Der Umgang mit Lügen in der Mediation
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Konflikt Kommunikation Lügen Fakten, Meinungen, Emotionen Faktenklärung Eintrag Wikisuche
Definitionsgemäß sind Lügen bewusst falsche Aussagen mit Täuschungsabsicht.
Wann aber ist eine Aussage falsch und vor allem: Wer entscheidet das und was heißt schon bewusst?
Bevor man sich mit der Frage auseinandersetzt was eine Lüge ist, sollte man sich über den Unterschied von Wahrheit, Wirklichkeit und Realität bewusst werden. Die Wahrheit bezieht sich auf eine Aussage und deren Übereinstimmung mit einem Sachverhalt, einer Tatsache oder der Wirklichkeit im Sinne einer korrekten Wiedergabe.1
Aber was ist schon die Wirklichkeit, die nicht mit der Realität übereinstimmen muss?2
Sie führt zumindest zu der Frage, was eine Lüge ist.
Was genau ist eine Lüge?
Laut Wikipedia ist die Lüge eine Aussage, von der der Sender (Lügner) weiß oder vermutet, dass sie unwahr ist, und die mit der Absicht geäußert wird, dass der Empfänger sie glaubt. Anders formuliert handelt es sich um die (auch nonverbale) Kommunikation einer subjektiven Unwahrheit mit dem Ziel, im Gegenüber einen falschen Eindruck hervorzurufen oder aufrecht zu erhalten.3 Die Definition stellt also maßgeblich auf die Absicht des Senders ab. Eine unbewusst falsche Aussage ist demnach keine Lüge.
Wer entscheidet, was eine Lüge ist?
Der Vorwurf, dass die Gegenseite lügt, kommt in der Mediation häufig vor. Nicht immer geht es dabei um Fakten.
Das Beispiel belegt, dass es bei der Lüge auch um emotionale Tatsachen gehen kann. Das ist der Fall, wenn falsche Gefühle vorgetäuscht werden. Bei reinen Fakten ist es leicht zu sagen, wer darüber entscheidet ob eine Lüge vorliegt oder nicht. Fakten lassen sich evaluieren. Also entscheiden die Fakten was wahr ist oder nicht. Sie belegen aber nicht ohne Weiteres die Täuschungsabsicht. Bei der Täuschung über Gefühle wird es noch komplizierter, denn Gefühle lassen sich kaum wie Fakten belegen.
Im Juristischen wird der Vorsatz zur Täuschung aus dem Wissenselement und dem Willenselement hergeleitet. Der Täter muss also wissen, dass er etwas Falsches sagt und er muss das auch wollen, um sein Gegenüber zu täuschen. Im Zweifel entscheiden die Indizien darüber, was gewusst und gewollt war. In der Mediation kommt es darauf in der Regel gar nicht an. Hier stellt sich die Frage ganz anders. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Gesagte eine Lüge war. Stattdessen kommt es darauf an, dass und wie in der Zukunft das Vertrauen hergestellt werden kann, dass die angesagten Gefühle (Motive) verlässlich sind.
Warum lügen wir?
Die Motive für eine Lüge können ganz unterschiedlich sein. Auch sind verschiedene Lügenarten und -charaktere zu unterscheiden. Manche Lügen sind erwünscht und manche nicht. Manche Lügen verfolgen lediglich den Zweck, Unsicherheiten zu überspielen. Andere Motive wollen eine Kompetenz vorzutäuschen oder den Lügner einfach nur sympathisch erscheinen lassen. Lügen sind angelernt. Kinder bis zu 5 Jahren sind beispielsweise gar nicht in der Lage zu lügen.
Lügen wollen dem Lügner einen Vorteil versprechen. Sie helfen, sich vor der Verantwortung zu drücken oder Schwächen zu verstecken oder etwas zu bekommen, wovon man denkt, dass es anders nicht geliefert wird. Eine gezielte Lüge etwa vor Gericht soll vor der Bestrafung schützen.
Lügen können bewusst und unbewusst erfolgen. Manchmal sind sie gar keine Lüge, sondern nur Ausdruck einer Stimmung, die schwanken kann, sodass man einmal dies und ein anderes mal jenes behauptet. Bei einem krankhaften Lügen (Pseudologia Phantastica)4 geht es den Betroffenen meist darum, im Mittelpunkt zu stehen.
