Anthroposophie und Mediation
Wissensmanagement » Sie befinden sich auf einer Archivseite.
Es geht um das Verständnis der Anthroposophie und seine Auswirkungen auf die Mediation. Bitte beachten Sie auch:
Mediationsverständnis Mediation und Anthroposophie Menschenbild Wesen der Mediation Haltung Eskalationstheorie Wikisuche
Das zugrundeliegende Menschenbild hat einen großen Einfluss auf die Mediation und die Haltung des Mediators. Hilft die Antroposphie dabei den methodischen Zugang der Mediation zum Menschen zu verfeinern oder setzt es eine Grenze?
Was ist Anthroposophie und wie versteht sie sich
Als Anthroposophie (von altgriechisch ἄνθρωπος ánthrōpos „Mensch“ und σοφία sophίa „Weisheit“) wird eine von Rudolf Steiner (1861–1925) Anfang des 20. Jhdts.begründete, weltweit vertretene spirituelle und esoterische Weltanschauung bezeichnet. Sie selbst versteht sich als „Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen möchte“1 und in diesem Sinn das „Bewußtsein seines Menschentums“2 erweitern will. Von einer vertieften, auf geistige Erfahrung gegründeten Erkenntnis des Menschen ausgehend, eröffnet Anthroposophie einen neuen, den Anforderungen unserer Zeit entsprechenden, vollbewussten gedankenklaren und wissenschaftlich exakten Zugang zur objektiven geistigen Welt, der sich methodisch an der Naturwissenschaft orientiert, aber deren Erkenntnisse ergänzt und erweitert. Die Anthroposophie beansprucht, von den physisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ausgehend, auch in dem darüber hinaus gehenden Wissensgebiet methodisch gesichert, nachvollziehbar sowie wiederholbar zu gültigem Wissen zu gelangen. Dies umfasst auch die Erkenntnis seelischer und geistiger Phänomene und Erscheinungen.
Rudolf Steiner selbst beschrieb einmal die Anthroposophie so: „Unter Anthroposophie verstehe ich eine wissenschaftliche Erforschung der geistigen Welt, welche die Einseitigkeiten einer bloßen Natur-Erkenntnis ebenso wie diejenigen der gewöhnlichen Mystik durchschaut, und die, bevor sie den Versuch macht, in die übersinnliche Welt einzudringen, in der erkennenden Seele erst die im gewöhnlichen Bewußtsein und in der gewöhnlichen Wissenschaft noch nicht tätigen Kräfte entwickelt, welche ein solches Eindringen ermöglichen.“3
Zum Menschenbild in der Anthroposophie und der Anwendungsfelder
Das Menschbild der Anthroposophie kann als ein humanistisches bezeichnet werden, es geht jedoch darüber hinaus. Dieses Menschenbild wurzelt in der Betrachtungsweise des Menschen als dem einzigen Wesen auf der Erde, das über Leib, Seele und Geist verfügt (Dreigliederung). In der Anthroposophie wird dabei der Geist nicht als Teil der Seele betrachtet, sondern als eigenes Wesensglied neben dem physischen Leib und der Seele.
Andererseits wird der Mensch als viertes Naturreich verstanden, der sich evolutionär auf den drei anderen Naturreichen (mineralisches, pflanzliches, tierisches) aufbauend über sie hinausentwickelt hat: Er verfügt demnach über mineralisch-physische Anteile, lebendig-wachsende Anteile (wie auch alle Pflanzen und Tiere) und über beseelte Anteile (wie sie auch in der Tierwelt zu finden sind), aber darüber hinaus auch über ein menschliches Ich als (freiem) geistigem Anteil.
Das individuelle Ich des Menschen inkarniert sich als geistiges Wesensglied im Lauf der Kindheit, Jugend und Adoleszenz nach und nach in den physischen Leib und in die Seelenfähigkeiten. Es werden hierbei Materie und Geist als Polarität betrachtet, zwischen denen sich das Feld des Seelischen bildet. Dieses Seelische verbindet beide Pole, kann von beiden Polen beeinflusst werden, aber auch in beide hineinwirken.
