Was das mit Mediation zu tun hat?
Auf den ersten Blick nichts. Auf den zweiten Blick zeigt die Mediation einen Ausweg aus einer fatalen Situation, bei der sich Unternehmen wie Politik profilieren könnten. Der Hintergrund ist die Insolvenz des Krankenhausträgers "DRK gemeinnützige Krankenhausgesellschaft mbH Rheinland-Pfalz", der fünf Akutkrankenhäuser unterhält. Für die bloße Insolvenz könnte man an eine Insolvenzmediation denken. Sie würde im vorliegenden Fall aber zu kurz greifen, weil der Konflikt nicht nur die Gläubiger angeht. Aber wie dort, könnte man von der Mediation lernen.1
Nun können Sie sagen, wo ist das Problem?
Viele Krankenhäuser haben Finanzprobleme. Insolvenzen sind an der Tagesordnung. Ich will nicht darauf eingehen, ob die Insolvenz des Krankenhausträgers vermeidbar gewesen wäre. Vielleicht ja. Was aber die Situation, in die sich der Träger des Krankenhauses gebracht hat, vermeiden könnte, ist eine Lösung, die niemandem guttut. Auch nicht dem Krankenhausträger und erst recht auch nicht der Politik. Um das zu verstehen, sind einige Hintergrundinformationen erforderlich.
Ein Verbund, der keiner ist
Der Träger besitzt nicht nur das Krankenhaus in Altenkirchen, das er über einen Erbbauvertrag vor vielen Jahren von dem Landkreis Altenkirchen erworben hat. Dort hatte er sich zur Betreibung des Krankenhauses verpflichtet. Der Träger besitzt auch die umliegenden Krankenhäuser in Hachenburg, Kirchen und Neuwied. Hachenburg und Altenkirchen sind Nachbarstädte, die in verschiedenen Landkreisen liegen. Hachenburg gehört zum Westerwaldkreis, das den Wahlkreis des Landtagspräsidenten Hendrik Hering (SPD) bildet. Kirchen liegt zwar im Landkreis Altenkirchen, aber im Wahlkreis der Fraktionsvorsitzenden Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD). Beide machen sich für die Stärkung des Krankenhauses in ihren Wahlbezirken Hachenburg und Kirchen stark.
Altenkirchen und Hachenburg werden als ein Verbundkrankenhaus bezeichnet, obwohl die Häuser und die Gemeinden sich in einer rivalisierenden Beziehung wägen. Sie ist mit Köln und Düsseldorf zu vergleichen. Deshalb schaut die eine Seite argwöhnisch auf die andere. Man spürt, dass Altenkirchen schon seit langem systematisch zurückgefahren wird. Die Bevorzugung des Standortes Hachenburg ist schon wegen der Faktenlage für die Bevölkerung und erst recht für die Mitarbeiter nicht nachvollziehbar. Also werden eigennützige und rücksichtslose politische und wirtschaftliche Motive für diesen Plan unterstellt.
Das Krankenhausgebäude in Hachenburg ist sanierungsbedürftig. Es hat nur 2 OPs, sodass dort ohnehin nur eine eingeschränkte chirurgische Versorgung stattfindet, die der Gesundheitsvorsorge der Bevölkerung nicht gerecht werden kann. Eine Investition in den Ausbau des Krankenhauses Hachenburg ist schon aus diesem Grund kaum nachvollziehbar. Das Krankenhaus in Altenkirchen ist in einem wesentlich besseren Zustand. Es hat 4 OPs und kann aufgrund einer guten Bausubstanz sogar aufgestockt werden.
Ein politischer Plan, die Krankenhäuser in einem an der Kreisgrenze gelegenen, neuen Standort zusammenzuführen, stieß bereits auf den Widerstand der Bevölkerung. Der neue Standort wäre zwar noch relativ gut von Altenkirchen aus zu erreichen. Er würde aber im Westerwaldkreis gelegen sein. Altenkirchen ist eine wirtschaftlich schwache Region, die sich eine Abwanderung von Dienstleistungen und Gewerbe kaum leisten kann. Die Frage der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung sei bei den Überlegungen einmal ganz außen vor gelassen. Es hat bereits teure Gutachten gegeben, die den neuen Standort präferierten. Eine sachlich nachvollziehbare und überzeugende Begründung gab es jedoch nicht, sodass der Keim des Verdachts aufkam, mit diesem Plan ganz andere Interessen als die der Bevölkerung zu verwirklichen. Vermutet wird, dass Hering und Bätzing-Lichtenthäler den Rückbau des Krankenhauses in Altenkirchen unterstützen, um sich die Wählerstimmen in ihren Wahlbezirken zu sichern. Ihre Partei wird darunter leiden.
