Der Streitanlass als Ausgangspunkt
Wissensmanagement » Sie befinden sich auf der 1. Station der Konfliktbeilegungstour in der Abteilung Praxis.
Es geht um die optimale Konfliktbeilegung und eine einfühlsame Darlegung der Herausforderungen.
Ihre Reise durch eine Konfliktbeilegung: Willkommen auf der ersten Station unserer Tour durch die Konfliktbeilegung. Wir befinden uns noch ganz am Start der Reise. Die Reise beginnt mit einem ganz alltäglichen Fall, den wir den Babysitterfall nennen.
Der Babysitterfall beschreibt einen Streit, wie er in jeder Familie vorkommen mag, um dann vor Gericht zu landen. Der nachfolgend zu geschilderte Fall wurde die Ausgangserfahrung für das sogenannte Altenkirchener Modell, das die vielfältigen Schnittstellen der Mediation zum Gerichtsverfahren aufgedeckt hat.1 Der Fall verdeutlicht die Herausforderungen einer Konfliktbeilegung, der sich nicht nur die Parteien zu stellen haben.
Fallbeschreibung
Auf den ersten Blick ist es ein ganz einfacher Fall. Es geht um das Umgangsrecht.
Sehen Sie den Babysitterfall bitte als ein Beispiel, das sich in jeden anderen Bereich übertragen lässt, wo es um mehr geht als nur die Problemlösung.
In der Fallbeschreibung finden sich die Positionen der Parteien, Hinweise auf deren Motive und Lösungsvorstellungen wieder.
Können Sie diese schon erkennen?
Die Positionen
Die Mutter sieht die Lösung des Problems in der Verweigerung des Umgangs. Ist es aber nicht eine widersprüchliche Haltung, wenn sie dem Kindesvater den Umgang verwehrt und sich gleichzeitig über einen Mangel an Betreuungsmöglichkeiten für das Kind beschwert? Liegt in dem Fall die Lösung nicht auf der Hand? Die Mutter hätte, von außen betrachtet, doch einen größeren Nutzen, wenn sie den Vater in die Kindesbetreuung einbezöge. Der Vater ist offensichtlich ohne gerichtliche Hilfe nicht in der Lage, den Kontakt zu seinem Kind herzustellen und zu pflegen. Er widerspricht dem Vortrag der Mutter, das Kind könnte Schaden nehmen, wenn es Kontakt mit dem Vater hat.
Wer von den Eltern lügt also?
Die Motive
Ohne die hinter den Argumenten der Eltern liegenden Motive für den Streit zu kennen, sagte der Richter einer Intuition folgend zu der Kindesmutter, als der Vater noch nicht anwesend war: "Ich verstehe Sie nicht. Warum missbrauchen Sie nicht Ihren Mann als Babysitter?". Das Wort missbrauchen muss ein magisches Wort gewesen sein. Denn zur Überraschung des Richters schlug sich die Kindesmutter als Antwort spontan mit der flachen Hand auf die Stirn und sagte: "Dass ich darauf nicht gekommen bin!". War der Mutter klar, dass sie mit ihrer spontanen emotionalen Reaktion gerade ihrem Sachvortrag widersprochen hat? Sie verstehen jetzt, warum Anwälte den Parteien raten, lieber nichts zu sagen und die Anwälte für sie sprechen zu lassen. Sie verstehen aber auch, dass ein Fürsprecher verhindert, dass die Motive aufgedeckt werden, die zu einer bedürfnisgerechten Lösung führen. Aber zurück zum Fall.
Die Lösung
Nachdem der Vater erschien, kam der Richter erneut auf das Babysitterproblem zu sprechen. Diesmal fragte er den Kindesvater, ob er sich vorstellen könne, auf diese Weise von der Mutter missbraucht zu werden und die Funktion eines Babysitters wahrzunehmen, wenn er dann öfter Kontakt mit dem Kind haben könne. Nachdem dieser bejahte, war das Umgangsproblem zwischen den Parteien einvernehmlich geregelt.
Der Konflikt
Im Babysitterfall hatten die Parteien bereits das Gericht angerufen. Damit wurde aus dem Problem ein zu bearbeitender Fall. Der Gang an das Gericht impliziert, dass die Parteien selbst nicht in der Lage sind, den Konflikt beizulegen. Deutlich wird aber auch, dass der Konflikt woanders liegt als das Problem, über das gestritten wird. Der Streitanlass ist leicht erkennbar. Das trifft aber leider nicht immer auf die Frage nach der Streitursache zu. Sie bleibt den Parteien und je nach Verfahren auch den Dienstleistern oft verborgen. Auch die Frage, was die Parteien sich selber zumuten können und müssen ist nicht immer klar. Sie hängt von der Art des Konfliktes ab. Die korrekte Konflikteinschätzung ist deshalb ein wichtiger Schritt für die Konfliktbeilegung. Laien finden eine Hilfe zur Einschätzung von Konflikten in der Checkliste. Mediatoren finden den Zugang zum Konflikt in der Konfliktanalyse.
Checkliste zur Konflikteinschätzung Konfliktanalyse
Die Herausforderung
Leider beschränken sich die Herausforderung auf dem Weg der Konfliktbeilegung nicht auf die korrekte Einschätzung des Konfliktes. Der Ozean, den wir überqueren wollen, birgt viele verborgene Gefahren. Sie können von überall herkommen. Mithin ist die Komplexität eine erste große Herausforderung und Erkenntnis, der sich nicht nur die Parteien zu stellen haben.
