Der Artikel geht zurück auf mehrere Forschungen, die ein ungewöhnliches Sozialverhalten der Paviane nachgewiesen haben. Die eine betraf eine Pavianhorde bestehend aus 60 Tieren im Amboseli Nationalpark in Kenia. Sie wurde von Robert Sapolsky und Lisa Share von der Universität Stanford durchgeführt.1 Die andere Forschung betraf eine Pavianhorde mit 120 Tieren im Arashiyama-Park in Japan.2 Sie basiert auf den Untersuchungen von Takayoshi Kano. In beiden Fällen zeichneten sich die Primaten ebenso untypisch wie auffällig durch ein vorbildliches Sozialverhalten aus. Die Forschung versucht, die Verhaltensveränderungen und insbesondere den markanten Aggressionsabbau zu erklären. Vielleicht ergeben sich verwertbare Rückschlüsse für das menschliche Sozialverhalten.

Was sind Pavian-Hippies?

Beginnen wir mit der Frage, was Pavian-Hippies überhaupt sind.
Um es vorweg zu nehmen: Pavian-Hippies sind keine bekannte Kategorie von Tieren. Auch ist nicht klar, wo der Begriff herkommt. Wahrscheinlich handelt es sich um eine kreative Wortschöpfung, die das phänomenale Sozialverhalten der eigentümlichen Paviane sehr eingängig beschreibt. Das Wort Hippie steht für eine Bewegung der 60er Jahre. Hippies waren für ihre Freiheitsliebe, die Liebe zur Natur, ihr Engagement für den Frieden und die Ablehnung der traditionellen Werte bekannt. Und ja, so etwas gibt es auch bei den Affen. Die hier vorgestellten Forschungen haben jedenfalls dazu beigetragen, das Verständnis der Sozialstruktur und das Verhalten von Tieren zu überdenken. Die spannende Frage lautet, was die Paviane veranlasst hat, ihr Verhalten zugunsten einer größeren Sozialverträglichkeit zu verändern.

Es liegt an den Weibchen

Die Hippie-Paviane des Amboseli Nationalparks in Kenia wurden in den 1980er Jahren entdeckt, noch lange bevor sie zu Hippies wurden. Es war eine ganz normale Primatenhorde, die wie üblich und zu erwarten durch ihr besonders aggressives Verhalten auffiel. Die starken Affenmännchen stritten permanent um Hierarchie und Weibchen. Sie tyrannisierten alle greifbaren schwächeren Tiere. Sie unterjochten die Zurückgebliebenen wohl auch zum eigenen Frustrationsabbau. Osterkamp fasst ihr Verhalten zusammen, indem er hervorhebt: "(Sie) benahmen sich (halt) wie Paviane". Er hätte auch sagen können: "Wie manche Menschen".

Es war im Jahre 1986 als natürlich nur die starken und überlegenen Affenmännchen dieser Horde eine Müllanlage als nahe gelegene Futterquelle entdeckten. Dort versorgten sie sich mit einem an Tuberkulose verseuchten Kadaver. Sie infizierten sich, was zur Folge hatte, dass die stärksten Tiere dieser Population verstarben. Zurück blieben die Weibchen und die schwachen Tiere.

Eigentlich dürfte eine solche Population ohne die starken Tiere nicht überleben, vermuteten die Forscher. Ihnen fiel auf, dass sich die überlebenden Tiere in der Folgezeit für Paviane sehr untypisch verhielten. Sie pflegten einen friedlichen Umgang miteinander. Die Männchen stritten kaum mit schwächeren Tieren. Die Weibchen waren, so führt Osterkamp aus, auch ohne das Alphatierverhalten massiv beeindruckt von den verbliebenden Männchen und ließen sich von ihnen erobern. Sie paarten sich (vielleicht auch mangels Alternative), obwohl die Männchen weder Stärke noch Dominanz zeigten. Sie verhielten sich stattdessen freundlich und entgegenkommend. Osterkamp nennt das neue Verhalten eine "unrealistische Hippie-Kommune der Paviane".

