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Mediationen bei mehreren Beteiligten
Es gibt mehrere Mediationsvarianten, die sich mit der Frage auseinandersetzen, wie vorzugehen ist, wenn der Streit über einen Zweipersonenkonflikt hinausgeht. Hier werden Abgrenzungen erforderlich. Auch kommt es zu Überscheidungen, weshalb in dem Zusammenhang auch folgende Beiträge zu beachten sind:

Mehrparteienmediation Gruppenmediation Unternehmensmediation Großmediation

Gruppenmediation

Eigentlich ist die Mediation stets eine Gruppenmediation, weil die Teilnehmer eine formell abgegrenzte Gruppe (gegenüber der Außenwelt) bilden. Mit dem Begriff Gruppenmediation ist allerdings etwas anderes gemeint. Der Begriff weist darauf hin, dass der Mediator, die Mediatorin oder die Mediatoren mit einer Gruppe, also einer Mehrzahl von Menschen arbeiten müssen. Sowohl bei der Gruppenmediation wie bei der Großmediation und bei der bestehen die Medianden aus einer Vielzahl von Beteiligten. Anders als bei der Großmediation, die aus mehreren und zum Teil nicht identifizierbaren Menschen und Gruppen besteht, betrifft die Gruppenmediation meist eine fest umrissene formelle Gruppe.

Die Gruppe

Aus psychologischer Sicht ist eine Gruppe ein Kollektiv einzelner Menschen, die sich aus einer Aktion heraus zur Erreichung eines gemeinsamen Zieles zusammenschließen.1 In soziologischer Hinsicht befinden sich die Mitglieder der Gruppe über einen längeren Zeitraum in regelmäßigem Kontakt miteinander, der sie veranlasst gemeinsame Ziele zu verfolgen und die sich als zusammengehörig empfinden.2

Eine Gruppe besteht aus mindestens drei Mitgliedern. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Der Begriff Gruppenmediation lässt offen, was damit genau gemeint ist. Handelt es sich um eine Mediation MIT einer Gruppe (von Teilnehmern) oder handelt es sich um eine Mediation FÜR eine Gruppe (von Streitparteien). Die Unterscheidung erfordert eine Abgrenzung von einer Mehrparteienmediation zu einer Gruppenmediation. Was beide Varianten gemeinsam haben ist der Umstand, dass der Mediatorin oder dem Mediator mehrere Parteien gegenübersitzen. Hier wird folgende Abgrenzung präferiert:

Mehrparteienmediation
Die Mehrparteienmediation kann aus mehreren Parteien (gegeneinander antretende Personen) bestehen, die im realen Leben aber keine Gruppe bilden. Innerhalb der Mediation lassen sie sich als Teilnehmer an einer Mediation als eine Mediationsgruppe zusammenfassen. Die Mehrparteienmediation erfordert ein abweichendes Setting und besondere Anforderungen, um alle Parteien in die Mediation einzubeziehen.
Gruppenmediation
Anders als bei der Mehrparteienmediation gehören die teilnehmenden Parteien (Personen) im realen Leben einer Gruppe an, in der ein Konflikt entstanden ist. Zwar besteht die Mediation auch hier aus mehreren Personen. Im Unterschied zur Mehrparteienmediation ist der in der Gruppe aufgekomene Konflikt jedoch der Gegenstand des Verfahrens. Die Mediation muss sich also mit der Gruppe auseinandersetzen. Zur besseren begrifflichen Abgrenzung ist dann von einer Streitgruppe die Rede.
Kombination
Natürlich kann die Mediationsgruppe auch mit der Streitgruppe zusammenfallen. In dem Fall kommt es zu der Besonderheit, dass die Teilnehmer an der Mediation zugleich die Mitglieder einer Gruppe sind, in der ein Streit aufgebrochen ist. Auch diese Situation erfordert eine besondere Herangehensweise, die zusätzliche Anforderungen an die Mediation stellt. Die Teilnehmer haben also, wenn man so will, zwei verschiedene Rollen. Sie sind einerseits Mitglieder der Mediationsgruppe und andererseits Mitglieder der Streitgruppe. Weil die unterschiedliche Gruppenzugehörigkeit unterschiedliche Rollen und Verhaltensweisen erfordert, kann es zu Rollenkonflikten kommen. In der Mediation sollen die Parteien auf gleicher Augenböhe verhandeln. Das wird schwer fallen, wenn die Parteien in der Streitgruppe einer Hierachie angehören. Auch sind besondere Anforderungen an die Vertraulichkeit zu stellen, wenn z.B. der Chef des streibefangenen Teams ein Mitglie der Streitgruppe ist das zugleich der Mediation beiwohnt also auch zu einem Teil der Mediationsgruppe wird. Der Mediator oder die Mediatorin können die Rollendiffusion vermeiden, wenn sie zwischen der Verfahrensebene und der Fallebene unterscheiden. Auf der Verfahrensebene sind die Parteien ein Teil der Mediationsgruppe. Auf der Fallebene sind sie ein Teil der Streitgruppe. Das lässt sich auseinanderhalten.

