, kennt man zumindest den Angriffspunkt.
Der Krieg verfolgt viele Zwecke. Leider ist keines der erklärten Ziele wirklich nachvollziehbar. Russland kann seine Bevölkerung nicht befreien, indem es seine Bürger als Kanonenfutter missbraucht oder den vermeintlich eigenen Staat zerstört. Kein Staat wird zu einem Imperium, indem das Land in Armut und Abhängigkeit gedrängt wird. Die westlichen Werte werden auch nicht gerade hoch gehalten, indem sie gebrochen werden. Das Menschsein wird entwertet. Die Welt auf der wir leben gleich mit. Der Krieg lässt sich mit keinem Narrativ rechtfertigen, außer mit Feindbildern. Damit kommen wir zum nächsten Lösungshindernis, die Emotionen. Sie führen uns in ein echtes Dilemma. Was kann die eine Seite schon unternehmen, wenn die andere aufgehetzt wird? Wie verhalte ich mich im Streit, wenn der Gegner blind ist vor Hass. In einer solchen Situation ist die Aufrüstung nicht unbedingt die schlechteste Strategie. Die damit einhergehende Eskalation ist zumindest eine logische Konsequenz. Wer in einer Konfrontation kooperiert, zieht, strategisch betrachtet, stets den Kürzeren. Was ist die Alternative? Damit kommen wir zur nächsten viel diskutierten Frage, ob die Ukraine mit Waffenlieferungen zu unterstützen ist oder nicht.
Wann Waffenlieferungen erforderlich sind
Auf den ersten Blick wäre es konsequent, die Kriegshandlungen nicht durch Waffenlieferungen zu unterstützen, um den Krieg zu beenden. Der Vorwurf Russlands, dass der Westen durch die Waffenlieferungen für die Fortsetzung des Krieges verantwortlich sei, ist jedoch ebenso zynisch wie verantwortungslos. Solange wir uns gedanklich im Krieg bewegen, ist die Überlegenheit einer der Parteien das kriegsentscheidende Moment. Weil der Krieg mit Waffen geführt wird, bildet die militärische Überlegenheit den ausschlaggebenden Maßstab. Sobald ein Waffenungleichgewicht entsteht, ist das Kriegsziel für die überlegene Seite erreicht. Ergebnisoffene Verhandlungen werden dadurch unmöglich gemacht. Sie können nur in eine erzwungene Unterwerfung münden und im besten Fall zu einer Schadensbegrenzung enden. Der Krieg würde durch den militärischen Erfolg nicht nur gerechtfertigt. Er würde auch als ein Sieg auf internationaler Ebene gefeiert werden, der weit über die Bedeutung der Ukraine hinausgeht. Egal wie der Krieg ausgeht, der dahinter verborgene Konflikt würde weiter befeuert. Die Eskalation wird dadurch nicht beendet. So gesehen können die Waffenlieferungen durchaus dazu beitragen, eine Eskalation zu verhindern. Ihr Zweck entscheidet die Frage. In jedem Fall halten sie die Auseinandersetzung aufrecht. Leider lenken sie auch, was konflikttypisch ist, vom eigentlichen Problem ab. Das ist die eigentliche Eskalationsgefahr.
Das Problem deutet sich aus den Rollen der beteiligten Länder an, die wegen der geopolitischen Interessenlage nicht klar abzugrenzen ist. Die westliche Welt beruft sich auf Artikel 51 der UN-Charta, der eine Schützenhilfe ermöglicht.11 Das ist richtig, wenn der Konflikt auf die Parteien des Ukrainekrieges begrenzt wird. Der Westen ist aber auch Teil eines eigenen, dahinter liegenden Konfliktes mit Russland. Von einem Krieg gegen die Nato ist die Rede. Wie kann dieser Konflikt aus dem Ukraine-Krieg herausgehalten werden? Tatsächlich erfolgt die Unterstützung der Ukraine vom Westen nicht ganz uneigennützig. Deshalb fällt es (zumindest dem Gegner) leicht, sie in einen anderen Kontext zu stellen. Die Irritation käme nicht auf, wenn die Frage der Rechtmäßigkeit des Krieges juristisch und nicht politisch beurteilt würde und wenn die UN-Charta als ein verbindliches, durchsetzbares Recht angesehen würde und nicht als ein Spielball der Mächte. Wenn dem so wäre, stünden die Waffenlieferungen wie übrigens auch die Sanktionen in einem anderen Licht. Sie würden nicht auf den Sieg oder die Niederlage einer der Kriegsparteien abzielen, sondern als ein Druckmittel für Verhandlungen eingesetzt werden und sich eindeutig und allein für die Beachtung des internationalen Rechts verwenden. Würde der Zweck eindeutig so formuliert, käme die Frage auf, warum manche Länder den Sanktionen widersprechen und der Waffenhilfe nicht zustimmen. Ignorieren sie das internationale Recht oder verstehen sie es nicht?
