Lade...
 

Die Falleignung aus der Sicht der Praxis

Wissensmanagement » Sie befinden sich auf einer Unterseite der Rubrik Mediationsfälle in der Abteilung Praxis.
Es geht um die Frage, welche Fälle für die Mediation in Betracht kommen können.

Fälle


Abstract: Es macht wenig Sinn, sich an einem Fall die Zähne auszubeißen, der gar nicht für eine Mediation geeignet ist. Die Prüfung der Geeignetheit steht deshalb ganz oben auf der ToDo-Liste des Mediators. Es gibt aber noch mehr zu beachten.

Einführung und Inhalt: Wenn hier von Mediationsfällen die Rede ist, werden die Fälle angesprochen, die mit dem Mediationsverfahren i.S.d. Mediationsgestzes abzuwickeln sind. Gerade in diesen Fällen ist es als ein vorwerfbarer Fehler anzusehen, wenn die Prüfung der Geeignetheit unterbleibt. Manche Fälle eignen sich besser und manche weniger gut für die Mediation. Um ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Fälle sich wie für eine Mediation eignen, wurde eigens eine Falldatenbank eingerichtet. Sie soll dazu beitragen, die Kompetenz und den Wirkungsradius der Mediation besser zu erkennen. Natürlich ist sie auch die Grundlage, für weitere Untersuchungen am Fall und eine Gelegenheit zum Üben.

  Verwendungshinweis
Die Falldatenbank ist ein zentraler Anlaufpunkt bei Fragen der Fallbearbeitung. Sie geht in die Tiefe der Fallbearbeitung ein und erlaubt auch Fallbesprechungen.

Die Prüfungspflicht

Es ist nicht nur eine Aufgabe des Mediators, die Falleignung zu prüfen.1 Die Prüfung der Geeignetheit ist auch ein Erfolgskriterium für die Durchführung der Mediation. Es wäre fatal, wenn der Mediator erst nach dem Scheitern einer Mediation feststellt, dass der Fall gar nicht für eine Mediation geeignet war. Das wäre zumindest sehr unprofessionell. Um sich der Frage nach der Falleignung zu nähern, mag die folgende Faustregel helfen:

 Merke:
Leitsatz 4244 - Jeder Fall eignet sich für die Mediation, wenn es darum geht, einen Widerspruch aufzulösen, um ein noch besseres Ergebnis zu finden, in dem sich alle Seiten des Widerspruchs wiederfinden

Ihnen ist sicher aufgefallen, dass bereits dieser Merksatz sehr davon abhängt, welches Mediationskonzept Sie der Mediation zugrunde legen. Genauere Anhaltspunkte für die Anwendbarkeit der Mediation ergeben die Ausführungen zur Geeignetheit und zur Zulässigkeit. Dort findet sich auch ein Prüfungsschema.

Einschätzung der Geeignetheit

In diesem Beitrag geht es weniger darum, die Prüfungsschritte herauszuarbeiten. Hier steht die Sicht der Praxis im Vordergrund.
Keinesfalls ist die Fallbearbeitung in der Mediation mit der Prüfung der Statthaftigkeit eines juristischen Verfahrens gleichzusetzen. Anders als dort bedeutet die Statthaftigkeit (oder das Pendant der Geeignetheit) noch lange nicht, dass der Fall auch erfolgreich zu Ende gebracht werden kann. In der Praxis kommt also zu der mechanischen Eignungsprüfung noch eine Einschätzung hinzu, ob es auch Sinn macht, mit den Parteien eine Mediation durchzuführen. Diese Einschätzung ist im Vorfeld einer Mediation recht schwierig. Die Beurteilung, ob die Mediation erfolgreich abgewickelt werden kann, hängt unter anderem auch davon ab, ob und wie sich die Parteien darauf einlassen können. Das weiß der Mediator in der Regel erst, nachdem die Mediation begonnen hat. Für die Frage, ob und inwieweit sich die Parteien auf die Mediation einlassen können, spielen viele Faktoren eine Rolle. Ausschlaggebend ist zum Beispiel die Motivation der Parteien, die Nutzenerwartung, die Bedarfsdeckung, aber auch die Kosten und das Helfersystem im Hintergrund. Der Mediator sollte das alles im Blick haben und gegebenenfalls einwirken. Paradoxerweise gilt für die Einschätzung der Falleignung der Grundsatz:

 Merke:
Leitsatz 13837 - Je geringer die Chancen sind, die die Parteien einer zielführenden Konfliktlösung beimessen, umso mehr engagieren sie sich bei der Suche nach einer anderen Lösung. Je mehr sie sich an der Suche beteiligen und sich auf die Mediation einlassen, umso größer sind die Chancen, dass die Mediation gelingt.