Die Altenkirchener fühlen sich verraten und verkauft. Irgendwie haben sie darauf vertraut, dass der Standort des Krankenhauses und damit zusammenhängend die Arbeitsplätze, die Gesundheitsvorsorge und die mit dem Standort zusammenhängenden Geschäfte und Dienstleister zumindest im Kern erhalten bleiben. Das Krankenhaus Altenkirchen unterhält eine Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP), die eine Notfallvorsorge voraussetzt. Auch ihre Existenz ist gefährdet, wenn es das Krankenhaus nicht mehr geben sollte. Die Entscheidung über das Krankenhaus hat deshalb eine politische Bedeutung, die weit über die Frage der Insolvenz hinausgeht.
Mit dem Insolvenzantrag des Trägers kommt Bewegung ins Spiel. Das mag dem Betreiber gleichgültig sein. Er stellt die Lösung des Finanzproblems in den Vordergrund seiner Überlegungen. Es wird bezweifelt, dass er dabei die Interessen der Mitarbeiter und der Bevölkerung im Blick hat. Anstatt die Betroffenen in den Prozess der Lösungsfindung einzubeziehen, werden die Mitarbeiter und der Betriebsrat des Krankenhauses mit der Aufforderung des Trägers und des vom Insolvenzgericht eingesetzten Sachwalters Dr. Rainer Eckert ruhig gestellt und aufgefordert dem Sanierungsprozess zu vertrauen. Es ginge darum, Arbeitsplätze zu erhalten, wurde ihnen erklärt. Eine maximale Transparenz des Verfahrens und eine maximale Beteiligung der Betroffenen wurde ebenfalls versprochen. Ohne dass es zum einen oder zum anderen gekommen war, wurden plötzlich Lösungen präsentiert. Irgendwie passen sie genau in das politische Bild, das von vorne herein geplant war. Ein Zufall? Noch immer ist die angedachte Lösung, die auf eine Zerschlagung des Krankenhauses in Altenkirchen abstellt, weder für die Mitarbeiter noch für die Bevölkerung nachvollziehbar. Sie kennen bessere Vorschläge. Sie wurden nicht einmal diskutiert. Wieder fühlen sich nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Bevölkerung verraten und verkauft.
Spätestens jetzt kommt die Politik ins Spiel. Der Landrat fühlt sich hilflos. Er sei nicht der Entscheider, lautet sein Rückzugsargument. Das ist juristisch korrekt. Andererseits geht die Entscheidung des Krankenhausträgers nicht an der Politik vorbei, wenn sie dafür nicht sogar instrumentalisiert wird. Der Gesundheitsminister von Rheinland-Pfalz muss der Lösung zustimmen. Das ist doch eine politische Instanz, oder nicht? Kennt er alle Hintergründe? Kann er die Interessen aller Betroffenen und die Konsequenzen abwägen? Man weiß es nicht. Es würde ein ungebrochenes Vertrauen in die Politik erfordern, daran zu glauben. Die Politik wäre also schlau, wenn sie vertrauensbildende Maßnahmen ergreift. Die gehen allerdings über eine rivalisierende Parteipolitik hinaus.
Wie üblich versuchen die Entscheider den Ball flach zu halten. „Das Krankenhaus wird erhalten bleiben“, lautet die Pressemitteilung. Sie benutzt ein Framing. Aus dem Krankenhaus soll ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) werden, das kein Krankenhaus mehr ist. Framing und Nudging sind Methoden der Soft-Power. Es ist die falsche Strategie, wenn es darum geht, Vertrauen herzustellen. Sie dient dazu, Fakten zu schaffen, um dann schließlich die gewünschte Lösung durchzusetzen.2
Welche Fakten geschaffen werden, wird immer deutlicher. Umgekehrt proportional dazu wird es immer undeutlicher, dass sie tatsächlich veranlasst sind. Erst jetzt merkt der Betriebsrat des Krankenhauses Altenkirchen, dass er laut werden muss, um gehört zu werden. Auch die Bevölkerung hat begriffen, dass es für die Krankenversorgung und die wirtschaftliche Lage der Region zu vermeidbaren Nachteilen kommt, wenn der Vorschlag, ohne die versprochene Mitwirkung und Transparenz wie aus dem Nichts zum Tragen kommt. Bekannt ist nur das Ergebnis, nicht die dahin führende Begründung oder nachvollziehbare Zahlen und Fakten. Als ob es etwas zu verheimlichen gäbe.
Versuche zur Kooperation werden blockiert, was sich aus der zugegeben komplizierten juristischen Gemengelage anbietet. Die formalen Strukturen machen es den Protagonisten schwer, zu Wort zu kommen. Zurück bleibt lediglich das Fakt, dass die Gutachter, die den Plan unterstützen, sich nicht einmal bei den Ausführenden über die Lage und alternative Lösungsmöglichkeiten aus erster Hand interessiert haben. So wie es scheint, wird versucht, an dem ursprünglichen politischen Plan, die Nachbarregionen zu Lasten des Standortes Altenkirchen zu stärken, festzuhalten.