Wann sich Waffenlieferungen erübrigen
Die Kriegsparteien wissen, dass der Krieg mit einer Verhandlung endet. Was sie nicht wissen ist, dass der Krieg auch durch eine Verhandlung beendet werden kann. Beide Parteien bekunden, dass die Zeit für Verhandlungen noch nicht gekommen sei. Zunächst muss klar sein, wer die militärische Überlegenheit besitzt. Nur so wird sichergestellt, das das gewünschte Ergebnis zustande kommt. Die Unterstützung der schwächeren Partei durch Waffenlieferungen ist wichtig, um bei Verhandlungen mindestens die gleiche Augenhöhe herzustellen. Würden sich die Parteien auf eine Mediation einlassen, kann die Augenhöhe gewaltlos hergestellt werden. Voraussetzung ist, dass die Mediation korrekt verstanden wird und nicht lediglich als eine Verlängerung der Konfrontation gesehen wird.
Worüber zu verhandeln wäre
Es gibt genügend Gründe und Themen über die zu verhandeln wäre. Sie stehen unmittelbar mit dem Ukraine-Krieg im Zusammenhang, gehen aber auch darüber hinaus. Das wird in dem 12-Punkte Plan von China deutlich.12 Ganz oben steht die Respektierung der Souveränität aller Länder. Bedeutet das, Russlands Einmarsch in einen UN-Staat zu respektieren oder will China damit sagen, dass sich Russland aus der Ukraine zurückziehen sollte. Nach der überwiegenden Meinung der Völker ist der Krieg gegen die Ukraine ein zu verurteilender Angriffskrieg. Wie kann es sein, dass China das anders sieht, wenn es auf das Recht der Vereinten Nationen pocht, wo die Ukraine (übrigens anders als Taiwan) als ein unabhängiger Staat anerkannt wurde und sogar Russland die Unabhängigkeit der Ukraine vertraglich garantiert hat.
Ein weiterer Punkt, der sehr nach vorne gestellt wird, ist die strenge Beachtung der Grundsätze der Vereinten Nationen. Die UN-Charta verpflichtet die Unterzeichnerstaaten im Art. 2 Ziff. 4 zu einem allgemeinen Gewaltverbot. Welcher Staat hält sich daran? Zu beobachten ist vielmehr, dass sich keine Seite an die UN-Charta hält, wenn es nicht in ihrem Interesse ist. So wie es aussieht, sind es die Atommächte, die sich diese Freiheit gönnen. In der Weltpolitik steht die Machtfrage ganz eindeutig über dem Recht, weshalb die Forderung, sich an das Recht zu halten, durchaus vernünftig ist.
