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Schwieriges Unterfangen – Ein Baustellenkonflikt


Ein Beitrag der Fachzeitschrift "Der Mediator"Fachzeitschrift


Durch ein auf drei Stunden begrenztes Gespräch unter Leitung eines Mediators mit 17 Beteiligten, darunter vier Anwälten, zwei Sachverständigen und drei Versicherungsvertretern soll ein drohender Bauprozess abgewendet werden.

Geht das?

In bester Altstadtlage entsteht ein Neubau für eine Kindertagesstätte und Wohnungen. Für den Neubau, dessen Gründungssohle tiefer als das unmittelbare Nachbargebäude liegt, muss die angrenzende Giebelwand eines dreigeschossigen Mehrfamilienhauses aus den 1920er Jahren unterfangen werden.

Im Zuge dieser Arbeiten kommt es dort plötzlich zu deutlichen Rissbildungen an der unterfangenen Wand, an den Fassaden und an den Querwänden. Beide Grundstückseigentümer sind professionelle Immobilienfirmen. Man einigt sich auf einen Sachverständigen, der die Situation, den Sanierungsweg und den Schaden bestimmen soll.

Einen Schlichtungsauftrag hat er nicht. Sein Gutachten lässt Fragen offen. Der Kreis der Betroffenen ist so groß wie deren unterschiedliche Interessen und Bedenken:

  • Die Immobilienfirma, der der Altbau gehört, macht sich Sorgen um Erhalt und Wert des Gebäudes.
  • Die Mieter des Altbaus fürchten sich wegen der Risse und mindern die Miete.
  • Die Immobilienfirma, die den Neubau durchführt, will ihren Schaden so gering wie möglich halten und sicherstellen, dass sie alles auf ihre Auftrag- nehmer abwälzen kann.
  • Der Tragwerksplaner hat vermutlich die Situation falsch eingeschätzt, doch ist er der Meinung, dass jedenfalls faktisch eine „Restsicherheit“ gegeben sei, weshalb nichts passiert wäre, wenn die aus- führende Firma alles richtig gemacht hätte.
  • Die ausführende Arbeitsgemeinschaft zweier Bau- firmen sieht ein, dass ihre Leistung nicht mangel- frei war, und ist bereit sich, an der Sanierung zu beteiligen. Sie meint aber, dass der Schaden we- sentlich von dem Tragwerksplaner mitverursacht worden sei. Außerdem sei der Altbau in einem altersgemäßen Zustand gewesen, weshalb sich die Eigentümerin des Altbaus an der Stabilisierung beteiligen müsse.
  • Der Architekt sieht keinen Planungsfehler: Die Ge- fährdung sei erst durch die Arbeiten entstanden.
  • Die Planer und die ausführenden Firmen haben je- weils ihre Haftpflichtversicherer eingeschaltet, die darauf achten wollen, dass sie nur geringstmöglich beteiligt werden und die internen Haftungsgrenzen für sie nicht überschritten werden.
  • Alle Parteien haben Rechtsanwälte, die sich seitdem – fachlich kompetent und im Ton unerbittlich – über die Probleme des Schadenersatzrechts sowie der Duldungsverpflichtung der Nachbarn streiten.

Die Erstellung des Gutachtens und eines Sanierungskonzeptes durch Planer und ausführende Firmen nimmt einige Zeit in Anspruch. Die Beteiligten werden immer nervöser. Die geschädigte Immobilienfirma und ihr Anwalt neigen dazu, trotz des vorliegenden Gutachtens ein Gerichtsverfahren, zumindest in der Form eines selbstständigen Beweisverfahrens, anzustrengen, um ihre Rechte zu sichern. Andererseits möchten beide Immobilienfirmen die Sache möglichst nicht publik machen, um ihr Renommee und den Wert der Immobilie nicht zu gefährden. Sie entschließen sich zu einem moderierten Gespräch zwischen allen Beteiligten unter Leitung eines Mediators. Ein Schiedsverfahren oder ein Schlichtungsvorschlag ist nicht gewünscht. Ziel soll es sein, den Stand der Untersuchungen für alle Beteiligten transparent zu machen und die nächsten Schritte zu vereinbaren.

Was hat geholfen?