Dieses Video setzt sich mit dem Phänomen Lüge auseinander und hinterfragt, warum wir überhaupt lügen (müssen). Sie hören und sehen eine spannende Zusammenstellung aller Phänomene rund ums Lügen und lernen die Lüge auch als ein sozial willkommenes Verhalten kennen, mit dem man sich beliebt machen kann.
Warum werfen wir anderen Lügen vor?
Mit dieser Frage richtet sich der Fokus auf die belogene Person. Ein Interesse an der Wahrheit ist stets die Eindeutigkeit, die Verlässlichkeit und Planbarkeit der Information. Widersprüche verursachen eine kognitive Dissonanz. Die fühlt sich nicht gut an. Sie erregt Misstrauen und macht Entscheidungen schwierig. Mithin ist die Wahrhaftigkeit eine Frage der Vertrauensbildung.
Wenn eine Lüge zum Vorwurf gemacht wird, sollte auch das Motiv des Vorwurfs hinterfragt werden. So wie der Lügner Interessen verfolgt, die ihn zum Lügen verleiten, so hat der Ankläger Motive, die ihn dazu verleiten, dem anderen Lügen vorzuwerfen. Wenn also Lügen zum Vorwurf gemacht werden, sollte zunächst geprüft werden, worauf sich der Vorwurf genau bezieht und ob die Einschätzung, dass der andere lügt, überhaupt korrekt sein kann. Immerhin kann der Vorwurf des Lügens selbst eine Lüge sein. Den Schlüssel zur Klärung liefern zunächst die Fakten.
Was sind die Fakten?
Das Zitat von Mark Twain stellt heraus, dass sich Lügen, logisch betrachtet, nur auf Fakten beziehen können. Fakten sind beweisbare Tatsachen. Nach der Differenzierung von Watzlawick betreffen sie die Wirklichkeit 1. Grades. Es sind die messbaren Wahrheiten. Der Vorwurf: "Du lügst" kann beides sein. Eine Einschätzung, dann ist es eine Meinung oder ein Fakt. Wenn es eine Meinung ist, sollte man klären warum sie weh tut oder warum sie einen selbst so sehr betrifft. Wenn es ein Fakt ist, lohnt es sich ebenfalls nicht darüber zu streiten, ob jemand lügt. Man muss nur klären, wie die Fakten gegebenenfalls zu evaluieren (zu beweisen) sind.
Welche Bedeutungen verbergen sich hinter der Lüge?
Oft werden Lügen unbemerkt auf die Bedeutungswirklichkeit bezogen. Dann betreffen sie nicht Fakten, sondern Meinungen und Einschätzungen. Das präzise Zuhören ist ein Tool, mit dem Informationen als Fakten, Meinungen oder Emotionen qualifiziert werden können. Mancher Vorwurf einer Lüge lässt sich so entkräften.
Es geht darum herauszufinden, wo evaluierbare Fakten sind. Ein Mediator weiß nur zu gut, dass zwei Menschen unterschiedliche Sichten auf das gleiche Fakt haben können. Wenn es um Bedeutungszuschreibungen geht weiß er auch, dass keiner von ihnen lügt. Es sind nur unterschiedliche Konstrukte der Wirklichkeit.
Was sind die Motive von Sender und Empfänger?
Den Schlüssel zum Verstehen liefern die Motive. Wenn es zum Vorwurf der Lüge kommt, ist weniger die Lüge an sich, sondern das Motiv des Vorwurfs zu hinterfragen. Der Vorwurf kann verschiedene Bedeutungen haben. Sie lassen sich erhellen, wenn das Motiv für den Vorwurf geklärt wird.
Grundsätzlich sind zwei Fragestellungen zu unterscheiden. Die eine Frage lautet: Warum ist es der einen Partei so wichtig, dass die andere die Wahrheit sagt?
