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Der Rumpelstilzcheneffekt

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Konflikteigenschaften Rumpelstilzcheneffekt Konfliktverständnis Konfliktreife Verantwortung Kontraste

Der Rumpelstilzcheneffekt beschreibt das Phänomen, dass die Parteien den wahren Namen des Konfliktes nennen müssen, um den Konflikt loszuwerden. Ganz wie im Märchen. Wenn Sie das Rumpelstilzchen als eine Metapher für den Konflikt ansehen, erkennen Sie die Parallelen. Der Kobold erscheint immer zur Unzeit und löst ungute Gefühle aus. Rumpelstilzchen sagt im Märchen aber auch, wie man sich von ihm befreien kann. Man muss nur seinen wahren Namen nennen. Es verschweigt jedoch, wie man den wahren Namen findet.

Das Märchen passt auch auf Konflikte. Auch der Konflikt erscheint zur Unzeit und löst ungute Gefühle aus. Wie das Rumpelstilzchen haben auch Konflikte ein Mitgefühl, weshalb sie versteckte Hinweise auf ihren wahren Namen geben. Wer den wahren Namen des Konfliktes herausfindet, der weiß, was zu tun ist, um ihn loszuwerden. Oft verschwindet der Konflikt (ähnlich wie Rumpelstilzchen) genau in dem Moment, wo sein Name genannt wird.

Rumpelstilzchen

Das Problem ist, dass der wahre Name des Konfliktes nicht den Gegner beschreibt. Das wäre zu einfach. Damit kommen wir zum Arschengel.

Über Ärsche- und Friedensengel

Viele Menschen neigen dazu, den Konflikt an der vermeintlichen Ursache zu packen, um ihn zu beseitigen. Weil der Gegner durch sein Verhalten die schlechten Gefühle ausgelöst hat, wird er für den Konflikt verantwortlich gemacht. Also muss sein Verhalten geändert werden. Das klingt zumindest logisch und folgerichtig. Parteien neigen im Konflikt dazu, den Gegner zu vernichten, damit es ihnen gut geht. Es könnte ein falscher Ansatz sein. Robert Betz bezeichnet die Gegner als Arschengel. Er benennt alle Mitmenschen so, die zunächst als Arsch rüberkommen und wenn sie Gefühle wie Ärger, Wut, Enttäuschung, Ohnmacht oder Angst auslösen. Das machen Ärsche. Laut Betz sind die Ärsche die wichtigsten Menschen, denen wir im Leben begegnen. Er meint, sie seien wichtiger als die, die immer nett und freundlich sind. Der Grund ist, weil sie im Menschen etwas auslösen, und uns Menschen auf etwas hindeuten, was in uns verborgen ist und der Veränderung bedarf.

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Die Doppelbotschaft

Das Rumpelstilzchen ist mit dem Arschengel durchaus zu vergleichen. Auch das Rumpelstizchen ist zugleich Arsch und Engel. Das zeigt schon die Begrifflichkeit. Das Wort Rumpelstilzchen setzt sich nämlich aus zwei Worten zusammen. Dem Wort Rumpel und dem Wort Stilzchen. Rumpel kommt vom rumpeln, was poltern oder Lärm verursachen bedeutet. Der Namensteil Stilzchen stammt vom Wort Stelzen, also Stütze ab. Wer rumpelt, ist der Arsch. Wer (unter-)stützt, ist der Engel. Lapp meint, die Moral des Märchens sei darin zu sehen, dass viele Dinge im Leben in ihrem Kern nicht so sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Die Zuweisung von gut und böse sei in den meisten Fällen verwaschen, unklar und in Graubereichen angesiedelt.1

Uns geht es hier allerdings nicht um Moral, sondern um die Konfliktbeilegung. Es wurde bereits im Zusammenhang mit der Schilderung der Konflikteigenschaften darauf hingewiesen, dass die Konfliktsymptome darauf angelegt sind, die Parteien in die Irre zu führen. Wer ihnen folgt, verschärft den Konflikt. Die unguten Gefühle nehmen zu. Bereits diese Zunahme schlechter Gefühle sollte ein Hinweis sein, dass irgendetwas etwas nicht simmt und dass der falsche Weg eingeschlagen wurde. Damit nähern wir uns dem Friedensengel oder dem unterstützenden Element des Konfliktes. Die Unterstützung besteht darin, den rechten Weg in die Konfliktbeilegung zu weisen.