Auch die anderen Forderungen in dem 12-Punkteplan Chinas machen Sinn. Leider steht hinter jedem Punkt ein Fragezeichen. Der 12-Punkteplan ist deshalb nicht mehr, als eine unvollständige Agenda, über die zu verhandeln ist. Die Forderung zur Beendigung einseitiger Sanktionen ist dafür ein Beispiel. Es wäre eine durchaus sinnvolle Maßnahme, wenn die Verhängung von Sanktionen unabhängig von den politischen Interessen im Einvernehmen erfolgen könnte. Müsste China dann nicht auch den Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine Krieges zustimmen? Man mag sich, wie die meisten Kommentare zu dem 12-Punkteplan überlegen, welche Interessen China damit eigentlich verfolgt. Die einzig logische Konsequenz zu ihrer Umsetzung wäre die Einführung einer Gewaltenteilung auf internationaler Ebene oder die Errichtung einer internationalen Justiz, die als unabhängige Instanz die Überwachung des Rechts jenseits der politischen Interessen verfolgt. Würde China diesen Schritt mitgehen? Es wäre eine Nagelprobe. Schauen wir unterdessen auf die Staaten, die sich einer internationalen Gerichtsbarkeit verweigern, wird das eigentliche Problem erkennbar. Es geht um die Macht und die Deutungshoheit. Statt den 12-Punkteplan Chinas im gedanklichen Konstrukt einer Konfrontation zu verurteilen, könnte er zum Anlass genommen werden, über alle dort aufgeworfenen Fragen auf internationaler Ebene zu verhandeln. Wird es dazu kommen? Die Chancen stehen schlecht.
Wie Verhandlungen möglich werden
Verhandlungen sind aus der Sicht eines vernünftig denkenden Menschen nicht nur sinnvoll. Sie sind auch dringend notwendig. Sie werden möglich, wenn sie mit den Konfliktparteien geführt werden, die nicht mit den Kriegsparteien identisch sind und wenn sie sich auf die eigentlichen Konfliktthemen beziehen. Die Mediation stellt ein Format zur Verfügung, das den Ausweg zeigen kann. Vorauszusetzen ist, dass die Mediation als das verstanden wird was sie ist oder je nach dem zugrunde gelegten Mediationsverständnis sein könnte. Was könnte die Mediation erreichen?
- Der strategische Zugang: Im konfrontativen Denken führt jede einseitige Kooperation zu einem strategischen Nachteil. Die Mediation kann durch die Formalisierung ihres Verfahrens eine strategische Exklave herstellen, die der strategischen Logik entgegenwirkt. Die Konfrontation wird ausgesperrt, sodass die Kooperation trotzdem möglich ist. Die Aussperrung der Konfrontation kann so organisiert werden, dass die Position einer Partei in der zunächst noch parallel laufenden Konfrontation nicht geschwächt wird. Konfrontation kann also fortgesetzt werden, falls die Kooperation scheitert. Die Mediation stellt, wenn man so will, strategisch und spieltheoretisch betrachtet ein anderes Spiel dar, das unter anderen Bedingungen abläuft und andere Möglichkeiten eröffnet. Es genügt also nicht, einfach nach Verhandlungen zu rufen. Es kommt darauf an, mit den Verhandlungen ein anderes Spiel zu eröffnen, das die Konfrontation zumindest pausiert und das gesamte Setting verändert.
- Der gedankliche Kontext: Ganz entscheidend ist, dass die Mediation nicht nur einen anderen strategischen Rahmen anbietet, mit dem ein Kooperationsspiel möglich wird. Sie führt auch in ein anderes Denken hinein. Sie stellt einen völlig anderen gedanklichen Kontext her. In diesem Kontext werden konstruktive Lösungen denkbar, die jenseits der aktuellen Vorstellungen von Sieg und Niederlage zu finden sind und durchaus im gemeinsamen Interesse aller Parteien liegen. Die Mediation schaut auf den Nutzen, nicht auf die Lösung. Sie führt (automatisch) in ein Umdenken hinein, das dringend erforderlich ist. Voraussetzung ist, dass sich die Parteien auf ein Mediationskonzept einlassen, dem das gelingt.13 Die Mediation muss hohe Anforderungen erfüllen.14 Kommt es nicht zu einer Mediation, muss das Umdenken bereits vor der Entscheidung für eine Mediation eingeleitet werden. Das kann geschehen, in dem wir uns nicht als Feinde und gegnerische Gesellschaften verstehen, sondern in dem wir uns darüber bewusst werden, dass wir alle Teil einer einzigen großen Weltgesellschaft sind, mit dem Wunsch einer friedlichen und freundschaftlichen Nachbarschaft. Sobald der Fokus auf diesen Gedanken gesetzt wird, ändert sich die Herangehensweise.
