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Ein Beitrag zum Facharchiv


Gruppendynamik

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Die Gruppendynamik beschreibt das Phänomen, das bei wiederholter sozialer Interaktion im persönlichen Kontakt in Gruppen von Menschen auftritt. Eine Grundannahme der Gruppendynamik besteht darin, dass Eigenschaften und Fähigkeiten einer Gruppe verschieden seien von der Summe der Eigenschaften und Fähigkeiten der einzelnen Personen dieser Gruppe.

Prozess

Der Prozess einer Gruppe umfasst die gesamte Entwicklung der Gruppe, die klassischen Phasen, die Verteilung der Rollen, die Bestimmung der Ziele und Aufgaben, die Bildung der Normen und Regeln, die Gestaltung der Kultur, die Verteilung von Macht, die Aufnahme neuer Mitglieder, der Umgang mit Dritten und anderen Gruppen. Jedes Handeln (aktiv und unterlassend) in der Gruppe gehört zum Prozess und ist dynamisch.

Phasenmodell

Jede Gruppe entwickelt sich in Phasen, deren Abfolge immer ähnlich verläuft und die durch Abhängigkeiten definiert sind:

Dependenz – Abhängigkeit
1. Dependenz – Flucht
Hier geht es um die Abwehr von Angst. Äußerlich scheint die Gruppe nach einem gemeinsamen Ziel zu suchen, man ordnet sich bereitwillig der Autorität der Trainer unter und versucht deren Erwartungen zu erfüllen. Erfahrene Teilnehmer beanspruchen Führungsaufgaben, werden aber von anderen immer wieder sabotiert.

2. Konterdependenz – Kampf
Hier geht es um die Macht. Die Macht der Trainer wird infrage gestellt, viel Diskussion über die Struktur, die Gruppe spaltet sich oft in zwei Teile, die einen versuchen Ordnung in das Chaos zu bringen, die anderen widersetzen sich.
3. Lösung (Katharsis)
Inhalte und Themen werden zunehmend beachtet, Beziehungen werden geklärt und Erkenntnisse gewonnen, zwischen den Subgruppen bilden sich Kooperationen, die Gruppe einigt sich auf ein Ziel, Regeln werden aufgestellt.

Interdependenz
4. Harmonie – Flucht
Die Gruppe flüchtet in Harmonie und Solidarität, die Gruppengeschichte wird idealisiert, intensive Arbeit aller am gemeinsam gewählten Programm, Einigkeit über Rollen und Aufgaben, Abgrenzung nach außen.

5. Entzauberung – Kampf
Konflikt zwischen persönlichen Wünschen und Gruppendruck, Infragestellung der Ziele und Regeln, Misstrauen untereinander, Spaltung in zwei Subgruppen, Machtkampf, viele Störungen.
6. Konsensbildung
Gruppe wird arbeitsfähig, Rollen werden geklärt, Normen und Regeln werden flexibel und konstruktiv eingesetzt, Entscheidungen werden gemeinsam getroffen und umgesetzt, Gruppenkultur bildet sich, Kontakt und Zusammenarbeit mit anderen Gruppen.

Grundannahmengruppe

Wilfred Bion skizzierte die Entwicklung von Gruppen entlang ihrer Grundannahmen in drei Formen:

  1. Abhängigkeit: Die Gruppe besteht auf Abhängigkeit von einem Leiter, alles konzentriert sich auf ihn (Phantasien, Aufmerksamkeit, Projektionen). Wenn es keinen Leiter gibt, wird einer gekürt.
  2. Paarbildung: Die Paarbildung aktiviert die „Fortpflanzungsfähigkeit“. Hoffnung bestimmt die Gruppe. Das Heil liegt nicht mehr im Leiter, sondern in der Zukunft. Eine Realisierung dieser Hoffnungen bedroht jedoch den Zusammenhalt der Gruppe.
  3. Kampf und Flucht: Die Gruppe findet in einem Außenbild zusammen – sie will kämpfen oder fliehen.

Bions Grunderkenntnis ist, dass Gruppenzusammenhänge affektgeladen sind: Nicht Ratio und Überlegung bestimmt den Prozess, sondern tieferliegende Dynamiken.

Gruppenentwicklungsphasen

Das Phasenmodell von Bruce Tuckman enthält insgesamt fünf Phasen der Gruppenentwicklung: Forming, Storming, Norming, Performing, Re-Forming (bzw. adjourning). Die Reihenfolge suggeriert einen linearen Prozess, der es nicht ist: Gruppen entwickeln sich zyklisch, sie können Phasen „überspringen“ oder „zurückfallen“ und im Laufe ihrer Existenz mehrere „Kreise“ durchlaufen – insbesondere, wenn Gruppenmitglieder ausscheiden oder neu hinzukommen.

