Die Mediation lässt sich definieren als ein Verfahren zur kommunikativen Konfliktlösung unter Beteiligung aller an dem Konflikt Beteiligten. Damit sehen sich sowohl die Mediatorin oder der Mediator als auch die Beteiligten mit einer komplexen Situation konfrontiert: Einerseits verläuft Kommunikation schon im „Normalfall“ keineswegs linear, geschweige denn in einem Konflikt; andererseits bringt jeder Fall Konflikte und Beteiligte mit sich, die eine immer wieder neue Konstellation darstellen und deren Elemente und Dynamik sich erst im Verlauf des Verfahrens zeigen; oft über Rekursionen, die sich letztlich iterativ vorantasten. In dieser Gemengelage von kommunikativen Herausforderungen spricht das Mediationsgesetz der Mediatorin oder dem Mediator eine Sonderrolle in dem Verfahren zu, indem sie/er es ist, „die die Parteien durch die Mediation führt“ (§ 1 Satz 2 MediationsG). Der Begriff der „Führung“ impliziert Linearität (wo keine ist), Kontrolle (in einer Situation, in der die Mediatorin oder der Mediator selbst Teil der komplexen Kommunikation ist) und ein Wissen-wo-es-langgeht (in einer Situation, die durch Nicht-Wissen der konkreten Aspekte und der Dynamik des Falls gekennzeichnet ist). Gleichzeitig wird jener Moment in der Mediation, in dem die Kommunikation vom Konflikt zur Lösung kippt, von einigen Beteiligten als „magisch“ bezeichnet; es handelt sich dabei um eine Magie, die die Mediatorin oder der Mediator, trotz der zugewiesen Führungsrolle, nicht herstellen kann.
Die Studie nimmt dieses Spannungsfeld zwischen Dynamik, Kontrolle und Magie als Ausgangspunkt und verfolgt die Frage, in welcher Hinsicht Erkenntnisse über Komplexität und Emergenz zum Verstehen des Verfahrens der Mediation, der spezifischen Anforderungen an die Mediatorin oder des Mediators und der Dynamik des Mediationsprozesses beitragen. In diesem Sinne sucht sie – auf abstrakterer Ebene – einen Beitrag zur Theorie der Mediation zu leisten, und gleichzeitig – auf einer konkreteren Ebene – eine Erklärung dafür zu suchen, was warum wie wirkt.
Die theoretische Fundierung der Mediation ist bislang noch wenig beleuchtet. Als zentrales theoretisches Element gilt das „Harvard-Konzept“, das im Wesentlichen auf der Trennung von Person und Sache besteht, und das bei der Verhandlung die Interessen der Beteiligten in den Vordergrund stellt. Diese aus der Verhandlungsführung entlehnte Maxime ist für die Praxis der Mediation hilfreich, jedoch erklärt es im Sinne einer theoretischen Fundierung der Mediation – nichts.
Die Autorin betrachtet – im Unterschied zur üblichen Sicht – Mediation nicht aus einer hauptsächlich psychologischen Perspektive, sondern aus einer soziologisch-systemtheoretischen Perspektive, wobei die für das Verstehen notwendigen Grundlagen von Systemtheorie und Komplexitätstheorie ausführlich erörtert werden. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht stellt sich die Mediation als ein soziales System dar, das die Bewusstseinssysteme der Beteiligten (der Medianden) vom Interaktionssystem (der Mediation) trennt. Die Systeme können sich zwar wechselseitig wahrnehmen, sie bleiben aber füreinander intransparent.
Heike Egner