Das Haus mit den vielen Türen
Lernziel: Die Mediation ist ebenso komplex wie der Mensch, der Konflikt und der zu lösende Fall. Demenstprechend komplex ist auch die Ausbildung. Komplexitöät kann mit einem haus verglichen werden, das viele Räume und dementsprechend viele Eingangstüren besitzt. Diese Toolbox soll Ihnen die Zugänge vor Augen halten und den passenden Passpartout (Generalschlüssel) in die Hand geben, mit dem Sie alle Türen öffnen können. Der Schlüssel heißt übrigens Mediation. Finden Sie IHREN Zugang, mit dem Sie das Haus der Komplexität am besten betreten können!
Inhaltsverzeichnis
Der Türöffner für eine komplexe Welt
Wenn Sie das Maximale aus der Mediation herausholen möchten, genügt es nicht, lediglich zu lernen wie das Verfahren abläuft. Sie werden erfahren, dass die Mediation Teil einer komplexen Welt ist, die sich etwas anders anfühlt.
Um das Verfahren zu verstehen, müssen Sie die Welt verstehen, die für seine Ausprägung verantwortlich ist. Diese Toolbox möchte Ihnen helfen, den Zugang in diese Welt zu finden.
Wenn wir uns die Welt der Mediation als einen Raum denken, dann ist es ein Raum, zu dem Ihnen alle Türen offen stehen. Sie müssen sowohl die Türen wie auch die Schlüssel finden, um zu erkennen, dass Sie weder auf das Eine noch auf das Andere angewiesen sind, denn Sie halten sich schon längst in dem Raum auf, den Sie betreten wollen.
Sie haben noch einige Arbeitsblätter vor sich und deshalb hinreichende Gelegenheiten, diese merkwürdig anmutende Aussage zu verstehen. Vorher wollen wir versuchen, den Raum zu beschreiben, zu dem Sie die Schlüssel suchen. Sie werden selbst herausfinden müssen, wie Ihr Schlüssel beschaffen sein muss, damit Sie den Raum betreten können.
Der Raum, den es zu betreten gilt, heißt Mediation.
Es geht um das Verstehen und die Vermittlung.
Zugänge zur Mediation
Wir wollen die komplexe Welt der Mediation anhand einer Metapher beschreiben, als wäre sie ein Gebäude mit vielen Türen. Jede Tür sieht anders aus.
Nicht jede Tür gewährt den besten Zugang. Manche Türen öffnen sich leicht, andere schwer und wieder andere bleiben verschlossen. Welche der Türen gefällt Ihnen am besten? Ist es nicht so, dass nur alle zusammen gut aussehen? Tatsächlich haben Sie auch keine Wahl. Es gibt nicht DIE Tür und nicht DEN Zugang zur Mediation. Der Raum hinter den Türen wird nur dann ausreichend erhellt, wenn Sie alle Türen öffnen.
Elevator Pitch: Mediation
Sie suchen einen schnellen, einfachen Zugang? Wie wäre es mit dem Elevator Pitch?
Der Elevator Pitch simuliert ein Kundengespräch. Der Mediator begegnet einem potentiellen Klienten im Aufzug. Er hat Zeit zwischen dem zweiten und dem sechsten Stock, dem Fahrgast die Mediation schmackhaft zu machen. Drei Etagen reichen nicht, um die Mediation zu erklären. Bestenfalls lässt sich eine Neugier wecken, was allerdings sowohl für die Nachfrage wie für die Durchführung der Mediation oft schon ausreichend ist. Wir werden auf die Fragen der Vermarktung noch näher eingehen. An dieser Stelle soll es genügen, einen Eindruck davon zu vermitteln, wie schwierig es ist, ein klares und zutreffendes Bild von Mediation zu vermitteln und den zu deckenden Kundenbedarf zu beschreiben.