Funktion/Position/Rolle

Die Theorien der Gruppendynamik unterscheiden stärker als andere Theorien zwischen Funktion, Position und Rolle als bestimmende Elemente von Verhalten:

Funktion

Eine Funktion beschreibt eine vereinbarte oder verliehene, allen Gruppenmitgliedern bekannte Tätigkeit, die mit einer spezifischen Leistung für die Gruppe verbunden ist. Die Funktion muss nicht ausgesprochen sein – in der Regel sind viele Funktionen dies nicht. Die spezifische Leistung knüpft in der Regel an die grundlegenden Parameter der Existenz einer Gruppe an, z. B. Kontakt, Zielorientierung, Zusammenhalt, Zugehörigkeit oder mehr (vgl. dazu die Theorie vom „gruppendynamischen Raum“ nach Lewin, beschrieben in Antons et al.).

Rangdynamische Positionen

Der Begriff der Position innerhalb der Gruppendynamik stammt aus dem rangdynamischen Positionsmodell von Raoul Schindler und beschreibt die in Gruppen charakteristisch auftretenden Positionen innerhalb jeweiliger Gruppenmitglieder, die durch einen gemeinsamen Kontext (einer Aufgabe, einem Ziel, einem Gegner etc.) untereinander in Abhängigkeit stehen. Folgende Positionen werden unterschieden:

  • „G“ (Gruppenaufgabe, bzw. Gegenüber, bzw. Gegner): Auf dieses Außenkonstrukt ist die Wirkung der Gruppe gerichtet. Wichtig ist, dass die Gruppe „G“ durch Alpha „sieht“ – Alpha definiert das Außenbild.
  • Alpha (Anführer/in): führt dem Ziel entgegen und leitet die Auseinandersetzung mit dem Gegenüber („G“). Alpha ist stark außengewandt und in seinem Handeln nur davon beschränkt, ob die Gruppe ihm/ihr folgt.
  • Beta (Experte/ExpertIn): Die klassischen „Zweiten“ sind die typischen Berater/innen. Das Verhältnis zu Alpha ist ambivalent: Einerseits braucht Alpha Beta, um zu führen, und Beta braucht Alpha, um an der Macht teilzuhaben. Andererseits haben Betas am ehesten das Potenzial, Alpha zu stürzen und selbst die Führung zu übernehmen.
  • Gamma (einfaches Gruppenmitglied): identifiziert sich mit Alpha (genauer: mit seiner Außensicht auf „G“) und unterstützt seinen/ihren Weg durch Zuarbeiten ohne eigenen Führungsanspruch. Gammas sind jene, die die „Knochenarbeit“ verrichten, ohne die keine Gruppe arbeitsfähig ist.
  • Omega (Gegenposition zu Alpha – nicht zu verwechseln mit dem in der [[Biologie]] als Omega bezeichnetem rangniedrigsten Individuum): ist der Gegenpol des dominanten Gruppengeschehens. Sein/ihr Verhalten drückt sich in offenem oder verdecktem Widerstand gegen der von Alpha kommunizierten Zielerreichung. Zentrales Element ist eine un- oder gegenabhängige Außensicht auf „G“, und genau das zieht in dieser Position den Widerstand auf sich: von Gamma(s), weil er/sie die Identifikation mit Alpha gefährdet (Alpha definiert den Blick auf „G“), und von Alpha, weil er/sie die Führungsposition gefährdet. Omega ist eine konstitutive (= bestimmende) Position in der Gruppe und ein wichtiger Qualitätsindikator für die Gruppenfunktionen – bei Omega drücken sich als Erstes Gruppendefizite (Zielerreichung, Zusammenhalt etc.) aus. Oft wird Omega jedoch nicht als Qualitätsindikator, sondern als Störfaktor angesehen, angegriffen und ausgeschlossen.Nicht selten rutscht nach kurzen kathartischen Episoden ein anderes Gruppenmitglied in diese Position, und das Spiel beginnt von Neuem.

Zwei grundlegende Parameter gelten: Position heißt, dass diese (etwa wie ein Stuhl im Raum) eingenommen und wieder verlassen werden können. Weiter gilt, dass diese Positionen mehr verliehen als genommen werden: Erst durch die Akzeptanz der Anderen gelangt ein Gruppenmitglied in eine bestimmte Position (niemand wird zum/zur Anführer/in, ohne dass die anderen Gruppenmitglieder ihm/ihr folgen).

Grundlage des Modells ist die Definition der Gruppe aufgrund eines gemeinsamen Kontextes und davon subjektiv erlebten Abhängigkeiten der einzelnen Gruppenmitglieder. Nicht unbedingt alle Positionen sind zu jeder Zeit besetzt.

