Das Informationsmanagement der Mediation

Das Thema ist die Mediation.
Genauer gesagt geht es darum, was in der Mediation passiert, damit sie zur Entfaltung kommt. Wer sich mit der Mediation genauer befasst, wird ihre Kompetenz im Umgang mit Informationen bemerken. Sie ist spezifisch und ein valides Unterscheidungsmerkmal zu anderen Verfahren. Die nachfolgenden Ausführungen gehen auf einen Vortrag von Arthur Trossen zurück, um den Prozess der Mediation Entscheidungstheoretikern zu verdeutlichen. Die Ausführungen basieren auf einem Verständnis der Mediation, das auf die Kognitionstheorie zurückzuführen ist.

Komplexität

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Man könnte sagen, die Komplexität sei die Mutter aller Probleme. Die Aussage führt jedoch in eine Paradoxie, denn sie würde der Komplexität nicht gerecht werden. Probleme haben viele Mütter und Väter. Fest steht jedoch, dass die Gesellschaft immer komplexer wird. Die Politik wird immer komplizierter, das Miteinander wird immer herausfordernder und der Konflikt trägt sein Übriges dazu bei.

Komplexität fühlt sich an wie Chaos. Es gibt eine Unzahl von Variablen, die miteinander vernetzt sind und in Beziehung zu einem Kontext stehen. Selektionen geben die Illusion, als könnte man die Komplexität bewältigen. Oft ist ihre vermeintliche Bewältigung aber nur eine Reduktion der Komplexität. Der juristische Umgang mit der Komplexität ist dafür ein gutes Beispiel. Den Juristen sagt man nach, sie könnten gut mit Komplexität umgehen. Schaut man genau hin, können Sie es nicht. Denn sie reduzieren die Komplexität auf nur zwei Variablen: den Sachverhalt und die Rechtsfolgen.

Die Mediation ist hingegen in der Lage, die gesamte Komplexität einer Fragestellung zu erkennen und zu durchdringen. Sie ist deshalb (methodisch betrachtet) eine ideale Herangehensweise bei Entscheidungsprozessen.

Verdichtung

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Auch der Konflikt suggeriert, die Komplexität durchdringen zu können. Für die Konfliktpartei ist völlig klar wer oder was die Ursache für ihr Problem ist. Es kommt zu einer perspektivischen Verzerrung. Systematisch betrachtet, werden die Konflikte in einem isolierbaren Streitsystem abgewickelt. Die Konfliktpartei ist ein Teil des Systems. Weil alle Sinne des Menschen auf Außenwahrnehmung ausgerichtet sind, ist ihr perspektivisch Standpunkt vorgegeben. Die Partei sieht ja nur den Gegner. Schon deshalb ist es naheliegend, dass sie den Gegner für ihren Schmerz verantwortlich macht.

Abstraktion

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Nur eine Sicht von außen ist in der Lage, das ganze System zu betrachten. Die Sicht von außen wird aus der Perspektive der Metaebene möglich. Die Metaebene ist ein Abstrakt zur operativen Handlungsebene. Weil der Richter als Entscheider zu einem instrumentalisierten Teil der operativen Handlungsebene wird, ist die Einnahme der Metaebene für ihn theoretisch zwar möglich, im Verfahren aber nicht (oder nur sehr eingeschränkt) vorgesehen. Im Gegensatz dazu begünstigt die Rolle des Mediators, der sich an dem Prozess der Lösungsfindung nicht operativ beteiligt, die Einnahme der bewertungsfreien Metaperspektive. Sowohl seine Rolle, wie seine Aufgabe die Parteien bei der Lösungsfindung zu unterstützen, sind eine wertvolle Hilfe in dem zu bewältigenden Entscheidungsprozess.

Entscheidungen bedürfen Reflexion. Sie müssen wohl durchdacht sein und sollten alle entscheidungsrelevanten Aspekte in Betracht ziehen können. Ideal wäre es, wenn die Entscheidung die gesamte Komplexität der Fragestellung, der möglichen Einflüsse und der unterschiedlichen Sichten erfassen kann. Diese Fähigkeit stellt sich nur durch eine Abstraktion her. Sie erfordert die Reflexion aus einer Perspektive, das in der Lage ist, das gesamte Steuersystem im Blick zu haben. Der Mediator personifiziert diese Abstraktionsebene.

Entscheidungsprozess

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Die Reduktion der Komplexität findet sich auch in den Entscheidungsprozessen wieder. Der Mensch ist auf Entscheidungen angewiesen. Er kann viele Entscheidungen aus einem Gefühl heraus treffen. Er ist oft sogar darauf angewiesen, Entscheidungen auch dann zu treffen, wenn keine hinreichenden Informationen vorliegen.