Man muss sich also nicht wundern, wenn vielen Anbietern nicht viel mehr einfällt als die Behauptung, die Mediation sei eine billigere und bessere Alternative zum Gericht. Das ist keineswegs ein überzeugendes Argument und nicht einmal zutreffend2 . Außerdem werden der Mediation eher Kompetenzen ab- als zugesprochen. Sie gerät in Abhängigkeit von einem anderen Produkt, das nicht einmal mit ihr zu vergleichen ist. Ihre Eigenständigkeit wird ohne Not relativiert. Die Eigenständigkeit betonend, könnte die folgende Formel überzeugen:
Auch diese Formel ist aus sich heraus nicht selbsterklärend. Sie gibt aber eine Idee davon, worauf es ankommt und was das Mediieren ausmacht. Es gibt aber noch mehr Türen, die veilleicht besser verhindern können, dass die Mediation falsch eingeschätzt wird. Konsumenten verbinden mit ihr übrigens meist die Idee eines deeskalierenden Krieges.
Paradoxien
Vielleicht finden Sie einen besseren Zugang in der Widersprüchlichkeit? Denn darum geht es letztenendes, den Widerspruch aufzulösen.
Die Lösung im Widerspruch zu finden klingt selbst wie ein Widerspruch. Weisen aber nicht gerade Paradoxien den Weg zur Erkenntnis?
Die Mediation ist selbst paradox. Zumindest erscheint sie so. Wie sonst könnte der Satz Die Lösung ist das Abfallprodukt der Mediation, nicht ihr Ziel zu verstehen sein? Die Aussage ist verwirrend, weil doch die Lösungssuche das erklärte Ziel der Mediation ist. Sie ist aber insofern zutreffend, als sie den gedanklichen Fokus beschreibt. Der ist auf den Prozess gerichtet, nicht auf die Lösung.
Es ist eine der größten Herausforderungen für angehende Mediatoren, das Denken an Lösungen (in der 3.Phase) zu unterdrücken und erst im passenden Moment zu erlauben (4.Phase). Der Mensch wurde darauf programmiert, bei Gefahr nicht nachzudenken. Schnelle Entscheidungen retten das Leben. Reflektieren kann lebensgefährlich sein. Wenigstens glauben wir das.
{EXAMPLE()}Hühnchen: Das Hühnchen auf dem Hühnerhof beobachtet den kreisenden Bussard am Himmel und beginnt zu philosophieren: „Bussard, könnten wir nicht Freunde sein?“. Das Hühnchen wäre besser weggelaufen. Die Natur hat uns gezwungen in Bruchteilen von Sekunden die Situation einzuschätzen (zu bewerten), um sofort eine lebensrettende Entscheidung zu treffen.{EXAMPLE}
Nicht immer ist schnelles Bewerten und Entscheiden die passende Strategie
Viel zu groß ist die Gefahr, dass vorschnell und falsch bewertet wird, so dass die Entscheidung Aspekte übersieht und sinnvollere Lösungen verhindert. Die Mediation legt Wert darauf, dass alle Aspekte berücksichtigt und gewichtet werden, die eine Entscheidung erfordert. Das ist mehr als die Kenntnis der Sachlage, was §2 Abs. 6 Mediationsgesetz verlangt.
Alle Aspekte zu berücksichtigen, setzt Nachdenken voraus
Die Vorgehensweise in der Mediation trägt diesem Umstand Rechnung. Sie entschleunigt den Prozess, damit das Nachdenken Raum bekommt. Sie strukturiert den Prozess, um ein korrektes, vollständiges Nachdenken zu ermöglichen.
Denken an Lösungen selektiert Gedanken und engt den Horizont ein
Nicht an Lösungen denken heißt also, den Horizont erweitern. Der Mediator weiß, dass sich die Lösung einstellt, sobald die Sicht auf mögliche andere Lösungen erweitert wurde. Das ist einer der Gründe, warum sich der Mediator ausschließlich auf den Prozess konzentriert. Er weiß, dass der Weg das Ziel ist, womit sich eine weitere Paradoxie in der Mediation verwirklicht.
Manchmal wird der Eindruck erweckt, als habe allein die Frage des geschickten Mediators die zur Lösung führende Erkenntnis der Parteien herbeigeführt. Eine Frage mag so geschickt sein wie Sie möchte. Sie mag noch so ausgeklügelt sein. Allein bewirkt sie jedoch nichts.
Erst das Zusammenspiel von Aktionen und Reaktion, sowie die darauf bezogenen Gedanken zeigen eine Wirkung. So kann die gleiche geschickte Frage an der falschen Stelle ins Leere gehen. Es ist also nicht der schlaue Mediator, der die Lösung herbeiführt, sondern die Mediation. Der kompetente Mediator weiß sie anzuwenden und die Parteien in den gedanklichen Flow der Mediation einzubeziehen.
