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Bindung und Bindungstheorie

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Worum es geht: Um Verwechselungen zu vermeiden, soll zunächst herausgestellt werden, dass die Bindungstheorie nichts mit der Doppelbindungstheorie (Double Bind) zu tun hat, die sich auf ein kommunikatives Phänomen bezieht. Die Bindungstheorie setzt sich nicht mit der Kommunikation, sondern mit Beziehungen auseinander, woraus sich allerdings Auswirkungen auf die Kommunikation und das Miteinander ergeben können.

Einführung und Inhalt: Die Erkenntnisse der Bindungstheorie können bei der Beurteilung von Beziehungen und beim Umgang mit Beziehungskonflikten eine hilfreiche und wichtige Rolle spielen. In jedem Fall sollte der Mediator wissen, worum es geht und wie sich die Theorie auf die Arbeit in der Mediation auswirkt.

Was besagt die Bindungstheorie?

Die Bindungstheorie ist eine psychologische Theorie, die sich mit der Art und Weise befasst, wie Menschen Bindungen und Beziehungen aufbauen und pflegen. Sie geht auf den englische Kinderpsychiater und Psychoanalytiker John Bowlby zurück. Im Gegensatz zu psychoanalytischen Modellen konnte Bowlby nachweisen, dass die Gefühllosigkeit bei einigen Kindern und Jugendlichen durch Trennungstraumata ausgelöst wurden.1 Seine Theorie besagt, dass frühe Erfahrungen eines Kindes mit seinen Bezugspersonen die Art und Weise beeinflussen, wie der erwachsene Mensch später Beziehungen zu anderen Menschen aufbaut. Nach der Bindungstheorie bildet eine sichere Bindung zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen das Fundament für eine gesunde psychologische Entwicklung. Kinder, die eine sichere Bindung zu ihren Eltern oder anderen Betreuern aufgebaut haben, entwickeln ein Gefühl des Vertrauens in die Welt und die Menschen um sie herum. Sie lernen, dass sie auf andere Menschen zählen können und dass ihre Bedürfnisse und Wünsche ernst genommen werden. Wenn Kinder in ihrer frühen Entwicklung nicht genügend Gelegenheit haben, eine sichere Bindung aufzubauen, kann dies zu emotionalen Schwierigkeiten führen, die sich im späteren Leben fortsetzen. Beispielsweise können sie Schwierigkeiten haben, enge Beziehungen aufzubauen oder Vertrauen in andere Menschen zu entwickeln. Die Bindungstheorie hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer der einflussreichsten und am meisten untersuchten Theorien der Entwicklungspsychologie entwickelt.

Wie die Kindheit das Leben beeinflusst

Dieses Youtube-Video erläutert die Bindungstheorie auf anschauliche Weise und wie das Bindungsverhalten oder Störungen auf die Entwickjlung eines Kindes einwirken. Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Video um ein bei Youtube (Google) hinterlegtes Video handelt. Was das bedeutet, erfahren Sie in der Datenschutzerklärung. Eintrag im Videoverzeichnis erfasst unter Bindungstheorie

Wie Bindungstypen herausbildet werden

Die Bindungstheorie geht davon aus, dass die Art und Weise, wie wir als Kinder von unseren Bezugspersonen behandelt wurden, die Art und Weise beeinflusst, wie wir uns als Erwachsene in Beziehungen verhalten. Die Bindungstheorie beschreibt, wie sich diese frühen Erfahrungen in vier verschiedenen Bindungstypen manifestieren können:

  1. Sichere Bindung: Kinder, die in einer sicheren Bindung aufgewachsen sind, haben gelernt, dass ihre Bezugspersonen verlässlich und fürsorglich sind. Sie haben gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse zu artikulieren und sich auf ihre Bezugspersonen zu verlassen, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Diese Kinder haben oft eine positive Sicht auf sich selbst und auf andere.
  2. Unsicher-vermeidende Bindung: Kinder, die in einer unsicher-vermeidenden Bindung aufgewachsen sind, haben gelernt, dass ihre Bezugspersonen oft nicht auf ihre Bedürfnisse reagieren. Sie haben gelernt, dass es besser ist, unabhängig zu sein und ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, anstatt auf andere zu vertrauen. Diese Kinder haben oft eine negative Sicht auf andere, aber eine positive Sicht auf sich selbst.
  3. Unsicher-ambivalente Bindung: Kinder, die in einer unsicher-ambivalenten Bindung aufgewachsen sind, haben gelernt, dass ihre Bezugspersonen unzuverlässig sind und manchmal ihre Bedürfnisse erfüllen, aber manchmal nicht. Sie sind oft unsicher, ob sie sich auf ihre Bezugspersonen verlassen können, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Diese Kinder haben oft eine negative Sicht auf sich selbst und eine ambivalente Sicht auf andere.
  4. Desorganisierte Bindung: Kinder, die in einer desorganisierten Bindung aufgewachsen sind, haben oft Erfahrungen mit Misshandlung, Vernachlässigung oder Trauma gemacht. Diese Kinder haben gelernt, dass ihre Bezugspersonen unvorhersehbar sind und dass ihre Beziehungen chaotisch oder sogar beängstigend sein können. Diese Kinder haben oft eine negative Sicht auf sich selbst und auf andere.