- Das Verhandlungsangebot: Die bisher unterbreiteten Verhandlungsangebote finden im konfrontationen Denken statt. Sie setzen sogar die Unterwerfung der Gegenseite als Verhandlungsbedingung voraus. Es ist also kein Wunder, wenn sie abgelehnt werden, solange sich die Partei noch für wehrfähig hält.
Die Mediation erfordert ein unbedingtes, nicht an Vorwürfe und Bedingungen geknüpftes, ergebnisoffenes Verhandlungsangebot. Wer hat den Mut, sich darauf einzulassen. Nur wer die Mediation versteht, weiß, dass derartige Verhandlungen kein Risiko darstellen, weil alle einen Nutzen davontragen werden. Auch wenn das Verhandlungsangebot von einem Waffenstillstand abhängig wird, ergibt sich ein Grund die Verhandlungen abzulehnen. Zu Recht wird unterstellt, dass der Waffenstillstand im konfrontieren Denken ein heimliches Aufrüsten ermöglichen könnte. Es wäre aber zielführender, die Frage nach einem Waffenstillstand zum Gegenstand der Verhandlung zu machen, als zu seiner Bedingung. Erst in der Verhandlung ergeben sich Möglichkeiten, die Sorge zu zerstreuen.
- Die Eskalation: Es ist aus strategischen Gründen kaum möglich, die Eskalation (außer durch einen Sieg oder die Unfähigkeit zum Sieg) zu stoppen. Sie kann jedoch umgelenkt werden. Käme es zu einer Mediation, würde sie dazu führen. Im Vorfeld einer Mediation ist die Umlenkung möglich, wenn die Eskalation ausschließlich dazu benutzt wird, einen Verhandlungsdruck aufzubauen und nicht eine Lösung durchzusetzen oder anzuklagen.
- Das gemeinsame Ziel: Verhandlungen, die darauf abzielen, die Überlegenheit oder Unterlegenheit einer Partei herauszustellen, führen notwendigerweise in ein kontroverses Denken. Die Mediation setzt den Fokus der Verhandlungen deshalb auf ein gemeinsames Ziel, das ein paralleles Denken ermöglicht und aus dem kontroversen Denken herausführt. Das gemeinsame Ziel ist die Herstellung des Weltfriedens. Der Fokus wird auf den (noch herauszuarbeitenden) Nutzen, nicht auf irgendeine ungewollte Lösung gerichtet. Mit diesem Fokus ändert sich der gesamte Verhandlungsablauf.
- Das Verhandlungsrisiko: Es ist davon auszugehen, dass Verhandlungen abgelehnt werden, weil die Parteien fürchten, dass sie unterliegen könnten. Die Mediation kennt keine Sieger oder Verlierer. Sie kennt nur einen Sieg, der aus einer Lösung entsteht, die einen nachhaltigen Frieden ermöglicht. Der Grundsatz der Freiwilligkeit erlaubt es jeder Partei, ein Ergebnis abzulehnen, bei dem sich kein übergeordneter Nutzen herstellen lässt. Es gibt also kein Risiko. Die Forderung nach einer gerechten Weltordnung wird bereits artikuliert. Sie trägt dem Umstand Rechnung dass die alte Weltordnung nicht aufrechterhalten bleiben kann. Niemand weiß, was eine gerechte Weltordnung bedeutet. Wäre die Möglichkeit, eine gerechte Weltordnung verlustfrei herzustellen aber keine Chance, die jedes Verhandlungsrisiko überwiegt? Es ist ein großes Thema, das viele Auseinandersetzungen vor erfordert. Der Weg ist das Ziel.
- Die Verhandlungsmacht: Verhandlungen in der Mediation erfolgen auf gleicher Augenhöhe. Das mag für die eine oder andere Partei ein Problem darstellen, wenn sie glaubt, dass dadurch ihre Überlegenheit infrage gestellt wird. Wer so denkt, fühlt sich in Wahrheit unterlegen. Dem kann geholfen werden. In der Mediation kommt jeder zu Wort. Alle Interessen werden berücksichtigt, auch die persönlichen. Wo also ist das Problem? Es käme zur Sprache, wenn eine Mediation abgelehnt wird.