Die Vorgehensweise bei einer Mehrparteienmediation (also der Umgang mit mehreren Parteien) wird im Beitrag über die Mehrparteienmediation näher beschrieben. Hier soll es um die Behandlung der Konflikte gehen, die innerhalb der Streitgruppe aufkommen.

Mehrparteienmediation

Phänomene

In der Gruppe treten Phänomene auf, die eine Mediatorin oder ein Mediator kennen sollten:

Sucker-Effekt
Sucker bedeutet ins Deutsche übersetzt so viel wie Trottel. Soziologisch gesehen ist das der Sündenbock, den fast jede Gruppenstruktur anbietet. Die Gruppe kann sich abgrenzen und sich einen Maßstab geben. Der Trottel kann sich auf dieser Rolle ausruhen. Sie hat auch etwas Befreiendes. In der Gruppendynamik kann sich der Suckereffekt positiv auf die Gruppe auswirken, wenn damit keine Ausgrenzung verbunden wird, auf dem sich die Gruppe ausruht.
Trittbrettfahrer-Effekt
Der Begriff Trittbrettfahrer kommt aus dem Verkehrswesen. Er beschreibt das Phänomen, dass sich Mitfahrer auf das Trittbrett der Straßenbahn gestellt haben, um den Fahrbeitrag zu sparen. Sie kommen also ans Ziel, ohne einen eigenen Beitrag zu leisten. Genau diese Strategie schreiben sich einige Gruppen- oder Teammitglieder gerne zu. Der Effekt wird dann auch als auch soziales Faulenzen bezeichnet. Einzelne Gruppenmitglieder lehnen sich zurück, um sich auf den Leistungen der anderen auszuruhen. Der Trittbrettfahrer-Effekt ist ein von außen beobachtetes Phänomen. Es wäre hilfreich auf die Motivlage des Trittbrettfahrers und der Gruppe einzugehen, um diesen Efeeekt aufzulösen oder nutzbar zu machen.
Gruppendenken
Das Gruppendenken wird auch als Group think bezeichnet. Das Phänoemen beschreibt ein Verhalten der Gruppenmitglieder, die sich - warum auch immer - der Meinung einer herausragenden Person in der Gruppe anschließen. Sie vertreten dessen Meinung lautstark, ohne dass es ihre eigene Meinung sein muss. Das Gruppendenken führt zwar zu einer einheitlichen Meinung (nach außen zumindest). Es ist auch zu beobachten, dass ein Gruppendenken eingefordert wird. "Wenn Du nicht hinter mir stehst, bist Di ein Gegner". Das Gruppendenken und der Gruppenzwang verhindert die Auseinandersetzung über z.T. wichtige Fragen.
Gruppenidentität
Die Gruppenidentität wird als das Wir-Gefühl beschrieben und kommt darin zum Ausdruck. Es ist ein Kennzeichen von formellen Gruppen dass sich die Gruppe (bewusst oder nicht) Ziele und Normen gibt, um den Gruppenbestand zu festigen. In der Mediation macht es Sinn, die Gruppe (systemisch) wie eine eigene Persönlichkeit zu behandeln (leerer Stuhl), sodass eine Auseinandersetzung der Individuen mit der Gruppe möglich wird. Besonders bei vorgegebenen Gruppen (z.B. in Betrieben) ist nicht immer klar, wer zur Gruppe gehörig angesehen wird. Auf die Frage, ob der Chef zum Team gehört, gibt es bereits unterschiedliche Antworten.
Gruppenzwang
Der mit dem Gruppenzwang einhergehende Konfirmationsdruck (auch Gruppendruck oder Peer pressure) will Einfluss nehmen (und beeinflusst) die Verhaltensweisen innerhalb einer Gruppe, um ein angepasstes Verhalten einzufordern. Leider wirkt sich der Gruppenzwang manchmal auch auf das Denken aus. Er impliziert Erwartungen, denen sich manche Gruppenmitglieder kaum erwehren können. Das Individuum geht in der Gruppe verloren.
Rangdynamik
Jede Gruppe stellt automatisch eine Struktur her, aus der sich eine Rangdynamik ergibt. Nach Schindler bilden sich folgende dynamischen Positionen heraus, die als Alpha-, Beta-, Gama-, Omega- und Gegnerposition bezeichnet werden.3 Das Modell der Rangdynamik beschreibt den Umgang mit der Macht und die Verteilung der Machtverhältnisse in einer Gruppe.
Untergruppen
Ein Mensch ist in der Gruppe nie allein. Er findet Freunde und Gegner. Ab einer gewissen Eskalationsstufe sucht er sogar danach. Deshalb kommt es zu Lagebildungen und Anhängerschaften. Wenn sich innerhalb einer Gruppe massive Subkulturen bilden, ist von Cliquen die Rede. Cliquen sind stark abgegrenzte Untergruppen, die sich auch ohne weiteres gegen die Gruppe stellen können. Wenn sich in einer Gruppe Cliquen bilden, ist das ein Hinweis auf eine schlechte Gruppenatmosphäre.