Nur wenn die Mediation keinen Frieden bezweckt, gelingt der Friede. Der Grund dieser Paradoxie liegt im Fokus. Kann die Mediation noch lösungsoffen sein, wenn der Friede die Lösung ist? Wenn Frieden vorgegeben wird, ist das Ergebnis geschlossen. Unterwirft sich der Mediator moralischen Beschränkungen, verhindert er eine Auseinandersetzung mit dem, was es zu überdenken gilt. Mediation ist immer wertfrei, auch auf sich selbst bezogen. Anders lässt sich die Metaebene nicht verwirklichen.
{EXAMPLE()}Richtlinien: Der einem Verband angehörige Mediator schließt mit den in Trennung befindlichen Eheleuten einen Mediationsvertrag ab, der als Präambel die Leitlinie vorgibt, dass beide Eltern den Kindern zur Verfügung stehen müssen. Was ist, wenn ein Elternteil zwar das Lippenbekenntnis abgibt aber so voller Hass ist, dass er den Kontakt des anderen Elternteils zum Kind blockiert. Darf der Mediator sich darauf einlassen und es erlauben, dass ein Elternteil äußert, ein Kind brauche nur einen Elternteil? Würde die Vorgabe es nicht verhindern, die Meinung zu reflektieren und gegebenenfalls zu korrigieren?{EXAMPLE}
Die Mediation ist zukunftsorientiert. Was macht es also für einen Sinn, die in der Vergangenheit liegenden Konfliktursachen zu diagnostizieren? Es kommt nicht darauf an, warum was falsch gelaufen ist, sondern nur darauf, wie es in Zukunft richtig läuft. Der Mediator wird sich also nicht dafür interessieren, wer was warum falsch gemacht hat. Davon wird die Vergangenheit nicht ungeschehen und die Zukunft nicht richtig.
Auch das klingt wie eine Paradoxie, lässt sich aber leicht erklären. Wenn eine Situation ausweglos erscheint, haben die Parteien keine Lösung im Kopf. Die Situation zwingt sie danach zu suchen. Die Suchbereitschaft wird also größer.
Genau das unterstützt die Mediation. Die Mediation ist nicht geeignet, Lösungen durchzusetzen. Das Durchsetzen von Ansprüchen mag dem Gerichtsverfahren vorbehalten bleiben. Erst wenn man keine Chance sieht, seine Ansprüche durchzusetzen oder wenn dies mit einem unerträglichen Aufwand verbunden ist, sind die Parteien wirklich bereit, nach (anderen) Lösungen zu suchen. Konflikt ist Energie. Ihn aufzuhalten bedeutet, Energie dagegen zu setzen. Der Mediation gelingt es, die Konfliktenergie in eine Motivationsenergie umzuwandeln.
Metaphern
Vielleicht bieten Ihnen die verschiedenen Bilder, die sich der Mediation zuschreiben lassen, um den für sie passenden Einstieg zu finden.
Wir sind immer noch auf dem Weg, Eindrücke zu vermitteln, damit Sie eine bessere Vorstellung von dem bekommen, was noch auf Sie zukommt. Analogien ermöglichen eine sinnliche Wahrnehmung. Bilder helfen oft mehr als Worte, Ungewohntes begreiflich zu machen. Zuvor wurde die Mediation mit Schach und einem Puzzlespiel verglichen. Die bekannteste Metapher wird sowohl als Elevator Pitch genutzt wie auch in Trainings verwendet. Sie soll helfen, die Essenz der Mediation zu beschreiben.