Der Mensch kann demnach als in drei Systembereiche gegliedert betrachtet werden: das ‚Nerven-Sinnes-System‘, das im Kopf des Menschen zentralisiert ist und u.a. die Grundlage des Denkens darstellt. Polar dazu steht das ‚Stoffwechsel-Gliedmaßen-Systems‘, das im Wesentlichen im Unterbauch und den Gliedmaßen wirksam ist und die Grundlage der Handlungsfähigkeit darstellt. Drittens kann davon unterscheidbar das ‚rhythmische System‘ gesehen werden, das besonders durch die flexiblen, rhythmischen und intensiven Atmungs- und Blutzirkulationsvorgänge die Grundlagen des ‚Fühlens‘ im ‚mittleren Menschen‘ bildet.
Eine differenziertere Erkenntnis des dreigliedrigen menschlichen Wesens kommt darüberhinausgehend aus jeweils anderen Betrachtungspositionen heraus zu weiteren Wesensgliederungen des Menschen.4 Die verschiedenen Gliederungsmodelle können dem einzelnen Menschen als Instrumente dienen zur Selbsterkenntnis, aber ebenso auch zur Erkenntnis der sozialen Umwelt. Diese weist demnach Eigenschaften auf, die Züge der Wesenseigenschaften der beteiligten Menschen tragen.
Angeregt von Steiners Ideen existiert in vielen gesellschaftlichen Bereichen eine „Anwendungs-Anthroposophie“, die bis heute zur Attraktivität der anthroposophischen Bewegung beiträgt. Hierzu zählen unter anderem die anthroposophische Architektur, die Waldorfpädagogik, die anthroposophische Medizin, die Naturkosmetik der Marke Weleda, die biologisch-dynamische Landwirtschaft (Demeter), die Eurythmie und Die Christengemeinschaft.
Anwendung fand das anthroposophische Menschenbild offensichtlich auch bereits bei der Entwicklung einer der Grundlagen für die Mediation: die neunstufige (3x3) Stufenfolge der Konflikteskalation nach Glasl (veröffentlicht 1980) ist offenbar von dem anthroposophischen Menschenbild beeinflusst.
Glasl arbeitete als junger Mann achtzehn Jahre lang mit Bernard Lievegoed am Institut für Organisationsentwicklung (NPI) in den Niederlanden. Beide waren im Denken und Handeln von der Anthroposophie, aber auch von systemischen Deutungs- und Steuerungsmodellen beeinflusst. Glasls drei Ebenen und neun Stufen des Eskalations-Modells weisen eine Verwandtschaft zu den drei Seeleneigenschaften Denken (D), Fühlen (F) und Wollen (W) auf, die jeweils in einem der drei menschlichen Wesensglieder hauptsächlich ihre Tätigkeit entfalten. Glas selbst und auch viele seiner späteren, anthroposophischen Mitarbeiter von ihm sind als Mediatoren tätig5
Bedeutung für die Mediation
Entsprechend den vorausgegangenen Ausführungen liegt die Vermutung nahe, dass sich in der Mediation viele Elemente finden lassen, die Passungen mit der anthroposophischen Menschenerkenntnis aufweisen, besonders aber auch mit der Integrierten Mediation nach A. Trossen.6 Auch Glasl beschreibt aus seinem Menschenbild heraus eine über die allgemeine Mediation hinausgehende, eher transformative Form, die er aber metanoische Mediation nennt. 7
Eine Passung der Gedankengebäude könnte als Unterstützung der theoretischen Begründungen, Grundlagen und Zusammenhänge in der Mediation angesehen werden. Die Kenntnis der anthroposophisch-menschenkundlichen Sicht könnte andererseits einem Mediator als Erkenntnishilfe bei der Arbeit dienen.
Manch andere der anthroposophischen Gedanken dagegen, die das hier sehr verkürzt und grob skizzierte Menschenbild in weitere Dimensionen weiterführen (wie z.B. der Reinkarnationsgedanke), sind dagegen für die Mediation eher weniger interessant. Sie können zwar durchaus einen gewünschten Einfluss auf die Haltung eines Mediators und auf seine Einstellungen ausüben. Die nötige Haltung und sinnvolle Einstellungen zu den verschiedenen Elementen der Mediation sind aber auch auf anderem Wege begründbar und erreichbar.
Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen
Alias: Mediation Antroposophie, Anthroposophie
Siehe auch: Mediation, Integrierte Mediation und Anthroposophie, Menschenbild
Prüfvermerk: -