Ihnen ist sicher aufgefallen, dass die Auseinandersetzung mit der Frage der Falleignung längst nicht mehr nur auf den Fall achtet. Darauf bezogen, lassen sich folgende Beispiele herausstellen, um Fälle zu kennzeichnen, bei denen es objektiv auf die Suche nach einer Lösung ankommt:

Beispiel 13838 - Geradezu berühmt wurde das in der Mediation so oft zitierte Beispiel aus dem Harvard-Konzept, in dem sich zwei Schwestern um eine Orange streiten. Erst nachdem sich die Mutter für die Interessen (die Motive) interessiert, zeigt es sich, dass die eine Schwester die Orange zum Kuchenbacken benötigte und die andere zum Saft trinken. Jetzt konnte die Mutter der einen die Schale und der anderen das Fruchtfleisch geben. Hätte sie im Nullsummenspiel gedacht, wäre ihr nur eingefallen, die Orange zu teilen. Der Fall zeigt den Weg, wie sich der Kuchen vergrößern lässt, indem eine andere gedankliche Ebene (andere gedankliche Räume) einbezogen werden und man sich vom Denken in Lösungen entfernt.

Beispiel 13839 - Das ist ein realer Fall aus der Praxis. Ein Ehepaar lebt seit 4 Jahren im selben Haus getrennt. Seit 1 Jahr reden die Eheleute kein Wort mehr miteinander. Absprachen werden als Anweisungen in das Hausaufgabenheft der 4 gemeinsamen Kinder geschrieben oder auf dem Blackboard in der Küche notiert. Die Situation ist unerträglich, man entscheidet sich für eine Mediation, nicht etwa um die Scheidungsfolgen zu regeln, sondern nur um sich über die Themen einig zu werden, damit der Rechtsanwalt die Sache nicht unnötig in die Eskalation treiben kann, um Kosten zu schinden. Eine unauffällige Nebenbemerkung in Phase zwei macht den Mediator stutzig, als die Frau den Sachverhalt schilderte. Sie erzählte wie es zur Ehegekommen war, wie die Kinder zur Welt kamen, wie sich die Ehe entwickelt hat und was das Problem ist. Die Liste der zu regulierenden Fragen leitete sie mit der nebenbei gesprochenen Bemerkung ein: "Dann muss ich jetzt dies machen und jenes und ich muss mich scheiden lassen, sodass dies und jenes zu regeln ist, usw.. Der Mediator loopt: "Sie sagen Sie müssen sich scheiden lassen. Wollen sie das auch?“ Jetzt beginnt ein längerer Gesprächsparkours, der einige Interventionen erfordert, bis die Frau eingestehen kann, dass sie eigentlich gar nicht geschieden werden will. Wörtlich sagte Sie: "Nein, das ist ja so teuer!". Das selbe Spiel beginnt jetzt beim Mann, bis er eingestehen kann, dass er auch nicht wirklich geschieden sein will. Die Themen werden geändert. Nach einer 3 stündigen Meditation ist das Paar wiedervereinigt. Die Eheleute haben sogar ihre Liebe wiederentdeckt. Der Fall wurde im Fernsehen berichtet.


Die Beispiele zeigen, dass die Lösung oft dort gefunden wird, wo sie (zunächst zumindest) niemand vermutet hat. In beiden Fällen ließ sich die Lösung herbeiführen, nachdem es gelungen war, den Blick von den ursprünglich vorgestellten Ergebnissen zu lösen.