Geschildert wird der konstruierte Streit um eine Orange:
{EXAMPLE()}Orangenstreit: Eine Mutter hat zwei Kinder, die über eine Orange streiten. Wie lässt sich der Streit auflösen? Gängige Lösungsvorschläge dazu sind, die Orangen zu teilen oder die Kinder vom Streitobjekt zu trennen, indem die Mutter die Orange wegwirft oder selber isst. Alle Beispiele führen aus der Sicht der Streitparteien zu einem Verlust. Die in Mediation geschulte Mutter wurde die Kinder nach den Streitmotiven fragen und nach dem Zweck, wozu die Kinder die Orangen benötigen. Dann würde das eine Kind sagen, um Kuchen zu backen und das andere würde sagen um Orangensaft zu trinken. Dieses Beispiel belegt, dass ich den Kuchen auf der Interessenebene oft erweitern lässt.{EXAMPLE}
Die Mediation ist viel zu komplex, um nur mit einem einzigen Bild beschrieben zu werden. Das Schachspiel vermittelt deshalb lediglich eine Erfahrung im Umgang mit der Komplexität, das Puzzlespiel beschreibt den Spieltyp und die Herangehensweise, das Orangenbeispiel belegt, dass der Weg zur Lösung über die Motivabfrage, also dem Wechsel von der Lösungsebene auf die darunter liegende Motivebene gelingt. Das Orangenbeispiel belegt, dass es dadurch möglich ist, die Verteilungsmasse zu vergrößern. Keines der Bilder beschreibt die Mediation jedoch vollständig. Wie sollte dann zu erwarten sein, dass ein Konzept in der Lage wäre, die Mediation vollständig zu beschreiben?
Konzepte
Der wissenschaftliche Zugang ist ein weitere Möglichkeit den Raum der Mediation zu betreten. Ganz sicher ist auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Mediation ein Thema, mit dem sie sich zu beschäftigen haben. Als konzeptuelle Grundlagen, aus denen sich die Mediation herleiten lässt, werden das Harvard-Konzept, die Konsens-Findung und die Konflikteskalation nach Friedrich Glasl genannt.
Das Harvard Konzept
Das Harvard-Konzept ist die Methode des sachbezogen Verhandelns. Sie wurde von den amerikanischen Rechtswissenschaftlern Roger Fisher und William L. Ury in dem Harvard Negotiation Project der Harvard-Universität entwickelt. Nach dem Harvard-Konzept müssen in einer Verhandlung vier Bedingungen eingehalten werden:
- Menschen und ihre Interessen (die Sachfragen) werden getrennt voneinander behandelt (der Mensch wird gesehen, aber nicht attributiert);
- der Fokus liegt auf den Interessen der Beteiligten und nicht auf ihre Positionen (der Fokus liegt auf dem Nutzen);
- es werden Entscheidungsoptionen als Auswahlmöglichkeiten entwickelt (WATNA/BATNA als Kontrolle);
- es werden nur objektive Beurteilungskriterien (bspw. gesetzliche Regelungen, Fakten, ethische Normen etc.) herangezogen.
Bereits diese Regeln führen dazu, dass die guten Beziehungen der Parteien erhalten bleiben, dass beide Seiten mitnehmen, was sie brauchen – oder, wenn sie beide das gleiche brauchen, fair teilen (bspw. nach dem „Einer-teilt-einer-wählt“Prinzip) und dass zeiteffizient verhandelt wird. Gemäß der Harvard-Methode sind „schlechte“ Übereinkünfte nicht anzustreben. Dazu wird als Vorbereitung auf Verhandlungen die „beste Alternative“ (BATNA) außerhalb einer Einigung im Vergleich zur „schlechten Übereinkunft“ (WATNA) herangezogen und mit dieser verglichen. Wichtig ist, dass sachlich verhandelt wird. Das Harvard-Konzept unterscheidet zwischen zwei Kommunikations-Ebenen, nämlich der des Sachinhaltes (also der zu verhandelnden Übereinkunft an sich) und jener der Verhandlungsführung (der Metaebene).
Das Konsensprinzip
Um einen Konsens erreichen zu können, müssen alle Personen die Gelegenheit haben, ihren Widerspruch gegen die Entscheidung zu äußern. Das bedeutet noch nicht gleichzeitig eine erkennbar hohe Zufriedenheit der Beteiligten mit der Entscheidung: Zufriedenheit und Zustimmung sind nicht nur Zeichen fehlenden Widerstands, sondern völlig unterschiedlich geartete psychische Qualitäten. Selbst in einer Einzelperson können Zustimmung und Ablehnung für eine Alternative gleichzeitig vorhanden sein: Die Person kann durchaus ambivalent empfinden. Dementsprechend wird bei Entscheidungen nach dem Konsensprinzip die Position der Streitparteien wie folgt abgestuft erfasst:
- Die Partei steht hinter der Entscheidung und trägt sie vollinhaltlich mit.