- Die Unterscheidung der Konflikte: Wir beobachten, dass (nicht nur) in dem Ukraine-Krieg verschiedene Konflikte auf der internationalen Ebene aufeinanderprallen. Die Mediation würde eine Konfliktanalyse durchführen und die Konflikte strikt voneinander trennen. So wird es möglich, sich dem Konflikt zu stellen, Irritationen zu vermeiden und sich nicht von Konfliktsymptomen ablenken zu lassen, die vorgeschoben werden oder in die Irre führen. Die Mediation führt aus dem Streit heraus nicht in den Konflikt hinein.
- Die Differenzen: Klingt es nicht schon unlogisch, wenn jeder vom anderen behauptet, er sei der Aggressor, vor den man sich schützen muss? Sollten sich nicht alle Parteien selbstkritisch damit auseinandersetzen, wie das sein kann? Es gibt einen großen Klärungsbedarf, der sich auf ganz grundsätzliche Fragen erstreckt. Es fällt auf, dass alle Seiten aneinander vorbeireden. Der Vorwurf sich nicht verstanden zu fühlen wird sogar öffentlich erklärt. Leider wird er nicht hinterfragt. Alles ist unklar. Was meinen Russland, China und Amerika beispielsweise, wenn sie von der Souveränität oder der Unabhängigkeit der Staaten sprechen? Es ist kaum anzunehmen, dass sie darunter dasselbe verstehen. Wer hat die Deutungshoheit? Die Mediation (im hiesigen Verständnis) ist eine Verstehensvermittlung. Sie würde zunächst über die grundlegenden Fragen ein Einvernehmen herstellen, ehe überhaupt an Lösungen gedacht wird. Auch dieser Ansatz ist ein Grund, sich für eine Mediation zu entscheiden. Verständnis entsteht durch Austausch. Es sollte nicht zerbombt werden. Leider wird der Austausch gerade von allen Seiten verhindert. Das ist eindeutig die falsche Strategie.
- Die Vergrößerung des Kuchens: Wenn sich die Verhandlungen auf den Ukraine Konflikt beschränken, enden sie stets in einem Verteilungskonflikt und in der Frage der territorialen Herrschaft. In diesem Fokus kann es nur Verlierer geben. Verhandlungsstrategisch kommt es darauf an, den Kuchen zu vergrößern. Das gelingt, wenn andere Ebenen gefunden und in die Verhandlungen einbezogen werden. Nur so werden Lösungen möglich, die über die Verteilungsfrage hinausgehen. Die anderen Ebenen lassen sich finden, wenn der Fokus nicht auf die Lösung, sondern auf den Nutzen gelenkt wird. Es wäre eine Befreiung für alle Staaten, wenn sie ihr Geld nicht in die Rüstung, sondern in die Rettung der Welt investieren könnten. Auch innenpolitische Probleme ließen sich auflösen, wenn es gelingt, die Armut zu besiegen und Wohlstand zu ermöglichen. Eine Mediation würde also auch helfen, die innenpolitischen Probleme zu lösen. Sie könnte dazu beitragen, dass sich die Bedeutung einer Nation nicht mehr allein über die wirtschaftliche oder militärische Macht definiert, sondern als das wertgeschätzt werden kann, was ihre Kultur ausmacht und was sie ist. Sie würde dazu führen, dass sich die Nationen respektieren können. Ist es nicht das, was gefordert wird?
- Die Einbeziehung aller Konfliktparteien: Um den Lösungskuchen zu vergrößern, müssen die Verhandlungen eine internationale Ebene erreichen, die alle Konfliktparteien einbezieht. Das ist im Grunde jede Nation der Welt, insbesondere aber die Mächte, die eine Weltherrschaft anstreben. Es macht also wenig Sinn, die Verhandlungen auf Russland und die Ukraine zu beschränken. Die Hintermänner soll nach vorne treten. Alle Nationen müssen an einen Tisch, wenn die Verhandlungen jenseits des Krieges Aussicht auf Erfolg haben sollen.
