Lade...
 

Mediation im öffentlichen Bereich

Ursprünglich wurde die Mediation in diesem Anwendungsbereich als Umweltmediation bezeichnet. Der Begriff hatte sich für Mediationen in Großprojekten, wie der Streit um die Errichtung von Abfallbeseitigungsanlagen, die Planung einer Umgehungsstraße, die Erweiterung des Flughafens usw. eingebürgert. Auch die nationale und die supranationale Auseinandersetzungen um den BREXIT könnten Gegenstand einer Mediation im öffentlichen Bereich sein. Heute, nachdem sich die Themenstellungen für derartige Mediationen erweitert haben, lautet die präzise Bezeichnung: Mediation im öffentlichen Bereich.

Mediation (Systematik) Anwendungsfelder Umweltmediation




Mediation im öffentlichen Bereich

Anwendungsbereich

Die Bezeichnung des Gegenstandes eines Streites im öffentlichen Bereich kann weit gefasst werden. Einerseits kann sie sich auf die öffentliche Beteiligung, andererseits auf das öffentliche Interesse beziehen. Schließlich trifft sie auch auf den Gegenstand der Verfahren, in denen das öffentliche Recht zur Anwendung kommt.

Die bekanntesten Anwendungen ergeben sich in allen Fragen, die auch Gegenstand eines Planfeststellungsverfahrens sein können. Damit wird ein Streit um Flächennutzungspläne, Bebauungspläne oder Genehmigungsverfahren direkt angesprochen. Möglich sind aber auch Streitigkeiten um Erschließungsbeiträge, die nicht zwingend eine unbegrenzt große Teilnehmerzahl betreffen. Das zunehmende Verständnis der öffentlichen Verwaltung, die Bürger frühzeitig in solche Entscheidungsprozesse einzubeziehen, erweitert den Rahmen der Mediation um die sogenannte Bürgerbeteiligung, auch wenn es sich dabei nicht um eine förmliche Mediation handelt.

Am besten lässt sich der Anwendungsbereich für Mediationen im öffentlichen Bereich aus der Geschichte des Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich (FMöB) ableiten. Ursprünglich war der Verband als Förderverein Umweltmediation bezeichnet worden. Als deutlich wurde, dass der Gegenstand von Mediationen im öffentlichen Bereich das gesamte Spannungsfeld zwischen Umwelt, Wirtschaft, Politik und Sozialem betrifft, hat sich der Verband breiter aufgestellt und den Namen entsprechend angepasst.

Abgrenzungen

Neben den Streitigkeiten mit öffentlichem und politischem Bezug werden auch Streitigkeiten mit einem öffentlich-rechtlichen Bezug erfasst. Hinsichtlich der öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten ist jedoch eine Differenzierung angebracht. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten werden üblicherweise vor einem Verwaltungsgericht ausgetragen. Dort würde also beispielsweise auch über die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung oder ihrer Verweigerung verhandelt werden. Solche Streitigkeiten haben nicht unbedingt einen politischen Hintergrund. Sie haben lediglich einen öffentlich-rechtlichen Bezug. Wenn es um das Bauen geht, wird eine Abgrenzung zu den Bausachen erforderlich, für die das Zivilgericht zuständig ist. Bei diesen Streitigkeiten geht es nicht um die Wirksamkeit einer Baugenehmigung, sondern um die Bauausführung. Für die sogenannten Bausachen hat sich ein spezielles Anwendungsfeld herausgebildet, für das sich die Baumediation zuständig fühlt. Wenn sich Nachbarn gegen eine Baumaßnahme wenden, besteht wieder ein öffentlich-rechtlicher Bezug, wo die Erteilung einer Baugenehmigung im Vordergrund des Streites steht. Wird der Konflikt jedoch aus der nachbarschaftlichen Beziehung heraus gebildet, steht wieder ein spezielles Anwendungsfeld, nämlich die Nachbarschaftsmediation zur Verfügung.

Gegenstand

Neben den offenliegenden Sachfragen und der notwendigen Erörderung der Lastenverteilung geht es bei den Streitigkeiten im öffentlichen Bereich oft auch um die Frage der Notwendigkeit der geplanten Maßnahme an und für sich (siehe Stuttgart 21), die Entscheiderkompetenz, die Vollständigkeit und Korrektheit der zugrunde liegenden Informationen, die Art und Weise ihrer Vermittlung und Darbietung, die Entscheidungshohheit, die Fairness, die Verantwortung und die Gerechtigkeit. Kennzeichnend sind auch disziplinübergreifende Fragestellungen, die gegenenfalls ein hohes technisches, geostrategisches, ökonomisches und ökologisches Niveau erfordern, das sich nicht ohne Weiteres jedermann erschließt und dessen Komplexität Selektionen erlaubt und Simplifizierungen nahelegt.

Format

Der Zuschnitt von Mediationen im öffentlichen Bereich entspricht meistens einer Großmediation oder einer Mediation mit großen Gruppen. Das Format ist allerdings nicht zwingend. Es gibt auch Mediation im öffentlichen Bereich mit einer abgegrenzten, geringen Teilnehmerzahl.

Beispiel 11956 - Benennung der Kita-Leitung in einem kommunalen Kindergarten, für die sich die Eltern engagieren oder der Streit um die Zahlung von Erschließungsbeiträgen oder um die Erteilung einer Baugenehmigung, gegen die sich die Nachbarn wehren.

 Merke:
Leitsatz 11957 - Der Mediator wählt stets das Format, das zur Bewältigung des Konfliktes am besten geeignet ist.