- Die Partei trägt die Entscheidung mit, äußert aber Bedenken dazu, welche zumeist protokolliert werden sollten.
- Die Partei enthält sich, es überlässt den anderen die Entscheidung und trägt sie mit.
- Die Partei kann die Entscheidung nicht mittragen, äußert schwere Bedenken (die zumeist protokolliert werden müssen). Es verzichtet aber auf einen formalen Einspruch, um die Entscheidungsfähigkeit der Gruppe nicht zu behindern.
- Die Partei steht beiseite. Es kann den Vorschlag weder zustimmen noch mittragen. Es möchte jedoch nicht blockieren und stellt sich deswegen abseits.
- Die Partei erhebt formalen Einspruch gegen den Entscheid (vgl. Veto). Wenn dieser Fall für nur ein einziges Gruppenmitglied zutrifft, dann gibt es keinen Konsens in der Gruppe. In der Praxis kann die Schranke für einen Dissens zuweilen höher gesetzt werden, um Entscheidungen im Konsens zu ermöglichen.
Das Konsensprinzip wäre um das unter Mediatoren weniger bekannte systemische Konsensieren zu erweitern. Der Zugang zum Konsens entwickelt sich nach der Methode, indem der Widerstand gegen eine Entscheidung gemessen wird.
Die Glasl‘sche Konflikteskalation
Die Art und Weise, wie sich ein Streit oder genauer gesagt das menschliche Verhalten im Streit verschärft hat Glasl zusammengefasst. Er formuliert die Streiteskalation in insgesamt 9 Stufen, die sich in drei Hauptschritte unterteilen lassen.
Die Theorie der vermittelnden Erkenntnis
Ähnlich der Metaphern deckt jede der konzeptuellen Grundlagen für sich betrachtet nur einen mehr oder weniger großen Teilaspekt der Mediation ab. Das Harvard Konzept geht rudimentär auf die Ebenentrennung ein, das Konsensprinzip auf die Ergebnisbewertung, die Eskalation auf das Konfliktverhalten. Alle zusammen genommen ergeben wesentliche Grundlagen der Mediation, beschreiben aber noch immer nicht den Kern, der Rückschlüsse auf ihre Funktionalität erlaubt. Ein mediatives Konzept hat sich bisher noch nicht herausgebildet, so wie es auch keine Mediationstheorie gibt.
Noch deutlicher wird diese kritische Anmerkung, wenn die Mediation international verglichen wird. Glasl ist im englischsprachigen Raum weniger geläufig, ganz zu schweigen von der asiatischen Welt, wo das Harvard-Konzept gerne als „westlicher Import“ abgetan wird. Zu Recht werden die vorgenannten Herleitungen deshalb nicht als Konzepte der Mediation, sondern als deren konzeptuelle Grundlagen bezeichnet.
Eine vollständige Erklärung und Herleitung der Mechanismen in der Mediation ist möglich, wenn die Mediation in ihrem Kern als ein Kognitionsprozess beschrieben wird. Im Mittelpunkt e´steht die Überlegung, dass es die Parteien sind, die eine Lösung finden sollen. Also müssen die Parteien Erkenntnisse gewinnen, die es ihnen möglich machen, die Lösung zu finden. Dieses psychologielastige Verfahrensverständis lenkt den Fokus auf die Funktionalität, die sich im Mediieren als ein Vorgang des Erkennens und Verstehens realisiert.
Ein auf die Erkenntnis abstellender Prozess braucht keine Türen mehr, weil Sie sich schon in dem Raum befinden, den es zu betreten gilt. Üblicherweise definiert sich ein Raum über seine Grenzen. Der Zugang wird durch Türen markiert. Ein großer Raum hat mehrere Türen. Jede Tür erlaubt einen anderen Zugang und gibt eine andere Sicht auf den Raum frei. Die Weite des Raumes lässt sich erst erkennen, wenn alle Sichten eingenommen wurden.
Um alle Sichten wahrzunehmen, muss jede Tür durchschritten werden. Mithin macht es Sinn, die Türen zu finden und aufzuschließen, um den Raum „Mediation“ zu betreten, zu erfahren und genauer kennen zu lernen. Der Raum von dem wir reden ist der Raum der Erkenntnis.
