Ich habe schon einige Scheidungen von Altehen mediiert. Ganz abgesehen davon, dass stets die Frage aufkam, warum Eheleute die schon mehr als 40 Jahre zusammengelebt haben, plötzlich die Scheidung wollen, wiesen die Mediationen durchaus markante Besonderheiten auf. Ich war überrascht, dass es für die Scheidung von Altehen überhaupt einen eingeführten Begriff gibt. Er weist darauf hin, dass es sich in den Fällen nicht um Einzelschicksale handelt und dass es sogar Forschungen zu der Problematik gibt. Die Studie von I-Fen Lin, Susan L Brown und Kagan A Mellencamp fasst die Beobachtungen und die Ergebnisse der Forschung wie folgt zusammen:1
Ziel der Studie
Scheidungen sind im späteren Leben mittlerweile weitverbreitet, dennoch ist wenig darüber bekannt, wie ältere Erwachsene und ihre erwachsenen Kinder nach einer grauen Scheidung reagieren. Ausgehend von der Lebensverlaufsperspektive untersucht diese Studie die Folgen einer grauen Scheidung und einer anschließenden (Wieder-)Partnerschaft für Eltern-Erwachsenen-Kind-Beziehungen aus der Perspektive der Eltern.
Methoden
Anhand von Längsschnittdaten aus der Health and Retirement Study in den Vereinigten Staaten von 1998–2014 wurden Wachstumskurvenmodelle geschätzt, um den häufigen Kontakt und die finanzielle Unterstützung von Vätern und Müttern mit ihren erwachsenen Kindern vor, während und nach einer grauen Scheidung zu vergleichen.
Ergebnisse
Scheidung und Wiederverpartnerung bei älteren Menschen hatten unterschiedliche Auswirkungen auf die Vater-Mutter-Kind-Beziehungen. Nach einer Scheidung nahm der häufige Kontakt der Väter zu ihren erwachsenen Kindern ab, die finanzielle Unterstützung für ihre erwachsenen Kinder nahm jedoch zu. Die erneute Partnerschaft der Väter wirkte sich nachhaltig negativ auf den häufigen Kontakt mit ihren Kindern aus. Eine graue Scheidung änderte nichts an der finanziellen Unterstützung der Mütter für erwachsene Kinder und steigerte tatsächlich die Interaktion zwischen Müttern und erwachsenen Kindern, da sich die Wahrscheinlichkeit häufiger Kontakte nach einer Scheidung verdoppelte. Eine erneute Partnerschaft hatte keine nennenswerten Auswirkungen auf die Beziehungen der Mütter zu ihren erwachsenen Kindern.
Diskussion
Die Ergebnisse unserer Studie stimmen mit früheren Untersuchungen überein, die zeigen, dass eine Scheidung zu einer matrifokalen (mutterbezogenen) Neigung in unserem Verwandtschaftssystem führt. Die sich verändernde Dynamik der Eltern-Erwachsenen-Kind-Beziehungen als Reaktion auf die Scheidung und Wiederverpartnerung von Ehepartnern wirft die Frage auf, ob sich Eltern in geschiedenen Altehen mit zunehmendem Alter auf die Betreuung ihrer erwachsenen Kinder verlassen können. Es gibt noch weitere Studien und Erkenntnisse über Grauscheidungen, sodass daraus ein eigener Beitrag im Bereich der Familienmediation entstanden war.2
Bedeutung für die Mediation
Theoretisch könnte sich eine Mediatorin oder ein Mediator für diese Zielgruppe und für graue Scheidungen spezialisieren. Die Untersuchung im Beitrag Altehen zeigt, dass ausführliche Kenntnisse der Familienmediation genügen, um die Scheidung einer Altehe durchzuführen. Es hilft allerdings, wenn Mediatoren eine Sensibilität für diese Zielgruppe aufbringen. Was diese Scheidungen besonders macht, ergibt sich aus dem bereits zitierten Beitrag,.
Arthur Trossen
Bild von Patrice Audet auf Pixabay