Die Frage, ob jemand lügt oder nicht ist - wenn sie sich nicht auf Fakten bezieht - eine Einschätzung. Sie führt zu der anderen Frage, warum ist der einen Partei so wichtig ist, die andere als Lügner zu sehen. Welchen Nutzen verspricht sie sich davon und was will sie mit dem Vorwurf erreichen?
Der Vorwurf der Lüge hat eine Rückkopplung. Wenn der andere Lügt, so liegt es nahe, dass man selbst nicht lügt. Auch löst der Vorwurf eine kognitive Dissonanz auf. Wenn der andere lügt, dann liege ich richtig und muss mich nicht in Frage stelllen. Es ist also wichtig, die Ich-Botschaft auf beiden Seiten herauszuarbeiten. Der Vorwurf der Lüge verfolgt somit ebenso einen Zweck wie die Lüge selbst. Deshalb ist gegebenenfalls auch das Motiv zum Lügen zu hinterfragen. Viele Lügen sind sozial erwünscht. Oft steckt eine gute Absicht dahinter. Wieder wird das Motiv mit der Frage nach dem Wozu ermittelt.
Wie lassen sich Lügen enttarnen?
Lügen sind falsch vorgetragene Fakten, wozu auch Emotionen zählen. Lügen fallen auf, wenn immer dasselbe gesagt wird ohne Ausschmückungen. Sätze und Begründungen werden auswendig gelernt. Wenn sie hinterfragt werden, kann der Lügner oft wenig Hintergrundinformationen liefern, weil die Erinnerung fehlt. Jetzt muss die Phantasie helfen, die Details auszuschmücken.
Um eine Lüge aufzudecken, kommt es auf den Kontext an. Ist das Bild, das der Sender schildert in sich stimmig? Passen die Details zur Aussage? Es gibt Forschungen wie z.B. die Mikroexpressionen oder die Augenzugangsbewegungen, die ähnlich wie der Lügendetektor dazu führen sollen, Lügen aufzudecken. Hier ist Vorsicht geboten. Die messbaren körperlichen Reaktionen können zwar auf eine Irregularität (z.B. Stress) hindeuten. Sie erklären aber nicht deren Ursache (was den Stress auslöst).
Menschen achten sehr auf die Autentizität mit der ihr Gegenüber Dinge behauptet. Sie neigen dazu, die Aussage zu glauben, wenn der Sender überzeugt zu sein scheint, von dem was er sagt. Die beste Möglichkeit, Lügen zu enttarnen ist also die Nachfrage, die sich auf das Erlebte einlässt. Eine andere Möglichkeit, die auch in der Mediation denkbar ist, ist die Beweiserhebung.
Fragetechniken Mäeutik Beweiserhebung
Warum müssen Lügen aufgedeckt werden?
Lügen müssen nicht aufgedeckt werden. Es gibt keinen Zwang dazu (außer gegebenenfalls in Gerichtsverfahren bei beweiserheblichen Tatsachen). Lügen sollten jedoch aufgedeckt werden, wenn sie schädliche Auswirkungen auf andere oder auf die Beziehung haben oder wenn sie die Grundlage für wichtige Entscheidungen oder Handlungen bilden. Wenn jemand eine Lüge erzählt, um eine Person, eine Gruppe oder eine Organisation zu schädigen, kann es notwendig sein, die Wahrheit zu enthüllen, wenn sich der Schaden nicht anders abwenden lässt oder wenn es darum geht, Gerechtigkeit zu gewährleisten. In einigen Fällen kann es jedoch durchaus angebracht sein, eine Lüge zu verschweigen, um eine Person oder Gruppe vor unnötigem Schaden oder Konflikten zu schützen. Insbesondere die sogenannten sozialen Lügen können durchaus erwünscht sein.
Was sind soziale Lügen?
Soziale Lügen sind falsche Aussagen oder Handlungen, die dazu dienen, eine soziale Interaktion zu beeinflussen. Sie werden oft verwendet, um den sozialen Status einer Person zu erhöhen oder um sich vor einer sozialen Ablehnung oder Bestrafung zu schützen. Es gibt Berührungspunkte mit dem Respekt anderen Personen gegenüber und der Arbeit an Beziehungskonflikten. Beispiele für soziale Lügen sind:
- Flunkern: Flunkern oder Angeberei ist eine Form der sozialen Lüge, bei der eine Person falsche oder übertriebene Behauptungen über ihre Fähigkeiten, Erfahrungen oder Errungenschaften macht, um ihren sozialen Status zu erhöhen oder Bewunderung von anderen zu erhalten.
