Wir waren angetreten, Zeitungsartikel mit den Augen eines Mediators zu sehen und einem Loop zu unterziehen. Für Mediatoren ist es ein anspruchsvolles Training. Für die interessierte Bevölkerung ist es ein Anschauungsmaterial über meditatives Wahrnehmen und zugleich eine Richtigstellung des informativen Gehaltes - mithin eine echte Verbesserung der Streitkultur. So gesehen sollten Politiker und Bürger ein gleichförmiges Interesse an dem Projekt haben. Es könnte dazu beitragen, die Kommunikation zu verbessern.

Der erste Eindruck

Ein Mediator nähert sich einer Fallschilderung wie in einer Bildbeschreibung. Er geht vom äußeren, distanzierten Blick auf das Detail zu, indem er den Bildlinien folgt.

Der Artikel beschreibt selektiv das Verhalten der Polizei hinsichtlich der Silvesternacht 2016/2017 in Köln und bewertet es. Die vernichtende Schwerpunktkritik wendet sich gegen die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit und die Selektion bei den Kontrollen. Aus einer Kommunikationspanne sei ein Kommunikationsgau geworden, wird behauptet. Der wichtigste Satz des Artikels lautet: "Die Polizei muss dringend daraus lernen – und mit ihr die ganze Republik". Der entscheidende 2. Halbsatz geht in einer polarisierend und gewaltvoll gehaltenen Sprache unter. Ein Mediator würde die Balance herstellen, indem er zurückmeldet: "Sie schildern den Umgang mit einem Ereignis, von dem sie zum Einen denken, dass die Polizei etwas hätte besser machen können und zum Anderen, dass WIR ALLE aus den Geschehnissen zu lernen haben". Dieser Einschätzung können sicher alle zustimmen, zumal wenn "alle" auch die Presse und die Immigranten einschließt. Die Frage, die zurückbleibt ist nur noch WAS wir alle zu lernen haben.

Fakten

Ein Mediator strukturiert die Informationen mindestens nach der Unterscheidung zwischen Fakten, Meinungen und Emotionen sowie zwischen Positionen, Interessen und Lösungen.

Die Fakten sind:

  • 2015 hat die Polizei zunächst von einer "ruhigen Nacht" in Köln berichtet.
  • 2016 zeigte die Polizei starke Präsenz, erteilte Platzverweise und kontrollierte Personalien.
  • Das Presseteam twitterte. Unter anderem wurde mitgeteilt: "Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft".
  • Später wurde mitgeteilt, dass es sich bei dem polizeiintern verwendeten Begriff "Nafris" wahlweise um eine Abkürzung für "Nordafrikaner" oder "nordafrikanische Intensivtäter" handele.
  • Am 13.1. teilte die Polizei mit, dass in der jüngsten Silvesternacht wahrscheinlich gar keine nordafrikanischen Intensivtäter vor Ort waren.

Position

Die Position ist die dem Gegner gegenüber zu erhebende Forderung.

Der Presseartikel führt dazu aus:

  • "Die Lehre, die die Polizei noch ziehen muss, ist erschreckend banal: Vermutungen und Bauchgefühl sind keine Informationen, mit denen Behörden öffentlich operieren sollten". Dem Leser stellt sich die Frage, ob die Presse - besonders vor der Gefährderdiskussion - der Polizei vorwirft, dass sie gegen mutmaßliche Täter und Störer vorgeht, dass sie diese falsch auswählt, indem sie die Frage der Mutmaßlichkeit an falschen Kriterien festsetzt oder dass lediglich falsch kommuniziert wird?

Kontext

Ein Mediator hat eine multiple Wahrnehmung. Dazu zählt, dass er den Kontext aus dem der Streit entsteht oder in dem sich der Streit bewegt, niemals aus den Augen verliert.
  • Der Pressebericht behandelt die Polizei wie einen Streitgegner. Sie wird bewertet und verurteilt. Ihr Gegenüber werden Forderungen erhoben. Den Kontext im Blickbehaltend fragt sich der Leser, was die anderen Beteiligten Gruppen gemacht haben und wie die mit den Kritikpunkten umgegangen sind. Denken alle so wie der Autor des Artikels?

Meinungen

Wie über die Ereignisse gedacht wird, ergeben die Meinungen. Sie lassen Rückschlüsse auf die Bedeutungszuschreibungen zu. Meinungen finden deshalb die besondere, von den Fakten isolierte Aufmerksamkeit des Mediators. Wissend, dass Meinungen voneinander abweichen dürfen.