Disziplinen
Natürlich liegt ihnen der Beruf oder die Disziplin nahe, wenn Sie einen Zugang zur Mediation suchen. Sie müssen sich allerdings bewusst darüber sein, dass dies nicht der einzige Zugang sein kann. Es könnte sein dass sie Räume verpassen, wenn sie die anderen Türen außer Acht lassen.
Inzwischen hat sich die Mediation in allen Geschäftsbereichen und Berufen etabliert. Alle versuchen sie für sich zu vereinnahmen. Überraschenderweise wird die Mediation als eine originäre, anwaltliche Tätigkeit beschrieben. Auch die Justiz meint, dass die Mediation ein fester Bestandteil gerichtlicher Arbeit sei und irgendwie auch schon immer war. Schließlich wissen auch andere Professionen und Institutionen, sich die Mediation einzuverleiben.
Inter- und Transdisziplinarität
Interdisziplinär an ihr ist, dass sie in verschiedenen Berufen und Disziplinen untergekommen ist. Wenn interdisziplinär die fachübergreifende wissenschaftliche Arbeit meint, ist die Mediation davon noch weit entfernt. Das Gegenteil ist der Fall. Psychologen werden mit juristischen Begriffen konfrontiert, die sie plötzlich zu verstehen glauben, so wie Juristen mit psychologischen Begriffen konfrontiert werden, die auch sie plötzlich zu verstehen glauben. Tatsächlich werden die Begriffe aber ganz unabhängig konnotiert.
{EXAMPLE()}Interessenvertreter: Rechtsanwälte meinen besonders gut mit Interessen umgehen zu können, immerhin seien Sie doch Interessenvertreter. Übersehen wird, dass der Interessenbegriff in der Mediation konnotiert wird und nicht als Ziel (Lösung), sondern als Motiv (Beweggrund) verstanden wird. {EXAMPLE}
Es bleibt zu hoffen, dass der Mediation der Weg in eine Transdisziplinarität gelingt, so dass wenigstens die Termini einheitlich verstanden werden. Was die Interdisziplinarität aber bewirkt hat, ist eine mögliche Öffnung für Fragen, denen sich die Disziplinen zuvor verschlossen hatten. Sie erlaubt und erwartet, dass alle Dimensionen des Kontinuums der Streitbeilegung in das Verfahren einbezogen werden.
Betrachtungsweisen
Ein weiterer möglicher Zugang sind ihre Motive. Was versprechen Sie sich von der Mediation und davon, dass sie die Mediation beherrschen?
Es gibt ganz unterschiedliche Sichten auf die Mediation, die ebenfalls eher Aspekte abbilden, als ihr Wesen zu beschreiben. Für die Einen ist die Mediation nicht mehr als ein Business. Für die Anderen ist sie der überflüssige Smalltalk von Weicheiern. Manche sehen in ihr die billige Alternative zum Gericht, wieder andere erhoffen sich in ihr die Wunderwaffe für unlösbare Fälle. Die EU sieht in ihr den „access to justice“, der sich EU-weit vereinheitlichen lässt. Schließlich gibt es noch die Gutmenschen, die mit der Mediation die Welt verbessern wollen. Die Mediation wird sowohl als Handwerk wie als Kunst beschrieben. Für die integrierte Mediation ist sie sogar eine Art Philosophie, die eine bestimmte Art des Denkens nahelegt. Für sie ist die Dienstleistung Mediation nur das Abfallprodukt so wie die unterschiedlichen Sichten und Anwendungsweisen nur Ausprägungen des Selben sind.
Der gemeinsame Nenner dürfte sein, dass die Mediation eine Verstehensvermittlung ist auf deren Erkenntnissen die Parteien eine Lösung finden sollen.
Die Türöffner
Wie soll man sich in dieser Vielfalt zurecht finden?
Die Toolbox soll Ihnen nicht nur helfen, die verborgenen Türen zum Gebäude der Mediation aufzuspüren. Es soll Ihnen auch die Schlüssel liefern, damit Sie die Türen öffnen und den Raum betreten können.