Langsam kommen der Betriebsrat, die Mitarbeiter und die Bevölkerung aus ihrer Lethargie heraus. Sie fangen an zu bereuen, dass sie sich nicht schon vorher um eine Stimme bemüht haben. Sie lernen, dass man laut werden und sich auf eine Konfrontation einlassen muss, um überhaupt gehört zu werden. Sie vermissen die politische Unterstützung. Also müssen sie die Dinge selbst in die Hand nehmen.
Wir wollen doch nur reden
Um sich Gehör zu verschaffen, wurde eine Demonstration organisiert. Statt dankbar zu sein, dass sich die Betroffenen zu Wort melden, wurden die Mitarbeiter mit einer Abmahnung bedroht. Es ist eine recht sinnlose Drohung, wenn die Kündigung zu Weihnachten schon so gut wie auf dem Postweg ist. Wenn es ums Ganze geht, verlieren solche Abwehrmechanismen ihre Wirkung. Wo eine Kooperation nicht möglich ist, kommt es zur Konfrontation. Es ist das letzte, was die Mitarbeiter wollen. Aber was bleibt ihnen übrig?
Jetzt werden Wege gesucht, wie die anstehende Entscheidung mit allen Mitteln zu verhindern ist. Das Misstrauen gegenüber der Politik, dem Krankenhausbetreiber und allen, die versuchen, die angedachte Entscheidung zu erzwingen, wird größer. Es ist wie ein Deja Vue, wo über den Kopf der Bevölkerung hinweg entschieden wird. Was die Politik übersieht, sind die vielen kleinen Erfahrungen, die das Vertrauen der Bürger in die politischen Entscheidungen zerstört. Und wenn wir jetzt auf das Profil des Krankenhausträgers schauen, der u.a. ein gutes Verhältnis für die Mitarbeiter propagiert,3 kommt der Eindruck auf, dass sein Selbstverständnis nur aus leeren Worten besteht. Sie können mit einem Love bombing gleichgesetzt werden.4 Die Bedeutung der Worte geht verloren. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Wen und was kann man noch beim Wort nehmen?
Was man anders machen könnte?
Eine Mediation wäre ein guter Ansatz. Sie kommt aber nicht in Betracht. Und wenn, wäre es eher eine Großmediation im Format einer Umweltmediation.5 Man könnte die Erfahrungen der Integrierten Mediation und die Kompetenz der Mediation nutzen, um eine Lösung jenseits des formellen Verfahrens zu finden, die alle Interessen berücksichtigt. Der Weg dahin wäre, die Konfrontation einzugestehen, die Betroffenen ausfindig zu machen und den Weg in eine Kooperation zu suchen, der eine Entscheidungsfindung ermöglicht, bei der alle Protagonisten beteiligt werden. Die Versprechen des Krankenhausträgers und der Politik sollten hinterfragt und eingefordert werden. Um die Eskalation zu vermeiden, sollten Gesprächsbedingungen geschaffen werden, die allen eine Stimme geben. Bevor über Lösungen nachgedacht wird, sollte der gemeinsame Nutzen abgestimmt werden. Im Vordergrund stehen die Gesundheitsversorgung, die Reputation des Trägers und der Politiker, die wirtschaftlichen Interessen der Betreiber und der vom Krankenhaus abhängigen Dienstleister und Gewerbe und ganz zu schweigen von der Bevölkerung, die einen Anspruch hat, der sogar in §2 Landeskrankenhausgesetz festgelegt ist. Dort werden das Land und der Kreis verpflichtet, die Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern und nicht mit schönen Worten sicherzustellen. Wie stellt sich die Politik dieser Aufgabe und wie gehen die Entscheider damit um? Hat der vorgelegte Plan Bestand, wenn er an diesen Kriterien gemessen wird?
Was getan wird
Die Realität sieht anders aus. Zumindest ist das zu befürchten. Die Gerüchteküche brodelt. Nach dem Zufallsprinzip wird versucht, alle Kräfte und Persönlichkeiten zu mobilisieren, die den angedachten Plan stören könnten. Es wird genau und misstrauisch beobachtet, was passiert. Es bilden sich Gruppen bestehend aus Anhängern und Gegnern. Man wird laut, weil nur so Druck aufgebaut werden kann. Immerhin hat der dadurch ausgelöste Shitstorm an einen Bürgermeister schon dazu geführt, dass er sich der Sache annimmt. Das zieht Kreise. Die Politiker der unteren Ränge, die der Bevölkerung nahestehen, werden langsam aktiv, schon um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Ob sie Einfluss auf die Entscheider auch in den eigenen Reihen nehmen können, ist unklar und wird bezweifelt. Also muss der Druck erhöht werden. Der Betriebsart des Krankenhauses hat inzwischen eine Webseite eingerichtet mit der aussagekräftigen Domain https://www.rettet-krankenhaus-altenkirchen.de/, wo sich die Bevölkerung informieren kann und wo sie Unterstützung anbieten und leisten kann. Man könnte in der Konfrontation etwas gutes sehen, weil Bewegung ins Spiel kommt. Es ginge aber auch anders.