Nicht jedes Verfahren kann mit der Komplexität umgehen. Sie ist oft weder den Parteien noch den Sachbearbeitern bewusst. Auch im Babysitterfall war der Zugriff auf den eigentlichen Konflikt nur ein Zufallstreffer.
Ein Gericht kümmert sich normalerweise nicht um die Beziehungsproblematik,2 die offenbar das Motiv des Streitens war. Es orientiert sich am Gesetz. §1684 Abs. 4 BGB besagt: "Das Familiengericht kann das Umgangsrecht oder den Vollzug früherer Entscheidungen über das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes__ erforderlich ist". Das Gericht orientiert sich an einer aus den Fakten herzuleitenden Rechtslage, was bei der Einschätziung des Kindeswohls schon schwierig ist. Demgegenüber orientiert sich der Konflikt an anderen Indikatoren, die wesentlich komplexer sind.
Im Babysitterfall hatte der Richter den Parteien eine indirekte Hilfestellung gegeben, den Konflikt zu erkennen. Unbewusst hatte er ein Reframing angewendet. Es ist erstaunlich, dass er schon damit eine Wirkung erzielen konnte.3 Konkret hat er mit dem Wort missbrauchen den emotionalen Bezug zu dem Problem auf der Paarebene hergestellt. Offenbar hat dieser Perspektivenwechsel der Mutter die Möglichkeit gegeben, etwas zu kompensieren, was mit dem eigentlichen Konflikt zu tun hat. Es wird deutlich, dass es am Ende gar nicht um die Beziehung Vater - Kind geht, wo das Problem argumentativ angesiedelt wurde. Möglicherweise ist der eigentliche Konflikt auf der Ebene Mutter - Vater oder gar auf der Ehepartnerebene anzusiedeln, wo zwischen den Parteien offenbar noch "eine Rechnung offen geblieben" ist. Geklärt wurde diese Frage allerdings nicht.4
Was würden Sie in einem solchen Fall unternehmen?
Dass der Richter nicht näher auf den Konflikt eingegangen war, zeigt, dass das Beispiel nur die Anwendung einer Gesprächstechnik war. Ob die Indikation gereicht hat, dass die Parteien ihre Beziehung neu ausrichten konnten, blieb offen. Dafür spricht jedoch, dass die Parteien keinen weiteren Fall vor dem Familiengericht anhängig gemacht haben. Es war ein Zufallstreffer. Von einem professionellen Mediator würde man erwarten, dass er den Parteien ein Bewusstsein für den Konflikt und die daraus resultierende Lösung vermitteln kann, sodass ihre Nachhaltigkeit nicht auf einem Zufall, sondern auf einer Erkenntnis beruht.
Verfahrensstand
Das Beispiel mag inspirieren. Es sagt aber noch nicht viel über die zuückzulegende Reise, die ja nicht dem Zufall überlassen bleiben soll. Um die Reise transparent zu machen, wird am Ende einer jeden Station der Sach-, Konflikt-, Streit- und Verfahrensstand des Falles herausgearbeitet. Der Verfahrensstand soll Ihnen zeigen, wie das Verfahren verläuft, wenn die Parteien die in jeder Station beschriebenen Entscheidungen verwirklichen.
Wenn Juristen über das Stadium eines Verfahrens sprechen, dann hinterfragen sie den Sach- und Streitstand. Um der Mediation eine korrekte Verfahrenseinschätzung zu geben, ist es besser vom Sach-, Konflikt- Streit- und Verfahrensstand oder kurz vom Mediationsgegenstand zu sprechen. Nur mit dieser Erweiterung wird die Komplexität der zu klärenden Fragen korrekt gewürdigt.
Im vorliegenden Fall betrifft der Streit das zu klärende Problem, während der Konflikt als der Motor des Streites anzusehen ist. Der Verfahrensstand beschreibt die Abarbeitung der im Verfahren zu klärenden Fragen. Wenn dort die falschen Fragen gestellt werden, lässt sich der Konflikt nicht abarbeiten. Im Babysitterfall ist das Problem der streitige Umgang des Vaters mit seinem Kind. Wir haben bereits eine Ahnung, dass der streitauslösende Konflikt ein anderer sein mag und dass die Regelung des Umgangsrechts nicht das einbringen wird, was sich die Parteien davon versprechen.5 Solange der zugrundeliegende Paarkonflikt nicht gelöst wird, ist kaum anzunehmen, dass es zu einem reibungsfreien Umgang des Vaters mit dem Kind kommen kann. Es wird deutlich, dass die Ausrichtung des Verfahrens bereits eine Weichenstellung liefert, die eine Aussage über den Umfang der möglichen Konfliktbeilegung trifft.
Fahrplan (zur nächsten Station)
Wir haben die erste Station unserer Tour durch die Mediation erreicht. An dieser Stelle genügt es, wenn die Parteien sich über die Komplexität des zu lösenden Falles bewusst sind, um als nächstes die Wahl des passenden Verfahrens zu problematisieren. Klicken Sie auf die Eintrittskarte, um zur nächsten Station zu gelangen.Bleiben Sie entspannt. Sie sitzen sicher im Boot.
Klicken Sie auf den Fahrschein, um zur nächsten Station zu gelangen.Eine Liste der Fragen und Entscheidungen entlang der Konfliktbeilegung finden Sie in der Zusammenfassung
Quellenangaben: Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen
Alias: Babysitterfall, Problemstellung, Ausgangsfall
Diskussion: Was würden Sie in einem solchen Fall unternehmen? Erfahrungsaustausch
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