Die Justiz weiß jetzt, was zu tun ist, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wie im Beitrag über das Forschungsvorhaben bereits berichtet,1 sollte die Forschung eine Antwort auf folgende Fragen finden:

  • Inwiefern haben die Wirtschaftspraxis (z. B. Kulanzverhalten des Einzelhandels, Käuferschutzangebote im Online-Versandhandel) und Legal Tech-Angebote Auswirkungen auf den Rückgang der Eingangszahlen?
  • Inwiefern wirken sich das allgemeine wirtschaftliche Umfeld (Konjunktur) und wirtschaftliche Erwägungen der Verfahrensbeteiligten auf die Bereitschaft aus, einen Rechtsstreit gerichtlich klären zu lassen?
  • Inwiefern spielen justizorganisatorische Faktoren oder die anwaltliche Beratungspraxis eine Rolle? Welche Erwartungen haben Rechtsuchende an die Justiz und in welchem Umfang haben diese Erwartungen Einfluss auf das Klageverhalten?
  • Sind die Fälle, die nicht vor die staatliche Justiz gelangen, in andere Bereiche der Streitbeilegung (z. B. Schiedsgerichtsbarkeit, außergerichtliche Schlichtung) „abgewandert" und was sind ggf. die Gründe hierfür?
  • Ist mit einer Fortsetzung des Rückgangs der Eingangszahlen zu rechnen?


Die Untersuchung wurde breit angelegt. Es wurden nicht nur Statistiken und Gerichtsakten ausgewertet. Auch die Bevölkerung ist repräsentativ befragt worden, ebenso wie die Anwaltschaft, Verbraucherzentralen und sonstigen Interessensverbände. Mediatonsverbände wurden offenbar nicht befragt. Der Abschlussbericht benennt als wesentliche Gründe für den zu beobachtenden Rückgang:

  • Geschäftsaktivitäten und private Kontakte sind komplexer und schneller geworden. Damit ist das Interesse an vorbeugenden und konsensualen Konfliktlösungen (z.B. durch AGB-Gestaltung, Vorkasse, unternehmensinternes Beschwerdemanagement) gestiegen.
  • Prozesse werden insbesondere von Privatpersonen häufig als psychisch belastend, zeitaufwendig und unwirtschaftlich wahrgenommen. Deshalb werden zunehmend die Angebote von Dienstleistern (z.B. Legal Tech-Anbieter) genutzt.
  • Der Beratungspraxis kommt eine wichtige Filterfunktion zu. Anwälte raten häufiger als früher von einem gerichtlichen Vorgehen ab. Auch Rechtsschutzversicherungen schränken ihre Deckungszusagen ein. Der Gang zu Gericht wird so zunehmend zur ultima ratio.
  • Einzelne justizorganisatorische Faktoren schmälern die Attraktivität des Zivilprozesses; dazu gehören etwa die im Vergleich zur Anwaltschaft oftmals geringere Spezialisierung, die schleppende Digitalisierung und der häufige Richterwechsel.


Entsprechend der rechtspolitischen Empfehlungen des Abschlussberichts ist die Verbesserung der Ausstattung der Gerichte mit dem Ziel die digitalen Abläufe effizienter zu gestalten, die richterliche Spezialisierung zu verbessern oder Online-Verfahren bei Kleinforderungen einzuführen. Bereits jetzt arbeitet das BMJ an der Entwicklung und Erprobung eines zivilgerichtlichen Online-Verfahrens, das unter anderem den digitalen Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu den Zivilgerichten erleichtern soll. Zudem hat das BMJ bereits die Ressortabstimmung für den Referentenentwurf für ein Justizstandort-Stärkungsgesetz eingeleitet. Mit diesem Gesetz soll die Attraktivität der staatlichen Ziviljustiz für die Lösung international geprägter, oftmals besonders werthaltiger Streitigkeiten gestärkt werden. Zudem unterstützt der Bund die Länder im Rahmen einer Digitalisierungsinitiative in den kommenden Jahren mit bis zu 200 Millionen Euro für digitale Projekte, um damit die Digitalisierung der Justiz voranzutreiben.

Sowohl der Titel des Beitrages, dass die Justiz mehr Fallzugänge haben wolle und die Behauptung, dass sie nach dem Forschungsbericht jetzt wisse, was zu tun ist, um wettbewerbsfähig zu bleiben, ist natürlich provokativ gemeint. Eigentlich sollte sich die Justiz über eine Abnahme der Zugänge freuen. Immerhin war die Entlastung der Justiz doch ein Motiv für die Einführung der Mediation. Andererseits ist es natürlich bedenklich, wenn der Rückgang der Fälle bei den Gerichten mit einer Ablehnung der Justiz und einem Vertrauensverlust in die Rechtsprechung zusammenhängt. Insofern war die Forschung durchaus notwendig und veranlasst. Sie ist auch im Zusammenhang mit anderen Forschungen, wie z.B. dem Roland Rechtsreport zu sehen. Der Abschlussbericht enthält auch dazu Aussagen und besonders im Hinblick auf die für Mediatoren wichtige Frage des Streit- und Nachfrageverhaltens, auf die noch gesondert eingegangen wird. 2

Arthur Trossen


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