Herr Schieferstein, Sie sind langjähriger Mediator, Anwalt und ein Vorreiter des kooperativen Verhandelns. Wir möchten Sie gerne befragen, wie Sie im Laufe der Zeit die Mediation erlebt und verinnerlicht haben.
Redaktion: Was bedeutet die Mediation für Sie?
Schieferstein: Eine offizielle Erlaubnis, mich im professionellen Kontext von Recht und „harten“ Fakten mit Emotionen zu beschäftigen.
Redaktion: Brauchen Anwälte eine Gehirnwäsche?
Schieferstein: Ja ich weiß, es gibt Kollegen, die behaupten, als Rechtsanwalt müsse man sich einer Gehirnwäsche unterziehen, um Mediation anwenden zu können. Ich sehe das aber überhaupt nicht so. Kollegen, die so etwas sagen, sind selber Opfer einer Gehirnwäsche, der sie sich allerdings freiwillig unterziehen.
Redaktion: Wie erleben Sie den Umgang mit der Mediation im Gericht und unter den Kollegen?
Schieferstein: Man muss nicht darüber reden. Normalerweise fällt es gar nicht auf, wenn man etwas anders macht, solange es passt und wirkt. Man muss es nicht erklären. Erst wenn Fragen kommen, kann man etwas zur Mediation sagen.
Redaktion: Hat sich für Sie die Mandatsabwicklung verändert seit Sie Mediator sind?
Schieferstein: Ja, natürlich, ich gehe anders vor als früher. Das klassische Mandat, bei dem der Anwalt seiner Partei verspricht, ihr alles abzunehmen, gibt es bei mir nicht mehr. Wie in der Mediation übernehme ich die Verantwortung nur für das Verfahren = das Recht, während die Partei die Verantwortung für den Inhalt = die darunter liegenden Probleme (Emotionen) behält. Das bedeutet eine erhebliche Erleichterung der Arbeit und führt einer größeren Zufriedenheit auf beiden Seiten. Im Teil der Emotionen sehe ich meine Rolle als „Konfliktcoach“. Das Konzept erläutere ich der Partei zu Beginn und hole mir ihr Einverständnis ein. Wichtig ist, dass die Partei sich völlig frei entscheidet (Grundsatz der „Freiwilligkeit“). Ich übe keinerlei Überzeugungsdruck aus, d.h. ich sehe mich nicht als Missionar.
Redaktion: Lässt sich die Mediation von der Anwaltstätigkeit trennen?
Schieferstein: Nein, es lässt sich nicht trennen, was die Einstellung betrifft. Im Ergebnis führt diese Einstellung zu einer klaren Unterscheidung von Recht und Emotionen: Das Recht ist „nur“ das Recht, die Emotionen sind „nur“ die Emotionen. Anwälte, die diese Einstellung nicht haben, vermischen in der Regel beides, bzw. haben der Instrumentalisierung des Rechts durch ihre Mandanten nichts entgegenzusetzen, das heißt, sie werden selbst zum Instrument der Parteien und geben ihre Führung ab.
Redaktion: Wie denken Sie über das Denken in der Mediation?
Schieferstein: Da bin ich zwiespältig: Das „Denken in der Mediation“ ist ein Denken des Menschen, also nichts Besonderes oder Neues. Das Besondere am „Denken in der Mediation“ ist für mich lediglich die Legitimation des ganzheitlichen Denkens in anderen Zusammenhängen, wofür die Mediation die Methodik liefert. Wenn die Mediation ihr Ziel erreicht hat, d.h., man allgemein zu einer zu einer natürlichen Betrachtung der Dinge zurückkehrt, wird sie vielleicht überflüssig werden. Sie ist dann in die Arbeit mit Konflikten vollständig integriert und braucht im Grunde keinen eigenen Namen mehr.
Wir danken für das Interview