Qualitätskriterien für Bürgerbeteiligungsprozesse
Ein Beitrag der Fachzeitschrift "MEDIATOR 1/2017, S. 4" → Fachzeitschrift
Seit 2011 ist das Netzwerk „MediationsAllianz Baden-Württemberg“ auch außerhalb des Bundeslandes in Bürgerbeteiligungsprozesse eingebunden. Mediatoren und Moderatoren unterschiedlicher Berufe und langer Erfahrung im Umgang mit Konflikten in der öffentlichen Verwaltung, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft unterstützen sich gegenseitig bei der Abwicklung anspruchsvoller Projekte. Die MediationsAllianz hat dabei von Beginn an Wert auf hohe Qualität in den von ihren Mitgliedern zu verantwortenden Prozessen gelegt. Drei Beispiele, „Schwieriges Unterfangen – ein Baustellenkonflikt“, „Hochwasserdialog zum Flutpolderprogramm“ und „Wegekonzept im Nationalpark“ werden in der vorliegenden Ausgabe vorgestellt.
Bürgerbeteiligung dient der gelebten, praktizierten Demokratie und versucht, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Sie verfolgt im konkreten Fall benennbare Ziele, die klar und allen Beteiligten kommuniziert sein sollen. Bürgerbeteiligung muss au- frichtig gemeint und betrieben werden; „Alibi“-Veranstaltungen fördern das Gegenteil!
Bereitschaft und Fähigkeit zum Dialog
Eine konstruktive Grundhaltung der beteiligten Akteu- re ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen von Beteiligungsprozessen. Alle Beteiligten müssen ohne inhaltliche Vorfestlegungen in ein Beteiligungsverfahren gehen und bereit sein, auf eine gemeinsa- me Lösung hinzuarbeiten.
Die Mediatoren fördern die Bereitschaft und Fähigkeit zum Ausdrücken und Anhören verschiedener Sichtweisen, zum gegenseitigen Verstehen-Wollen und der Suche nach Lösungen, welche die legitimen Anliegen beider/aller Seiten berücksichtigen. Der Umgang miteinander ist respektvoll. Methoden der Bürgerbeteiligung müssen sich daran messen lassen, inwieweit es ihnen gelingt, gerade auch die Teilnahmechancen bisher unzureichend beteiligter Interessen und ressourcenschwächerer Bevölkerungsgruppen zu erhöhen.
Gestaltungsspielräume und „Partizipationsparadox“
Zur erfolgreichen Umsetzung von Bürgerbeteiligung gehören die Sicherung ihrer Finanzierung und eine ausreichende Ressourcenausstattung. Gelingende Prozesse bedürfen sorgfältiger Planung und Durchführung; das muss es wert sein!
Bürgerbeteiligung erfordert Gestaltungsspielraum. Dieser wird vor Beginn des Verfahrens definiert und allen Beteiligten am Beginn des Prozesses klar kom- muniziert. Dazu gehört auch, „ob“ das Vorhaben in- frage gestellt werden kann. Wird das »Ob« nicht zur Diskussion gestellt, müssen die Entscheidungsträger dies öffentlich und nachvollziehbar begründen. Damit können die Beteiligten ihre Einflussmöglichkeiten realistisch einschätzen.
Eine möglichst frühzeitige Beteiligung stellt sicher, dass die Gestaltungsspielräume optimal genutzt wer- den können. Die Bürgerinnen und Bürger müssen so frühzeitig einbezogen werden, dass wesentliche Weichen noch gestellt werden können. Allerdings ist jeweils eine individuelle Lösung für das „Partizipati- onsparadox“ zu finden, nachdem die Möglichkeiten der Einflussnahme in der Frühphase der Problemer- kennung und Planung zwar am größten, das Inter- esse und Engagement der Bürgerinnen und Bürger zu dieser Zeit jedoch häufig noch gering ausgeprägt ist. Dieses Engagement steigt dann, wenn ausgear-
beitete Pläne und Maßnahmen auf dem Tisch liegen oder gar schon „der Bagger rollt“. Dann ist es für Grundsatzfragen und Alternativen i. d. R. zu spät.
Dialog auf Augenhöhe
Bürgerbeteiligung auf »Augenhöhe« gelingt, wenn z.B. eine Kommune ihre Bürger in ihrem Engagement aktiv unterstützt. Ein Initiativrecht ermöglicht es, eigene Vorschläge einzubringen und ggf. Beteiligungsverfahren einzufordern.
Die Abwägung des (zu findenden) Gemeinwohlinteresses mit den Interessen einzelner Gruppen oder Personen ist kontinuierlicher Bestandteil von Beteiligungsprozessen und wird in unterschiedlichen Prozessphasen immer wieder neu diskutiert, die Argumente immer wieder neu gewichtet.
Der Umgang mit den Ergebnissen des Beteiligungsverfahrens in den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen muss bereits zu Beginn eines Beteiligungsverfahrens festgelegt und zwischen den beteiligten Akteuren gemeinsam verbindlich vereinbart werden.
Gestaltung des Beteiligungsprozesses
Erfolgreiche Bürgerbeteiligung muss als Prozess verstanden werden, der flexibel und individuell dem je- weiligen Fall und dessen Entwicklungen angepasst wird. Wenn ein Beteiligungsprozess durch unabhän- gige und ausgebildete Moderatoren/Mediatoren konzipiert und begleitet wird, trägt dies in der Regel dazu bei, ein Beteiligungsverfahren zielführend zu organisieren. Insbesondere in Konfliktsituationen helfen neutral und allparteilich agierende Dritte, einen Dialog zwischen den Beteiligten anzustoßen und Akzeptanz bzw. Konsensmöglichkeiten auszuloten.
Zur konkreten Durchführung des Dialogprozesses ist eine reflektierte Wahl der Methoden und Verfahren wichtig. Ein erfolgreicher Beteiligungsprozess ist oft auf die gezielte Kombination verschiedener Elemente angewiesen.
Der Prozess der Beteiligung ist transparent und damit sind auch die Ergebnisse nachvollziehbar. Transparenz und Nachvollziehbarkeit schaffen Vertrauen in Politik und Verwaltung. Nicht unmittelbar involvierte Teile der Öffentlichkeit müssen durch eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit informiert werden.
In der Praxis zeigt sich, dass bestimmte Akteurs- gruppen nur schwer zu erreichen sind und die Beteili- gungskompetenz sehr unterschiedlich verteilt ist. Um dem Ziel einer möglichst breiten demokratischen Be- teiligung nahezukommen, gilt es auch, die Meinungen und Interessen derjenigen einzubeziehen, die nicht so leicht zu erreichen sind und die sich aufgrund ihrer Lebenssituation, ihrer Bildung oder gesellschaftlichen Stellung nicht oder nur in geringem Maße artikulieren können oder wollen.
Die ausführliche Ausarbeitung zu den Qualitätskriterien für Bürgerbeteiligungsprozesse der MediationsAllianz sind online verfügbar unter www.mediationsallianz.de.
Dr. Peter Hammacher
Archiv: Ein Beitrag der Fachzeitschrift "Der Mediator"