Die Entleihung des Begriffs Rumpelstilzchen und die Einführung des Rumpelstilzcheneffektes kam Trossen in den Sinn, weil der Konflikt eher die Eigenschaften von Rumpelstilzchen hat als die eines wie auch immer auftretenden Engels.2 Keinesfalls meint der Begriff ein überraschend und ungewollt auftretendes Ereignis.3 Der Begriff soll vielmehr auf eine Konflikteigenschaft und eine Herangehensweise zur Konfliktbeilegung in der Mediation hinweisen.

Das Rumpelstilzchen in der Mediation

Sowohl im Märchen der Gebrüder Grimm wie in der Mediation kommt es darauf an, dass der wahre Name des Kobolds respektive des Konfliktes von den Parteien selbst gefunden und gesagt werden muss. Die zentrale Frage lautet dann nicht, was macht der andere falsch, sondern eher: Was löst in mir die Emotionen aus?

Beispiel 16891 - Angenommen, Sie wären ein absoluter Profi in Sachen Mediation. Sie wissen von Ihrer überragenden Kompetenz. Stellen Sie sich vor, ein Schüler beleidigt Sie. Er meint, Sie lägen falsch in dem was Sie sagen und Sie hätten gar keine Ahnung von Mediation. Sie seien ein Schwachkopf, dessen Haltung nicht zu einem Mediator passe. Dann fügt er vor der versammelten Mannschaft noch ein paar unflätige Worte hinzu. Hätten Sie das Gefühl, dass Sie sich wehren müssten? Löst die Beleidigung bei Ihnen Emotionen aus? Falls ja, hat der Schüler vielleicht recht.


Das Rumpelstilzchen lenkt den Blick auf das Innere der Partei. Es fragt, was die Partei braucht, damit ihr der Gegner gleichgültig wird oder damit sie die Emotionen nicht an sich herankommen lassen muss. Wenn sich der Mediator in dem zuvor genannten Beispiel beleidigt fühlt und meint, sich wehren zu müssen, sollte er sein Selbstwertgefühl hinterfragen. Dort findet er das Rumpelstilzchen.4

Auch wenn die Partei die den Rumpelstilcheneffekt auslösenden Erkenntnisse selbst finden muss, kann der Mediator ihr trotzdem behilflich sein. Er bedient sich der Windows 1 Technik und des präzisen Zuhörens, wo die Ich-Botschaften nach vorne gestellt werden. Dabei versucht er, die Bedeutung der Emotionen zu verstehen. Emotionen wollen etwas sagen. Auch wenn es sich für die Partei anders anfühlen mag, sagen sie nichts über den anderen, sondern nur über die Person, in der sie entstehen. Der andere mag einen Anlass geben. Die Gefühle entstehen trotzdem in einem selbst. Warum aber gerade die schlechten und keine anderen? Die Antwort muss lauten: "Weil ich mich betroffen fühle, indem ich ... "

In der Mediation meldet der Mediator stets zurück, was er verstanden hat. Empathie spielt dabei eine wichtige Rolle, weil es um ein emotionales Verstehen geht. Die Rückmeldung soll der Partei helfen, zu erkennen, was genau die unerwünschten Emotionen sind und wie man sie wieder los wird. In dem Moment, in dem sich der Rumpelstilzcheneffekt einstellt, erlangt die Partei die Selbstkontrolle zurück. Die Abhängigkeit vom Gegner löst sich auf. 5