Wenn die Spannungen um die Omega-Position steigen, besteht die grundsätzliche Möglichkeit, dass aus der Perspektive der Gammas die Verbindung Omega>„G“ stärker erlebt wird, als die von Alpha>„G“. Dann geschieht ein Führungswechsel: Der Person im Omega oder einem anderen Gruppenmitglied (z. B. ein/em Beta) und wird diese Aufgabe gegenüber „G“ zugesprochen, wodurch die Alpha-Position neu besetzt wird. Abgesetzte Alphas neigen zu (verdecktem) Boykott der Gruppe bzw. deren Aufgabenerreichung und wechseln damit oft in die Omega-Position.

Rollen

Während die Funktion über die Aufgabe in einer Gruppe Auskunft gibt und die Position über die Macht in der Gruppe, ist damit nichts darüber gesagt, wie dies ausgeübt wird. Dieses Set an spezifischen Merkmalen (Handlungen, Aussehen, Sprache, Körpersprache etc.) ist die Rolle – z. B. als „Klassenkasper“, als „Intrigant“, oder „Beliebte/r“. Rollen sind daher stärker selbstgewählt und haben stärker mit den Persönlichkeitseigenschaften der Rollenträger zu tun. Es gibt in der gruppendynamischen Literatur keine einheitliche Definition von Rollen – die kann es auch kraft der Definition nicht geben.

Funktionen der Gruppe für das Individuum

Um zu erklären, welche Funktionen Gruppen für das Individuum erfüllen, geht man in der Sozialpsychologie von drei einander ergänzenden Erklärungsansätzen aus.

Soziobiologische Auffassung

In Anlehnung an Charles Darwin betont dieser Ansatz den adaptiven Wert der Gruppe.
Die Bildung einer Gruppe ermöglichte es, effektiver mit Gefahren umzugehen. Des Weiteren wurde es möglich, in den Bereichen des Ackerbaus, der Erziehung und der Jagd zu kooperieren. Daraus ergab sich ein evolutionärer Vorteil und die Prädisposition zur Gruppenbildung ließ die Überlebenschancen eines Individuums steigen. Durch das Evolutionsprinzip wurde diese Prädisposition bevorzugt selektiert und weitergegeben.
Die Fähigkeit, stabile, positive und starke Beziehungen zu knüpfen, wird als „Bedürfnis nach Zugehörigkeit“ bezeichnet. Dass diese Fähigkeit in den verschiedensten Kulturen und Situationen zu finden ist, wird als Beleg dafür gesehen, dass sie evolutionär bedingt ist.

Kognitive Auffassung

Dieser Ansatz beschreibt, dass Gruppen helfen, die Welt zu verstehen und zu kategorisieren.
Man geht davon aus, dass Menschen eine zutreffende Sicht der Welt erlangen wollen. Diese ist zu erreichen, indem Überzeugungen eines Individuums an der physikalischen Realität, oder aber an der sozialen Realität getestet werden. Können Vorstellungen, Ideen oder Gedanken nicht an der physikalischen Realität überprüft werden, orientiert man sich an der sozialen Realität, die durch andere Personen und insbesondere die Gruppe, der man angehört, vermittelt wird.
Auf Grundlage dieses Gedanken entstand das Konzept der sozialen Identität: Unser Selbstkonzept ist nicht nur durch bedeutende Andere geprägt, sondern auch durch die Gruppen, die für uns eine Identifikationsgrundlage bilden. Dies ermöglicht Reduktion von Unsicherheit und Sinnstiftung, da einem mitgeteilt wird, wie erwünschtes Verhalten aussieht und man auch andere Menschen in Gruppen einteilen und sich ihnen gegenüber entsprechend verhalten kann.

Utilitaristische Auffassung

Die Kernaussage dieser Auffassung besagt, dass Individuen durch Austauschprozesse in Gruppen Vorteile erlangen. Getauscht werden materielle Güter, interpersonelle Hilfe und auch psychologische „Güter“ (Liebe, Freundschaft, Geborgenheit). Dieser Austausch wird effektiver, wenn die beteiligten Individuen in Gruppen organisiert sind. Eventuell durch diese Beziehungen anfallende Kosten gefährden die Beziehung nicht, solange ihr Nutzen höher ist. Sollten die Kosten aber den Nutzen übersteigen, verlassen Individuen Gruppen.

Gruppensozialisation

Gruppensozialisation bezeichnet den Prozess der [[Sozialisation]] eines neuen Gruppenmitglieds. Diese durchläuft dabei abtrennbare Stadien.