- Soziale Verstellung: Soziale Verstellung ist eine Form der sozialen Lüge, bei der eine Person ihre wahren Gedanken, Gefühle oder Absichten verbirgt, um eine bestimmte soziale Interaktion zu kontrollieren oder um negative Konsequenzen zu vermeiden.
- Schmeichelei: Schmeichelei ist eine Form der sozialen Lüge, bei der eine Person falsche oder übertriebene Komplimente macht, um das Ego oder den sozialen Status einer anderen Person zu stärken.
- Ausflüchte: Ausflüchte sind eine Form der sozialen Lüge, bei der eine Person falsche oder unvollständige Erklärungen abgibt, um Verantwortung zu vermeiden oder um eine peinliche Situation zu entschärfen.
Soziale Lügen können also durchaus angemessen sein. Sie können aber auch die Authentizität in Frage stellen, wenn sie als Lüge enttarnt werden. Lügen sind also relativ. Es muss stets eine sorgfältige Abwägung erfolgen, ob die Enthüllung der Wahrheit wirklich sachdienlich ist oder nicht.
Bedeutung für die Mediation
Die Frage der Sachdienlichkeit einer Wahrheitsermittlung kommt insbesondere in der Mediation auf. Die Mediation ist ein offenes, transparentes und ehrliches Verfahren, das mit Lügen nicht gut zurecht kommt. Dennoch ist zu bedenken, dass die Mediation den Fokus auf die Zukunft legt. Tatsachen in der Zukunft lassen sich nicht ermitteln. Bei vergangenen Tatsachen ist zu prüfen, ob sie für Entscheidungen über die Zukunft eine Rolle spielen. Warum sollte die Vergangenheit geklärt werden, wenn die Zukunft unabhängig davon zu gestalten ist? Die Klärung von Fakten ist also in der Mediation nur dann und insoweit erheblich, wenn sie für die Regelung der Zukunft oder die gefundene Lösung bedeutsam ist.
Was für die Mediation relevant ist, muss nicht zwingend für die Parteien relevant sein. Was bezweckt eine Partei, wenn sie mit dem Abbruch der Mediation droht, falls die Gegenseite das Lügen nicht aufhört? Was bezweckt sie, wenn sie dadurch zugleich eine Auseinandersetzung über die Frage der Lüge verhindert? Um das herauszuarbeiten muss der Mediator die vermeintliche Lüge ebenso verstehen, wie den dagegen gerichteten Vorwurf. Erst die jeweiligen Motive erhellen die Bedeutung des Verhaltens. Warum wird etwas behauptet und warum ist es wichtig zu klären, ob es sich dabei um eine Lüge gehandelt hat? Darauf wird sich der Mediator mehr konzentrieren, als auf die Frage, ob eine Lüge vorliegt oder nicht. Dabei helfen ihm die zuvor erwähnten Herangehgensweisen. Im Vordergrund steht die Klörung, warum es worauf ankommt.
Der Mediator begibt sich auf Glatteis, wenn er sich zum Wächter der Wahrheit ernennen lässt oder sich sogar selbst gar in diese Rolle begibt. Dann lässt er sich ohne Not auf gefährliche Bewertungen ein. Besser ist es, er hilft den Parteien zu klären, wie die Wahrheit aus der unterschiedlichen Sicht zu verstehen ist, wo Klärungsbedarf besteht und wie die Klärung zu erfolgen hat. Dabei hilft ihm die Freiwilligkeit.
Der Mediator weiß, dass die hinter der Lüge oder dem Lügenvorwurf stehende Ich-Botschaft nie eine Lüge ist. Sie ist der Ausdruck von etwas, worüber man sprechen sollte.
Was tun wenn ...
- Die Partei lügt
- Der Mediator stellt die falschen Fragen
- Der Mediator lügt
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Alias: Lüge, Unwahrheit
Siehe auch: Wahrheit
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