Nur wenn Sie alle Schlüssel in der Hand halten, haben sie einen ungehinderten Zugang in die komplexe Welt der Mediation.
Die im Anhang aufgeführten Arbeitsblätter geben den Parcours vor, mit dem sich das Puzzle Mediation zusammenfügen lässt, so, dass am Ende ein vollständiges Bild entsteht.
- Die Systematik
- Der erste Schritt zur Bewältigung der Komplexität bezieht sich auf die Verortung der Mediation.
Mit ihrer systematischen Erfassung und Einordnung werden die unterschiedlichen Sichten auf die Mediation herausgearbeitet. Nicht die Formeln, sondern die Charaktere der Verfahren liefern das entscheidende Kriterium. Sie helfen, die Kompetenzen korrekt zu gewichten und gegeneinander abzugrenzen. Deutlich wird, dass es in keinem anderen Verfahren so sehr auf die Wesenhaftigkeit ankommt wie in der Mediation. Das Wesen der Mediation beeinflusst die Auslegung des Rechts. Es determiniert die Regeln der Kunst und ist der zentrale Ansatzpunkt, die Mediation korrekt zu verstehen.
- Das Verfahren
- Der zweite Schritt zur Bewältigung der Komplexität bezieht sich auf das Verfahren. Vielleicht ist es besser von einem Vorgehen zu sprechen, wenn die mit der Mediation beschriebene Entwicklung verstanden sein will. Das Vorgehen stellt die Aktivität in den Vordergrund, nicht den Rahmen. Das Eine gelingt aber nicht ohne das Andere.
Um das Verfahren besser zu verstehen, wird die Mediation zunächst übersichtlich vorgestellt, um anschließend gesondert und schwerpunktmäßig auf die markanten Besonderheiten einzugehen, die das Vorgehen so einzigartig machen. Dabei helfen die Phasen, die zeitlichen und gedanklichen Ebenen zu trennen. Die Auseinandersetzung mit den Parteien, hilft die persönlichen Bezüge zu trennen. Die Prinzipien erfordern eine Angleichung von Regeln und Eigenschaften. Die Haltung, also die Art des Denkens verwirklicht den Prozess. Ihr Motor ist die Kognition.
- Die Umsetzung
- Der dritte Schritt zur Bewältigung der Komplexität stellt den Zusammenhang zwischen Rahmen, Kontext und Handlungsoptionen her. Für die Praxis kommt es darauf an, WIE das Verfahren zu verwirklichen ist. Das Wie ergibt sich aus der Methodik. Sie wird in einem symbolischen Werkzeugkoffer zusammengefasst, der das Verhältnis von Verfahren, Methoden und Techniken beschreibt.
- Der Konflikt
- Der vierte Schritt zur Bewältigung der Komplexität stellt den Zusammenhang mit dem Kontext her. Das zentrale Thema ist der Konflikt. Er stellt den Kontext zur Verfügung der sich am Verhalten und den Interaktionen herausbildet. Der Mediator muss wissen, was Konflikte sind, was sie bewirken und wie damit umzugehen ist. Er muss wissen wie Wahrnehmung funktioniert (oder eben nicht) und was Kommunikation bewirkt. Er muss wissen, wie er Konflikte analysiert und wie Systeme wie Familie, Persönlichkeit und Arbeit Einfluss auf das Konfliktverhalten nehmen.
- Das Recht
- Der fünfte Schritt zur Bewältigung der Komplexität stellt den Zusammenhang mit dem Recht her. Das recht mag wie der Konflikt als ein mit der Mediation interagierendes System verstanden werden. Um auch hier die Ebenen trennen zu können, werden als Erstes die verschiedenen Berührungspunkte zum Recht ausgewiesen, die sich im Mediationsrecht manifestieren.
- Anwendungen
- Fachmediationen, Sonderformen und Formate, Integrierte Mediation
- Der Beruf
- Last but not least werden die beruflichen Aspekte der mediation beleuchtet. Dazu zählen das Marketing, das Qualitätsmanagement usw.
Ihr persönlicher Zugang
Haben Sie bereits eine Vorstellung davon, was Mediation ist?
Ist sie eine Weisheit, eine Erkenntnis, ein Verfahren, eine Methode, ein Konzept, ein Modell, ein Handeln, ein Denken, ein Geschäft, eine Kompetenz, eine Einsicht oder alles davon?