Der Lösungskuchen

Mit dem Lösungskuchen wird die Lösungsmenge oder spieltheoretisch formuliert die Ausschüttung bezeichnet.
Die Mediation geht davon aus, dass sich der Lösungskuchen (die Lösungsmenge) beliebig vergrößern lässt. Das ist eigentlich nichts Besonderes. Besonders ist das Unerwartete. Der Blick dahin öffnet sich erst, wenn eine Lösung für möglich gehalten wird. Daraus lässt sich die Anforderung ableiten:

 Merke:
Leitsatz 13840 - Ein Mediator (oder eine Mediatorin) gehen immer davon aus, dass sich der Lösungskuchen vergrößern lässt.

Auch dieser Grundsatz beruht auf einer Einschätzung. Sicher hat der Mediator die Erfahrung gemacht, dass ich der Lösung Kuchen tatsächlich fast immer erweitern lässt. Wie das Orangenbeispiel zeigt gelingt die Vergrößerung des Kuchens, wenn sie Parteien sich auf eine andere Ebene einlassen als die Lösungsebene (Interessenebene). Oft wird gefragt, was denn passiert, wenn beide Töchter Orangensaft trinken wollen. Auf der Interessenebene wäre der Kuchen also nicht zu vergrößern und es käme zu einem Verteilungskonflikt. Geht der Mediator aber noch tiefer auf die Ebene der Bedürfnisse oder Motive, findet sich auch dann eine Lösung (etwa in der Beziehung der Geschwister zueinander). Bei der Menschen Mediation war eine Sichtveränderung ausschlaggebend. Das erreicht die sogenannte Transformertiefe Mediation. Der Grundsatz könnte also lauten:

 Merke:
Leitsatz 13841 - Der Lösungskuchen lässt sich fast immer vergrößern. Nur wenn das nicht der Fall ist, macht eine Mediation wenig Sinn.

Die Betonung liegt auf dem Wort fast. Der Mediator erkennt die Tiefen der im Konflikt anzusprechenden Ebenen anhand der Konfliktanalyse. Daraus lässt sich der Grundsatz ableiten:

 Merke:
Leitsatz 13842 - Je mehr Konfliktdimensionen anzusprechen sind und je komplexer sich der Fall gestaltet, umso größer ist die Chance, den Lösungskuchen zu vergrößern.

Die Unmöglichkeit, den Lösungskuchen zu vergrößern, ändert die Herangehensweise in der Mediation. Sie wird deshalb als eine Herausforderung beschrieben, der sich der Mediator zu stellen hat.2 Sie geht mit der Aufgabe einher, das Verfahren gegebenenfalls anzupassen.3

Die Anpassungspflicht

Eingang wurde erwähnt, dass der Mediator noch mehr zu beachten hat, als nur die Prüfung der Geeignetheit. Die Mediation ist ein flexibles Verfahren und eine kompetente Herangehensweise, die in fast allen Fällen so oder so zur Anwendung kommen kann. Für das Gelingen der Mediation kommt es deshalb auch darauf an, dass sie an die Konfliktlage angepasst wird. Sie finden hierzu ausführliche Hinweise im Fachbuchabschnitt Prozess.4

Bedeutung für die Mediation

Es ist eine Frage der Professionalität, ob und wie der Mediator die Vorüberlegungen zur Mediation durchführt oder nicht. Die Prüfung der Zulässigkeit ist zwingend erforderlich.5 Die Prüfung der Geeignetheit hilft darüber hinaus, die richtigen Weichen zu stellen und das Verfahren korrekt aufzubauen.

Was tun wenn...

Hinweise und Fußnoten
Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen
Bearbeitungsstand: 2023-09-07 09:57 / Version 22.

Siehe auch: Falldatenbank, Projekt-Fallanalyse, Statistik
Included: Lösungskuchen
Diskussion (Foren): Siehe Erfahrungen
Geprüft:

1 Die Aufgabe wird im Aufgabenverzeichnis erfasst als Prüfung der Geeignetheit (Relevanz: Pflicht)
3 Die Aufgabe wird im Aufgabenverzeichnis erfasst als Methoden und Verfahrenswechsel (Relevanz: Pflicht)
4 Die Aufgabe wird im Aufgabenverzeichnis erfasst als Anpassungspflicht (Relevanz: Pflicht)
5 Als Aufgabe und Pflicht erfasst unter Prüfung der Zulässigkeit der Mediation


Based on work by Arthur Trossen
Seite zuletzt geändert am Montag November 25, 2024 18:02:45 CET.

Durchschnittliche Lesedauer: 4 Minuten