Gegenstandsbereich und Problemstellung
Die Praxis einer anwaltlichen Mediation gehört zu einem empirisch noch weitgehend unerforschten Feld. Ausgangsphänomen der qualitativ-empirischen Studie ist die Ausdifferenzierung professioneller Praxen, die im Schnittfeld zwischen zwei Handlungsfeldern liegen und eine spezifische Bereichslogik professionellen Handelns aufweisen. So gehört das außergerichtliche Verfahren Mediation in der rechtsanwaltlichen, professionellen Praxis nicht zum genuinen Kern der Anwaltstätigkeit. Dies impliziert eine ungewohnte Rollenauslegung, indem die anwaltlichen Akteur_innen dialogisch empathisch, neutral und allparteilich tätig werden, ohne eigene Entscheidungskompetenz, was die Ausgestaltung der Beziehungsverhältnisse zur Adressatenseite signifikant kennzeichnen dürfte. Ein mediatorisches Anforderungsprofil lässt sich mit einem juristischen Hintergrund in geeigneten Fort- und Weiterbildungen in einem relativ kurzen Zeitraum erwerben und zählt zu den jüngsten Professionalisierungsaktivitäten der Anwaltschaft. So zeigt die Studie hinsichtlich der Beratungswirklichkeit von Mediation in der Praxis der Anwaltschaft eine qualitativ-empirische Rekonstruktion der Komplexität von Handlungsstrukturen am Einzelfall, ein Aufdecken latenter Sinnstrukturen und interpretiert alltägliche Denk- und Handlungsvoraussetzungen mediatorischen Anwaltshandelns aus der Perspektive der Be- fragten.
Forschungsfragen
- Wie interpretieren Anwält_innen ihre Beratungswirklichkeit in der anwaltlichen Mediation?
- Inwieweit sind Phänomene als Spannungsverhältnisse aufgrund professioneller Zielkonfliktpotenziale, Paradoxien und Widersprüche nach Helsper (2002/2016) in das mediatorische Anwaltshandeln der Akteur_innen eingebettet und gibt es weitere Abwandlungen oder Varianten?
- Wie werden identifizierte Spannungsverhältnisse interaktiv bewältigt?
Ergebnisse
Ergebnisse in 11 ausgewählten Thesen, die sich der Kernthese unterordnen
Die Kernthese
Bei der Vermittlung des Zentralwertes Autonomie der Parteien in der Konfliktbearbeitung liegen auf struktureller Ebene mediatorischen Anwaltshandelns im Kern 13 Antinomien (Zielkonflikte) in Orientierung an Helsper (2002/2016) vor, mit gesonderten Erscheinungsformen, Potenzierungen und Strukturvarianten. Darüber hinaus entstehen paradoxe Widerspruchskonstellationen im Bereich meso- und makrostruktureller Rahmungen und Zwänge eines historisch gewachsenen Rechtssystems, die eine professionelle Praxis der Anwaltschaft signifikant prägen.
Die 11 ausgewählten Thesen
- Mediatorisches Anwaltshandeln skizziert weit mehr professionelle Spannungsverhältnisse (Antinomien etc.) als ein Handeln von Professionellen innerhalb etablierter Professionen.
- Anwaltliche Akteur_innen befinden sich daher im Zuge mediatorischen Handelns in einem Gefilde, das ein Spannungsfeld konstatiert und signifikant in Widersprüchen verwoben ist.
- Bereits in der Erstkontaktphase anwaltlicher Mediation entstehen Konflikte: So kann in der Begegnung mit Adressat_innen das Ziel, eine Mediation einzuleiten mit jener Zielvorstellung interferieren, wie gewohnt als Anwältin oder als Anwalt tätig zu werden, „... will mit dem irgendwie in die Mediation überschwenken, dann funktioniert das in den meisten Fällen nicht“ (Z.: 163-164, C.).
- Besonders die Dramatisierung von Autonomie und Selbstverantwortlichkeit als zentraler Ausgangspunkt für das Vermittlungsverhältnis konfligiert in der Begegnung mit emotional hochbelasteten Adressat_innen angesichts einer arrangierten Distanzwahrung der anwaltlichen Akteur_innen. „Und es ist immer so, dass man das denen kaum verklickern kann: Ihr müsst eure eigene Lösung finden“ (Z.: 117-118, R.), „... und „versucht, den Leuten immer wieder klarzumachen, die müssen ihr eigenes Recht setzen“ (Z.: 210-211, R.).
- So liegt ein Bedarf nach näherer Fallansicht vor (Diagnose/Interventionszusammenhang), die ein professionelles Handeln steuert und einen Fallbezug verdichtet.
