Sollen wir auf unser Bauchgefühl hören?
Wissensmanagement » Sie befinden sich auf einer Archivseite, die inhaltlich dem Thema Verstehen des Abschnitts Methodik im Mediationshandbuch zuzuordnen ist. Das Bauchgefühl kann nicht denken. Und trotzdem entspringt es dem Gehirn, nämlich dem Bauchgehirn.
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Es hat etwas mit unserem Denken zu tun. Schon bei den Konfliktdimensionen wurde die Unterscheidung zwischen Kopf, Herz und Bauch vorgenommen. Kopf ist der Verstand, Herz das Gefühl und Bauch ist die Intuition oder der Instinkt. Im Englischen ist übrigens vom gut-feeling die Rede, womit eher der Darm angesprochen wird. Wir bewegen uns also in einem Magen-Darm Bereich. Kann der denken?
Das Bauchgehirn
Nach Auffassung der Wissenschaft gibt es sogar so etwas wie ein Bauchgehirn. Überhaupt ist das Gehirn, wie wir es heute kennen, im Laufe einer langen Evolution entstanden. Etwa 100 Millionen Zellen im menschlichen Gedärm sind denen im Gehirn verblüffend ähnlich und produzieren vergleichbare Substanzen. Sie bilden ein zweites Nervenzentrum, das wie ein kleines Hirn im Bauch weitgehend autonom funktioniert.1 Der Bauch, so könnte man sagen, kann also denken. Und das ist auch zwingend erforderlich, wenn wir uns daran erinnern, dass das Bewusstsein nur einen geringen Teil der Informationen verarbeiten kann.2
Was aber "denkt" der Bauch? Denken ist vielleicht zu viel gesagt, zumindest, wenn wir jetzt von einem bewussten Denken sprechen. Fest steht, dass der Magendarmbereich, den die Nahrung im menschlichen Organismus durchwandert, wie ein Zentralorgan für psychosomatische Reaktionen anzusehen ist. Dass wir die Emotionen über den Körper wahrnehmen, wurde bereits dargelegt.3 Nicht umsonst sagt der Volksmund, dass Ärger auf den Magen schlägt, dass plötzliche Aufregung auf den Darm drückt oder ein mieses Gefühl im Magern verursacht. Das belegt zumindest, dass in diesem Bereich des Körpers auch Emotionen wahrgenommen oder gar produziert werden. Die Nervenzellen im Magendarmbereich sind über den Vagusnerv bidirektional mit dem Gehirn verbunden. Das bedeutet, sie werden im Gehirn verarbeitet und zurückgemeldet.4
Um den Mechanismus zu verstehen, wie der Bauch das Denken beeinflusst, lohnt sich ein Blick auf die Art und Weise wie das Gehirn Informationen verarbeitet. Anschaulich sind Vergleiche über die Leistungsfähigkeit des Gehirns mit einem Computer. Das Gehirn verarbeitet weniger Informationen als ein Computer, ist aber dennoch weitaus leistungsfähiger. Das liegt daran, dass unser Gehirn die Informationen stets in einem Kontext ablegt, den es sich selbst herstellt und der Assoziationen erlaubt. Nur deshalb ist unser Gehirn in der Lage, Informationen blitzschnell aufgrund früherer Erfahrungen einzuordnen, ohne dass wir darüber nahcdenken müssen. Die Erfahrungen werden als Instinkte hinterlegt.5 Entwicklungsbiologen wissen heute, dass die beiden Nervenzentren, Kopf und Bauch, eine außertordentlich sinnvolle und lebensnotwendige Arbeitsteilung vollziehen.
Die Intuition
Wie kann aus dieser Arbeitsteilung ein Gedanke entstehen?
Der Schlüssel sind die Assoziationen bzw. der Kontext, in dem Gedanken gespeichert werden. Grütter führt dazu aus, dass unser Gehirn, anders als ein Computer, stets und vollautomatisch jeden neuen Lerninhalt in ein bestehendes Netz von Erfahrungen einsortiert. Dazu zählen auch die vom Bauch generierten Gefühle. Das Gehirn speichert nicht die mit Fakten zu vergleichende Information selbst, sondern Unmengen von Assoziationen, die mit dieser Information verknüpft sind und eingeprägt werden.6
Das Unterbewusstsein ruft diese Erfahrungen ab, um schnell reagieren zu können.