Folgende Meinungen sind zu hinterfragen:

  • "Selbst Banalitäten sind bei der Polizei offenbar nicht begriffen", wird ausgeführt. Welche Banalität gemeint ist, ergibt sich wohl aus dem der Überschrift folgenden Satz, dass die staatliche Institution in der Lage sein muss, das richtige Maß zu finden zwischen einer zeitnahen Information der Öffentlichkeit und der dringend notwendigen Sorgfalt. Wer beurteilt wann diese Kriterien erfüllt sind?
  • Die Sorgfalt bezieht sich unter anderem auf einen Widerspruch zwischen der Behauptung: "Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft" und der Mitteilung, "dass in der jüngsten Silvesternacht wahrscheinlich gar keine nordafrikanischen Intensivtäter vor Ort waren". Wäre der Sorgfalt genüge getan, wenn die Polizei das Wort mutmaßlich eingefügt hätte?
  • Von einer Kommunikationspanne ist die Rede. Was damit gemeint ist. Wahrscheinlich wird die Panne in der Verwendung des Begriffs "Nafris" gesehen.
  • Die Gleichsetzung von Nafris für "Nordafrikaner" oder "nordafrikanische Intensivtäter" sei eine Gleichsetzung, die auf mangelndes Bewusstsein für Rassismus in den Reihen der Beamten schließen lässt. Die Bemerkung wirft eine Menge Fragen auf, ganz abgesehen davon, dass sie unverständlich ist. Nordafrikaner beschreibt eine Herkunftsregion, keine Rasse. Die Tatsache, dass der Begriff Intensivtäter ein Attribut bekommt, legt nahe, dass es auch deutsche Intensivtäter gibt. Was ist eigentlich gemeint, wenn Nafris zwei Bedeutungen hat, wobei lediglich die eine von Straftätern spricht. Kann es sein, dass die Presse den Begriff anders kosnotiert als die Polizei?
  • Die Polizei schaffe es nicht, ihre "Klientel" von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien zu unterscheiden, sodass Aggressivität möglicherweise nicht wirklich das Kriterium für ein Vorgehen gewesen sei. Möglicherweise hat der Journalist bei dem Wort "Klientel" nur Straftäter im Blick. Das Klientel der Polizei sind aber auch sogenannte Störer, die keine Straftäter sind aber eine Gefahr verursachen. Sie müssen als sogenannte Zweckstörer nicht einmal verantwortlich sein. Die Presse hat hinreichend darauf hingearbeitet, dass diese potentielle Störergruppe aus den MAGREB Staaten stamme.
  • Die Kommunikationspanne habe sich zu einem Kommunikationsgau entwickelt. Ein GAU ist der größte anzunehmende Unfall. Der GAU in einer Kommunikation wäre anzunehmen, wenn die Kommunikation vollständig zum Erliegen kommt. Ein fehlendes Fingerspitzengefühl ist kein GAU. Ein Mediator würde fragen, ob er etwas nicht richtig verstanden hat, wenn hier von einem GAU die Rede ist. Er würde auch fragen, wie der GAU zu heilen ei und was die Presse dazu beitragen könnte, ebenso wie der Bürger.

Prozess

Ein Mediator denkt stets prozessorientiert. Die Mediation verfolgt das Ziel, eine Lösung zu finden.

Welches Ziel verfolgt der Artikel über das Verhalten der Polizei in der Silvesternacht? Die Presse hat das Ziel, zu informieren. Gewollt oder nicht hat Information immer zugleich einen gestaltenden Effekt indem sie eine Absicht offenbart. Der vorliegende Artikel trägt beispielsweise dazu bei, die Beziehung zwischen Staat und Bürger zu gestalten. Wer darauf achtet, wird sich fragen, wie diese Beziehung beschrieben wird und was die Absicht hinter dem Artikel sein mag. Wird versucht ein Einvernehmen und Verständnis unter den betroffenen Gruppen herzustellen? Die Kommunikation wird zum GAU stilisiert. Was will uns diese Kommunikation sagen und wie nennt man es, wenn es tatsächlich zum GAU kommt? Leistet dieser Artikel einen Beitrag, den GAU zu verhindern? Es wird erwartet, dass die Polizei Ihre Informationsverantwortung wahrnimmt. Der Leser würde den Autor fragen, wo er diese Verantwortung wahrgenommen hat.