Stadien

Erkundung
In dieser Phase werden von Seite der Gruppen Menschen gesucht, die entweder von der Gruppe gewünschte Fähigkeiten besitzen, oder aber (ist man eher auf der Suche nach emotionaler Nähe) die entsprechende Passung (im Sinne von z. B. Ähnlichkeit) mitbringen.

Andersherum suchen Individuen Gruppen, die ihre Bedürfnisse erfüllen können.

Eintritt & Initiation
Sind die beiderseitigen Kriterien, die Individuum und Gruppe aneinander haben, erfüllt, kommt es zum Eintritt. Dieser Moment, auch [[Initiation]] genannt, ist häufig durch eine Form von [[Ritual]] gekennzeichnet. Diese häufig als unangenehm empfundenen Rituale dienen in der Theorie dazu, die Festlegung auf die Gruppe zu verstärken. Empirisch scheint es allerdings keine belegbaren Effekte dieser Art zu geben.
Sozialisation
In diesem Stadium wird erlernt, welche Normen innerhalb einer Gruppe gelten, z. B. also, welches Verhalten innerhalb der Gruppe erwünscht ist. Sie sind Ausdruck gemeinsamer Erwartungen der Gruppenmitglieder. Die neuen Mitglieder können sich Wissen und Fertigkeiten aneignen, um ihre Rolle gut zu erfüllen. Allerdings ist dies kein einseitiger Prozess, da auch neue Mitglieder versuchen werden, die Gruppe ihrerseits zu beeinflussen. Wie stark dieser Einfluss sein kann, hängt unter anderem davon ab, welchen Status das Mitglied außerhalb der Gruppe hat und wie sehr die Gruppe an ihren eigenen Normen festhält. Während dieses Zeitraums nimmt die Festlegung zu und schließlich wird das Mitglied nicht mehr als jemand behandelt, der besonderer Aufmerksamkeit bedarf.

Gruppennormen

Innerhalb von Gruppen treten für gewöhnlich gemeinsame Normen auf. Gruppennormen sind Überzeugungssysteme, die festlegen, wie man sich verhalten sollte, dabei aber nicht die Kraft von Gesetzen haben. Gruppennormen sind somit eine Leitlinie für Verhalten und Einstellungen und regulieren folglich auch das Verhalten innerhalb einer Gruppe, sodass es vorhersehbar wird. Hält man sich an die Gruppennormen, wird weiterhin offensichtlich, dass man sich auf die Gruppe festgelegt hat.
Diese Normen werden entweder von den Gruppenmitgliedern internalisiert oder aber andere Mitglieder setzen sie mittels normativen oder nicht-normativen Verhaltens durch.
Außerdem bilden diese Normen auch eine Möglichkeit, Informationen über die soziale Realität zu sammeln.
Verstößt man gegen Gruppennormen, dann ist davon auszugehen, dass man auf negative Reaktionen stößt, man Sanktionen erfährt und unter Umständen aus der Gruppe ausgeschlossen wird. Die Androhung dieser Sanktionen ist eine wirksame Methode, Normen durchzusetzen, da ein Ausschluss eine sehr unangenehme Erfahrung darstellt.

Bedeutung für die Mediation

Das Wissen über Gruppen und die Gruppendynamik ist in allen Meditationen, wo mehrere Personen beteiligt sind oder wo's um Gruppen geht von ausschlaggebender Bedeutung. Es verwundert, dass die Ausbildungsverordnung (ZMediatAusbV) dies in keiner Weise herausstellt. Wichtige Anwendungsbereiche sind die innerbetriebliche Mediation aber auch die Mediation in Familienangelegenheiten oder die Großguppenmediation.

Konflikte die Gruppe betreffend werden in den Konfliktdimensionen Struktur und System erfasst.Häufige Konflikt Ursachen finden sich in einer systemischen Ungenauigkeit (etwa wenn die Identität mit der Gruppe, dem Unternehmen, fehlt oder nicht möglich ist) und in strukturelen Abweichungen ( etwa wenn Position, und Funktion auseinanderfallen). Diese Faktoren sind meist der Auslöser für Beziehungskonflikte einzelner Gruppenmitglieder zueinander, wobei deren Streitmotivation durch die zu vorgeschriebenen gruppendynamischen Phänomene gespeist wird.

Strukturelle Abweichungen erkennt der Mediator an einer Divergenz von Organigramm und Soziogramm. Ihm stehen Werkzeuge zur Verfügung, mit denen er die Gruppenharmonie sichtbar machen und strukturelle Irritationen aufdecken kann. Es empfiehlt sich diese Untersuchungen im Verlauf einer Mediation auch Beziehungskonflikten, wie zum Beispiel Mobbing durchzuführen.

Hinweise und Fußnoten

Alias: Gruppennormen
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