Der Verstand
Alles was in Lebewesen geschieht ist darauf ausgerichtet, zu überleben. Das Gefühl ist der Wegweiser. Die Komplexität ist die Hürde. Der Verstand sucht nach Fakten. Er sucht rationale Erklärungen für eine Entscheidung. Das Gefühl schaut lediglich darauf, was sich gut anfühlt. Das führt zu der Frage, wie eine Entscheidung richtig sein kann, die sich schlecht anfühlt. Die Erklärung dafür ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Gegenwart und Zukunft. Der Verstand will eine gute Entscheidung für die Zukunft. Das Gefühl oder das Unterbewusstsein konzentriert sich hingegen auf das aus der Vergangenheit gelernte Gefühl und den sich daraus ergebenden Entscheidungsimpuls. Nehmen wir als Beispiel das Rauchen:
In einer solchen Situation wird die Zusammenarbeit der Hirne herausgefordert. Das eine meldet ein Go, das andere ein Stopp. Das klingt wie ein Dilemma.7
Es lässt sich nur lösen, wenn sich der Verstand mit dem Gefühl abstimmt. Wer wird siegen? Wenn der Verstand siegt, hört der Raucher auf zu rauchen. Wenn das Gefühl siegt, wird er sich die Fakten so zurechtlegen, dass sein Rauchen für ihn gerechtfertigt wird.
Die Kontrolle
So wie es aussieht ist es keineswegs so, dass der Verstand immer Recht hat oder das Gefühl. Das führt zu der Schlussfolgerung, dass wir auf beides hören sollten. Das Problem sind die neuralen Verknüpfungen. Sie sind jedoch austauschbar.
Der mit dem Beispiel des Rauchens vereinfacht dargestellte Vorgang lässt sich auf alle Erfahrungen beziehen. Die Welt in der wir leben ist komplex und es ist ein Merkmal der Komplexität, dass sie Selektionen erlaubt. Das bedeutet, dass die Intuition ein wichtiger Indikator ist. Das bedeutet aber auch, dass die aus der Erfahrung gewachsene Intuition in dem selbst gebildeten Kontext nicht zwingend richtig sein muss.
Bedeutung für die Mediation
Die eingangs gestellte Frage lautete: "Sollen wir auf unser Bauchgefühl hören?". Die Antwort ist eindeutig. Besonders der Mediator sollte darauf hören. Nicht nur auf das der Medianden.
Es macht wenig Sinn, gegen ein Gefühl zu argumentieren. Das Gefühl wird als eine gegenwärtige Wahrheit wahrgenommen, die stets ihre Richtigkeit impliziert. Sie wird erst infrage gestellt, wenn es ein anderes Gefühl gibt, das auf den gleichen oder einen vergleichbaren Umstand zurückzuführen ist. Aus dieser Überlegung heraus ergibt sich eine Strategie für das Loopen. Die Intuition wird aufgegriffen. Das Gefühl wird ernst genommen. Es wird nicht nach dem Grund gefragt, sondern nach einem Gefühl gesucht, mit dem das schlechte Gefühl beseitigt oder überwunden werden kann. Der Verstand kann dazu viel beitragen. Er kann helfen, andere Gefühle zu finden und den Fokus auf die Gefühle lenken, mit denen sich das schlechte Gefühl beseitigen lässt. Der Verstand ist in der Lage den gedanklichen Kontext zu verändern und damit auch die Gefühle. Es ist aber nicht immer ein einfacher Weg. Der kognitive Ansatz der Mediation zeigt, was alles erforderlich ist, um den Gedanken diesen Weg zu erlauben.8
Es macht auch wenig Sinn, ein Gefühl um jeden Preis zu unterdrücken. Auch der Mediator, der seine eigenen Gefühle im Interesse der Neutralität beiseite stellen soll, kann durch das Gefühl, das ein Mediand bei ihm auslöst, eine verwertbare Information erhalten. Die Frage ist also nicht, dass Gefühle (auch den Parteien gegenüber) bei ihm enstehen, sondern wie er damit umgeht. Wir alle sind Menschen.
Umgekehrt ist es sogar ein Kompetenzmerkmal, dass der Mediator intuitiv im Verfahren die richtigen Entscheidungen trifft. Er hat sich also für die Mediation ein Bauchgefühl sogar antrainiert. Jetzt kommt es nur noch darauf an, dass es das richtige (zur Mediation passende) ist.
Was tun wenn ...
- Mediator fragt: "Warum ..."
- Mediator hört nicht zu
- Der Mediator zeigt Mitgefühl
- Der Mediator hört nicht auf seine Intuition
- Weitere Empfehlungen im Fehlerverzeichnis oder im Ratgeber
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Alias: (alias(Intuition)
Siehe auch: Gehirn, Unterbewusstsein, Wahrnehmung, Verstehen
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