Obwohl die Forscher nicht an die Überlebensfähigkeit der zurückgebliebenen Pavianhorde glaubten, nahmen sie die Forschung im Jahre 1996 wieder auf. Ihre Annahme, dass sich die alte, aggressive Sozialstruktur bei den Nachkommen wieder hergestellt habe, wurde widerlegt. Obwohl kein einziges der friedliebenden Männchen aus der Vergangenheit noch der Horde angehörte, hatten sich auch die neu zu der Gruppe hinzugekommenen männlichen Tiere den harmonischen Gepflogenheiten angepasst. So entstand eine nachhaltige Friedenskultur, die sogar von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Eine wirkliche Begründung kennen die Forscher noch nicht für das Phänomen. Eine ihrer Thesen lautete, dass die Weibchen bei der Kulturbildung eine entscheidende Rolle spielen. Sie entscheiden, welche Männchen ihnen genehm sind. In dem Moment, wo sie das sanftere Sozialverhalten mit ihrer Paarungsbereitschaft belohnten, waren die Männchen nicht mehr veranlasst, sich durch ein aggressives Verhalten wichtig zu machen. Sie konnten die Weibchen mit weniger Aufwand und einem anderen Verhalten besser beeindrucken. Das klingt nach einer Win-win-Situation. Die These deckt sich mit Beobachtungen in der modernen menschlichen Gesellschaft, wo sich das moderne Bild der Männlichkeit gerade ebenfalls den Erwartungen der Frauen anpasst. Das zeigt sich an der zunehmend größeren Bereitschaft der Männer bei der Mitarbeit im Haushalt und bei der Kinderversorgung.

Es liegt am Cortisol

Eine weitere wichtige Entdeckung war, dass die Pavian-Hippies im Vergleich zu anderen Paviangruppen einen deutlich niedrigeren Cortisolspiegel aufwiesen. Cortisol ist ein Stresshormon, das in der Nebennierenrinde produziert wird. Die Ausschüttung von Cortisol erfolgt unter der Kontrolle des Hypothalamus und der Hypophyse, die wiederum Teil des limbischen Systems sind.3 Der Zusammenhang mit dem Sozialverhalten wird nachvollziehbar, wenn das friedliche Zusammenleben die Alarmbereitschaft der Tiere verringert. Das limbische System wird, wenn man so will, entlastet. Den Forschern jedenfalls gelang der Nachweis, dass die Zusammenarbeit und die gegenseitige Unterstützung der Pavian-Hippies zum Stressabbau beiträgt. Sie fanden heraus, dass die Pavian-Hippies mehr Zeit damit verbrachten, sich gegenseitig zu pflegen, was als Indikator für soziale Bindungen und Freundschaften angesehen wird. Kano führt das geänderte Sozialverhalten in der Paviangruppe im Arashiyama-Park auf das Prinzip der Gleichwertigkeit der Tiere und dem damit einhergehenden Dominanzabbau zurück.

Der Paradigmenwechsel

Die Primatenforschung von Sapolsky, Share und Kano bewirkte einen Paradigmenwechsel im Forschungsverhalten. Anstatt das Sozialverhalten von Pavianen ausschließlich auf Aggression und Dominanz zu reduzieren, begannen Forscher, die Bedeutung von Zusammenarbeit, Freundschaft und gegenseitiger Unterstützung auch für die Forschung zu erkennen. Ein besseres Verständnis des Sozialverhaltens der Primaten und anderer Tiere ist die Folge.

Fazit

Auch wir Menschen können von der Forschung profitieren. Immerhin belegt sie, dass sich ein Sozialverhalten ändert, wenn die Attraktivität der vermeintlich starken Tiere verloren geht, wenn die Beziehung auf gleiche Augenhöhe ausgerichtet wird und wenn die wechselseitige Versorgung nach vorne gestellt wird. Das ist im Grunde nichts neues. Dass es sogar Affen gelingt, ein friedliches Miteinander herbeizuführen, sollte uns nachdenklich stimmen. Offenbar ist die Verhaltensänderung auch nicht genetisch veranlasst. Die gute Nachricht ist schließlich, dass sich das Sozialverhalten einer ganzen Population in nur einer Generation verändern kann.

Arthur Trossen


Bild von G.C. auf Pixabay dl am 11.5.2023