Würde das Hühnchen im Hühnerhof, wenn es den Bussard sieht, statt sich (spontan und aus einem Gefühl heraus) zum Weglaufen zu entscheiden erst lange darüber nachdenken, ob nicht eine Freundschaft mit dem Bussard eine sinnvolle Alternative sei, würde es von dem Bussard gefressen sein, bevor es seinen philosophischen Exkurs abgeschlossen hat. Die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, ohne nachzudenken, ist also ein Überlebenskonzept. Es ist tief in der menschlichen Psyche verankert, weshalb wir überall beobachten können, dass Entscheidungen getroffen werden, ohne dass eine hinreichende Klarheit über die zugrunde liegenden Fakten vorliegt. Wenn Zeit zum Nachdenken bleibt, beginnt der (normale) Entscheidungsprozess mit einer Problemstellung. Es folgt eine Problemanalyse, die zu Argumenten für und gegen eine Lösung sprechen. Der gedankliche Fokus wird auf eine Lösung ausgerichtet. Das Problem wird entschieden.

Der BREXIT macht den Entscheidungsprozess sehr anschaulich. Es wird eine Frage aufgeworfen, die sich auf Lösungen bezieht. Dann wird eine Entscheidung getroffen. Interessanterweise hat sich offenbar niemand Gedanken gemacht, ob und wie die Entscheidung überhaupt umsetzbar ist. Erst nach der Entscheidung wurde im Zusammenhang mit ihrer Realisierung überlegt, wie denn der BREXIT überhaupt durchgeführt werden könne. Wenn sich keine Lösungen finden, entscheidet die Faktenlage. Lange später wird man feststellen, dass die Entscheidung nicht den Nutzen eingebracht hatte, den man sich vorgestellt hat. Im Grunde weiß man schon jetzt, dass es bei dem Prozess auf allen Seiten nur Verlierer geben kann. Trotzdem wird die Entscheidung nicht in Frage gestellt. Lieber wird versucht, den Informationsmangel zu leugnen.

Information

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Die Mediation verfolgt ein anderes Entscheidungskonzept. Bei ihr steht der Nutzen im Vordergrund. Erst wenn der Nutzen abgestimmt ist, kommt es in der Mediation zu der Frage, wie sich die Nutzenkriterien in der Realität umsetzen lassen. Bevor diese Frage nicht geklärt ist, kommt es zu keiner Entscheidung.

Informiertheit

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Die Informiertheit ist eines der Prinzipien der Mediation. Spieltheoretisch beschrieben, geht die Mediation von voll informierten Spielern aus. Mithin kommt die Frage auf, wie die Mediation dazu beitragen kann, dass die Medianden über alle Informationen verfügen, die einer Entscheidung zugrunde zu legen sind. Der sorgfältige Umgang mit Informationen und ihre Zuordnung ist eine Kompetenz der Mediation, die in der Literatur völlig vernachlässigt wird und kaum beschrieben ist. Die Kompetenz erschließt sich, wenn die Mediation als ein (spezialisierter) Kognitionsprozess verstanden wird. Die Kognitionstheorie ist die bisher einzige Theorie, die die Mediation in ihrer Funktionalität lückenlos beschreiben kann.

Um den Vorgang der Informationsverarbeitung zu beschreiben, bietet sich die Analogie zu einem Puzzle an. Wenn das Puzzle das zu legende Bild darstellt und das Bild die zu findende Lösung, dann wird der Puzzlestein zum Symbol einer Information und das Puzzlespiel zu einer Veranschaulichung, wie die Mediation den Vorgang der Informationsverarbeitung bewältigt. Das Erste, was bei dem Vergleich der Mediation mit einem Puzzle auffällt ist, dass es sei bei beiden Spieltypen um ein Suchspiel handelt.

Metainformation

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Genau betrachtet sind es mindestens zwei Puzzlebilder, die der Mediator zusammen mit den Parteien zu legen hat. Stellt man sich vor, auf dem Tisch liegen eine Menge Puzzelsteine, die entweder in das eine oder das andere Puzzlebild gehören oder in keines der Bilder, bekommt man eine Vorstellung davon was den Mediation zu leisten hat. Die Unzahl von Puzzelsteine, die völlig unsortiert auf dem Tisch liegen, repräsentieren die Informationen, die auf die Parteien bzw. den Mediator bei der zur Konfliktbewältigung führenden Entscheidungsfindung eintreffen.

