Das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm soll die "visionäre Idee der Neugestaltung des Stuttgarter Bahnknotens und den Bau der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm in die Tat" umsetzen. Ziel soll sein, die "Menschen in und außerhalb von Baden-Württemberg durch schnellere regionale Verbindungen, kürzere Fahrzeiten nach Ost- und West und mehr Reisekomfort und die Unternehmen im Land durch kürzere Wege und ein Zusammenwachsen der Regionen innerhalb von Baden-Württemberg aber auch im europäischen Raum" zu fördern. Deshalb kommt dem "Bahnprojekt Stuttgart-Ulm ... eine maßgebliche strategische Bedeutung für die nachhaltige Entwicklung des Lebens-, Wirtschafts- und Arbeitsstandorts Baden-Württemberg zu1 .

Partner sind: die Europäische Union, der Bund, das Land Baden-Württemberg, die Deutsche Bahn AG, die Landeshauptstadt Stuttgart und der Verband Region Stuttgart.

Einzelheiten zum Projekt, zur Planung und zum Bearbeitungsstand sind auf der Webseite www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de nachzulesen.

Hier geht es nicht um das Projekt, sondern um das als Stuttgart 21 bekannt gewordene Verfahren, das die Bahn selbst als "Schlichtung und Stresstest" überschreibt2 . Das Verfahren begann am 22.10.2010 und endete nach acht Schlichtungsrunden am 30. November 2010. Der Schlichtungsvorschlag von Dr. Heiner Geißler enthält einige Verbesserungsvorschläge, mit denen beide Seiten einverstanden sind und den Hinweis, dass die Proteste wohl fortgesetzt werden. Der Vorschlag kann hier eingesehen werden: Schlichtervorschlag

Die Presse spricht von einer Mediation. Mediation sei kein Zauberwerk, überschreibt die Süddeutsche Zeitung einen Beitrag vom 10.10.2010, indem sie über die Schlichtung berichtet. Braune weist in seinem Blog-Beitrag ebenfalls darauf hin, dass Stuttgart 21 vielfach auch als Mediation bezeichnet wurde. Den Unterschied zur Mediation macht er an folgenden Merkmalen fest3 :

  1. Der augenfälligste Unterschied sei der, dass ein Mediator unparteiisch ist (oder auch allparteilich) und selbst über keinerlei Entscheidungsbefugnis verfügt. Die Lösung muss allein von den Konfliktbeteiligten gefunden werden. Bei Stuttgart 21 war von vorne herein klar, dass Geißler einen Schlichterspruch verkünden wird.
  2. Es sei im im Vorhinein überhaupt nicht geklärt worden, welcher Spielraum für eine Konsenslösung überhaupt existiert. Wenn zumindest eine Konfliktpartei mit der festbetonierten Meinung in die Verhandlungen geht, von der Durchführung des Bauprojekts auf keinen Fall abzurücken, sei fraglich, was eine Schlichtung überhaupt anrichten soll.
  3. Als drittes Unterscheidungsmerkmal wird die Öffentlichkeit des Verfahrens angegeben. Eine Erörterung der Positionen und dahinter stehenden Interessen sei nicht möglich, wenn alles life in allen Mediation übertragen wird.
  4. Schließlich wird die Auffassung der Süddeutschen Zeitung zitiert, dass es bei der Schlichtung in Wahrheit nicht um eine Entscheidungsfindung gegangen sei, sondern versucht wurde, die Ohnmächtigen mit dem harten Faktum ihrer feststehenden Niederlage zu versöhnen (Süddeutsche Zeitung, Beitrag vom 3.12.2010)


Ein zutreffendes Unterscheidungskriterium ist sicher das erste Argument, wonach die Zielsetzung nicht Schlichterspruch, sondern eine parteiliche Entscheidungsfindung sein soll. Ein weiteres Argument wäre die für die Mediation zwingend notwendige Herausarbeitung der Nutzenskriterien. Die Mediation orientiert sich an Motiven, aus denen sich der Nutzen ableiten lässt. Die für und wider Argumente spielen eine nachgeordnete Rolle. Die Mediation würde sich auch auf alle Aspekte der Entscheidungsfindung erstrecken und nicht nur die Sachargumente hinterfragen.

Dass die eine Partei schon zum Beginn des Verfahrens nicht von ihrer Position (der Durchführung der Baumaßnahmen) abweichen wollte, mag eine zutreffende Unterstellung sein. Sicher haben sich auf der anderen Seite aber ebenfalls NIMBYs befunden, die ebenfalls nicht bereit waren, ihre Position aufzugeben. In der Mediation kommt es besonders bei hoch eskalierten Konflikten zu ähnlichen Ausgangslagen. Sie sind kein KO Kriterium, solange der Mediator den Entscheidungsspielraum herausarbeitet und die Chance besteht, dass die Parteien ihre Sicht im Laufe des Verfahrens verändern.

Die Öffentlichkeit des Verfahrens lässt sich bei Mediation im öffentlichen Bereich nicht immer vermeiden. Die im Gesetz vorgesehene Vertraulichkeit ist auch kein zwingendes, sondern ein dispositives Tatbestandsmerkmal. Der Mediator muss prüfen, ob und inwieweit die Öffentlichkeit einer Interessenerhellung im Wege steht. Gegebenenfalls muss er die Grenzen offenlegen und ansprechen.

Dass zumindest eine Partei versucht haben will, das Verfahren zu nutzen, um die Gegner mit ihrer Niederlage zu versöhnen, wurde als ein Verfahrensmotiv unterstellt. Das Motiv würde tatsächlich die Ergebnisoffenheit und den Sinn der Mediation infrage stellen, wenn es nicht darum geht, eine Lösung zu suchen. Die Mediation ist kein Verfahren zur Durchsetzung von Lösungen. Der Mediator muss mit der Zielvereinbarung die Ergebnisoffenheit feststellen und den Entscheidungsrahmen festlegen. Der Schritt ist jedoch Teil der Mediation, weil der Mediator durchaus Möglichkeiten kennt, die Mediationsbereitschaft bei den Parteien herzustellen.