- Die Klärung der Verantwortlichkeiten: Wenn Schuldzuweisungen zur Bedingung oder zum Inhalt der Verhandlungen gemacht werden, wird die gewünschte Lösung vorweggenommen. In der Mediation würde diese Frage zurückgestellt werden. Man würde zunächst versuchen, die Kriterien des Nutzens (also wie eine friedliche Welt aussehen könnte) herauszuarbeiten und darauf bezogen die Verantwortlichkeiten festlegen. Es ist eine Frage der Reihenfolge. Nachdem die Verantwortlichkeiten für eine Neugestaltung geklärt sind, besteht immer noch die Möglichkeit sich auf Schuldfragen und Reparationsleistungen oder dergleichen einzulassen. Die Mediation wickelt den Entscheidungsprozess rückwärts ab.15
Warum kommt eine Mediation nicht zustande?
Warum eine Mediation nicht zustande kommt, kann viele Gründe haben. Ein naheliegender Grund wäre, dass die Mediation (zumindest das für derartige Verhandlungen maßgebliche Mediationsverständnis) nicht hinreichend bekannt ist. Deshalb ist eine Aufklärung erforderlich, wozu dieser Artikel beitragen soll. Ein anderer Grund kann in dem mangelnden Konfliktbewusstsein gesehen werden. Hier würde es helfen, die ineinander wirkenden Konflikte konkret zu benennen. Wenn das geheime Motiv innenpolitische Probleme sind, könnte ein Hilfsangebot motivierender sein, als die Verstärkung der Probleme von außen. Schließlich bedarf auch die Vorstellung, dass Verhandlungen aus der Schwäche heraus erfolgen und nicht ein Zeichen für Stärke sind, der Korrektur. Auch dazu kann die Aufklärung beitragen, was Mediation ist. Im Verständnis der Mediation sind nur die Parteien wirklich schwach, die sich der Auseinandersetzung entziehen. Die Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Mediation mit den Motiven umgeht, hat gezeigt, dass es nicht genügt, die Motive für die Lösung zu erarbeiten.16 Auch für die Durchführung der Mediation bedarf es einer Motivation, die nicht immer deckungsgleich mit den Motiven für die Lösung ist. Ein Motiv könnte das Bedürfnis nach Sicherheit sein. Das nehmen alle für sich in Anspruch. Aber niemand setzt sich dafür ein. Das Bedürfnis nach Anerkennung wird auch von allen Seiten auf die ein oder andere Weise thematisiert. Die Aufrüstung bewirkt in beiden Fällen das Gegenteil. Sie führt in eine Polarisierung. Sie vergrößert die Feindschaft und erreicht das Gegenteil von dem was gewollt ist. Sie hindert daran, die eigentlichen Probleme zu lösen. Würde die Aufrüstung den Nationen besser helfen, ihre Ziele zu erreichen? es ist bereits erkennbar, dass sie genau in das Gegenteil führt.
Die Gesellschaft oder die Gesellschaften der Welt befinden sich in einem Veränderungsprozess. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie dieser Prozess gestaltet werden kann. Die eine Möglichkeit überlässt die Veränderung den systemischen Kräften. Sie entspricht einem Pokerspiel, das wir gerade in der Politik erleben. Dann warten wir ab, bis sich das System irgendwie selbst reguliert. Keiner weiß was hinten herauskommt. Nur eines ist sicher: Alle werden Verlierer sein. Der andere Weg nutzt die Kompetenz des Menschen einzugreifen und sicherzustellen, dass sich die Welt zu einem Besseren entwickelt.17 Fragen Sie einen Politiker, welchen Weg er bevorzugen würde. Die Antwort dürfte auf der Hand liegen. Die Mediation hilft ihn zu gehen.18
Arthur Trossen
Bild von Annette Jones auf Pixabay (UNO-Gebäude)
Kontroverse Meinungen sind möglich. Die Diskussion ist erwünscht und kann hier erfolgen: Funktioniert eine Mediation im Krieg?