Bedingungen und Zielvorgaben in der Mediation
Wissensmanagement » Diese Seite gehört zum Fachbuch Mediation in der Wiki-Abteilung Wissen. Sie befinden sich auf der Themenseite zum Kapitel Ziel im 4. Buchabschnitt, der sich mit dem Prozess der Mediation näher auseinandersetzt. Dem Abschnitt sind folgende Kapitel zugeordnet:
Ziel Zielvorgaben Grundsätze Eintrag Suche
Worum es geht: Die Gestaltungsfreiheit dieses Verfahrens unterliegt jedoch realen Spannungsfeldern, unter anderem durch Zielvorgaben und Bedingungen, die entweder implizit durch die Konfliktdynamik oder explizit durch Auftraggeberinnen, Institutionen oder politische Rahmenbedingungen gesetzt werden. Diese Abhandlung befasst sich mit der Frage, was unter Zielvorgaben in der Mediation zu verstehen ist, wie sie eingebracht werden und welche Auswirkungen sie auf das Verfahren haben können.
Die heile Welt herzustellen ist besser, als in der
kaputten Welt zu streiten
Einführung und Inhalt: Es bedarf der Auseinandersetzung, ob und inwieweit der Prozess und die prozessualen Ergebnisse beschränkt werden dürfen, ohne den Charakter der Mediation zu zerstören.
Die Grenzen der Mediation
Die nachfolgenden Beispiele sollen die Problematik und Tragweite aufzeigen, um eine Sensibilisierung für die Problematik zu erarbeiten und die Grenzen der Vorgaben und Bedingungen zu ermitteln. Überlegen Sie, wie Sie als Mediator oder als Mediatorin mit folgenden Fällen umgehen:
Ist eine ergebnisoffene Mediation überhaupt möglich, wenn nur bestimmte Ergebnisse zugelassen werden? Hätten Sie die Ergebnisoffenheit ebenfalls herausgestellt? Hat der Mediator dadurch vielleicht sogar den Weg in das zunächst nicht erwünschte Ergebnis geebnet?
Hätten Sie die Mediation durchgeführt? Ist unter dieser Einschränkung wirklich noch eine Mediation möglich, ohne dass daraus eine Schlichtung wird?
Die Intervention des Mediators ist eine außerordentlich riskante (Rechts-)Beratung.
Wenn Dritte teilnehmen sollen, ist der Grund genau zu prüfen. Oft wird deren Teilnahme verlangt, um Druck auf die Gegenseite auszuüben. Wenn der Mediator sich darauf einlässt, unterstützt er die Konfrontation.
Zielvorgaben: Definition und Typisierung
Unter Zielvorgaben in der Mediation werden inhaltliche oder strukturelle Erwartungen an das Ergebnis oder den Verlauf des Mediationsverfahrens verstanden. Sie können von den Konfliktparteien selbst, von Dritten (z. B. Auftraggeber, Träger, Politik) oder von der Mediator*in eingebracht werden. Zielvorgaben lassen sich differenzieren in:
- Ergebnisbezogene Zielvorgaben: z. B. Einigung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, Wahrung institutioneller Interessen, Rückkehr zu kooperativer Zusammenarbeit.
- Verfahrensbezogene Zielvorgaben: z. B. Einhaltung bestimmter Methoden (Restorative Justice, transformative Ansätze), Einbindung Dritter (z. B. Rechtsbeistände), Transparenz gegenüber Außenstehenden.
- Politisch-normative Zielvorgaben: z. B. Förderung von Diversität, diskriminierungssensible Sprache, „politisch korrekte“ oder inklusionsorientierte Resultate.