- Eine anwaltliche Mediation entwickelt sich angesichts rechtsanwaltlicher Expertise im Verlauf ihrer Prozessualität zu einem Balanceakt mit „rutschigem“ Ablaufprozess in die Ausrichtung einer Rechtsberatung, mit der Gefahr eines Scheiterns an diesem Kriterium. „... wie sieht das rechtlich aus. Und die wollen da schon was hören. Und da muss man natürlich gucken, dass man da immer die äh Balance wahrt und äh da nicht in so eine Anwalts-äh-beratungstätigkeit äh rutscht und auf der anderen Seite aber schon klar sagt, wie ist es, ja? Und das ist äh das ist schon äh fast in jeder Mediation gefragt". (Z.: 294-299, M.).
- Anwaltliche Akteur_innen müssen ihr Handeln professionell reflektieren können: „Und was ich übrigens auch ähm erst als Mediator gemerkt habe, denn als Anwalt ist man ja selber stark und unfehlbar und hat kein äh macht keine Fehler und muss sich auch nicht evaluieren lassen oder so, - so ist jedenfalls das Selbstverständnis, ne? Und als ich als Mediator dann tätig war, merkte ich, ich brauch natürlich Korrekturen" (Z.: 269-291, I.).
- Aufkommende Reflexionsanforderungen müssen von anwaltlichen Akteur_innen auf informeller Ebene eingelöst und aufs Unbestimmte verschoben werden. „... ein bisschen Supervision oder Beratung gehabt, indem ich sonntags morgens beim Laufen einen Mediationskollegen getroffen habe“ (Z.: 165-166, R.).
- Zur Auflösung des Gehalts von Spannungsverhältnissen müssen individuelle Bewältigungsstrategien entwickelt werden, die im Akt des Handelns günstig oder ungünstig emergieren.
- Der Einsatz von Bewältigungsstrategien gegen Spannungen verhält sich häufig exponentiell:
a) Je mehr Bewältigungsstrategien der Kategorie günstig eingesetzt werden, desto eher können Spannungsverhältnisse erfolgreich abgebaut werden.
b) Je mehr Bewältigungsstrategien der Kategorie ungünstig bis neutral eingesetzt werden, desto weniger werden Spannungsverhältnisse gelöst, oft entsteht Frustration. - Eine Ambivalenz der Rollen (Anwalt_in/Mediator_in) in einer Personalunion zeichnet sich ab, in der die Wurzel zur Entstehung von wahrgenommenen Spannungen liegt. „Klar gibt’s da Schwierigkeiten.(1) Dessen muss man sich aber glaub ich als Anwalt sehr bewusst sein, (holt tief Luft), weil die (1) äh Zielrichtung (1) völlig verschieden ist“ (Z.: 179-172, T.).
Um die Forschungsfragen beantworten zu können, verortet sich die Studie in einem Theoriekorpus interaktionistischer Professionsgedanken nach Helsper (2002/2016) und in der aktuellen erziehungswissenschaftlichen Diskursdomäne der Professionsforschung. Sie kann auf das teildisziplinäre Feld der Berufspädagogik bezogen werden, die ihren Fokus auf die Berufsbildung legt. Als Erhebungs- instrument stand die Forschungsstrategie der Triangulation in drei Erhebungswellen mit 14 narrativen Interviews und der sich daran anschließenden Beteiligung von problemzentrierten Interviews zur Seite. Als Auswertungssets dienten ebenso differenzierte Konzepte. So wurde die Grounded Theory Methodologie herangezogen und in einem späteren, sechsten Forschungsschritt die Theoriefolie nach Helsper zur systematischen Zielkonfliktrekonstruktion aufgelegt, der differenzierte Konfliktpotenziale grundgelegt sind.
Ausblick
Aus der Studie geht u. a. hervor, dass ein Grund für die fehlende Motivation zur Ausschöpfung des Potenzials der Mediation nicht allein auf das Verhalten der Nachfrageseite zurückgeführt werden kann. Das Verhalten der Anwaltschaft in der Mediation ist ein mächtiger Wirkfaktor, den diese Studie in ersten Ansätzen zu ergründen versuchte. Auch die Motivlage von entscheidenden Akteur_innen und ihre Unterstützungsressourcen sind weiterhin in den Blick zu nehmen. Gemäß den Interpretationen der Interviewten besteht für eine Gruppe der Befragten Handlungsbedarf für eine Förderung seitens der Politik: „..., wenn man es denn für die Anwaltschaft (1) fruchtbar machen möchte, muss man noch einiges ähm an Aufklärungsarbeit leisten“, so ein Akteur.
Literatur: Wambach-Schulz, Marita Katharina (2018).
Im Spannungsfeld anwaltlicher Mediation. Eine qualitativ-empirische Studie zur Rekonstruktion der professionellen Praxis mediatorischen Handelns von Akteurinnen und Akteuren in der Bereichsspezifik anwaltlicher Mediation. online, URL: http://publications.rwth-aachen.de/record/731030