Der wahre Name des Konfliktes

Auch wenn die Benennung des Übels oft die Überzeugung nach sich zieht, dass jemand Macht über etwas gewinnt, dessen Name er aussprechen kann, ist der wahre Name des Konfliktes nicht das Übel. Das psychologische Phänomen, dass die Benennung des Übels wie ein Placebo-Effekt aus einer Blockade mit diffusen Ängsten heraushelfen kann,6 verwirklicht sich auf andere Weise. Sie erklärt sich selbst, wenn klar ist, nach welchem Namen gesucht wird und wie er herausgearbeitet werden kann. Das ist die zentrale Frage, die der Mediator sich und indirekt auch den Parteien in der dritten Phase stellen muss. Die folgenden Beispiele mögen helfen, den Fokus zu finden, wo der wahre Name des Konfliktes zu suchen ist.

Beispiel 15393 - Wir befinden uns in der dritten Phase der Mediation. Es geht um eine Trennung. Die Ehefrau hat die Trennung herbeigeführt. Sie wirft dem Ehemann vor, dass er ständig von ihr etwas erwartet habe, was sie im Grund gar nicht machen will. Der Ehemann habe sie unterdrückt und nicht zu Wort kommen lassen. Im Grunde hätte sie gar nichts gegen den Mann. Aber sie habe auch ein eigenes Leben. Der Mediator arbeitet mit der Partei den wahren Namen des Konfliktes heraus. Die Frau erkennt, dass es darum geht, sich zu emanzipieren. Der Konflikt mit dem Mann soll ihr zeigen, dass sie lernen muss, sich für ihre eigenen Interessen einzusetzen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs stellt sich heraus, dass die Trennung eher eine Flucht ist als ein Versuch, sich dem Konflikt zu stellen.

Beispiel 15394 - Es besteht ein permanenter Streit zwischen dem Vater im mittleren Alter und dem fast erwachsenen Sohn. Der Vater ist ehrgeizig. Der Sohn ist das Gegenteil. Wenn die beiden sich begegnen, kommt es zum Streit. Der Streit eskaliert. In der Mediation erkundigt sich der Mediator, warum sich der Vater so aufregt und was genau seine Emotionen auslöst. "Ja ich will doch, dass aus meinem Sohn etwas wird. Dass er fleißig ist und Karriere macht". "Warum ist Ihnen das so wichtig?", fragt der Mediator. "Das ist doch mein Sohn", lautet die vielsagende Antwort. Der Mediator hinterfragt auch die Bedeutung dieser Aussage und lenkt den Fokus immer wieder auf den Vater zurück. Im weiteren Verlauf des Gesprächs stellt sich heraus, dass der Sohn dem Vater sehr ähnlich ist und sein Verhalten den Vater spiegelt. Der Vater wird über den Sohn also mit seinen schlechten Eigenschaften konfrontiert, die er an sich nicht akzeptieren kann. Der Konflikt zwischen Vater und Sohn ist also ein Sinnbild für einen Konflikt, dem sich der Vater nicht stellen will. Der Name vom Rumpelstilzchen ist deshalb: "Ich muss mich selbst mit mir und meinen schlechten Eigenschaften auseinandersetzen, dann kann ich meinem Sohn sein eigenes Leben geben."

Beispiel 15402 - Eine 74-jährige Mutter, eine Beamtenwitwe, kritisiert den inzwischen 50-jährigen Sohn immer, wenn er zu Besuch kommt. Sie kommt mit seinem unsteten Leben nicht klar und gibt ihm immer gut gemeinte Ratschläge zu seiner beruflichen Ausrichtung. Der Sohn kann ihr zugestehen, dass die penetranten Ratschläge gut gemeint sind. Er weiß auch, dass seine Mutter gar nicht die Informationen hat, um sich ein Urteil zu erlauben. Trotzdem regt sich der Sohn immer wieder auf. Die Beziehung wird belastet. In einer Mediation stellt der Mediator fest: "Sie sagen, dass sich Ihre Mutter gar kein Urteil erlauben kann, weil sie gar nicht die Informationen hat, die eine Einschätzung ermöglichen. Warum regen Sie sich dann so auf?". Im weiteren Gespräch stellt der Sohn fest, dass er sich mental noch nicht von den Eltern abgenabelt (emanzipiert) hat. In dem Moment wo ihm das klar wurde, empfand der die Kritik seiner Mutter nicht mehr als belastend. Er konnte sogar darüber lachen. Daraufhin hat sich die Beziehung zur Mutter wieder normalisiert.