Bedingungen in der Mediation: Rahmen und Einschränkungen
Neben Zielvorgaben wirken äußere Bedingungen, die den Prozessrahmen beeinflussen:
- Institutionelle Bedingungen z. B. Vorgaben durch Schulleitungen, Verwaltungen, Organisationen
- Rechtliche Bedingungen (Datenschutz, Schweigepflicht, gesetzliche Fristen)
- Ökonomische Bedingungen (Zeitdruck, Ressourcenverfügbarkeit)
- Machtasymmetrien (ungleiche Verhandlungsmacht, Rollenverteilungen)
Die äußeren und zusätzlich gesetzten Bedingungen können den Handlungsspielraum des Mediators und der Parteien stark einschränken. Vor dem Hintergrund, dass auch die Prinzipien und die Grundsätze der Mediation nichts anderes sind, als Bedingungen, die zur Verwirklichung der Eigenschaften erforderlich sind, wird deutlich, dass die hier aufgeführten, äußeren Bedingungen die Verwirklichung der Prinzipien in Frage stellen und mit ihnen konkurrieren.
Umgang mit Zielvorgaben in der Mediation
Eine Mediation ist nur dann eine Mediation, wenn der Prozess ihr Wesen verwirklicht. Vorgaben und Prinzipien können gerade dazu beitragen, dass dies gelingt.
4.1 Transparenz und Aushandlung
Eine zentrale Leitlinie im professionellen Umgang mit Zielvorgaben ist die Transparenz gegenüber allen Beteiligten. Zielvorgaben müssen offengelegt, besprechbar und verhandelbar gemacht werden, um:
verdeckte Agenden zu identifizieren,
Rollenklarheit der Mediator*in zu wahren,
eine prozessethische Reflexion zu ermöglichen.
4.2 Mediative Grundprinzipien wahren
Zielvorgaben dürfen nicht die Eigenverantwortlichkeit der Parteien untergraben – ein Kernelement der Mediation. Die Mediator*in muss ggf. zwischen externer Zielsteuerung und interner Zielentwicklung vermitteln und die Parteien dazu befähigen, ihre eigenen Ziele zu formulieren.
4.3 Umgang mit normativen Zielsetzungen
Besonders herausfordernd sind vorgelagerte normative Zielsetzungen, wie z. B. bei Diversity-Mediation oder Mediation in politisch sensiblen Themenfeldern (z. B. Gender, Migration). Hier muss die Mediator*in einen reflexiven Umgang mit eigenen Haltungen und Rollenerwartungen entwickeln. Das schließt auch die Bereitschaft ein, Grenzen der Mediation zu erkennen und offen zu benennen.
5. Kritische Einordnung: Chancen und Risiken
5.1 Chancen
Zielvorgaben können Orientierung geben, insbesondere in komplexen Mehrparteienverfahren.
Sie fördern in manchen Kontexten (z. B. Organisationen, Bildungsinstitutionen) eine effektive Zielsteuerung und Verbindlichkeit.
Politisch-normative Vorgaben (z. B. diskriminierungssensible Sprache) können Gerechtigkeitsansprüche stärken.
5.2 Risiken
Fremdsteuerung kann das Prinzip der Freiwilligkeit und Allparteilichkeit gefährden.
Zielvorgaben können verdeckte Machtinteressen transportieren (z. B. „Lösung“ im Sinne des Auftraggebers).
Gefahr der Instrumentalisierung der Mediation, insbesondere in politisierten Kontexten.
6. Empfehlungen für die Praxis
Zielklärung als expliziter Bestandteil des Erstgesprächs oder Mediationsvertrags
Kontext- und Rollenanalyse: Wer will was – und warum?
Dokumentation und Monitoring von Zielverschiebungen im Verlauf
Supervision und Meta-Reflexion in Fällen mit widersprüchlichen Zielvorgaben
Abgrenzung der Mediation bei Zielkonflikten, die nicht mediationsfähig sind
7. Fazit
Zielvorgaben und Rahmenbedingungen sind in der Mediation unvermeidlich – sie können klärend, strukturierend oder legitimierend wirken, aber auch steuernd, einschränkend oder manipulierend. Der professionelle Umgang damit erfordert eine hohe Sensibilität, prozedurale Transparenz und kontextbewusste Haltung seitens der Mediator*innen. Nicht alle Zielvorgaben sind vereinbar mit dem mediationsethischen Kern – ihre reflektierte Integration oder bewusste Zurückweisung ist Teil einer integren Mediationspraxis.
Alias:
Siehe auch: Verfahrensverzeichnis
Prüfvermerk: -