Vorgehensweise

Großmeditationen sind ein markanter Anwendungsfall der Mediation im öffentlichen Bereich. Das Format bietet sich an, sobald die Öffentlichkeit oder Teile davon als potentielle Teilnehmerin an einer Mediation zu beteiligen. Die Parteienhäufung ist eine der Herausforderungen für den Mediator. Sie betrifft nicht nur die unbestimmte Zahl der Teilnehmer, sondern auch die Problematik, dass Individuen mit Gruppierungen zusammentreffen, die wiederum von Delegierten als Individuen vertreten werden. Daraus ergeben sich schon rein numerische Inbalancen und mit unterschiedlichem Machtpotenzial, die der Mediator ausgleichen muss.

Einen problematischen Einfluss können auch die Kommunikation und der Informationsfluss im Hintergrund ausüben. Der Mediator muss Parallelprozesse im Blick haben und erkennen, ob es Prozesse und Abläufe gibt, an die der Entscheidungsprozess angekoppelt werden kann oder muss1 .

Wie mit solchen Fällen umzugehen ist, wird im Kapitel Großmediation beschrieben. Im Übrigen gelten auch für die Mediation im öffentlichen Bereich die allgemeinen Ausführungen zur Mediation und zu den Fachmediationen.

Mediation in großen Gruppen 

Besonderheit

Die Komplexität ist bei den Streitigkeiten im öffentlichen Bereich eine besondere Herausforderung. Abgesehen on der Teilnehmerzahl, der unterschiedlichen Einfluss- und Machtverhältnisse und der Vielschichtigkeit der oft auch technisch relevanten Fragestellungen, spielt auch der politische Einfluss eine große Rolle, der bis in Wertediskussionen reichen kann.

Auch der öffentlich-rechtliche Streitgegenstand kann den Entscheidungsprozess beeinträchtigen. Anders als im Zivilrecht steht das öffentliche Recht nicht zur Disposition einzelner Parteien. Die Frage, ob öffentlich-rechtliche Streitgegenstände überhaupt einer Mediation zugänglich sind, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen. Die Verwaltung unterliegt dem Gleichbehandlungsgrundsatz, von dem sie wegen einzelner Bürger, nur weil sie besonders nett sind oder besonders viele Schwierigkeiten machen, nicht abweichen kann. Auch bei Vorschriften, die ein Ermessen erlauben, gilt dieser Grundsatz. Wenn die öffentliche Verwaltung also als Partei in Erscheinung tritt, kann damit zu rechnen sein, dass ihre Dispositionsbefugnis eingeschränkt ist. Um keine falschen Erwartungen zu wecken oder Zweifel aufkommen zu lassen sollte der rechtlich zulässige Entscheidungsrahmen (also der Gestaltungsspielraum) bei einer solchen Mediation vorweg geklärt werden.

Nicht alle, die sich am öffentlichen Streit beteiligen, sind von der Entscheidung betroffen. Oft mischen sich Aktivisten und NIMBYs unter die Menge und feuern den Widerstand an. Die Trittbrettfahrer sind zwar keine Streitparteien und gegebenenfalls nicht einmal Konfliktparteien. Sie sind aber ein Teil des Spiels und dürfen nicht übersehen werden. Ihr Einfluss kann bei den Versuchen, die Teilnehmer zu strukturieren berücksichtigt werden, indem die Teilnehmer nach dem Umfang der Betroffenheit eingeteilt werden.

Bei öffentlichen Veranstaltungen ist natürlich die Vertraulichkeit eine weitere Herausforderung. Der Mediator wird zwar versuchen, die Gesprächsgruppen so klein wie möglich zu halten. Er kann jedoch nicht verhindern, dass die Delegierten Informationen weitergeben. Besonders bei den Mediationen mit öffentlichem Interesse ist zu beobachten, dass die Presse im Vorfeld, begleitend und im Nachgang Einschätzungen und Bewertungen auch über die Mediation veröffentlicht2 . Der Mediator ist gegebenenfalls selbst darauf angewiesen, die Presse einzuschalten, um zur Teilnahme an der Mediation aufzufordern und um zu verhindern, dass sich Betroffene dem Verfahren entziehen können. Der Mediator muss also überlegen, welche Informationen öffentlich gestellt werden können und wie eine maximale Vertraulichkeit sicherzustellen ist.

Fundstellen

Bedeutung für die Mediation

Die Mediation ist, auch wenn sie auf der Fallebene einen öffentlich-rechtlichen Gegenstand betrifft, auf der Verfahrensebene stets privatrechtlich ausgestaltet. Mitunter bedarf es einer klaren Grenzziehung zwischen der privatrechtlichen Verfahrensgestaltung und dem öffentlich-rechtlichen Verfahrensgegenstand.

Für die Mediation im öffentlichen Bereich hat sich eine Fachmediation herausgebildet. In manchen Fällen ist eine Abgrenzung zur Baumediation oder zur Nachbarschaftsmediation erforderlich. Kennzeichnend für die Mediation im öffentlichen Bereich ist ihre Themenvielfalt. Ein Mediator, der sich im öffentlichen Bereich bewegt, sollte also über ein mediationsfachübergreifendes Wissen verfügen und alle Mediationsformate beherrschen.

Hinweise und Fußnoten

Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen

Bearbeitungsstand: 2022-11-02 19:43 / Version 45.

Alias: Mediation im öffentlichen Bereich, Mediationen im öffentlichen Bereich
Siehe auch: Großmediationen, NIMBY-Strategie
Literaturempfehlung: Troja (Öffentlicher Bereich)
Diskussion: Mediation im öffentlichen Bereich
Prüfvermerk:


Based on work by Bernard Sfez und anonymous contributor . Last edited by Arthur Trossen
Seite zuletzt geändert am Donnerstag November 14, 2024 01:56:43 CET.

Durchschnittliche Lesedauer: 6 Minuten