Der Zusammenhang von Sprache und Konflikt hat sich mir sehr deutlich bei meiner Tätigkeit im Ausland gezeigt. Das folgende, selbst erlebte Beispiel mag die Bedeutung der Sprache für den Konflikt veranschaulichen:

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Was passiert, wenn eine Sprache keine Schimpfworte kennt und wenn sich die Sprache gar nicht eignet, um miteinander zu streiten. Ganz abgesehen von der Erfahrung in dem Training und der Behauptung der Dolmetscherin, im Lettischen gäbe es solche Schimpfworte nicht, fiel mir auf, dass die lettische Sprache, derer ich nicht mächtig bin und die ich während meiner zweijährigen Tätigkeit in Riga eigentlich nur phonetisch kennen gelernt habe, manche Silben verlangsamt. Es hat sich gezeigt, dass auch dieses Phänomen ein Streiten ausbremsen kann. Mir fiel dann auf, dass Letten, wenn sie streiten und ärgerlich sind, plötzlich russisch reden. Die russische Sprache, so wurde mir gesagt, soll außerordentlich viele Schimpfworte haben. Was mir auffiel, auch weil ich viel in Russland tätig war und auch die russische Sprache phonetisch kennen gelernt habe, war das Verhalten und der Klang der Sprache im Streit. Mir fiel auf, dass die russische Sprache unglaublich viel Energie in sich trägt. Es ist eine Energie, in die sich der Streit entladen kann.

In welcher Sprache streiten wir im Deutschen? Auch das Hochdeutsch, das eine saubere Aussprache erwartet, ist nur bedingt zum Streiten geeignet. Sie werden beobachten, dass Deutsche, wenn sie streiten, in den Dialekt verfallen.

Für mich war es außerordentlich markant zu sehen, wie sich die Energie des Konfliktes in dem Gebrauch und der Energie der Sprache entlädt. Es war mindestens ebenso interessant zu beobachten, dass dort, wo die Sprache den Streit hindert, andere Energien gesucht werden, in denen sich der Streit entladen kann. Es ist nur eine Idee, nicht einmal eine Theorie, wenn jetzt Zusammenhänge zwischen der Sprachkompetenz und der Gewaltbereitschaft vermutet werden. Tatsächlich ist die häusliche Gewalt in Lettland ein Problem, mit dem sich auch die Politik befasst. So wurde mir wenigstens berichtet. Gibt es einen Zusammenhang?

Ich habe mich auch an Forschungsprojekten beteiligt, die sich mit dem Sprachgebrauch in der Mediation befasst haben und habe darauf bezogen selbst Recherchen durchgeführt.1

Die Mediation befasst sich mit Konflikten. Also kommen dort auch notwendigerweise Worte vor, die im Konflikt verwendet werden. Nach meiner Recherche gab es, statistisch betrachtet, keine spezifisch mediativen Worte (von Fachausdrücken abgesehen und falls es so etwas überhaupt gibt), die von denen des Konfliktes abweichen. Zu unterscheiden sind jedoch der Kontext, die Semantik, die Konnotationen und der Sprachgebrauch.

Für mich liegt das ausschlaggebende Kriterium, um den Unterschied zwischen der Sprache des Konfliktes und der Sprache der Mediation herauszustellen, im energetischen Bereich. Wenn wir den Energieerhaltungssatz auf den Konflikt übertragen, braucht die mit dem Konflikt einhergehende Energie einen Ableiter, so wie der Blitz einen Ableiter braucht, um seine Energie zu entladen. Der Energieerhaltungssatz besagt, dass es nicht möglich ist, Energie zu erzeugen oder zu vernichten.

Die Mediation entschleunigt. Auf den ersten Blick ist die Sprache der Mediation also nicht geeignet, die Energie des Konfliktes in sich aufzunehmen. Genau betrachtet ist es auch nicht die Sprache, die dazu beiträgt die Konfliktenergie aufzuzehren. Es ist das Denken und letztlich die Sprache, die in das Denken hinein führt. Auch diese Beobachtung entspricht dem Energieerhaltungssatz, denn die Energie kann durchaus aus einem System heraus in ein anderes System hinein transportiert werden. Genau das ermöglicht die Mediation, wenn der hier vorgestellte, systemische Ansatz zugrunde gelegt wird.2 Es ist also weniger die Sprache, als die Art und Weise der Kommunikation, der die Aufgabe zukommt, die Konfliktenergie in sich aufzunehmen. Wie kann ihr das Gelingen?

Unser Gehirn ist ein Organ, das einen hohen Kalorienverbrauch produziert. Das Denken kann also die Energie, die der Konflikt zur Verfügung stellt, verwerten. Mithin muss die Sprache der Mediation so angelegt sein, dass sie den Konflikt annimmt und in eine Reflexion überführt. Die Mediation verwendet deshalb die Sprache des Konfliktes, um sie in eine Kommunikation zu überführen, in der die Angriffe verpuffen. Es genügt nicht, sie zu ignorieren oder zu unterbinden. Das würde die Energie des Konfliktes nicht aufzehren. Die Konfliktenergie würde sich anstauen und woanders entladen. Die Energieumwandlung erfolgt durch Denkanstöße. Der Mediator ist als eine personifizierte Metaebene das dafür geeignete Medium. Die Mediation ist sein Werkzeug, das ihn dabei unterstützt. Die Konfliktenergie entlädt sich also nicht in den Angriffen, sondern in der Reflexion des über dem Streitsystem liegenden Mediationssystems. Dort werden Zweifel geweckt, die zum Nachdenken anregen. Natürlich hat auch der Mediator in diesem System darauf zu achten, dass er mit seiner Sprache keine Angriffsflächen bietet. Das würde ein Nachdenken verhindern. Wenn der Streit auf der Metaebene fortgesetzt wird, kann das Mediationssytem die Energie nicht absorbieren.

Arthur Trossen


Bild von S. Hermann, F. Richter auf Pixabay

1 Siehe z.B. die Analyse im Handy-Fall unter Das Buch zum Handy-Fall
2 Das Mediationssytem wird vom interagierenden Streitsystem unterschieden. Siehe Systemik.