Alle vorstehenden Beispiele haben gemein, dass sich die Auflösung des Konfliktes immer erst dann hergestellt hat, wenn der Blick vom vermeintlichen Angriff weg auf seine interne Wirkung bei der Konfliktpartei gelenkt wurde. Der Fokus richtet sich nicht auf das Übel, das mit dem Anlass gleichgesetzt wird, der in dem emotionsauslösenden Ereignis gesehen wird. Der Fokus wird einzig und allein auf die Frage gerichtet, warum und wodurch dieser Anlass in einem Menschen selbst derartige Gefühle auslösen kann. Er konzentriert sich auf die Frage, was zur Heilung beiträgt und nicht was den Schaden verursacht. Mit dieser Fragestellung kann erst die Auseinandersetzung mit der Konfliktpartei selbst dazu beitragen, den Konflikt zu verstehen und sich von der emotionalen Belastung zu befreien. Emotionen sind sehr komplex. Der Rumpelstilzcheneffekt ist deshalb nur ein Weg, sich davon zu befreien.

Bedeutung für die Mediation

Es mag sein, dass Sie den Ursprung der Gefühle bereits herausarbeiten können, indem Sie die Parteien loopen und dabei die Windows 1 Technik anwenden. Für den Rumpelstilcheneffekt genügt es aber nicht, die Gefühle zu benennen. Hier kommt es darauf an, herauszufinden, welche gespeicherten Muster abgerufen werden, über die die Gefühle ausgelöst werden.

Beispiel 16888 - Der Mediator fragt: "Was hat das mit Ihnen gemacht, als Ihr Partner Sie angeschrien hat?". Wenn die Partei sagt, dass das Geschreie ihr Angst eingejagt habe, reagiert der Mediator wie folgt: "Was bedeutet Angst in dem Zusammenhang?". Die Partei antwortet: "Dass ich dem nicht gewachsen bin". "Was brauchen Se, um sich gewachsen zu fühlen?", fragt der Mediator daraufhin. Die Partei weiß jetzt, woran sie zu arbeiten hat und der Konflikt hat es ihr klar gemacht.


Der Rumpelstilzcheneffekt wurde in der Mediationsausbildung der integrierten Mediation eingeführt, um zu zeigen, wohin der Fokus bei der Konfliktbeilegung zu richten ist. Das Konzept passt zur kognitiven Mediationstheorie. Es stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Die Betroffenheit der Partei wird mit dem Beziehungskonflikt herausgearbeitet. Richtig angewendet, führt der Rumpelstilzcheneffekt nicht nur zu einem konfliktlösenden Erkenntnisgewinn. Er führt auch die Resilienz herbei.

Hinweise und Fußnoten
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Bearbeitungsstand: 2025-01-21 17:27 / Version 35.

Alias: Rumpelstilzchen
Literatur: Rumpelstilzcheneffekt
Prüfvermerk:

1 Siehe Lapp (Rumpelstilzchen) - 2025-01-20
2 Siehe Trossen (Rumpelstilzcheneffekt) - 2025-01-21
3 So die Erklärung bei Hartung (Rumpelstilzcheneffekt) - 2025-01-20
4 Siehe dazu auch Beleidigung
5 Siehe dazu ausführlich: Der Rumpelstilzcheneffekt


Based on work by Arthur Trossen und Bernard Sfez und anonymous contributor . Last edited by Arthur Trossen
Seite zuletzt geändert am Dienstag Januar 21, 2025 21:13:13 CET.

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