Was die Bindungssicherheit ausmacht

Das Bindungsverhalten bewirkt die Bindungssicherheit. Die Bindungssicherheit entsteht aus der Erfahrung des Kindes, dass seine/ihre Bezugspersonen in stressigen oder unsicheren Situationen verfügbar, zugänglich und reaktionsbereit ist. Eine Person mit einer sicheren Bindung erwartet, dass ihre Bedürfnisse erfüllt werden und dass ihre Bezugspersonen auf sie achten und für sie sorgen werden. Kinder entwickeln Bindungssicherheit, wenn ihre Bezugspersonen verfügbar sind und ansprechbar auf ihre Bedürfnisse reagieren. Wenn ein Kind zum Beispiel hungrig ist, und die Mutter ihm zu essen gibt, lernt es, dass es auf seine Bedürfnisse aufmerksam gemacht wird. Wenn es erschöpft ist und getröstet wird, lernt es, dass seine Bezugspersonen sich um es kümmern und es sicher und geborgen fühlen kann. Wenn Kinder in stressigen Situationen das Gefühl haben, dass ihre Bezugspersonen nicht zugänglich oder nicht reaktionsbereit sind, kann dies dazu führen, dass sie unsicher werden. Zum Beispiel kann ein Kind, das weint und von seiner Bezugsperson getröstet werden will, unsicher werden, wenn die Bezugsperson nicht auf seine Bedürfnisse reagiert oder nicht verfügbar ist. Bindungssicherheit ist wichtig, um eine gesunde Entwicklung zum Wohl des Kindes zu gewährleisten. Wenn Kinder eine sichere Bindung aufbauen, entwickeln sie ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens, das ihnen hilft, im späteren Leben Beziehungen aufzubauen und sich in der Welt zurechtzufinden. Auch das Konfliktverhalten wird davon beeinflusst, wie das nachfolgende Beispiel belegt:

Beispiel 16090 - Ein Filmbeitrag von Arte (der leider nicht mehr verfügbar ist) schilderte folgende Situation: Ein am Down-Syndrom erkranktes, vierjähriges Kind mit sicherer Bindung schubst seine Freundin von hinten auf der Schaukel an, sodass sie auf der Schaukel schwingen kann. Das Kind und die Freundin haben Spaß daran. Plötzlich erscheint auf dem Spielplatz ein etwas älteres Mädchen. Sie ist neidisch und will selbst das Mädchen auf der Schaukel anschubsen. Rücksichtslos schiebt sie das kranke und ihr unterlegene Kind zur Seite und schubst jetzt selbst das Mädchen auf der Schaukel an. Das weggestoßene Kind überlegt eine kurze Weile. Dann geht sie um das rücksichtslose Mädchen und um die Schaukel herum und schubst das Mädchen auf der Schaukel von vorne an.


Der Film berichtet, dass die Mutter des am Down-Syndrom erkrankten Kindes das Kind nur mit Vorbehalt angenommen hat. Die Mutter hatte Mitleid mit dem Kind, was sich in ihrem Bindungsverhalten ausdrückt. Sie hat eine Therapie für das Kind nachgefragt. Die Therapeutin erkannte jedoch die Beeinträchtigung im Bindunsverhalten der Mutter und half ihr, das Kind so anzunehmen wie es ist und trotzdem zu lieben, es in den Arm zu nehmen und Bindungssicherheit zu geben.

Bindungssicherheit bei Erwachsenen

Eine sichere Bindung kann auch im späteren Leben noch aufgebaut werden, auch wenn in der frühen Kindheit keine sichere Bindung zu den Eltern oder Betreuern hergestellt wurde. Es gibt verschiedene Wege, wie eine Person eine sichere Bindung entwickeln kann:

  1. Therapie: Eine Psychotherapie kann helfen, vergangene traumatische Erfahrungen aufzuarbeiten und zu überwinden. Eine Person kann lernen, wie sie mit ihren Emotionen und Bedürfnissen umgeht und wie sie gesunde Beziehungen aufbaut.
  2. Selbstreflexion: Durch die Reflexion der eigenen Erfahrungen und Muster in Beziehungen kann eine Person ein besseres Verständnis für ihre eigenen Bedürfnisse und Verhaltensmuster entwickeln.
  3. Neue Erfahrungen: Durch neue, positive Erfahrungen in Beziehungen kann eine Person lernen, Vertrauen und Sicherheit aufzubauen. Eine positive Beziehung mit einem Partner, Freund oder Mentor kann dazu beitragen, eine sichere Bindung aufzubauen.
  4. Gruppentherapie oder Selbsthilfegruppen: In Gruppen können Menschen lernen, wie sie mit anderen interagieren und wie sie eine sichere und unterstützende Beziehung aufbauen können.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Herstellung einer sicheren Bindung im späteren Leben ein Prozess ist, der Zeit und Engagement erfordert. Er ist durchaus möglich, erfordert aber eine bewusste Anstrengung und den Wunsch, an sich selbst zu arbeiten und gesunde Beziehungen aufzubauen.