Der erste Schritt besteht also darin, die Information überhaupt erst einmal zu sortieren. Gehört sie in das eine oder das andere Bild oder ist sie für das Legen der Bilder völlig irrelevant? Das ist die erste Frage, die sich ein Mediator zu stellen hat. Seine Entscheidung betrifft die zu legenden Bilder, die einmal die Mediation selbst betreffen, zum anderen den Fall, gegebenenfalls auch die Rechtslage.

Die Zuordnung erfolgt anhand der Merkmale, die ein Puzzlestein, respektive die Information, aufweist. Ein Puzzlestein kann über das Bildmotiv und seine Form identifiziert und zugeordnet werden. Die Information lässt sich zuordnen, sobald ihre Metainformation bekannt ist. Die Metainformation ist die Information über die Information. Warum es wichtig ist, die Metainformation zu kennen, erschließt sich aus der Informatik. Stellen Sie sich vor der Computer zeigt den Text: „Ich wurde am 1. Januar 2000 geboren und frage mich, wie alt ich jetzt bin“. Der Computer könnte das Alter errechnen. Dafür müsste er jedoch erkennen, welche der abgebildeten Zeichen überhaupt ein Datum repräsentieren. Er benötigt also eine Metainformation über jedes Zeichen, damit er weiß, wie mit der Information umzugehen ist.

Die gleiche Frage stellt sich der Mediator. So wie der Computer einen Rechenalgorithmus kennt, weiß der Mediator wie die Information zu verarbeiten ist, sobald er ihre Metainformation identifiziert hat. Den grundsätzlichen Algorithmus liefert ihm die Mediation. Sobald der Mediator also eine Information (dazu zählen auch unterlassene Informationen) empfängt, muss er entscheiden, ob sie für die Mediation, den Fall, gegebenenfalls das Recht oder die Umwelteinflüsse relevant ist, oder ob die Information für die zu entscheidende Frage irrelevant ist.

Qualifikation

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Die Zuordnung der Information ist gleichbedeutend mit ihrer Qualifikation. Dafür unterscheidet der Mediator grundsätzlich zwischen der Verfahrensebene und der Fallebene.

So wie sich die Puzzelsteine anhand ihrer Form und Auswüchse aneinander fügen lassen, lassen sich auch die Informationen, nachdem sie dem einen oder anderen Bild zugeordnet sind, strukturieren. Die Strukturierung erfolgt entsprechend der jeweiligen Dimension, die der Information zugeordnet werden kann. Auf der Verfahrensebene ergeben sich die Dimensionen aus den Phasen der Mediation. Auf der Fallebene ergeben sich die Dimensionen aus einer Kategorisierung, die für jeden Fall individuell erfolgt.

Vernetzung

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Die durch die Kognitionstheorie beschriebene innere Logik der Mediation bringt die Informationen in einen inneren Zusammenhang. Der Mediator muss also nicht viel mehr machen, als die Informationen korrekt zuzuordnen. Methodisch hilft Ihm das präzise Zuhören. Sobald die Information korrekt eingeordnet ist, stellt sie Korrelationen zu anderen Informationen her, die im Zusammenhang, wie bei einem Puzzle, mehr und mehr dazu beitragen, das fertige Motiv erkennbar werden zu lassen.

Erfassung

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Die Komplexität der Mediation wäre unterschätzt, wenn der Mediator die Information lediglich den Phasen zuordnet. Damit alle Bilder und Perspektiven erfasst werden, müsse diese Zuordnung für jede Partei durchführen.

Das präzise Zuhören ist eine speziell auf die Kognitionstheorie abgestimmte Erweiterung des aktiven Zuhörens. Die Technik erlaubt es, die unterschiedlichen Sichten herauszuarbeiten, ohne sich auf Argumente zu beschränken. Sie ermöglicht die Korrektur von Denkfehlern und Wahrnehmungsverzerrungen und fordert schließlich eine Verifikation der Information ein.

Eine Bewertung ist nicht. Sie ergibt sich aus der Rückmeldung, sodass die Parteien selbst in die Lage versetzt werden, die Qualität und Verwertbarkeit ihrer Information korrekt einzuschätzen.