Qualifizierte Sachaufklärung
Sind rechtliche und technische Fragen eng verbunden, kommt der qualifizierten Sachaufklärung ein hoher Stellenwert zu. Wenn die Parteien diesen Weg gemeinsam gehen, sollten sie nach anerkannten Experten suchen. Wichtig: bilaterale Absprachen, was mit der Begutachtung erreicht werden soll (SchiedsGutachten?), klare Aufgabendefinition, verlässliche Zeitabsprache, Festlegung der von den Parteien zu leistenden Unterstützung, Erwartungen an Umfang und Tiefe der Begutachtung, sorgsamer Umgang bei der Auswahl möglicher Gutachter. Niemand hat es – auch nicht sprachlich – verdient, „verbrannt zu werden“!
Technische Vorbereitung des Moderators
Auch der baurechtlich Bewanderte muss jedes Mal dazulernen. Wer sich mit Fachleuten unterhalten will, muss deren Sprache verstehen: Was ist ein Grundbruchversagen, welche Bedeutung haben Zwischenbauzustände in mehreren Höhenebenen. Wie gelingt der Kraftschluss zwischen Fundament und Unterfangung?
Interessierte Mediatoren laufen allerdings Gefahr, sich bei den Recherchen nicht mehr von den spannenden Texten in Internet und Nachschlagewerken lösen zu können. Da die Vorbereitungszeit in der Regel nicht vergütet wird, muss man das entweder zu kontrollieren lernen oder gedanklich unter Fortbildung verbuchen.
Konfliktsondierung
Es ist jedes Mal neu zu überlegen, ob es besser ist, sich vor der Sitzung in Einzelgesprächen mit den Beteiligten ein Bild zu machen. Wenn diese Frage bejaht wird, bedarf es hierzu vorher einer klaren Absprache.
Bei so vielen Parteien und Interessen darf man sich nicht auf nur eine Schilderung verlassen. Die Telefongespräche mit den Vertretern aller Parteien waren sehr hilfreich. Die Planung des Zeitablaufs konnte nach den prognostizierten Themenschwerpunkten vorgenommen werden. Man konnte bereits im Vorfeld erkennen, wo es noch Punkte gab, die vorab noch geklärt werden sollten, um die Veranstaltung nicht mit Nebenpunkten unnötig zu belasten. Alle hatten bereits die Möglichkeit, sich mit ihren Sorgen zu äußern und gehört zu werden.
Geht man diesen Weg nicht, erhöht sich das Risiko des Mediators, die Lage falsch einzuschätzen. So auch hier: Ich hielt das ausführliche Gespräch mit der Justiziarin der Immobilienfirma für ausreichend und habe deren Anwalt nicht auch noch angerufen. Prompt stellte sich dieser am Ende quer.
Agenda
Die vorherige Abstimmung der Teilnehmer und der Tagesordnung mit allen Beteiligten kurz vor der Veranstaltung ist wichtig. Wenn man dann bei Eröffnung der Veranstaltung nochmals das Einverständnis aller einholt, sollte es keine Überraschungen mehr geben. Auch das Ziel der Veranstaltung sollte in diesem Zusammenhang nochmals wiederholt werden, damit das Kurzzeitgedächtnis niemanden im Stich lässt.
Wenn keine Mediation gewünscht ist, darf niemand darüber enttäuscht sein, wenn zwar das definierte Ziel erreicht wurde, aber eine Konfliktbeilegung noch in weiter Ferne liegt. Das vorher deutlich zu machen, liegt auch im Eigeninteresse des Mediators.
Setting „Streithansel“ trennen
Raum wirkt! Wenn es Wahlmöglichkeiten gibt, sollte der Mediator auf großzügige, helle Räume hinwirken, mit einer Tischkonstellation, die es allen ermöglicht, sich in die Augen zu sehen, sich gut zu verstehen und den Mediator – und ggf. auch eine Leinwand – ohne Verrenkungen zu betrachten. Selbstverständlich müssen Getränke und ggf. einzusetzende Mediationstechnik bereitstehen (rechtzeitig beides testen!) Ich bringe aufgrund der vorher abgestimmten Teilnehmerliste immer auch Tisch-Namensschilder mit, die so groß geschrieben sind, dass jeder, vor allem aber ich, sie lesen kann (Ersatzschilder und dicken Filzstift für kurzfristige Teilnehmeränderungen vorsehen). Die Teilnehmer erkennen so, dass sie ernst genommen werden. Durch geschickte Disposition vor dem Eintreffen der Teilnehmer kann man auch Lagerbildung vermeiden, „Streithansel“ auseinandersetzen.
Zeitplan durchsetzen
Das ist die Pflicht des Gesprächsleiters. Daran sollte der Moderator die Teilnehmer schon zu Beginn der Veranstaltung erinnern und gleich beim ersten Regelverstoß unnachsichtig intervenieren, sonst hat er verloren.
Die Anwaltskollegen sind davon oft am schwersten zu überzeugen. Es ist auch hier leichter, wenn man schon vorher telefoniert hat. Der Moderator tut gut daran, die Erkenntnisse für alle nochmal zusammenzufassen und dabei den Rechtsanwalt ausdrücklich zu erwähnen. Dann besteht für diesen nicht mehr die Notwendigkeit, zur Tribüne zu sprechen (er wird sich dennoch zu Wort melden).
Raum für Kontroversen einplanen
Bei guter Vorbereitung lassen sich Themenblöcke bilden. Gezielte Fragen führen zu den noch zu klärenden Punkten und ggf. zu Vereinbarungen, wie damit umgegangen werden soll.
Die Eigentümerin des Altbaus wollte sicher sein, dass die Maßnahmen zügig von den Planern und Auftragnehmern der Nachbarin abgeschlossen werden. Ihr war wichtig, auch über Zwischenschritte informiert zu sein. Deren Versicherer hatten sich an der Finanzierung der Untersuchungsmaßnahmen beteiligt, waren jetzt aber nicht mehr bereit, weiter in „Obligo“ zu gehen, ohne zu wissen, wohin das führen wird. Durch die Vereinbarung von Milestones konnte Transparenz für alle erreicht werden.
Gelegentlich ist bei Versicherern die Taktik festzustellen, sich grundsätzlich nicht an Verhandlungen in der Sache zu beteiligen, sondern erst nach Vorliegen der Verhandlungsergebnisse zu entscheiden, ob und wie man sich daran beteiligt. Ohne den, der zahlt, sind Vereinbarungen schwer zu treffen. Der Mediator muss deshalb Versicherer im Vorfeld fragen, wie ihrer Ansicht nach dieses Problem gelöst werden soll.
Ergebnisse festhalten
Ein Protokoll ist natürlich zu empfehlen. Ob der Mediator, eine andere Person oder jede Partei für sich die Ergebnisse festhalten sollen, muss im Vorfeld geklärt werden.
Der diktiergewohnte Mediator könnte dies zusammen mit den anderen Parteien und mithilfe seines Diktiergerätes erledigen. Ein guter Lautsprecher statt „rauschendes Gequake“ hilft dabei. Der Mediator sollte sich dann die Erlaubnis einholen, redaktionell zu glätten und ggf. Rückabstimmung mit den Anwälten verabreden.
Der schreibgewohnte Mediator könnte den Text mit Laptop und Beamer für alle sichtbar machen, sodass bei dieser Gelegenheit sogar die Fassung abgestimmt werden kann, die der Endfassung am nächsten kommt oder u. U. sogar die Endfassung selbst, die ausgedruckt und von allen unterzeichnet wird.
Der delegiergewohnte Mediator könnte vorher mit Einverständnis aller ausgesucht haben, wer die Dokumentation übernimmt. Die nachträgliche Anfertigung und spätere Abstimmung mit den Parteien nimmt u. U. erhebliche Zeit in Anspruch – das ist auch wirtschaftlich zu bedenken!