Indikator für psychische Erkrankungen

Es gibt eine Vielzahl von psychischen Erkrankungen, bei denen eine mangelnde Bindung in der frühen Kindheit eine Rolle spielen kann oder ein Risikofaktor darstellt. Hier sind einige Beispiele:

  1. Borderline-Persönlichkeitsstörung: Eine instabile und dysfunktionale Persönlichkeit, bei der Schwierigkeiten im Umgang mit Emotionen und instabile Beziehungen zu anderen Menschen vorherrschen. Eine mangelnde Bindung in der frühen Kindheit kann ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sein.
  2. Depression: Ein Zustand von Traurigkeit und Verlust des Interesses an normalen Aktivitäten. Es gibt Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass eine mangelnde Bindung in der frühen Kindheit ein Risikofaktor für die Entwicklung von Depressionen im späteren Leben sein kann.
  3. Angststörungen: Angststörungen können aus verschiedenen Gründen entstehen, einschließlich genetischer Veranlagung oder traumatischer Ereignisse. Eine mangelnde Bindung in der frühen Kindheit kann jedoch auch ein Risikofaktor für die Entwicklung von Angststörungen sein.
  4. Posttraumatische Belastungsstörung: Die posttraumatische Belastungsstörung oder kurz PTBS genannt, tritt auf, wenn eine Person eine traumatische Erfahrung macht und Schwierigkeiten hat, diese Erfahrung zu verarbeiten. Eine mangelnde Bindung in der frühen Kindheit kann dazu führen, dass eine Person ein höheres Risiko für die Entwicklung von PTBS hat, wenn sie später im Leben traumatische Erfahrungen macht.

Bitte beachten Sie, dass eine mangelnde Bindung in der frühen Kindheit nicht zwangsläufig zu psychischen Erkrankungen führen muss. Andere Faktoren wie Genetik, Umwelt, Lebensereignisse und individuelle Unterschiede spielen ebenfalls eine Rolle bei der Entstehung von psychischen Erkrankungen.

Bedeutung für die Mediation

Die Erkenntnisse der Bindungstheorie können sich durchaus auf die Mediation auswirken. Insbesondere bei Familienmediationen kann sie helfen, die Dynamik und die Ursachen von Beziehungskonflikten zu verstehen. Sie trägt dazu bei, die Bedürfnisse und Perspektiven der einzelnen Familienmitglieder besser zu verstehen und zu berücksichtigen. Die Bindung ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Jeder Mensch hat eine angeborene Tendenz, enge emotionale Bindungen zu anderen Menschen zu bilden. Auch wenn ein Mensch in seiner Kindheit keine Bindungssicherheit erlebt hat, bleibt das Bedürfnis nach Bindung und Sicherheit im Erwachsenenalter bestehen. In der Mediation kann dieses bedürfnis herausgearbeitet werden. Der Mediator kann die Erkenntnisse der Bindungstheorie in der Mediation wie folgt verwerten:

  1. Identifizierung von Bindungserfahrungen: Der Mediator kann die Familienmitglieder dazu ermutigen, ihre Bindungserfahrungen und mögliche traumatische Ereignisse, die ihre Verhaltensweisen in Konfliktsituationen beeinflussen können, zu teilen. Indem der Mediator ein Verständnis für diese Bindungserfahrungen entwickelt, kann er besser verstehen, warum bestimmte Verhaltensweisen auftreten und wie sie behandelt werden können.
  2. Identifizierung von Bedürfnissen und Perspektiven: Der Mediator kann die Familienmitglieder dazu ermutigen, ihre Bedürfnisse und Perspektiven zu kommunizieren. Durch das Verständnis der Bedürfnisse und Perspektiven jedes Familienmitglieds kann der Mediator Lösungen finden, die für alle Beteiligten akzeptabel sind.
  3. Klärung der Anforderungen an ein Elternverhalten: Wenn es um Umgangs- und Sorgerechtsfragen geht, spielen die Kindesinterssen eine große Rolle. Das Kind ist (meistens) nicht vertreten. Seine Bedürfnisse lassen sich jedoch aus der Bindungsthereie herleiten.

Der Mediator muss kein Therapeut sein, um die sich aus der Bindungstheorie ergebenden Bedürfnisse in der Mediation herauszuarbeiten. Es genügt, den Konflikt zu analysieren und zu verstehen, um aus diesem Verständnis Lösungen zu entwickeln. Nur insoweit kann es von Vorteil sein, wenn er ein Verständnis für die psychologischen Aspekte der Bindungstheorie hat und in der Lage ist, dieses Wissen auf die Mediation anzuwenden. Eine Bearbeitung von traumatischen Erfahrungen oder unsicheren Bindungen in einer therapeutischen Umgebung ist ihm verwehrt.

Hinweise und Fußnoten
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Bearbeitungsstand: 2024-07-25 04:48 / Version 13.

Alias: Bindung
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