Lösungsansätze

Systemisch betrachtet sind die Mitglieder einer Gruppe die Elemente des Systems. Alles interagiert miteinander. Die Interaktion mit der Gruppe (an und für sich) wird nicht erkennbar, weil sie nur in der Interaktion der Mitglieder (der Elemente) wahrgenommen wird. Um die Auseinandersetzung (mit sich und) der Gruppe zu optimieren und von den Meinungsbildnern abzukoppeln, ist es hilfreich, die Gruppe wie eine eigenständige Persönlichkeit einzuführen, mit der sich jedes einzelne Mitglied auseinandersetzen kann. Hierfür bietet sich die Leere Stuhl Technik an. Auch die Konfliktlandkarte kann die eigene Identität der Gruppe sichtbar machen und die darauf bezogenen Interaktionen und Konfliktlinien ausweisen.


Die Ausgangsfrage wird sein, wer überhaupt die Gruppe bildet und wer dazu gehört oder nicht. Schon hier wird es unterschiedliche Einschätzungen geben.

Beispiel 14554 - In einer Mediation geht es um die Verbesserung der Arbeit in einem Team. Die Mitglieder des Teams und zugleich die Teilnehmer an der Mediation werden gefragt, wer denn zum Team gehört. Die Mitarbeiter haben sich als das Team bezeichnet und den Vorgesetzten als Außenstehenden angesehen, während der Vorgesetzte sich als ein Teil des teams verstanden hat.


Unterschiedliche Einschätzungen über die Gruppenzugehörigkeit erzeugen Spannungen. Die Gruppe besteht aus einem Geflecht von Beziehungen. Wenn nicht klar ist, wer dazugehört und wer welche Rolle in der Gruppe wahrnimmt, entsteht der Effekt von Beziehungskonflikten.

Eine weitere Usache von Spannungen, die in der Gruppe sichtbar werden, ist das Auseinanderfallen von der gewollten und der gelebten Gruppenstruktur. Hier kollidieren oft die formale Struktur, die sich beispielsweise in einem Organigramm wiederfinden lässt mit der gelebten, informellen Struktur, die etwa in einem Soziogramm abgebildet werden kann. Für die Mediation besser geeignet ist eine sogenannte stumme Aufstellung. Mit der Simulation, wo und wie sich die Gruppenmitglieder in einem Raum aufhalten würden, lassen sich Beziehungen und Zustände der Gruppe ablesen.


Es ist wichtig, die Gruppenstruktur in der Mediation zunächst zu überwinden. Wenn das nicht gelingt, steht zu befürchten, dass die Sucker und Trittbrettfahrer und die Meinungsbilder nicht aus ihren Rollen herauskommen. Die Mediation bietet dafür eine Vorlage. Damit alle Teilnehmer auf gleicher Augenhöhe verhandeln können, muss sie einen Weg anbieten, dass jedes Mitglied der Streitgruppe zu Wort kommt. Der Mediator oder die Mediatorin müssen nur dafür sorgen, dass dies gelingt. Die Zuordnung zur Mediationsgruppe kommt ihnen entgegen. Ein anwesender Chef wird enttront (und nachher wieder intronisiert). Ein Sprecher der Streitgruppe wird aus dieser Rolle herausgenommen (er soll nur für sich sprechen), indem ihm die Rolle eines Medianden zugeschrieben wird, usw.

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Bedeutung für die Mediation

In der Mediation gibt es keine Hierarchie. Deshalb bildet sie eine neue Gruppe aus (Grupper der Beteiligten an einer Mediation), die eigenen Regeln und Strukturen unterworfen wird. Bei Gruppenmediationen ist dieser Schritt außerordentlich wichtig. Vorgesetzte werden (vorübergehend) aus der Rolle herausgenommen. Gruppen haben ein Eigenleben. Es ist deshalb wichtig, dass Mediatioren lernen, diese Eigenarten zu erkennen.

Hinweise und Fußnoten

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Bearbeitungsstand: 2022-07-13 11:21 / Version 30.

Aliase:
Siehe auch: Mehrparteienmediation, Großmediation


Based on work by Arthur Trossen
Seite zuletzt geändert am Mittwoch November 6, 2024 02:02:59 CET.

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