Am Schluss waren sie zufrieden: ein wichtiger Schritt zur außergerichtlichen Einigung in allen Fragen!

Dr. Peter Hammacher
Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator, Heidelberg

Rechtsanwalt seit 1986, war zwanzig Jahre lang Leiter von Rechtsabteilungen national und international tätiger Unternehmensgruppen der Bau- und Investitionsgüterindustrie (Stahlbau, Anlagenbau, Kraftwerksbau, Brückenbau, Gebäudetechnik). Er ist jetzt vor allem als Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator und Schiedsrichter in nationalen und internationalen Schiedsverfahren nach DIS, ICC, UNCITRAL, SoBau und AdhocSchiedsverfahren nach § 1025 ff. ZPO tätig. Peter Hammacher ist Autor zahlreicher praxisorientierter Fachbeiträge zum Vertragsrecht und zur Konfliktbearbeitung und langjähriger Dozent auf Praktikerseminaren unterschiedlicher Veranstalter; er ist Lehrbeauftragter an der School of Engineering and Architecture in Heidelberg. www.drhammacher.de


Hinweise und Fußnoten

Alias: Baustellenkonflikt
Archiv: Ein Beitrag der Fachzeitschrift "Der Mediator"



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Seite zuletzt geändert am Freitag November 1, 2024 01:49:20 CET.

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