Vermittlung

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Wenn zwei gegnerische Parteien an einem Prozess beteiligt sind, bei dem sie konfliktbedingt konträre Vorstellungen von der Realität konstruiert haben, hilft es nicht viel, die Informationen einfach zu erfassen und in die prozessuale Logik einzuordnen. Damit sich die Parteien auf eine Lösung verständigen können, müssen sie über einen abgestimmten Informationsstand verfügen. Jetzt wird deutlich, warum die Mediation als eine Verstehensvermittlung bezeichnet wird. Es kommt darauf an, dass die Parteien die Gedanken der jeweils anderen Partei wechselseitig nachvollziehen können, um auf einen gemeinsamen Informationsstand zu gelangen, aus dem sich heraus eine für beide Seiten attraktive (nützliche) Lösung finden lässt. Es ist die Aufgabe des Mediators, das Aufkommen der Informationen und den Informationsfluss so zu steuern, dass sich dieser Zweck verwirklichen kann. Das ist nicht immer leicht.

Anders als in einem alltäglichen Entscheidungsprozess, muss die Mediation auch mit Konflikten umgehen. Die Konflikte repräsentieren eine weitere Dimension der zu bewältigenden Komplexität. Es kommt darauf an, dass die Parteien sich zu ihrem Konflikt bekennen und die im Konflikt verborgenen Botschaften verstehen. Nicht immer besteht dafür eine Bereitschaft auf Seiten der Parteien. Der Mediator bemerkt die innere Ablehnung daran, dass sich die von der Mediation vorgegebenen Erkenntnisschritte in den Köpfen der Parteien nicht etablieren lassen. Er spürt den Widerstand, der sich bis zu Blockaden aufschaukeln kann. Jetzt helfen ihm die Kenntnisse über Konflikte und Konfliktverhalten, die passenden Interventionen zu finden, die den Gedankengang der Parteien wieder in eine konstruktive Richtung lenken.

Erkenntnisschritte

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Wie sich der meditative, am Nutzen orientierte Gedankengang in der Mediation realisiert, ergibt sich aus den Phasen. Deren Konzept ist so angelegt, dass sich die Gedanken automatisch auf die Nutzenrealisierung ausrichtet.

Die erste Phase stellt ein gemeinsames, auf eine Zukunft ausgerichtetes Ziel her, die weit hinter dem Problem liegt und darin besteht, eine Lösung zu finden mit der alle zufrieden sein können. Sobald das Ziel festgelegt ist, kann der durch die Mediation beschriebene Weg dahin festgelegt werden.

Die zweite Phase stellt eine Bestandsaufnahme dar, mit deren Hilfe die auf den Konflikt bezogenen Fragen aufgedeckt werden, die zu klären sind, damit das zuvor festgelegte Ziel erreicht werden kann. Die Parteien schildern, wenn man so will, die kaputte Welt und präsentieren eine Sicht, die sich auf ihren Schmerz bezieht.

Anders als in anderen Entscheidungsprozessen bildet die Mediation eine gedankliche Zäsur, bevor sie in die dritte Phase einsteigt. Die Parteien werden nicht aufgefordert, ihre Standpunkte zu rechtfertigen. Stattdessen werden sie aufgefordert, darüber nachzudenken wie die Welt aussieht, wenn das Problem beseitigt ist. In dieser Phase werden die Motive hinterfragt, die zum einen die Bedeutung von den jeweils vorgestellten Geschichten der Parteien erhellen und zum anderen die Kriterien für den Nutzen herausstellen, die zu erreichen sind, wenn man sich eine Welt ohne das Problem vorstellt. Die Parteien werden feststellen, dass die Ausrichtung auf den Nutzen keinen Anlass zum Streiten gibt und sogar eine Möglichkeit liefert, gemeinsame Kriterien und Übereinstimmungen herauszuarbeiten.

Während die dritte Phase auf zum Teil imaginäre Erwartungen aufsetzt, kommt es in der vierten Phase darauf an, die zuvor erarbeiteten Nutzenkriterien in Lösungen zu übersetzen. Wenn sich ein reales Bild von einer Lösung abzeichnet, erfolgt sich ein Abgleich mit anderen möglichen Lösungen und eine Bewertung der gefundenen Lösung. Wenn sich eine Lösung herausgearbeitet hat, die von beiden Parteien akzeptiert werden kann und die den zuvor erarbeiteten Kriterien entspricht, ist das Ziel erreicht.

In der fünften Phase geht es deshalb darum, den ersten Schritt in die Umsetzung des Ziels zu vollziehen. Die Lösung wird manifestiert und in eine Vereinbarung übernommen, die die Vollziehbakrkeit der Lösung festschreibt.

Lösung

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Das Puzzle ist vollendet. Wenn die Mediation korrekt abgelaufen ist, gibt es jetzt zwei voll informierte Spieler (Medianden), die genau wissen warum sie was und wozu verabredet haben. Sie haben eine positive Sicht auf die Zukunft, bei der das Problem nicht mehr Teil der Lösung ist.

Einblicke

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