Also müssen Sie Ihren eigenen Zugang und sich in der Mediation wiederfinden. Sie müssen sich nicht verbiegen. Alles fügt sich zusammen, sobald Sie wissen, wo es hingehört. Kennen Sie eigentlich schon die wichtigste Regel in der Mediation? Sie lautet:
Vertiefung
Übungen
- Überlegen Sie, welche wissenschaftlichen Disziplinen Einfluss nehmen auf die Mediation.
- Überlegen Sie, welche davon Ihnen am nächsten ist.
- Setzen Sie sich mit Ihnen selbst auseinander.
- Überlegen Sie was Sie gut können.
- Überlegen Sie wann es Ihnen geht.
- Überlegen Sie wie sich das anfühlt.
- Speichern Sie das Gefühl / Bild was Ihenn in den Sinn kommt, wenn es Ihnen gut geht und setzen Sie dafür einen Anker (Erinnerungsmerkmal).
- Überlegen Sie, wie Sie in diesem Gefühl / Bild einen Zugang zur Mediation finden können und wo das Bild in der Mediation vorkommt.
- Schreiben Sie die Ressourcen auf, die Sie einbringen können und überlegen Sie, wie Sie diese Ressourcen für die Mediation nutzen.
- Wiederholen Sie die Übung, nachdem Sie alle Toolboxen studiert haben und vergleichen Sie die Ergebnisse.
Kernaussagen
- Sie müssen ALLE Zugänge (er)kennen (können), wenn sie professionell mit Mediation umgehen wollen.
- Die Mediation ist das einzige Verfahren, das wechselseitiges Verstehen einfordert und mit der gesamten Komplexität der Fallgestaltung in all ihren Aspekten und Auswirkungen umzugehen weiß.
- Mediation bedeutet umdenken!
- Die Lösung ergibt sich aus dem Procedere.
- Die Mediation ist zu komplex als dass monokausale Ursachen etwas bewirken könnten.
- Die Mediation ist wertfreie Klärung auf der Metaebene.
- Die Mediation gestaltet die Zukunft weil sich die Vergangenheit nicht gestalten lässt.
- Das Bild der Mediation ist ein Kaleidoskop, wo viele Bilder zusammen geführt werden
- Der mit der Mediation beschriebene Erkenntnisprozess lässt sich auf wenige, universell verwertbare Schritte konzentrieren.
- Wenn es ein Konzept gibt, dann findet es sich in dem mit der Mediation beschriebenen Erkenntnisprozess
- Die unterschiedlichen Sichten auf Mediation haben Auswirkungen auf das Denken und Handeln. Der Mediator muss sich deshalb über sein Bild von Mediation im Klaren sein.
Examensfragen
- Was bedeutet: Die Lösung ist das Abfallprodukt der Mediation, nicht ihr Ziel?
- Was bedeutet: Nur wenn die Mediation keinen Frieden bezweckt, gelingt sie?
- Was bedeutet: Der Konflikt wird gelöst, indem er nicht diagnostiziert wird?
- Was bedeutet: Je auswegloser die Situation, desto besser gelingt die Mediation?
- Was bedeutet: Die Mediation arbeitet mit nicht gegen den Konflikt?
- Wie verwirklicht sich das Harvard-Konzept in der Mediation?
- item2903Warum ist die Regel: Dem Mediator muss es immer gut gehen ernst gemeint?
- Welcher Zugang zur Mediation ist der „richtige“?
- Wie wirkt sich die Interdisziplinarität auf die Mediation aus?
- Was bedeutet: Nicht der Mediator verhilft zur Lösung, sondern die Mediation?
- Gibt es eine Mediationstheorie?
- Weitere Fragen im Examen
Boxenstop
Werden Sie sich bewusst über das was Sie gerade gelernt haben und überlegen Sie den nächsten Lernschritt.
Bitte vermerken Sie das Studium dieser Toolbox im Lerntagebuch. Dort können Sie eingeben:
Lerngegenstand: Zugänge zur Mediation Lernschritt: 02 Einführung Lernmethode: Skriptstudium
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Diskussion: Ihnen steht ein eigenes Leserforum zur Verfügung: Tollbox-Mediation Forum
Geprüft: